Schweitzer Fachinformationen
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Wenn man der Person begegnet, für die man bestimmt ist - seinem Seelenverwandten -, hat man das Gefühl, dass man sich schon einmal getroffen hat. Diese Person erhebt sich über alle anderen, sticht hervor wie ein Glühwürmchen in der Dunkelheit. Daran glaubte Julia fest. Und nun hatte sie ihr Glühwürmchen in dem Grafikdesigner Anders gefunden - er hatte fuchsfarbenes Haar, sezierte akribisch den Helvetica-Font und hielt Werbung für eine demokratische Form der Kunst. Ob das bedeutete, dass andere Kunst - wie die Poesie, mit der Julia sich befasste - deshalb undemokratisch war, dazu hatte er sich allerdings nicht geäußert.
Das Clubhaus grenzte direkt an ein Industriegebiet, in dem tagsüber tote Tiere zerlegt wurden. Obwohl Julia schon mehrmals dort gewesen war, wäre es zwecklos gewesen, sie nach dem Weg dorthin zu fragen. Zum Teil, weil sie sich solche banalen Dinge selten merkte, vor allem aber, weil sie in ebendiesem Moment zwischen Hoffnung und Verzweiflung schwankte - nicht wegen ihrer bevorstehenden Lesung, sondern weil sie nicht wusste, ob er, ihr Glühwürmchen, erscheinen würde.
Anders und Julia hatten sich Ende Juni beim nächtlichen Baden auf Reimersholme kennengelernt, als die Straßenlaternen sich in den Kräuselungen auf dem Wasser spiegelten und die Weiden mit ihren ausladenden trauernden Armen die Wasseroberfläche streichelten. Danach waren sie zu ihm nach Hause geeilt, wo sie sich gegenseitig mit wasserfestem Edding ihre Namen auf die Arme geschrieben hatten. Es war so einfach, mit ihm zu reden, und Julia hatte ihm ganz ehrlich von der problematischen Beziehung zu ihrem Vater und ihrer kurzen Zeit in Berlin erzählen können. Anders hatte vor Begeisterung gestrahlt. Danach hatten sie ein paarmal miteinander geschlafen, wie oft genau, wusste sie nicht. Oder doch, sie wusste es: vier Mal. Das, in Verbindung mit der Symbolik des festen Markers, reichte Julia aus, um sie davon zu überzeugen, dass Anders und ihre Liebe vom Schicksal bestimmt waren.
Die folgenden Tage waren ein steter heißer Strom von Küssen und sehnsuchtsvollen SMS. Aber die Wochen vergingen, und gerade als sie dachte, dass sie nun so etwas wie eine richtige Beziehung führten, wurden die Abstände zwischen Anders' Nachrichten immer länger, bis sie ganz ausblieben. Was das bedeutete, wusste Julia. Es war ein klassisches Phasing-Out. Es gab nur eine logische Erklärung dafür: Anders hatte Angst vor seinen starken Gefühlen. Also war es Julias Aufgabe, ihm keine Angst mehr zu machen.
Um mit ihm in Kontakt zu treten, dabei aber gleichzeitig cool und unbekümmert zu wirken, hatte Julia an diesem Spätsommerabend einen genialen Einfall. In der Hoffnung, dass Anders denken würde, sie hätte sich mit einem feurigen Latino-Typen verabredet, hatte sie die Buchstaben in seinem Namen umgestellt und um einen Akzent ergänzt. Es sollte so aussehen, als sei die Nachricht versehentlich an Anders gegangen, weil sein Name in der Kontaktliste direkt über dem zusammenfantasierten Andrés stand. Sie kratzte ihr rudimentäres Schulspanisch zusammen und schrieb: Hola Andrés, dondé está la panáderia? Sehen uns dann um 21 Uhr im Pluto. Und da würde Anders, von Eifersucht geplagt, doch sicherlich im Pluto aufkreuzen, um sie zurückzugewinnen. Oder etwa nicht?
»Wann wirst du eigentlich mal was mit jemandem anfangen, der es ernst meint?«, hatte Livs Freund Victor sie quer über den Bartresen im Babs hinweg gefragt. Es war nicht böse gemeint, aber es war wie ein Schlag ins Gesicht. Wie fand man jemanden, den man gernhatte und der einen selbst außerdem auch so gernhatte, dass er einen festhielt?
Julia hatte Titanic fünfundzwanzig Mal gesehen, und ohne es selbst zu merken, hatte die Liebe zwischen Jack und Rose - so wie die zwischen Ewan McGregor und Nicole Kidman in Moulin Rouge oder Amélie und dem Typen auf dem Moped in Die fabelhafte Welt der Amélie - ihre Erwartungen an die Liebe geprägt. Die wahre Liebe war nichts ohne Hindernisse. Und aus dieser Quelle schöpfte Julia den Stoff für ihr kreatives Schaffen als Pop-Poetin.
Er zieht an mir wie ein Kettenhund
ich komme erst von ihm los, wenn er lockerlässt
Ein viel zu greller Scheinwerfer blendete sie, und der Wein, den sie in dieser jämmerlichen Garderobe, die den Namen nicht verdiente, abgezweigt hatte, ließ ihr die Knie weich werden. Die Organisatoren des Poetry-Slams hatten dem System ein Schnippchen geschlagen, indem sie eigens einen Club nur für Mitglieder gegründet hatten, der es ihnen ermöglichte, Vorschriften zu den Öffnungszeiten, der Schankerlaubnis und den Arbeitgeberabgaben zu umgehen. Die Betonwände, die klebrigen zerschnittenen Kunststoffschnüre, die die Bühne von der Tanzfläche trennte, und Personal, das sich selbst so großzügig einschenkte wie den Gästen, verliehen der Location eine nette Underground-Atmosphäre.
