Schweitzer Fachinformationen
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Annie McKay kam zu sich. Nach und nach nahm sie einzelne Details ihrer Umgebung wahr.
Die genarbte Oberfläche des Linoleums unter ihrer Wange. Ihren verdrehten Fuß, der an etwas Hartem verkeilt war.
Den kupfrigen Blutgeruch. Er drehte ihr den Magen um, sodass sie würgte.
«Annie, es tut mir leid.»
Die Stimme . oh Gott.
Es war Hoyt. Ihr Mann. Er ragte über ihr auf.
Einige Augenblicke lang, viele eigentlich, zweifelte sie, ob er wirklich da stand. Vielleicht war sie bei der Rückkehr in den Wohnwagen gestolpert und gestürzt, hatte sich den Kopf angeschlagen. Und halluzinierte. Holte Hoyt aus alten Albträumen hervor. Das erschien ihr viel einleuchtender.
Denn er konnte sie unmöglich gefunden haben.
Ich bin vorsichtig gewesen. So vorsichtig.
Vor zwei Monaten war sie vor ihm geflohen. Mit Blutergüssen am Hals und dreitausend Dollar aus seinem Tresor. Verzweifelt und verängstigt hatte sie mitten in der Nacht das Haus verlassen und war über weite Umwege hierhergelangt, in den Flowered Manor Trailerpark und Campingplatz in einem sumpfigen Gelände in North Carolina.
Hunderte Meilen weit weg von Hoyt. Von Oklahoma. Von der Farm, wo sie ihr bisheriges Leben verbracht hatte.
Und hier war sie glücklich gewesen, so glücklich wie noch nie. Vor nicht mal zwei Stunden hatte sie Dylan und sein beeindruckendes Haus verlassen. Am ganzen Körper glühend, lebendig und befriedigt. Und mit klarem Kopf.
Sie hatte Pläne gemacht, richtige Pläne für ihr Leben, und nicht bloß verängstigt auf etwas reagiert.
Alles hatte sich zum Besseren verändern sollen.
«Annie?»
Das ist keine Halluzination.
Sei klug, Annie. Denk nach!
«Hast du gehört, was ich gesagt habe?»
Still lag sie da. Hoyt hasste es, wenn sie schwieg. Seine Entschuldigungen musste sie immer prompt annehmen, seine Schuldgefühle sofort lindern.
Aber sie sagte nichts. Denn . er konnte sie mal.
«Steh auf.»
Sie hielt die Augen geschlossen, weil sie noch nicht bereit war, ihn zu sehen. Nicht hier. Nicht in ihrem Wohnwagen. Ihrem Zuhause.
Weil sie hoffte, das Handy noch in der Hosentasche zu haben, drehte sie sich auf den Rücken.
Bitte, bitte, betete sie, bitte, lass es noch da sein.
Unter ihrem Hintern war nichts. Das Handy war weg.
«Na also. Ist gar nicht schlimm, nicht wahr? Also, steh auf.» Er redete, als wäre sie gefallen, als läge sie durch ihre eigene Ungeschicklichkeit auf dem Boden.
Heiße Tränen sickerten unter ihren Wimpern hervor, sosehr sie sich auch bemühte, sie zurückzuhalten.
«Na komm.» Er wollte ihr um die Hüfte und unter die Achselhöhle greifen, um ihr aufzuhelfen, aber sie zuckte voller Widerwillen zurück. Wackelig kam sie auf die Beine. Als sie die Augen öffnete, verschwamm alles. Sie griff nach der Tischkante, landete halb auf der Polsterbank und drohte abzurutschen.
«Du verschmierst überall Blut.» Seine vertrauten Hände mit den kleinen Narben und den kurzgeschnittenen Nägeln hielten ihr einen rosa Waschlappen hin. Es war der aus ihrem Bad. Wahrscheinlich hatte er ihre Sachen durchwühlt, alles angefasst. Alles war jetzt mit ihm behaftet.
Auf keinen Fall würde sie den Waschlappen nehmen. Nicht aus seiner Hand.
«Na schön», brummte er und warf ihn auf den Tisch. «Mach es selbst.»
Beleidigt trampelte er zu den Autositzen vorn im Wohnwagen und setzte sich.
Hoyt an diesem bislang hoytfreien Ort zu sehen, war ein Schock.
Sie zwang sich, ihn anzublicken. Ihn wirklich anzublicken.
Er war ein kräftiger Mann, über eins achtzig groß und am ganzen Körper muskelbepackt, weil er mal Rodeoreiter gewesen war. Er hatte weißblonde Haare, sodass seine Brauen und Wimpern fast nicht auffielen, was sein Gesicht erschreckend ausdruckslos machte. Leer. Man sah ihm nie an, was er dachte.
Aufrichtigkeit sah aus wie Täuschung. Wut sah aus wie Vergebung.
Anfangs hielt sie ihn für einen ruhigen Menschen. Andere Leute auch, zu Beginn ihrer Ehe sagte das jeder über ihn.
Er ist so ruhig, sagten alle. Und daran klammerte sie sich. Mit beiden Händen und ihrer ganzen Angst nach dem Tod ihrer Mutter. Sie klammerte sich an den Eindruck, den sie für wahr halten wollte.
Aber der war eine Lüge gewesen. Alles an ihm war eine Lüge.
Und sie selbst war dumm gewesen.
Dass er sich genauso benahm wie immer, dasselbe anhatte wie immer - Jeans, seine braunen Cowboystiefel und das dunkelblaue Westernhemd mit den Perlmuttdruckknöpfen, am Gürtel das Messer mit dem Knochengriff -, machte es umso surrealer.
Neuer Ort, alter Albtraum.
