Schweitzer Fachinformationen
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In dem dunklen Wagen piept Brooks' Armbanduhr mit der militärischen 24-Stunden-Anzeige, die er seit der Grundausbildung eingestellt hat, auch das eine starre Gewohnheit, und dann fängt sie wieder bei null an, wie ein unbeschriebenes Blatt. Mitternacht gibt's nicht, nur ein digitales Piepen um 23 : 59 : 59 Uhr, das den vorigen Tag auslöscht, und Brooks sagt, dass es noch sieben Stunden dauert, bis er nach Hause fahren kann, wo niemand auf ihn wartet (bloß wir sitzen in seiner Küche oder huschen durch den Wald). Die Hunde bellen, obwohl in der Küche das Licht brennt (wir ärgern sie gern ein bisschen), aber da, wo Brooks wohnt, ist das kein Problem. Den ganzen Weg zur Haustür wird er hören, wie sie ihn auffordern wegzugehen, einfach wieder in den Pick-up zu steigen und loszufahren, und glaub bloß nicht, dass er noch nie daran gedacht hat. Wenn Gram nicht wäre, würde Brooks wohl weggehen - alles der Maklerin überlassen -, aber das ist vielleicht eine Lüge. Er hat ein Leben lang hier gewohnt, ist ein echter Einheimischer; er wüsste gar nicht, wo er hinsollte. (Er geht nirgends hin. Wir haben gesehen, wie er in Zeitlupe seine Pistole aufgehängt hat, vorsichtig wie in einem Horrorfilm, und nur Toe ist so verrückt, das Holster zum Schaukeln zu bringen, eine blöde Idee. Denk nicht so viel über uns nach, Brooksie.)
Seine billige koreanische Armbanduhr piept zweimal, und jedes Mal, wenn er in der Stadt ist - wenn er an der im Schatten liegenden Laderampe des Stop'n'Shop vorbeifährt oder es sich leicht macht und auf dem Parkplatz von Battison's irgendwelchen Familienvätern auflauert, die ihre Videos noch rechtzeitig zurückbringen wollen -, sieht Brooks die schnellste Strecke zu dem Baum vor sich wie ein Diagramm, der Stadtplan an der Wand in der Funkzentrale beleuchtet, die Old Farms Road, die von der Country Club Road abzweigt, und er kommt zu spät, jedes Mal kommt er zu spät.
Ihm braucht niemand zu sagen, dass sich der Todestag jährt. Er durchlebt ihn jede Nacht - piep-piep -, und schon seit Mitte September fürchtet er sich davor und beobachtet, wie die Blätter fallen, wie der Wind sie raschelnd über die Straßen treibt und im Schutz seines Pick-ups aufhäuft, wie kreiselnde Ahornsamen seine Scheibenwischer bedecken. An den Wochenenden lässt er die Dusche zum Wachwerden ausfallen und harkt Blätter, bis er ins Schwitzen kommt und ihm schwindlig wird. Er weiß, dass er den Herbst, die schmerzhaft klaren Tage, den Raureif auf dem Gras nicht aufhalten kann; das liegt an der Rotation der Erde, ihrer unsinnigen Drehung um die Sonne - jeglicher Kontrolle entzogen, unaufhaltsam. Er hat Glück gehabt, dass auf dem Revier keine geschmacklosen Witze gerissen, keine Pappskelette mit dünnflüssigem Vampirblut bespritzt und in seinen Spind gesteckt wurden (vielleicht kommt das noch, vielleicht heckt Ravitch an seinem Pult gerade was aus und überlegt, wie weit er gehen kann; es ist die richtige Nacht für fingierte Anrufe).
Heute Nacht ist es Battison's, in unerschütterlicher Treue, mit eingeschaltetem Radar, sein Streifenwagen von dem künstlich angelegten Hügel verdeckt, hinter ihm die dunkle Reinigung mit dem still stehenden Karussell voller Plastikkleiderhüllen - steife Smokings und Abendkleider für den Herbstball. Die Filme von letztem Freitag müssen zurückgebracht werden. Brooks wartet im Dunkeln, das kleine rote Licht huscht auf der Suche nach Stimmen über die Funkanzeige. Er hat zu viel Zucker in seinen Kaffee gerührt, und seine Muskeln zucken. Am liebsten hätte er irgendeine Routinesache, irgendwas Blödes, einfach was, das ihn beschäftigen würde, wie der Plastiklöffel, auf dem er gerade rumkaut, auch das eine schlechte Gewohnheit. Er hört auf zu kauen und steckt ihn in den Aschenbecher, zum Kaugummipapier. Er hasst es, mitternachts zu arbeiten; tagsüber sind Aufträge zu erledigen, dem Chef irgendwelche Gefälligkeiten zu erweisen. Er hätte nie gedacht, dass er das mal vermissen würde.
Auf der anderen Straßenseite gleitet ein silberner Mercedes-Geländewagen zum Autoschalter der Webster Bank. Brooks merkt sich das Kennzeichen. Der Rest des Platzes ist leer, nichts als Parkplätze - weiße Linien und Ölflecke, die hohen Laternen brennen vergeblich.
Heute ist es so weit, heute Nacht. Was bedeutet das, falls es überhaupt was bedeutet? Tragische Unfälle gibt es in jeder Jahreszeit, und wie kann man was rückgängig machen, das schon passiert ist? Darüber hat er sich immer mit Melissa gestritten. Jetzt, wo sie weg ist, übernimmt er beide Seiten und streitet sich allein. (Wir brauchen nichts zu tun, bloß dazusitzen und zuzuhören; Danielle sagt, das ist grausam, und schon bricht ein anderer Streit aus.)
