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Ich habe meinen Vater kaum gekannt. Als er 1963 aus Hawaii wegging, war ich erst zwei Jahre alt. Ich wusste nicht, dass Kinder einen Vater haben und dieser bei seiner Familie leben sollte. Ich kannte ihn nur von den Geschichten, die meine Mutter und meine Großeltern mir erzählten.
Sie alle hatten ihre Lieblingsgeschichten. Ich weiß noch, wie Gramps, mein Großvater, sich in seinem alten Sessel zurücklehnte und lachend erzählt, wie mein Vater - der wie ich Barack Obama hieß - wegen einer Pfeife fast einen Mann von der Pali-Aussichtsplattform, einer Felsklippe nicht weit entfernt von unserem Haus in Honolulu, geworfen hätte.
»Deine Mutter und dein Vater hatten beschlossen, mit diesem Bekannten eine Besichtigungstour über die Insel zu machen - und wahrscheinlich fuhr dein Vater wieder die ganze Zeit auf der falschen Straßenseite -«
»Dein Vater war ein furchtbarer Autofahrer«, warf meine Mutter dazwischen. »Irgendwann fuhr er immer auf der linken Seite, so wie es in England üblich ist, und wenn man ihn darauf hinwies, rümpfte er nur die Nase über die idiotischen Vorschriften der Amerikaner.«
»Sie stiegen also aus, gingen zum Geländer und bewunderten die Aussicht. Dein Vater rauchte seine Pfeife, die ich ihm zum Geburtstag geschenkt hatte, und zeigte wie der Kapitän eines Dampfers mit dem Mundstück auf die verschiedenen Sehenswürdigkeiten -«
»Er war wirklich stolz auf diese Pfeife«, unterbrach ihn meine Mutter wieder.
»Willst du die Geschichte erzählen, Ann, oder darf ich weitermachen?«
»Entschuldige, Dad. Sprich weiter.«
»Also, dieser Bekannte fragt ihn, ob er die Pfeife mal probieren dürfe. Aber kaum hat er den ersten Zug gemacht, fängt er so fürchterlich an zu husten, dass ihm die Pfeife entgleitet und über das Geländer dreißig Meter in die Tiefe fällt. Daraufhin sagte dein Vater, er solle rüberklettern und sie zurückholen.«
Gramps musste so heftig lachen, dass es eine Weile dauerte, bis er weitererzählen konnte. »Der Mann wirft einen Blick nach unten und schlägt vor, ihm eine neue Pfeife zu kaufen. Aber Barack meint nur, sie wäre ein Geschenk und nicht zu ersetzen. Er packt ihn am Schlafittchen, hebt ihn hoch und macht Anstalten, ihn über das Geländer zu halten!«
Gramps lachte, und ich stellte mir vor, wie ich zu meinem Vater aufschaue, eine dunkle Gestalt vor der hellen Sonne, während der Mann panisch mit den Armen wedelt. Das Ganze erinnerte mich an eine Szene aus der Bibel - schrecklich und doch eindrucksvoll, ein König, der Gerechtigkeit übt.
Ich wollte wissen, ob er den Mann runtergeworfen hatte.
»Nein, nach einer Weile hat er ihn wieder abgesetzt«, sagte Gramps. »Dein Vater hat ihm den Rücken getätschelt und seelenruhig vorgeschlagen, irgendwo ein Bier zu trinken. Er tat, als wäre nichts passiert.«
Meine Mutter sagte, ganz so schlimm wäre es nicht gewesen, mein Vater hätte den Mann nicht weit über das Geländer gehalten.
»Du warst aber ziemlich aufgebracht, als ihr nach Hause kamt«, sagte Gramps zu meiner Mutter. »Und als du uns von dem Vorfall erzählen wolltest, schüttelte Barack bloß den Kopf und lachte. Mit seiner tiefen Stimme und seinem britischen Akzent sagte er: >Ich wollte dem Kerl nur eine Lektion erteilen, wie man mit dem Eigentum anderer Leute umgeht.<«
Meine Großmutter, Toot, kam aus der Küche und meinte, wie gut, dass mein Vater begriffen habe, dass die Pfeife nur aus Versehen in die Tiefe gefallen sei - wer weiß, was sonst noch passiert wäre.
Meine Mutter verdrehte die Augen. Sie hielt das alles für übertrieben. Mein Vater wäre manchmal ein bisschen dominant, aber im Grunde ein anständiger Kerl. »Wenn er sich im Recht fühlte, war er allerdings ziemlich kompromisslos«, sagte sie.
