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Vielleicht empfand ich das Leben zu Lande und in der Luft immer stärker als ineffektiv, vielleicht hatte ich immer stärker das Gefühl, dass die Anhäufung von Erfahrungen schließlich und endlich, wenn man alles bedenkt, schlicht auf zusätzliches Gewicht hinausläuft, sodass man sich am Ende dahinschleppt, als wäre man in einem dieser Winnie-der-Pu-Anzüge gefangen, wie sie Erforscher der Tiefsee tragen, und fing deshalb mit dem Tauchen an. Wie nicht anders zu erwarten, verschärfte diese Entscheidung anfangs das Problem der Ineffizienz. Da war das mit einer neuen Beschäftigung verbundene Herumstümpern, und da war die Erschöpfung, die das übermäßige Betrachten von Jacques-Cousteau-Filmen hervorruft. Doch sobald ich einen Tauchkurs für Fortgeschrittene und einen Fischerkennungskurs absolviert hatte und richtig, ja bei jeder Gelegenheit zu tauchen begann, lernte ich, dass die Unterwasserwelt ein nahezu reiner Ersatz für die Welt sein kann, von der aus man in sie eintritt. Ich kann nicht umhin, darauf hinzuweisen, dass dieser Ersatz sich dergestalt auswirkt, dass er begrenzt, was man die biographische Bedeutung des Lebens nennen könnte - die Tragweite, zu der jedes einzelne Atemholen verdammt zu sein scheint. Fast ohne metaphorischen Sinn ein Fisch im Wasser zu sein: welche Befreiung.
Ich tauchte gern in Musandam. Mein Partner war unweigerlich Ollie Christakos, der aus Cootamundra in Australien stammt. Eines Morgens folgten wir draußen bei einer der Inseln in etwa dreizehn Meter Tiefe einer Felswand. An der Spitze der Insel herrschten starke Strömungen, und sobald wir sie durchschwommen hatten, blickte ich auf und sah, so schien es einen Moment lang, eine riesige Motte im offenen Wasser über mir dahineilen. Es war bemerkenswert, und ich drehte mich, um Ollie darauf aufmerksam zu machen. Er war mit etwas anderem beschäftigt. Er deutete unter uns, weiter die Wand hinunter in grünviolettes, abgrundtiefes Wasser. Ich sah hin: Da war nichts. Mit ganz untypischer Erregung zeigte Ollie immer wieder hin, und wieder schaute ich und sah nichts. Auf dem Motorboot erzählte ich ihm von dem Adlerrochen. Er erklärte, er habe etwas viel Besseres als einen Adlerrochen gesehen und sei ganz ehrlich gesagt etwas enttäuscht darüber, dass ich es nicht bestätigen könne. Ollie sagte: «Ich habe den Mann aus Atlantis gesehen.»
So hörte ich zum ersten Mal von Ted Wilson - als dem Mann von Atlantis. Der Spitzname entstammte der Fernsehserie gleichen Namens aus den Siebzigern. Sie zeigt in der Hauptrolle Patrick Duffy als einzigen Überlebenden einer untergegangenen Unterwasser-Zivilisation, der in diverse Abenteuer verwickelt wird, in denen er seine ungewöhnlichen aquatischen Fähigkeiten nutzbringend einsetzt. Aus meiner Kindheit habe ich nur noch folgende Erinnerung an den Mann aus Atlantis: Der amphibische Held bewegt sich nicht mit Hilfe der Arme, die seitlich angelegt bleiben, durch das flüssige Element, sondern durch eine kräftige, wellenförmige Bewegung von Oberkörper und Beinen. Niemand behauptete, Wilson sei ein Supermann. Aber es hieß, er verbringe mehr Zeit unter als über der Wasseroberfläche, er gehe stets allein tauchen, und seine Vorliebe gelte Tauchgängen, darunter auch nächtliche, die für einen Alleintaucher viel zu riskant seien. Es hieß, er trage einen Neoprenanzug, dessen Färbung - olivgrün mit blassen Wirbeln in Hellgrün, Dunkelgrün und Gelb - ihn in den Riffen und drum herum, wo das Versteckspiel nun mal die natürliche Lebensweise ist, praktisch unsichtbar machte. Unter den fanatischeren Tauchern vor Ort bildete eine Unterwasser-Sichtung von Wilson einen Grund dafür, eine E-Mail an Interessierte zu schicken, in der die relevanten Einzelheiten des Ereignisses aufgeführt wurden, und für kurze Zeit richtete irgendein Spaßvogel eine Internetseite mit einer Graphik ein, in der bestätigte Sichtungen durch ein grinsendes Emoticon und unbestätigte durch ein Emoticon mit zweifelndem Gesichtsausdruck dargestellt wurden. Was soll's. Die Leute tun alles Mögliche, um eine Beschäftigung zu haben. Wer weiß, ob die Graphik, die meiner Meinung nach eine regelrechte Hetzjagd darstellte, überhaupt irgendeine faktische Grundlage hatte: Vielleicht ist es überflüssig zu erwähnen, dass der Mann aus Atlantis und seine Beweggründe Anlass zu vielerlei Spekulationen und bloßen Meinungsäußerungen gaben und dass man demzufolge - zumal im Lichte all der anderen Dinge, die über ihn gesagt wurden - kaum sicher sein kann, wo bei Wilsons unterseeischem Leben die Wahrheit endete und die Legende begann; aber es scheint außer Frage zu stehen, dass er ungewöhnlich viel Zeit unter Wasser verbrachte.
