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Es hatte vor fünf Monaten, zwei Wochen und sechs Tagen ganz unschuldig begonnen. Es gab keinen Grund anzunehmen, dass »Pik-Bube« irgendetwas damit zu tun hatte.
Denn niemand hier in Harbourton wusste von »Pik-Bube« - selbst jetzt weiß niemand davon. Kein einziger Mensch, der Andrew J. Rush nahesteht - meine Eltern, meine Frau und Kinder, Nachbarn, langjährige Freunde aus meiner Schulzeit.
Hier, in dieser ländlichen Vorstadtgemeinde in New Jersey, in der ich vor dreiundfünfzig Jahren geboren wurde und wo ich mit meiner lieben Frau Irina seit mehr als siebzehn Jahren lebe, kennt man mich als »Andrew J. Rush« - wohl der bekannteste Einheimische, Bestsellerautor von Krimis und Thrillern mit einem Schuss Horror. (Nur ein Hauch Horror, nicht eklig-fies oder verstörend. Niemals obszön, geschweige denn sexistisch. Frauen werden in meinen Krimis mit Anstand behandelt, abgesehen von ein paar Noir-Einsprengseln. Die Leichen sind in der Regel weiße männliche Erwachsene.) Mit meinem dritten Bestseller in den Neunzigern begannen die Medien mich »Andrew J. Rush, der Stephen King für den Bildungsbürger« zu nennen.
Selbstverständlich war ich geschmeichelt. Die Verkaufszahlen meiner Romane, obwohl nach einem Vierteljahrhundert der Mühen, sind im zweistelligen Millionenbereich, nicht im dreistelligen wie die Stephen Kings. Und obgleich meine Romane in rund dreißig Sprachen übersetzt wurden - (eine ziemliche Überraschung für mich, der nur eine einzige Sprache beherrscht) -, bin ich sicher, dass die Bücher Stephen Kings noch häufiger übersetzt wurden und mit größerem Gewinn. Und nur drei meiner Romane wurden fürs Kino adaptiert (und die Filme rasch vergessen), nur zwei für das Fernsehen (und gewiss nicht von den Premiumsendern) - im Unterschied zu King, dessen Verfilmungen zu viele sind, um sie aufzuzählen.
Was Geld angeht, kann man Andrew J. Rush und Stephen King nicht miteinander vergleichen. Aber wenn man nach Steuern rund dreißig Millionen Dollar verdient hat, hört man einfach auf, über Geld nachzudenken, so wie ein Serienmörder nach ein paar Dutzend Opfern vermutlich aufhört, darüber nachzudenken, wie viele Menschen er umgebracht hat.
(Entschuldigung! Ich glaube, das war eine dieser herzlosen Bemerkungen, die meine liebe Irina mit Sicherheit dazu provozieren würde, mir mahnend gegen den Knöchel zu treten, wie sie es gelegentlich tut, wenn ich in der Öffentlichkeit etwas Unpassendes sage. Ich wollte keinesfalls gefühllos erscheinen, nur einen Witz machen - auf meine unbeholfene Art.)
Wie geschmeichelt auch immer ich von dem Vergleich mit Stephen King war, weigerte ich mich doch, meinem Verlag zu gestatten, dies auf dem Umschlag meines nächsten Romans abzudrucken, ohne die Erlaubnis von King einzuholen; meine Bewunderung für Stephen King - (ja, und mein Neid auf ihn) - machten mich keineswegs blind für die Möglichkeit, dass er dies als beleidigend auffassen könnte und auch als ausbeuterisch. Doch Stephen King schien es nicht im Geringsten zu stören. Berichten zufolge lachte er nur - Wer will schon der Stephen King für Bildungsbürger sein?
(War dies eine herablassende Bemerkung einer literarischen Legende, vergleichbar dem Wegwedeln einer lästigen Fliege, oder einfach die humorvolle Reaktion eines Schriftstellerkollegen? Da Andrew J. Rush selbst ein humorvolles Individuum ist, zog ich es vor, Letzteres anzunehmen.)
Zum Dank schickte ich verschiedene signierte Taschenbuchausgaben meiner bekanntesten Romane an Stephen King an seine Privatadresse in Bangor, Maine. Auf dem Haupttitel der neuesten Ausgabe stand der Scherz -
Kein Stalker, Steve -
Nur ein Schriftstellerkollege!
In tiefer Bewunderung -
ANDREW J. RUSH
»Andy«
Mill Brook House
Harbourton, New Jersey
Selbstverständlich erwartete ich keine Antwort von diesem vielbeschäftigten Menschen, und ich erhielt auch keine.
Die Parallelen zwischen Stephen King und Andrew J. Rush! Obgleich ich überzeugt bin, dass es sich um Zufälle handelt.
King nicht unähnlich, von dem man sagt, er habe sich gefragt, ob er seine außerordentliche Karriere nicht irgendeinem Zufall verdankt, habe auch ich gelegentlich Zweifel an meiner schriftstellerischen Begabung gehegt; mich schuldig gefühlt, weil talentiertere Individuen als ich weniger Glück hatten und durchaus im Recht sein könnten, wenn sie mich ablehnen. An meiner Hingabe an mein Handwerk, meinem Eifer und meiner Bereitschaft zu arbeiten zweifle ich weniger, denn die einfache Wahrheit lautet, dass ich es liebe zu schreiben, ich werde rastlos, wenn ich nicht mindestens zehn Stunden am Tag an meinem Schreibtisch sitze. Doch manchmal, wenn ich nachts aus dem Schlaf auffahre, einen Moment lang nicht weiß, wo ich bin oder wer neben mir schläft, scheint es absolut erstaunlich, dass ich überhaupt ein veröffentlichter Schriftsteller bin - ganz zu schweigen davon, der allgemein bewunderte und wohlhabende Autor von achtundzwanzig Krimis und Thrillern zu sein.
