Schweitzer Fachinformationen
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«WIR KÖNNEN WEGGEHEN», sagt Marta in dieser Nacht bereits zum fünften Mal. Ihr liegt im Bett, unter der Steppdecke, doch ihr könnt beide nicht schlafen. «Wir nehmen mit, was wir brauchen, und fahren zu Tante Bette.»
«Das geht nicht», flüsterst du. Eure Gesichter berühren sich fast, dein Schenkel klemmt zwischen ihren Knien. «Ich kann nicht. Das weißt du.»
«Ja.»
Sie ist so enttäuscht, dass du am liebsten nachgeben würdest, und das weiß sie. Ständig hat sie sich dafür entschuldigt, dass sie dir das Gefühl gibt, du wärst Schuld, aber sie hat nun mal Recht und lässt es dich spüren. Du kannst nicht streiten; das ist eine deiner Schwächen. Nach dem Krieg hast du deine Kampflust, deinen Willen verloren, dich bei Kleinigkeiten durchzusetzen. Deine Strategie ist, sie glücklich zu machen, Frieden zu bewahren - schlimmstenfalls den Rückzug anzutreten, die Schuld auf dich zu nehmen. Doch in diesem Fall gibt es keine Diskussion. Deine Aufgabe ist klar. Du ziehst sie an dich, riechst ihren warmen Hals, ihre Hausarbeit - den scharfen Geruch von gepökeltem Schweinefleisch in ihrem Haar. Ihre Brüste sind weich; wenn Amelia schreit, läuft die Milch.
«Jacob, vielleicht sollte ich mit ihr zu Bette fahren. Nur zu Besuch.»
«Wie würde das aussehen?»
«Das ist mir egal.»
«Egal?», fragst du mutig, denn du weißt, dass Marta nicht selbstsüchtig ist, dass sie Friendship genauso liebt wie du.
«Nein», gesteht sie. «Aber was soll ich denn tun - den ganzen Tag im Haus bleiben, während du rausgehst? Und wenn du dich ansteckst, was dann?»
Du sagst ihr, dass du weißt, wie du mit den Toten umgehen musst, dass du Marta noch mehr brauchen wirst, sobald die Krankheit um sich greift, doch dann musst du an den Soldaten denken, daran, wie du heute Nachmittag seine steifen Arme in den Sarg gezwängt, den Deckel zugemacht und die Nägel mit drei gleichmäßigen Schlägen ins Holz getrieben hast. Du sagst ihr, dass Doc weiß, was er tut. Er hat doch auch bei Amelia den Krupp kuriert, oder? Sie seufzt leise im Dunkeln und du begreifst, dass du ruhig und einleuchtend argumentierst, während sie sich von den Ängsten einer Mutter leiten lässt. Du begreifst, dass du völlig falsch eingeschätzt hast, worum es bei eurer Auseinandersetzung geht.
«Du kannst fahren, wenn du willst. Ich sage, dass ihr einen Besuch macht.»
«Nein», sagt sie verbittert, obwohl sie gewonnen hat. «Wir bleiben.»
Ihr löst euch voneinander, kehrt einander den Rücken zu, doch dann drehst du dich um und schmiegst deine Knie in ihre Kniekehlen. Sie nimmt deine Hand und beißt dich zum Zeichen der Verzeihung in den Fingerknöchel.
«Ich werde mich in Acht nehmen», versicherst du ihr. «Doc wird bei mir sein.»
«Ich weiß», sagt sie, ohne überzeugt zu sein, und sie dreht sich wieder um, ihr Haar kitzelt dich an der Stirn. Dieser schwelende Streit könnte endlos weitergehen, während ihr euch immer wieder anders hinlegt und die Köpfe in die Kissen sinken lasst. Schließlich eine lange Stille, ihr Atem leise und gleichmäßig, und dann ertönen im Kinderzimmer ein Hicksen und ein lang gezogener Schrei, weil Amelia gemerkt hat, dass sie wach ist. Marta seufzt und schlägt die Steppdecke zurück, tappt zur Wiege, um Amelia zu beruhigen. Du liegst im Dunkeln, lauschst dem Knarren der Wiege und Amelias Glucksen. Martas Lied über den Bären, der zu viel Blaubeerkuchen gefressen hat.