Julia war zu betrunken, um noch etwas von ihrer Aufregung zu spüren. Der eigentliche Antrieb war immer derselbe: Sie wollte ein Ventil finden, dem, was in ihr wütete, einen Sinn und eine Form zu geben. Sie war zweiundzwanzig. Sie war, wie sie selbst sagte, unerschütterlich wie ein Fels. Andere hätten sie dagegen wohl eher als flüchtig wie der Wind beschrieben.
Zwischen den Gedichten scannte sie Raum nach Anders ab. Vielleicht versteckte er sich ja, um »Andrés« aus der Ferne beobachten zu können. Von der Bühne aus sah sie Liv in einer der vorderen Reihen, daneben Victor, der sich in seiner strahlend weißen Jacke unbehaglich zu fühlen schien und etwas dumm dreinschaute, so als sei er selbst darüber erstaunt, dass er sich so weit von der City entfernt hatte. Julia zupfte an ihrem Kleid. Es saß etwas zu eng unter den Armen, und ein schwacher Schweißgeruch hing noch vom letzten Mal, als sie es angehabt hatte, in dem Gewebe. Sie trank einen Schluck Wein aus dem Plastikbecher und bereitete sich innerlich darauf vor, ihr letztes Gedicht vorzutragen. In diesem Moment sah sie ihn.
Nein, nicht Anders, sondern einen ganz anderen Typen mit bakelitschwarzem Haar und spitz zulaufendem, schräg zur Seite gekämmten Pony. Er nippte an seinem Bier und hatte ein spindeldürres Bein zum Tresen abgeknickt, sodass es aussah, als wäre es auf Kniehöhe amputiert. Er schaute nicht weg, als sich ihre Blicke trafen.
Nach ihrer Lesung torkelte sie von der Bühne und kramte das Handy aus ihrer Handtasche. Eine ungelesene Nachricht. Mit wild hämmerndem Herzen tippte sie darauf.
Ich rufe jetzt die Polizei. LG Mama
Julias Enttäuschung war so herb wie der Wein. Sie schloss sich auf der Toilette ein und rief ihre Mutter an.
»Warum hast du dich nicht gemeldet? Ich habe versucht, dich zu erreichen.«
Ihre Mutter klang verzweifelt. »Ich dachte, dir sei irgendwas passiert.«
»Nichts ist passiert«, sagte Julia, »ich hatte bloß . anderes zu tun.«
»Zwei Tage lang? Ich habe mich hier fast zu Tode gesorgt. Sie liegt bestimmt irgendwo im Graben oder im Koma im Krankenhaus, dachte ich, und keiner weiß, wer die Angehörigen sind, denn dein Ausweis liegt hier immer noch im Flur, wenn du's wissen willst.«
»Mama .«
»Du hast mich doch hoffentlich als ICE im Handy abgespeichert, oder? Du weißt, was das heißt?«
»Ja, weiß ich.« Julia trommelte auf die Türklinke. »Du bist mein ICE-Kontakt.«
Das war gelogen. Julia hatte gar keinen Notfallkontakt im Handy gespeichert.
»Kennst du eigentlich deine Blutgruppe?«
»Mmm.«
Auch eine Lüge.
»Du kennst sie nicht, oder?«
Julia sagte nichts, öffnete die Tür, die aus dem sogenannten Backstage-Bereich - eigentlich nur ein Raum mit zwei Plastikstühlen - in den Club hinausführte. Die Band, gleichzeitig der Hauptact, der auf Julias Auftritt folgte, sammelte sich vor ihrem Gang auf die Bühne gerade zu einem albernen Schlachtruf.
»Du hast Blutgruppe A«, sagte Caroline, jetzt etwas ruhiger. »Bist du mit Tim verabredet?«
»Blutgruppe A«, seufzte Julia. »Ich muss jetzt Schluss machen.«
Julia schlängelte sich zu Victor und Liv durch, die ihr ein Bier reichte. Julia trank durstig. Als sie das Bier auf dem Tresen abstellte, entdeckte sie den Typen, den sie von der Bühne aus gesehen hatte. Er saß noch immer am selben Platz, allein, und zog an einer Zigarette. Nur eines seiner Augen war zu sehen, das andere verdeckt von seinem langen schwarzen Pony. Er trug Röhrenjeans, und aus dem weiten Halsausschnitt seines schwarzen T-Shirts schaute ein blasses, knochiges Brustbein heraus. Julia hatte ihn noch nie gesehen, trotzdem kam er ihr bekannt vor. Liv folgte ihrem Blick, beugte sich vor und rief in Julias Ohr:
»Hey, das ist doch Alex. Alex aus Nya Tider.«
»Wie, aus dieser Neunzigerjahre-TV-Soap?«
Er sah sie direkt an. Julias und sein Blick trafen sich erneut, und Julia lächelte hastig.
»Soll ich ihn fragen, ob er's ist?«, sagte sie, mehr zu sich selbst als an ihre Begleitung gerichtet. Dank des Adrenalinstoßes, der immer auf ihren Vortrag folgte, war sie unerschrocken. Sie ging auf ihn zu, bevor die anderen etwas erwidern konnten.
»Hast du 'ne Kippe?«
Als hätte er auf das Signal gewartet, fischte er eine Schachtel Prince light aus der Brusttasche seines Karohemds, das er über einen Barhocker geworfen hatte.
»Wie fandst du mich?«, fragte Julia und sog raffiniert an der Kippe. Ihr Rachen brannte, und wäre sie nicht betrunken gewesen, wäre ihr die Marke viel zu...
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