Schweitzer Fachinformationen
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Die Geschichte ist unbestechlich. Die Vergangenheit aufzuarbeiten, diese wieder für kurze Momente aus der Erinnerung zu holen, ist oft ein sehr schwieriges Unterfangen. Aus vorhandenen Quellen und Erzählungen meiner Vorfahren werde ich versuchen, in den Flüssen der Ereignisse ein Fenster der Erinnerung zu öffnen und meinen Ahnen noch einmal eine Gestalt zu geben.
An der Schwelle zum 20. Jahrhundert, am 19. Mai 1900, wurde mein Großvater Johann in einer kleinen Ortschaft im Gailtal geboren und wuchs mit drei Geschwistern in ganz ärmlichen Verhältnissen auf. Das einstöckige Haus, wo er geboren wurde, hatte drei bewohnbare Räume, unten im Parterre war neben der Kuchl eine Stube, in dem die Eltern und der jüngere Bruder schliefen. Oben im ersten Stock war Johann zusammen mit den zwei älteren Schwestern untergebracht. Durch das mit Moos bewachsene alte Bretterdach aus Lärchen sickerte im Frühjahr das schmelzende Schneewasser vom Dach in die oberen Räume, und die Mutter stellte zu dieser Zeit immer kleine Gefäße auf, um das herabtropfende Wasser aufzufangen. Im Winter blies der stürmische Wind oft Schnee durch die Ritzen der Holzbalken auf die groben Tuchent1, welche mit Türkenfedern2 gefüllt waren.
Auf der Hinterseite des Hauses war der Eingang zum Ziegenstall und zum Schweineverschlag. Vom Stall führte eine steile Stiege hinauf in den ersten Stock zum Futterlager der Ziegen.
Vor dem Haus betreute seine Mutter ein kleines Gartl, und dahinter war das kleine, karge und steinige Feld, auf dem das Heu für die Ziegen geerntet wurde. Die Ziegen mussten vom Frühjahr bis in den späten Herbst auf den umliegenden Feldrainen und im Wald von den Kindern gehütet werden, weil ansonsten das Futter nicht ausreichend vorhanden war. Immer wieder wurden Johann und seine Geschwister von Bauern verjagt, wenn die an Stricken angebundenen Ziegen abseits der Wald- und Wegränder auch vom Gras der Wiesen der Bauern gefressen hatten. Besser war die Zeit für das Hüten ab dem Zeitpunkt, von dem an das "Allerheiligenhalten" gestattet war: Nachdem im Spätherbst das behütete Weiden des Bauernviehs eingestellt wurde, durften sich die Geißen etwas freier auf den Feldern bewegen und auch dort fressen. Bis in den späten Herbst, bis zum ersten Raureif, mussten die Kinder barfuß gehen, denn jeder hatte nur ein Paar meist schon geflickte Schuhe.
An sonnigen Herbsttagen wehte der bläuliche Rauch der Kartoffelfeuer über die Äcker des Talbodens, und Johann und seine Geschwister suchten auf den abgeernteten Kartoffeläckern nach verblieben Kartoffeln, um diese im dürren und in Haufen lagernden Kartoffelkraut zu braten. Von den gebratenen Kartoffeln wurde die verkohlte Schicht abgerieben, bis die vom Feuer gebräunte äußere Schicht der Kartoffel sichtbar wurde, und in dieser eingeschlossen war die wohlschmeckende weiche Frucht; die roten Lippen der Kinder waren von den manchmal verbleibenden Resten der verkohlten Schicht schwarz umrandet, und ihre Augen glänzten in momentaner Zufriedenheit.
Neben den Verpflichtungen hatten Großvater und seine Geschwister auch fröhliche Stunden, in denen sie sich viel im angrenzenden Wald aufhielten. Die Zapfen von Fichten, das waren ihre Rosse, die kleineren Zapfen der Kiefern ihre Kühe, die Eicheln die Schweine. Aus großen Rindenstücken wurde dann ein Hof gebaut, und Rindenstücke waren auch ihre Wagen, an die mit Fäden die Tiere eingespannt wurden. Ihr Getreide war Spitzwegerich, und Buchenblätter waren ihr Geld; auch all die anderen vorhandenen Blumen und Gräser hatten ihre Bedeutung.
In der Kirche von St. Daniel saßen ganz vorne die Bauersleute mit ihren Kindern, ganz hinten die armen Keuschler, Mägde und Knechte. Wenn eines der ärmeren Kinder sich nach weiter vorne in die Kirchenbank setzte, wurde es vom Pfarrer seines Platzes verwiesen, auch als Ministranten wurden nur Kinder von Bauern und aus besser gestellten Familien genommen. Diese Rangordnung hatte auch Bestand im örtlichen Gasthaus. Die Bauern, der Bürgermeister und der Pfarrer saßen nach der Sonntagsmesse in der Gaststube, und die anderen saßen in der Labn3 der Gaststätte.
Als Großvater im Jahr 1909 gerade neun Jahre alt war, fiel außergewöhnlich viel Schnee im Gailtal. Eines Morgens konnten die Bewohner seines Heimatgebietes ein eigenartiges Naturphänomen bestaunen. Der frisch gefallene Schnee war gelbrot gefärbt. Damals hatte der Wind in großer Höhe feinen Wüstensand aus Afrika herübergetragen.
Aus alten Leintüchern nähte die Mutter meines Großvaters Unterwäsche und Hemden, für die Gitschen4 lange Kittel mit breiten Trägern; die vielfach geflickten Hosen der Buben hatten bereits ein annähernd kariertes Muster. Gewand, das noch irgendwie verwendbar war, wurde nie weggeworfen; schon getragene Kleidung wurde an den nächsten weitergegeben oder geändert.