Du kannst dich nicht mehr ans Einschlafen oder deine Träume erinnern, obwohl du weißt, dass sie lebhaft und beunruhigend waren - ein Haus mit zu vielen Türen, das sich neigte wie ein Schiff auf hoher See. Bei Tagesanbruch wachst du plötzlich auf und riechst die Butter in der Pfanne. Die Rollos sind oben, aber Marta hat die Tür geschlossen, ihren Morgenmantel an den Haken gehängt. Draußen ist wieder herrliches Wetter und du versuchst, die Gedanken an den Sarg abzuwehren, den du am unkrautbewachsenen Friedhofsrand vergraben hast, an die Frau, die Doc in seiner Praxis eingeschlossen hat.
Bei der Hitze breitet sich die Krankheit rasch aus, hat er gesagt.
Du liegst da und beobachtest, wie die Blätter im Licht durchscheinend werden. Es kommt dir ungerecht vor, dass dieses Wetter den Tod bringen kann. Regen, lange graue Tage und Kälte fändest du dafür angemessener.
Du hast keine Zeit zum Philosophieren. Du springst aus dem Bett, ziehst eine saubere Arbeitshose an, gießt ein bisschen Wasser in die Schüssel und wäschst dir das Gesicht. Bleibst kurz vor dem Spiegel stehen, um das Kinn zu heben und dir mit Martas Handarbeitsschere den Bart zu stutzen, bis er aussieht wie der, den der Captain deines Regiments getragen hat. Du knöpfst dein sauberes Hemd zu und findest, dass du auf deine Art genauso pingelig bist wie Doc. Aber auch das hat was mit Verantwortung zu tun. Ein Offizier ist für seine Männer ein Vorbild an Sauberkeit, Disziplin und Anstand und eine Stadt blickt wie eine Armee auf ihre Führer. Du musterst dein adrettes Ebenbild im Spiegel. Glaubst du wirklich daran oder hoffst du es bloß? Es sieht dir ähnlich, standhaft zu sein, wenn panische Angst angebrachter wäre.
Marta schaut zur Tür herein und sagt: «Frühstück.»
«Warum hast du mich nicht geweckt?»
«Du warst müde.»
Du dankst ihr, hoffst, dass die Sache von letzter Nacht ausgestanden ist, weißt aber, dass das nicht stimmt.
Du öffnest die Tür und riechst Maismehlpfannkuchen und Wurst. Das ist Taktik - die ganze Woche gab's Hafergrütze - und du versuchst, deine Argumente zurechtzulegen, eine klare Linie zu finden.
Am Herd klammert sich Amelia an Martas Knöchel. Marta versucht, sie mit dem Strohpüppchen zu beruhigen; Amelia knabbert am Kopf der Puppe. Auf dem Tisch steht Kaffee, doch er ist noch zu heiß. In der Bratpfanne platzt die Wurst. Marta hat dir den Rücken zugekehrt und du beobachtest, wie sie die Pfannkuchen wendet. Sie weiß bestimmt, dass es zu spät ist, um es sich noch anders zu überlegen. Und es ist die richtige Entscheidung, es ist christlich gehandelt.
Sie stellt den Teller vor dich und tritt einen Schritt zurück, um zu sehen, was du davon hältst. Die Butter schmilzt. Die Pfannkuchen sind dick, knusprig am Rand und in der Mitte noch weich. Du nickst mit vollem Mund, stürzt einen kochend heißen Schluck Kaffee hinterher, um alles runterzuspülen. Vielleicht ist die Frau ein Einzelfall, der Soldat ihr Liebhaber, der Wald ihr nächtlicher Treffpunkt. Du hast Angst, Marta zu enttäuschen, deshalb suchst du so verzweifelt nach einer Erklärung. Du lächelst sie an, zerteilst mit der Gabel eine Wurst, spießt eine Hälfte auf und schiebst sie dir in den Mund. Zufrieden bindet sie sich die Schürze ab und setzt sich neben dich.