Brooks wünscht sich, ein Einsatzbefehl würde ihn am Nachdenken hindern, und kontrolliert den grünen Bildschirm, der Cursor färbt seine Hände, und sie sehen aus wie die von Frankenstein. Seine Hoffnung ist nicht ganz unberechtigt; es ist immer noch Cabbage Night, die Nacht der mit Seife beschmierten Fenster, der gegen die Scheiben geworfenen rohen Eier und der mit Toilettenpapier umwickelten Obstbäume, der kostenlosen Lieferung dampfender Hundescheiße und der bedeutendsten Sportart in Avon, Briefkastenbaseball. Bloß die Auswirkungen, mehr nicht, einer unserer Väter, in Pantoffeln und stinksauer, der Brooks fragt, was er dagegen unternehmen will - irgendein unglücklicher Steuerzahler, der gewöhnlich seine Sekretärin schikaniert. «Als Erstes muss ich Ihre Aussage aufnehmen», wird er dann sagen und die Jungs, die es getan haben, mir nichts, dir nichts ungeschoren davonkommen lassen, während das Blaulicht seines Streifenwagens über die Fassade des Hauses streicht und den Nachbarn signalisiert, dass alles unter Kontrolle ist. «Und Sie sagen, Sie haben keinen Wagen gesehen, bloß den Schlag auf den Briefkasten gehört, und das war's?»
Das ist dein großer Held. Denn es muss einen Helden geben, stimmt's, jemanden, dem man die Daumen drückt? Tut uns Leid, er ist alles, was wir haben, er und Tim, aber Tim kann nicht der Held sein, stimmt's? (Toe findet das, was Tim tun will, heldenhaft oder zumindest supercool, aber Toe ist natürlich durchgeknallt. Danielle findet es dumm, mehr will sie dazu nicht sagen; sie ist immer noch wütend auf ihn. Und ich - hi, ich bin Marco -, ich bin unschlüssig. Ich bin der Stille. Du wirst sehen, auf mich hört keiner.) Ich weiß nicht mal, ob wir versuchen werden, dir Kyle vorzuführen, er ist völlig hinüber. Du wirst sehen, Brooksie ist ein guter Kerl, ein bisschen kaputt nach dem Ganzen, aber wer ist das nicht? Es ist keine perfekte Welt. Es ist keine perfekte Geschichte, nur ein dummer Zufall, der uns getroffen hat. Natürlich kann man das Brooks nicht klar machen. Er ist ein Typ, der für alles einen Grund braucht, für ihn muss alles einen Sinn ergeben.
Ein Einsatzbefehl, ein falscher Alarm, ein Brand, ein bellender Hund, ein Herzanfall, Unterstützung bei einer Fahrzeugkontrolle, ein Familienstreit, ein Dummejungenstreich, ein Herumtreiber, aber es kommt nichts rein, niemand kommt mit quietschenden Reifen auf der 44 zum Blockbuster gebraust. Zum Spaß tippt er mit zwei Fingern das Kennzeichen des Mercedes ein. Enter drücken, senden. Der Bildschirm wird schwarz, das verblasste Licht eingeschlossen in seinen Augäpfeln, dann leuchtet er wieder auf.
Zugelassen auf einen Einheimischen: Ronald Seung, 25 Candlewood Terrace - es liegt nichts vor. Was hat er erwartet?
Er weiß, dass er sich entspannen muss. Mitternachts muss man einfach die Zeit verstreichen lassen. Fünf Minuten nach Beginn des längsten Tages in seinem Leben (wahrlich, den wird er bis zu seinem Tod nicht vergessen) blickt Brooks ständig auf die Uhr. Er überlegt, die Augen zu schließen und ein Nickerchen zu machen - zehn Minuten, mehr will er gar nicht. Er musste früh aufstehen und das Haus verlassen, damit Charity, die Maklerin, es leer vorführen konnte, und jetzt holt der fehlende Schlaf ihn ein. Das Haus wird sich nicht verkaufen lassen, solange das Dach so aussieht, aber Brooks kann sich die Reparatur nicht leisten; er wird dabei auf jeden Fall Geld verlieren. Er träumt von Florida und davon, Tarpons zu angeln, mit den Hunden an einem weißen Strand spazieren zu gehen und knochenharte Treibholzstöcke zu werfen, damit sie sich darum streiten, aber das ist nur ein Traum, das kitschige Ende eines Kinofilms. Es dauert noch sechs Jahre, bis er in Rente gehen kann - eigentlich sogar sieben -, und Ginger ist schon zehn, Skip acht; das erleben sie nicht mehr. (Er will nicht an Gram in ihrem winzigen Zimmer in Golden Horizons denken, an der Wand das Bild von ihm mit dem roten Cowboyhut und den silbernen Revolvern, richtig niedlich.) Er wird drüben in Towerview ein kleines Haus mieten und die meisten Sachen irgendwo unterstellen - falls da Hunde erlaubt sind. Wenn nicht, dann gibt es ja noch diesen Wohnblock in Canton, den Charity ihm empfohlen hat; da ist es sowieso billiger. Aber er hat immer in Avon gewohnt, das ist seine Stadt. Wie viele Leute können schon von sich behaupten, dass sie Einheimische sind? Wie's aussieht, wird ihm alles genommen. (Als ob wir nicht wüssten, was für ein Gefühl das ist.)
Er versucht gerade, sich an den Namen dieses Wohnblocks an der Stadtgrenze von Farmington zu erinnern, als ein weißes Cabriolet vorbeibraust und das Radargerät 85 anzeigt. Der Wagen rast unter dem gelb blinkenden Licht der Ampel vor dem Blockbuster durch, so schnell, dass Brooks das Nummernschild nicht...
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