Ich muss hier sehr darauf achten, mich deutlich davon abzugrenzen, wie dieser Mann, Wilson, durch die Mühle des Gerüchts gedreht wurde. Es ist eine Sache, aufdringliche Vermutungen über die Freizeitbeschäftigungen eines Menschen anzustellen, und eine ganz andere, ihn in eine Maschine zu stecken, die durch Mahlen zerkleinert. Genau das passierte mit Ted Wilson. Er wurde zu Staub zerredet. Das ist Dubai, nehme ich an - ein Land des Klatsches. Vielleicht schließt die Geheimnistuerei des Herrschers jeden anderen Zustand aus, vielleicht auch nicht. Es ist keine Frage, dass es überall im Emirat ausgedehnte Undurchsichtigkeiten gibt, die mich, da wir gerade beim Thema sind, an unterseeische Tiefen denken lassen. Und so macht uns das Land, ob uns das gefällt oder nicht, zu Klatschbasen, und es macht uns anfällig für Leichtgläubigkeit und Bescheidwisserei. Ich bin mir nicht sicher, ob es eine gute Methode gibt, dem entgegenzuwirken; es kann sogar sein, dass ein Moment eintritt, da der Veteran des niemals endenden Kampfes um solide Fakten weniger Ahnung denn je hat. Vor nicht allzu langer Zeit hörte ich, in Satwa sei ein tasmanischer Tiger zu verkaufen, und glaubte die Geschichte halb.
Ted Wilson, stellte sich heraus, hatte eine Wohnung im «Situation» - dem Apartmentgebäude, in dem auch ich wohne. Seine Wohnung lag in der neunzehnten Etage, zwei über meiner. Unsere Interaktion bestand aus einem kurzen Gruß im Fahrstuhl. Dann pflegten wir während der Hinauf- oder Hinunterfahrt die ägyptischen Hieroglyphen zu betrachten, die die Edelstahlwände der Fahrstuhlkabine zieren. Diese Begegnungen reduzierten meine Neugier, was ihn anging, praktisch auf null. Wilson war ein Mann in den Vierzigern von durchschnittlicher Größe und durchschnittlichem Gewicht, mit größtenteils kahlem Kopf. Er hatte die Art von Gesicht, die ich als rein angelsächsisch empfinde, d.h. bar aller Farbe und aller typischen Merkmale, und vielleicht war es eine Reaktion auf diesen Mangel, dass er, wie ich bemerkte, damit herumprobierte, sich Ziegenbärtchen, Vollbärte, Schnurrbärte, Koteletten wachsen zu lassen. Von Kiemen oder Schwimmhäuten zwischen den Fingern war nichts zu sehen.
Das Auffällige an ihm war sein amerikanischer Akzent. Amerikaner ziehen nur wenige hierher, was normalerweise damit erklärt wird, dass wir Bundessteuern auf weltweites Einkommen bezahlen müssen und daher relativ wenig von den steuerlichen Vorteilen profitieren, die die Vereinigten Arabischen Emirate ihren Einwohnern bieten. Diese Theorie stimmt, glaube ich, nur zum Teil. Eine weitere Erklärung muss darin liegen, dass der typische amerikanische Kandidat für ein Leben am Golf, der sich ohne abwertende Absicht als der mittelmäßige Büroarbeiter bezeichnen ließe, wenig Neigung zum Auswandern hat. Um es anders zu formulieren, ein Mensch braucht normalerweise einen besonderen Anreiz, um hier zu sein - oder, vielleicht noch genauer, um nicht anderswo zu sein -, und das gilt bestimmt umso mehr für den Amerikaner, der, anstatt sein Glück in Kalifornien, Texas oder New York zu suchen, beschließt, in diese seltsame Wüstenmetropole zu kommen. So oder so, das Schicksal wird die erwartete Rolle spielen. Ich sage das wohl aus Erfahrung.
Anfang 2007 lief ich in einem Garderobenraum in New York einem ehemaligen College-Kommilitonen, Edmund Batros, über den Weg. Ich hatte seit Jahren nicht mehr an Eddie gedacht, und natürlich fiel es schwer, diesen Siebenunddreißigjährigen ohne Verblüffung mit seinem Gegenstück in der Erinnerung gleichzusetzen. Während er im College ein pummeliger junger Libanese gewesen war, dem ein Glas Bier die Sprache zu verschlagen schien und der allen ein bisschen leidtat, machte der erwachsene Eddie in jeder Hinsicht - bis zum Brustbein aufgeknöpftes rosa Hemd, Sonnenbräune, glamouröse Begleiterin, Zwanzig-Dollar-Trinkgeld für die Garderobenfrau - den Eindruck eines unverschämt zufriedenen Mannes von Welt. Wenn er mich nicht angesprochen und sich zu erkennen gegeben hätte, hätte ich ihn gar nicht erkannt. Wir umarmten einander, und es gab ein großes Hallo um die wunderbare Unwahrscheinlichkeit des Ganzen. Eddie war nur kurz in der Stadt, und wir kamen überein, uns am nächsten Tag zum Essen im Asia de Cuba zu treffen. Dort, an dem angeblich holographischen Wasserfall, ergingen wir uns in Erinnerungen an das Jahr, in dem wir in einem Haus in Dublin gelebt hatten, bewohnt von College-Studenten, deren einzige Gemeinsamkeit darin bestand, dass sie keine Iren waren: Außer mir und Eddie gab es noch einen Belgier, einen Engländer und einen Griechen. Eddie und ich waren keineswegs dicke Freunde, aber wir hatten als zufälliges Bindeglied die französische Sprache: Ich sprach sie wegen meiner frankophonen Schweizer Mutter, Eddie, weil er wie viele Libanesen mehrsprachig aufgewachsen war und flüssig, wenn auch leicht fremdartig Französisch, Englisch und Arabisch sprach. In Irland pflegten wir einander Bemerkungen auf Französisch zuzumurmeln und hatten das...
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