«Schaust du zuerst bei Doc vorbei?», fragt sie.
Du brauchst einen Augenblick, um den Bissen runterzuschlucken, und auch dann gelingt es dir nur mit Mühe. «Er ist in dieser Angelegenheit der Chef. Vielleicht geht's ihr ja heute schon besser.»
«Hoffen wir's.»
«Bei so was weiß man nie», sagst du und es könnte durchaus stimmen, oder?
«Hast du Bart schon Bescheid gesagt?»
«Ich hab ihm gestern telegraphiert.»
«Was meint er dazu?»
«Er hat uns viel Glück gewünscht.»
Du schaust auf deinen Teller, wo nur noch ein Wurstzipfel und ein durchweichtes Stück Pfannkuchen liegen. Du hast das Essen runtergeschlungen; das tust du nur, wenn du nervös bist oder angestrengt nachdenkst.
«Willst du noch was?», fragt Marta.
«Nein danke. Schätze, mein Magen ist nur noch Hafergrütze gewohnt.»
«Ich dachte, du hättest heute lieber was Kräftigeres.»
«Stimmt», sagst du, aber bloß um einem Streit aus dem Weg zu gehen. Es verblüfft dich, dass sie so rasch nachgegeben hat. Wenn sie mit der Morgenkutsche fahren würde, könnte sie noch vor Sonnenuntergang bei Bette sein. Du isst den letzten Bissen und sie nimmt den Teller und geht zum Herd, wo sie einen Kessel Wasser aufgesetzt hat. Sie bindet sich die Schürze wieder um, stellt das Geschirr in eine Zinkwanne und gießt das heiße Wasser drüber, macht sich an die Arbeit, als wäre es ein ganz normaler Tag. Sie ist gelassener als du und du denkst, dass du ihren unerschütterlichen Glauben anziehend gefunden hast, und nicht ihre langen Hände oder ihr Haar, die Art, wie sich ihre Oberlippe in der Mitte abflacht und plötzlich ganz breit wird. Vielleicht gehst du heute Abend mit ihr in den Garten und singst ihr was vor.
Amelia hält sich an deinem Fuß fest, ihr schwerer Kopf liegt auf deinem Zeh und du stützt mit der Hand ihren warmen, wulstigen Hals und hebst sie hoch. Ihre Augen leuchten dich verträumt an und sie gluckst. Du lachst ebenfalls, ziehst dann eine Grimasse und beobachtest, wie sie ganz unsicher wird.
«Fährst du raus zur Kolonie?», fragt Marta.
«Um mit Chase zu sprechen. Ich glaub schon.»
«Sei vorsichtig da draußen. So, wie's da zugeht, könnte sich die Krankheit schon überall ausgebreitet haben.»
«Ich bleib auf Abstand.»
Die Kirchenglocke schlägt halb acht und du stürzt deinen Kaffee hinunter. Wenn der Soldat aus eurer Stadt käme, würde Cyril Lemke, der Küster, die Glocke für jedes Jahr seines Lebens einmal läuten lassen, doch der Mann war ein Fremder, und so geht die Sonne in aller Stille auf. Der Kaffee ist stark. Du würdest gern noch eine Tasse trinken, aber das kannst du dir heute nicht erlauben. Du setzt Amelia ab und sie schreit, weint, kreischt. Marta singt ihr über die Schulter hinweg ein zärtliches Lied, um sie zu beruhigen. Der morgendliche Abschied fällt dir schwer. Marta zuckt mit den Achseln; es ist nicht...
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