Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Grace O'Malley kniete neben der Gerichtsmedizinerin Aisling O'Grady, die Marilyn Maddens Leiche in der Kapelle untersuchte. O'Grady leuchtete gerade hochkonzentriert auf die Augäpfel der Toten.
»Glaubst du, dass sie hier ermordet wurde?«, stieß die Kommissarin leise hervor. In der winzigen Kirche wimmelte es von Gardai. Kollegen der Spurensicherung rutschten in ihren weißen Overalls auf dem Boden umher und untersuchten jeden Zentimeter. Es herrschte eine geschäftige Stille an diesem geheiligten Ort.
Grace, die das Morddezernat in Galway leitete, hatte sofort nach ihrer Ankunft den Priester und die beiden Helfer in das Pfarrhaus nebenan verbannt, wo sie auf sie warten sollten. Sie hatte ihnen klargemacht, dass die für sieben Uhr anberaumte Totenmesse entweder auf eine andere Kirche verlegt oder komplett verschoben werden müsse.
Father Duffy, der die Messe lesen sollte, hatte verständnisvoll genickt. Die Gemeindesekretärin hatte nur mit den Augen gerollt und einen Flunsch gezogen.
»Ich denke, schon«, antwortete Aisling O'Grady. »Schau mal, Graínne.« Sie deutete auf den Fleck auf der Bank neben der Toten. »Ich vermute, dass man ihr mit einem Gegenstand von hinten den Schädel zertrümmert hat. Und ich denke, sie saß dabei genau hier. Aber .«
»Aber du willst dich vor der Obduktion nicht festlegen, stimmt's?«
Die rothaarige junge Frau mit den Sommersprossen hob den Kopf und blinzelte Grace zustimmend zu.
»Dann wäre nämlich Blut auf die Bank getropft und hätte sich genau an dieser Stelle hier sammeln müssen. - Wann kommt Rory? Habt ihr ihn schon benachrichtigt?«
Die Medizinerin hatte bei der Frage nicht einmal zu ihr aufgeschaut, als wäre es für sie völlig klar, dass Graces geschätzter Kollege Kommissar Rory Coyne jeden Moment hier auftauchen würde.
»Rory kommt heute nicht. Er hat sich bis morgen Urlaub genommen, was jetzt ziemlich blöd ist, aber nicht zu ändern.«
»Im Dezember, nach dem Vorfall letzte Woche und so kurz vor Weihnachten? Wieso das denn?« Aisling hielt in ihrer Untersuchung inne und richtete sich überrascht auf.
Grace schob sich die lockigen Haare aus der Stirn. »Er und Kitty sind in Belfast. Molly, ihre Älteste, studiert dort und hat heute wohl eine wichtige Präsentation. Dafür wollten sie hinfahren. Wer konnte denn ahnen, dass .?«
»Was studiert sie denn? Ich meine, was präsentiert sie?«
Aisling O'Grady hatte in der Kälte der Kapelle, die kaum beheizt schien, ihren giftgrünen gesteppten Anorak an und auch die bunte Bommelmütze aufbehalten. Sie wischte sich mit dem Ärmel über die Nase. Die Hände steckten in weißen Plastikhandschuhen.
Grace zuckte mit den Schultern. Auch sie trug ihren flauschigen roten Wollmantel und schwarze flache Stiefel, über die sie Schutzfolien gezogen hatte.
»Keine Ahnung. Sie studiert Kunst und Design, und Rory erzählte irgendwas von einer Sonderausstellung, bei der sie teilgenommen hat und ausgezeichnet wurde.«
»Und was ist mit Kevin?«
Der Name des ungeliebten Kollegen rief zwar nicht mehr die gleiche Abwehrreaktion bei Grace hervor wie in den ersten Monaten nach ihrem Amtsantritt in Galway, aber er löste auch keine große Begeisterung aus. Sie betrachtete Kommissar Kevin Day nach wie vor skeptisch, der seine Ablehnung ihr gegenüber noch nicht einmal zu vertuschen versuchte. Er hasste sie dafür, dass sie ihm die Traumstelle weggeschnappt hatte, und hatte ihr das von Anfang an unverblümt gezeigt.
»Der ermittelt in der Geiselnahme bei dem Bankraub in Loughrea. Damit ist er vollauf beschäftigt.«
Aisling schaute sie amüsiert an. »Du hast gegrinst, ich hab's gesehen.«
Grace fühlte sich nicht ertappt. Aber sie war froh, dass die Kollegin, die erst vor wenigen Wochen ihre Mutter verloren hatte, sich offenbar wieder gefangen hatte. Durch den Todesfall hatte Aisling auch eine neue Familie bekommen, die sie nun sehr in Anspruch nahm.
»Wie geht es Tessa?«
Aisling lächelte spitzbübisch. »Danke. Dad, Julian und ich begleiten sie auf ein Konzert am dritten Advent in Westport.«
Sie ging wieder in die Knie und fischte etwas aus ihrem Besteckkasten, den sie neben sich gestellt hatte. Doch plötzlich stockte sie und schaute von unten in Graces Gesicht.
»Das heißt, wenn nicht am Dritten schon wieder ein Mord passiert .«
»Quatsch!« Grace bereute ihre heftige Reaktion sofort.
Aisling murmelte etwas und Grace entfernte sich. Sie streifte die Handschuhe und den Schuhschutz ab und verließ die Kapelle, um den Priester zu vernehmen, der die Leiche gefunden hatte.
Aisling hatte da etwas ausgesprochen, was auch ihr selbst, seit sie St. Bridget betreten hatte, nicht mehr aus dem Kopf gegangen war: Vor genau einer Woche, am Samstag vor dem ersten Advent, hatte Father Duffy in einer anderen Kirche, in Moycullen, bereits eine Leiche gefunden. Die beiden Fälle ähnelten sich stark.