Ihr Handy lag jetzt auf seinem Knie. Er hatte es ihr weggenommen, ihre Taschen ausgeräumt, während sie bewusstlos am Boden gelegen hatte.
Weil er ein Tier war.
«Es tut mir leid», sagte er mit völligem Ernst, was sie umso mehr erschreckte. «Ich weiß, zu Hause, das hat dir Angst gemacht. Was ich getan habe . an dem Abend in der Küche?» Er tat, als könnte sie es vergessen haben. «Das war zu viel. Ich verstehe das.»
Ein ungläubiges Lachen brannte ihr im Hals, weil sie es nicht rauslassen durfte. Ach ja? Das verstehst du?
«Es wird nicht wieder vorkommen. Das schwöre ich.»
«Wie hast du mich gefunden?» Sie versuchte, sich auf den Augenblick zu konzentrieren, einen klaren Blick zu behalten.
«Glaubst du mir?», fragte er. «Dass es anders werden wird?»
Nein. Nicht in einer Million Jahren.
«Ich glaube dir», log sie und stützte ihren schweren, wummernden Kopf in die Hand. «Erzähl mir doch, wie du mich gefunden hast.»
«Das war schon ziemlich cool.» Er lächelte auf eine Art, die vermutlich bescheiden wirken sollte, so, als sollte sie stolz auf ihn sein. «Die Bassett Gazette hat so ein Widget-Dings - so heißt das - auf ihrer Website. Da sieht man eine Karte der Vereinigten Staaten, und auf der Karte sind Stecknadeln, die markieren, wo sich Leute in die Website einloggen. Die Kleine im Büro, mit der ich geredet habe, war ganz begeistert davon, meinte, sie zeigen, dass die Zeitung überall online gelesen wird. Und da gab es den einen Punkt . den einen kleinen Punkt, den ich beobachtet habe. Weißt du, wo der hinwanderte?»
Ihr war schlecht, aber sie nickte. Sie hatte sich für so clever gehalten.
«Eine Zeitlang bewegte er sich im Kreis, dann nach Norden, nach Pennsylvania und dann nach Süden. Und dann blieb er in Cherokee, North Carolina. Wo er immer wieder aufleuchtete. Einmal pro Woche. Dienstags. Das ist der Tag, an dem du gern einkaufen gehst.» Er präsentierte ihr diese Information wie einen Liebesbeweis. Ein Blumensträußchen. Er ließ einen toten Vogel aus seinen blutigen Fängen vor ihre Füße fallen. «Du dachtest, ich bemerke das nicht. Aber ich hab's bemerkt. Du bist immer dienstags einkaufen gegangen. Darum fuhr ich nach Cherokee. Ich habe deinen Namen in der Bibliothek gesehen, wo du dich für den Computer eingetragen hast - Layla McKay. Das ist deine Cousine, stimmt's?»
In einem ihrer historischen Romane kam ein Mann vor, der einen Falken hatte. Und Annie gefielen die Schilderungen, wie der Mann den Falken fliegen ließ und für ihn sorgte, die Beschreibung der Glöckchen und der Handschuhe und des Beutels mit den Fleischstückchen an seinem Gürtel. Und beim Lesen hatte sie gedacht, wie großartig es wäre, ein wildes Tier zu halten.
Aber jetzt begriff sie, wie sich der Falke fühlen musste. Eben noch frei die Flügel ausbreiten, hoch über die Landschaft aufsteigen, dann plötzlich mit einer Haube über dem Kopf angekettet. In Gefangenschaft. Die Freiheit nur noch eine Erinnerung.
«Ich bin eine Woche lang dort geblieben, hab in der Bibliothek herumgehangen. Im Supermarkt. Alle Motels abgeklappert, aber . nichts. Ich erfuhr von dem Trailerpark und hab mich umgesehen. Dabei bin ich diesem Phil an einer Tankstelle begegnet. Er hat mir so einiges über das Leben hier erzählt. Und als ich dich beschrieb, meinte er, du würdest vielleicht hier wohnen. Du bist mit seiner Frau befreundet? Ich fürchte, Phil kann dich nicht besonders leiden.»
Gott, von Phil verraten. Das war geradezu erbärmlich passend.
«Was willst du?» Sie konnte nicht länger so tun, als ob.
Er schaute sie an, als wäre er überrascht, mit offenem Mund, die hellen Brauen bis zur Stirnmitte hochgezogen. «Ich will, dass du heimkommst. Dass du wieder meine Frau bist.»
«Was bedeutet das überhaupt für dich, Hoyt? Deine Frau? Du liebst mich nicht .»
Er stand auf, und sie drückte sich gegen das Rückenpolster.
«Ich habe mich entschuldigt. Mehr als das kann ich nicht tun. Du hattest deinen Spaß. Die Leute fragen nach dir, und ich bin es leid, mich schräg von der Seite ansehen zu lassen. Jeder denkt, ich hätte dir was getan. Vor zwei Wochen war die Polizei bei uns. Die Polizei, Annie. Da hat's mir gereicht.»
Er berührte ihre Hand, ehe sie sie wegziehen konnte. Es war schlimmer, wenn er so tat, als bemühte er sich um sie. Oder vielleicht bemühte er sich tatsächlich und wusste nur nicht, wie er das richtig anstellen sollte.
«Wir können wieder zur Kirche gehen.»
Annie blickte auf, unsicher, ob er das tatsächlich gesagt oder ob sie es sich nur eingebildet hatte.
«Annie? Möchtest du gern wieder zur Kirche gehen?»
«Ja . natürlich», sagte sie leise. Vor drei Jahren hätte sie noch vor Dankbarkeit geweint. Inzwischen ließ sie...
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