Ihr gefiel eine andere Geschichte, die Gramps über meinen Vater erzählte, besser: Einmal willigte er ein, beim Internationalen Musikfestival ein paar afrikanische Lieder zu singen, ohne sich darüber im Klaren zu sein, dass es eine richtig große Veranstaltung werden würde. Die Frau, die vor ihm ihren Auftritt hatte, war eine professionelle Sängerin mit einer richtigen Band. »Jeder andere«, sagte Gramps, »hätte einen Rückzieher gemacht. Nicht so Barack. Er stand auf und fing an, vor all den Menschen zu singen - das ist nicht leicht, glaub's mir -, und er war auch nicht besonders gut. Aber er trat so selbstsicher auf, dass er genauso viel Applaus bekam wie alle anderen.«
»Eine Sache kannst du von deinem Dad lernen«, erklärte er mir. »Selbstvertrauen. Selbstvertrauen ist das Geheimnis jeden Erfolgs.«
SO WAREN ALLE diese Geschichten - kurz, mit einer kleinen Moral. Oft verschwanden sie für eine Weile in der Versenkung, bis meine Familie sie nach Monaten, manchmal auch Jahren, wieder hervorkramte, wie alte Fotoalben. Meine Mutter hatte auch ein paar richtige Fotos von meinem Vater, aber als sie dann mit Lolo zusammen war, dem Mann, den sie später heiraten sollte, versteckte sie die Aufnahmen im Schrank. Hin und wieder fielen sie mir in die Hände, wenn ich auf der Suche nach Weihnachtsschmuck oder einer alten Taucherbrille sämtliche Schubladen durchstöberte, und dann sahen meine Mutter und ich sie uns manchmal gemeinsam an. Die Fotos zeigten meinen Vater mit dunklem, lachendem Gesicht, hoher Stirn und einer dicken Brille. »Deine kräftigen Augenbrauen hast du von mir - dein Vater hat nur diese dünnen Dinger -, aber den Verstand und deinen Charakter hast du von ihm«, sagte sie.
Ich hörte meiner Mutter gerne zu, wenn sie mir von ihm erzählte.
Mein Vater war Afrikaner, ein Kenianer vom Stamm der Luo. Geboren wurde er in Alego in der Nähe des Victoriasees. Alego war ein armes Dorf, aber der Vater meines Vaters, mein anderer Großvater, war einer der Stammesältesten und ein angesehener Medizinmann. Als Kind hütete mein Vater die Ziegen seines Vaters und ging in eine Schule, die die britischen Kolonialherren gebaut hatten, die zu jener Zeit in Kenia an der Macht waren.
Mein Großvater, der der Überzeugung war, dass Wissen Macht bedeutete, war sehr stolz, als Barack sich als vielversprechender Schüler erwies und ein Stipendium erhielt, um in der Hauptstadt Nairobi zu studieren. Etwas später wurde er von kenianischen Politikern und amerikanischen Sponsoren sogar für ein Studium in den Vereinigten Staaten ausgewählt. Kenia stand damals kurz vor der Unabhängigkeit, und die neuen Anführer schickten die besten Studenten ins Ausland, um dort Wirtschaft und Technik zu studieren. Sie hofften, dass die jungen Leute zurückkommen und dazu beitragen würden, ein modernes und erfolgreiches Afrika aufzubauen.
1959 kam mein Vater mit dreiundzwanzig Jahren als erster afrikanischer Student an die Universität von Hawaii, um Wirtschaftswissenschaften zu studieren. Nach nur drei Jahren machte er als Jahrgangsbester seinen Abschluss. Er half, den Internationalen Studentenverband zu organisieren, und wurde dessen erster Präsident. In einem Russischkurs begegnete er einer schüchternen, erst achtzehnjährigen Amerikanerin, und die beiden verliebten sich. Der Name des Mädchens war Stanley Ann Dunham, aber alle nannten sie nur Ann. Sie war meine Mutter.
Ihre Eltern waren zunächst skeptisch. Mein Vater war schwarz, und sie war weiß, und damals war es nicht üblich, dass Menschen unterschiedlicher Rasse miteinander ausgingen. Aber mit seinem Charme und seiner Intelligenz konnte er die beiden schließlich für sich gewinnen. Das junge Paar heiratete, und kurz darauf wurde ich geboren.
Mein Vater erhielt ein weiteres Stipendium - dieses Mal für eine Promotion an der Universität von Harvard im über fünftausend Meilen entfernten Cambridge in Massachusetts -, aber das Geld reichte nicht, um seine Familie mitnehmen zu können. Meine Mutter und ich blieben in Hawaii. Und als mein Vater dann seine Promotion in der Tasche hatte, beschloss er, zurück nach Afrika zu gehen, »um sein Land zu einem...
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