Diese Romane, veröffentlicht unter meinem allseits bekannten echten Namen - Andrew J. Rush.
Es gibt eine weitere merkwürdige Ähnlichkeit zwischen Stephen King und mir: So wie Stephen King vor einigen Jahren mit einem frei erfundenen Alter Ego namens Richard Bachman experimentierte, begann auch ich in den späten neunziger Jahren mit einer erfundenen Identität zu experimentieren, als meine Karriere als Andrew J. Rush gefestigt schien und nicht mehr so viel meiner nervösen Energie bedurfte wie noch zu Beginn. Und so wurde Pik-Bube geboren, aus meiner Rastlosigkeit nach dem Erfolg als Andrew J. Rush.
Zu Beginn dachte ich, ich würde einen, vielleicht zwei Romane als der vulgäre, blutige, schockierende »Pik-Bube« schreiben - aber dann kamen mir Ideen für einen dritten, vierten, sogar fünften Roman unter Pseudonym, häufig mitten in der Nacht. Ich erwache und stelle fest, dass ich mit den Backenzähnen knirsche - oder vielmehr, dass meine Backenzähne aus eigenem Antrieb knirschen -, und kurz danach kommt mir der Einfall für einen neuen »Pik-Bube«-Roman, ungefähr so, wie eine Nachricht oder ein Icon wie aus dem Nichts auf einem Computerbildschirm aufploppt.
Genau wie Andrew J. Rush seinen Literaturagenten, seinen Verlag und seinen Lektor in Manhattan sowie einen Hollywoodagenten hat, mit dem er schon seit langem arbeitet, hat auch »Pik-Bube« seinen (weniger seriösen) Agenten, seinen (weniger seriösen) Verlag und seinen Lektor in Manhattan und einen (nahezu unbekannten) Hollywoodagenten, mit dem er noch nicht lange zusammenarbeitet; doch während seine literarischen Mitarbeiter ebenso wie seine Nachbarn und Freunde in Harbourton, New Jersey, »Andy Rush« persönlich kennen, hat noch nie jemand »Pik-Bube« getroffen, dessen Noir-Thriller digital übermittelt und dessen Verträge in ähnlich unpersönlicher Weise ausgehandelt werden. Die Umschlagfotos von Andrew J. Rush zeigen einen freundlich lächelnden Mann mit Fältchen um die Augen und beginnender Glatze vor vollgestopften Bücherregalen, der eher einem Lehrer als einem Bestsellerautor ähnelt; von »Pik-Bube« dagegen scheint es keine Bilder zu geben, und dort, wo man das Autorenfoto auf der Rückseite des Umschlags erwarten würde, ist nur eine unheimliche (schwarze) Leere.
Auch im Netz finden sich keine Fotos von »Pik-Bube«, nur Bilder der grellen, auffälligen Cover seiner Romane, ein paar Rezensionen und knappe Spekulationen zu seiner Biographie, die mich zum Lächeln bringen, weil sie so naiv und überzeugend sind - »Pik-Bube« ist angeblich das Pseudonym eines ehemaligen Häftlings, der seine Schriftstellerlaufbahn begann, während er in einem Hochsicherheitsgefängnis in New Jersey eine Haftstrafe wegen Totschlags verbüßte. Man behauptet, gegenwärtig sei er auf Bewährung und würde an einem neuen Roman arbeiten.
Alternativ und ebenso überzeugend wurde »Pik-Bube« bereits als Kriminologe, Psychiater, Professor für forensische Medizin, Kriminalkommissar (im Ruhestand) oder Pathologe (im Ruhestand) identifiziert, der abwechselnd in Montana, Maine, dem Staat New York, Kalifornien oder auch in New Jersey lebt.
Eine weitere, völlig unverantwortliche Vermutung sieht »Pik-Bube« als Gewohnheitsverbrecher, möglicherweise Serienkiller, der seit seiner Jugend unentdeckt unzählige Verbrechen begangen hat. Sein wahrer Name ist ebenso wie sein Aufenthaltsort ausnahmslos »unbekannt«.
Niemand will glauben, dass »Pik-Bube« nur das Pseudonym eines Bestsellerautors ist, eines nicht im Geringsten kriminellen, sondern äußerst verantwortungsvollen Familienvaters und gesetzestreuen Staatsbürgers. Das ist nicht romantisch!
Es wird zunehmend schwieriger, dieses komplizierte Geheimnis zu bewahren, insbesondere in dieser überwachsamen Ära der elektronischen Spionage, aber es ist mir durch vier Romane und die Verhandlungen zu einem fünften von »Pik-Bube« gelungen, die Distanz zwischen Andrew J. Rush und »Pik-Bube« aufrechtzuerhalten.
Was bedeutet, dass meine hauptamtlichen Mitarbeiter nichts von meinem Noir-Ich wissen. Wie verstört sie wären, wenn sie erführen, dass sich ausgerechnet Andrew - »Andy« - Rush ohne ihr Wissen eine geheime Schriftstelleridentität aufgebaut hat! Als würde eine glücklich verheiratete Frau herausfinden, dass ihr Mann sie seit Jahren betrügt - ohne sich jemals auch nur im Geringsten anmerken zu lassen,...
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