Die Tür war nicht verschlossen und Grace empfand den warmen Empfangsraum des kleinen Gemeindehauses als angenehm, geradezu heimelig nach der Kälte in der Kapelle. Im Kamin loderte ein großes Holzfeuer. Man hatte ihr zwar gesagt, dass St. Bridget nicht mehr regelmäßig benutzt werde und auch deshalb über keine gute Heizung verfüge, aber die Kälte im Gotteshaus hatte sie trotzdem überrascht.
»Father Duffy erwartet Sie.«
Die Gemeindesekretärin wies mit dem Kopf zur hinteren Tür. Die Spur eines Lächelns lag auf ihrem Gesicht und sie schien nicht mehr so entnervt wie bei der Ankunft von Garda.
»Wir sprechen uns direkt danach, Ms .?«
»Mary O'Shea. Sehr wohl, Superintendent. Möchten Sie einen Tee?«
Grace nickte dankbar, klopfte und trat kurz darauf in die Dienststube. Der Priester saß in einem Ledersessel vor einem Torffeuer und hatte offenbar auf sie gewartet. Er erhob sich kurz, gab ihr die Hand und wies auf den Sessel gegenüber.
Father Duffy mochte um die fünfzig sein, er hatte scharf geschnittene Züge in seinem langen, schmalen Gesicht, kurzes, grau meliertes Haar und eine randlose Brille. Der Geistliche wirkte wie ein Intellektueller, der im Priesterseminar Irlands, in Maynooth, glatt als Experte für mittelalterliche Folianten durchgegangen wäre.
Grace begrüßte ihn. Er hatte die Finger beider Hände so zusammengelegt, dass sie ein spitzes Dreieck bildeten, und starrte trübselig ins Feuer.
»Tja.« Mehr äußerte er nicht.
Grace schwieg und wartete. Der Torf knisterte und feine Funken sprühten auf das Aschegitter.
»Ich bin entsetzt, Superintendent. Ich kann es nicht fassen«, murmelte er schließlich.
Grace musterte den Geistlichen. »Vielleicht sagen Sie mir einfach, was im Einzelnen geschehen ist. Sie betreuen auch St. Bridget, Father? Warum haben Sie uns das letzte Woche nicht erzählt?«
Erstaunt schaute er auf. »Nein, ich bin hier nur zu Gast. Eigentlich ist Moycullen meine Gemeinde, hier komme ich nur selten her.«
Grace beugte sich zu ihm hin. »Wie soll ich das verstehen? Erklären Sie es mir bitte.«
In dem Moment flog die schwere Tür auf und Mary O'Shea bahnte sich mit einem riesigen Tablett den Weg ins Zimmer. Der Priester stand auf, nahm es ihr ab und stellte es auf das Tischchen, das er zwischen sich und Grace geschoben hatte.
»Danke, Mary.«
Sie verließ den Raum und Grace fuhr durch den Kopf, dass ihr genussfreudiger Kollege Rory dieses Verhör sicher gern geführt hätte. Die Keksauswahl war beeindruckend.
»Bitte.« Duffy schenkte ihnen beiden Tee ein und machte eine einladende Handbewegung zum Keksteller hin. »Ich betreue die Gemeinde in Moycullen nur vorübergehend, aber dieses Provisorium dauert nun schon eineinhalb Jahre«, fuhr er dann fort. »Ich bin zurzeit der zuständige Priester dort. Hier in St. Bridget bin ich nur für die Messe heute Abend kurzfristig eingesprungen. Mein Kollege, Father Griffin, hat sich den Fuß gebrochen und liegt im Krankenhaus. Das hier fällt normalerweise nicht in die Zuständigkeit meiner Gemeinde.« Er betonte es, als sei es definitiv nicht seine Baustelle.
»Hmm.«
Grace schien in Gedanken versunken. »Und wie erklären Sie sich diesen Fall?«
Sie beobachtete den Priester genau. Er fuhr sich durch die kurzen Haare, die, wie sie fand, einer Bürste aus grauweißen Dachshaaren glichen.
Er seufzte und antwortete: »Ich kann es mir überhaupt nicht erklären. Ich bin geschockt. Vor allem, weil .« Er brach abrupt ab und warf ihr einen hilflosen Blick zu.
Grace lächelte ihn aufmunternd an. »Weil?«
Er wich ihrem Blick aus und richtete seine Augen wieder auf das Feuer im Kamin. »Weil es so scheint, als wären beide Morde haargenau gleich abgelaufen.«
Grace nickte langsam. Sie nahm einen Schluck Tee und beugte sich näher zu ihm. Er wirkte wie ein verstörtes Tier, das man in einer engen Falle gefangen hatte.
»Vor genau einer Woche sind Sie in der von Ihnen betreuten Gemeinde Sacred Heart in Moycullen auf die Leiche von Beth Kerrigan gestoßen.«
Grace machte eine Pause. Father Duffy nickte und Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn.
»Beth hat an jenem Nachmittag die Kirche geschmückt und wurde laut Obduktion mit einem stumpfen Gegenstand erschlagen. Es gibt weder eine Spur vom Täter noch ein Motiv. Leider sind wir mit unseren Ermittlungen in der vergangenen Woche noch nicht viel weiter gekommen. Im Augenblick verfolgen wir ein paar Spuren im unmittelbaren Umfeld des Opfers.«
Sie behielt für sich, dass es bisher so gut wie keine Spuren gab und dass ihre Ermittlungen derart...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.