Seine Schwestern, sein Bruder und Johann besuchten die Volksschule. Die zwei Schwestern, welche älter als die Brüder waren, begleiteten die Mutter oft bei ihrer schweren dienenden bäuerlichen Arbeit auf den umliegenden Bauernhöfen und halfen bei leichten Erntearbeiten mit. Der Lohn fürs Arbeiten war die tägliche Verköstigung, und ab und zu konnten sie die Äste von geschlägerten Bäumen für Brennholz und Streu für die Ziegen einsammeln.
Der Vater vom Großvater war Zimmerer, er trank gerne, und so reichte das verdiente Geld nie aus, um die notwendigsten Bedürfnisse der Familie erfüllen zu können. Er behandelte seine Frau und die Kinderschar oft mit groben Worten und Schlägen. Großvater und seine Geschwister konnten zwar die Volksschule besuchen, aber gleich danach wurden sie von ihrem Vater als Dienstboten zu Bauern in der Umgebung, aber auch in weiter entfernte Täler geschickt. Eine Lehre kam selten in Frage, denn damals mussten die Eltern für die Kinder, wenn diese eine Beruf erlernen wollten, dem Meister ein Lehrgeld entrichten, und dieses Geld war meist nicht vorhanden.
Am Pfingstsonntag, dem 23. Mai 1915, Johann war gerade 15 Jahre alt geworden, kam der Vater meines Großvaters von Kötschach mit der Nachricht heim, dass Italien Österreich den Krieg erklärt hatte. Im selben Jahr meldete sich der Vater zu den "Freiwilligen Kärntner Schützen". In der Militärschießstätte in Laas wurden die Freiwilligen im Schießen ausgebildet. Der Vater meines Großvaters wurde später zur Infanterie und Verteidigung am Isonzo einberufen, wo er bei er dritten Isonzoschlacht im Bereich von Flitsch schwer verwundet wurde und im dortigen Feldlazarett am 2. November 1915 seinen Verletzungen erlag.
Der örtliche Pfarrer überbrachte Johanns Mutter die traurige Nachricht vom Tod ihres Mannes. Die Einsargung und Begräbniskosten wurden vom Militär übernommen. Am Abend kamen Nachbarn an die Bahre zum Rosenkranzbeten und brachten Zucker, Eier und Brot mit. Das war zwei Abende so. Es war ein ärmliches Begräbnis, einige Verwandte, Nachbarn und Bauern fanden sich bei der Keusche ein. Ein Zugsführer der Gebirgsschützen und vier Soldaten trugen den Sarg zu dem von Pferden gezogenen Leiterwagen und begleiteten den kleinen Trauerzug. Zwei Kränze schmückten den an der schattseitigen, kühlen Friedhofsmauer aufragenden Erdhügel, darauf wurde ein einfaches Lärchenkreuz gesetzt, und am Grabe stand trauernd, verzweifelt und weinend die Mutter mit ihren vier Kindern.
Der Vater vom Großvater hatte vor dem Krieg auf verschiedenen Baustellen als Zimmerer im Drautal gearbeitet und kam meistens nur an den Wochenenden nach Hause. In einem Wirtshaus in Lendorf hatte er einem Bauern versprochen, seinen Sohn als Dienstboten zu schicken, wenn dieser 15 Jahre alt wäre.
Der örtliche Pfarrer von St. Daniel erinnerte die Mutter meines Großvaters an das Versprechen ihres Mannes, der ja gerade an der Front war. Der Bauer aus Baldramsdorf hatte sich wohl an die Kirche gewendet, um das versprochene Dienstbotenverhältnis einzufordern. Die Mutter teilte Johann den Handel seines Vaters mit, und Anfang September sollte sein Weg ins Ungewisse beginnen. Die wenigen Habseligkeiten des Buben, ein Paar Socken, ein Hemd, ein Rock und die genagelten Schuhe von seinem Vater wurden in einen Rucksack gepackt, dazu als Wegzehrung Äpfel und Brot sowie 25 Heller Taschengeld.
Es war an einem Freitagmorgen, als Großvater sich auf den Weg machte. Die Mutter und seine Geschwister standen vor der Haustür, alle weinten sie, als Johann sich noch einmal umdrehte und ihnen zuwinkte. Wann würde er seine Familie wiedersehen? Etwas Ungewisses durchströmten seine Gedanken, würde die Mutter zurechtkommen mit der kleinen Wirtschaft, würde auch genug zu essen da sein für seine Geschwister? Er kannte das Gefühl der wärmenden Liebe der Eltern nicht, und doch verspürte er für kurze Momente eine Sehnsucht, zurückzugehen und seine Mutter zu umarmen.
So kam mein Großvater in jungen Jahren als Dienstbote zum vulgo Hanselebauer in Faschendorf. Zuerst musste er dem Stallknecht und dem Rossknecht zudienen, und später wurde er zu Feldarbeiten eingeteilt. Dort lernte er auch meine Großmutter kennen, die als Magd beim Hanselebauer einen zusätzlichen Lohn zur kleinen Landwirtschaft ihrer Eltern (Binterkeusche) verdienen musste. Mit 18 Jahren hat meine Großmutter die Keusche von ihren Eltern überschrieben bekommen, und bald darauf heiratete sie meinen Großvater. Nach der Heirat hat mein Großvater als Holzknecht bei der Firma Jakob Hasslacher in Sachsenburg gearbeitet, und aufgrund seiner fleißigen und geschickten Hände wurde er später von Jakob Hasslacher vulgo Gschmeidler zum Vorarbeiter (Holzmeister)...
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