Schweitzer Fachinformationen
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»Bitte, nehmen Sie Platz.«
Kriminaloberrat Michael Ehlers war hinter seinem Schreibtisch hervorgekommen und reichte ihr die Hand. Der Dezernatsleiter der Zentralstelle für Organisierte Kriminalität trug zum offenen mittelblauen Hemd ein Sakko. Auf die Krawatte hatte er verzichtet. Er musterte seine Mitarbeiterin durch die Gläser der randlosen Brille. Dann nahm er wieder Platz. Der Kriminaloberrat war schlank. Bis auf den millimeterkurz geschorenen Haarkranz trug er eine Glatze.
Frauke Dobermann setzte sich ihm gegenüber.
»Braunschweig«, sagte Ehlers kurz. »Was wissen wir?«
Die Erste Kriminalhauptkommissarin schlug die Beine übereinander. »Viel und nichts«, antwortete sie.
Ehlers zog eine Augenbraue in die Höhe, griff zu einem Kugelschreiber und drehte ihn zwischen den Fingern in der rechten Hand. »Geht es etwas ausführlicher?«
»Ich erhielt gestern einen Anruf auf meinem Mobiltelefon. Nach Feierabend.«
»Von wem?«
»Anonym.«
»Wieso?«
Sie räusperte sich. »Anonyme Anrufe haben die Eigenschaft, dass sie die Identität des anderen Teilnehmers nicht preisgeben.« In ihrer Stimme klang eine Spur Ironie mit. »Ich habe die Nachricht erst heute Morgen abgehört.« Sie fingerte ihr Handy aus der Tasche ihrer Jeans und spielte die Meldung ab.
»Hallo. Hier in Braunschweig, im Östlichen Ringgebiet, genau in der Roonstraße, sind eben zwei Männer erschossen worden.«
»Das ist alles?«, fragte Ehlers enttäuscht.
Frauke nickte. »Leider fehlen die Namen des Täters und der Opfer. Hätte der Anrufer sich bei uns gemeldet, hätten wir ihn identifizieren können. Zum Glück wissen die Leute da draußen nicht, dass die Rufnummernunterdrückung bei Polizei und Rettungsdienst nicht wirkt.«
»Sie haben keine Idee, wer der Anrufer war?«
Frauke schüttelte den Kopf.
»Was haben Sie inzwischen herausgefunden?«
»Die Braunschweiger Polizei ist von Anwohnern informiert worden. Das war sieben Minuten nach einundzwanzig Uhr. Eine Minute vorher hat der Anrufer auf meine Mobilbox gesprochen. Die Kollegen sind mit mehreren Streifenwagen ausgerückt. Gleichzeitig traf der Notarzt am Tatort ein. Der konnte nur noch den Tod der beiden Männer feststellen. Es handelt sich um Corneliu Andreescu, einunddreißig, und seinen Cousin Nicolae Andreescu, siebenundzwanzig.«
»Andreescu?«, unterbrach Ehlers die Leiterin der Ermittlungsgruppe Organisierte Kriminalität.
Frauke nickte. »Der Sohn von George Andreescu.«
Ehlers lehnte sich zurück und legte die sorgsam manikürten Fingerspitzen zu einem Dach gegeneinander. »Verdammt. Ausgerechnet der.«
Frauke nickte nachdenklich. »Andreescu ist für uns kein Unbekannter. Es gab schon mehrere Ermittlungsverfahren gegen ihn. Die sind alle im Sande verlaufen. Wir sind uns ziemlich sicher, dass er seine Finger in einer Reihe schmutziger Geschäfte hat. Im Geschäftsleben würde man sagen, er hat die Diversifikation erfolgreich betrieben. Den Grundstock für sein Imperium hat er klassisch mit Prostitution und Schutzgelderpressung gelegt. Seit ein paar Jahren betätigt er sich als Unternehmer. Und das gleich in mehreren Branchen. Bau. Reinigungsgewerbe. Fleisch. Spedition.«
»Bereiche, in denen häufig Mitarbeiter ausgebeutet werden.«
»Der Zoll hat ihn und seine Unternehmen im Visier. Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung. Andreescu ist ein Fuchs. Und er hat exzellente Berater, die alle rechtlichen Schlupflöcher ausnutzen. Die spielen mit den Möglichkeiten, die ihnen das EU-Recht bietet. Es ist keine neue Idee, dass die Beschäftigten in seinen Unternehmen von rumänischen Subunternehmern kommen.«
»Und sein Sohn - der jetzt erschossen wurde?«
»George Andreescu ist das Oberhaupt einer weitverzweigten Familie.«
»Das erinnert ein wenig an die Mafiastrukturen.«
Frauke schob ihre Brille mit dem Zeigefinger auf der etwas zu spitzen Nase hoch. Dann bewegte sie den Kopf mit den nackenlangen mahagonirot gefärbten Haaren.
»Bei denen wusste man, dass es Kriminelle sind. Hier haben wir es mit gefährlichen Weiße-Kragen-Verbrechern zu tun. Die haben sich Strukturen geschaffen, die wir nur schwer entschlüsseln können.«
Ehlers verschränkte die Hände im Nacken und reckte sich. »Bei uns gibt es keine rechtsfreien Räume.«
»Wir müssen den Tätern aber ihre Taten nachweisen. Gerichtsfest. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als hätte jemand das Gesetz in die eigene Hand genommen und die Familie Andreescu für etwas abgestraft.«
»Ein Konkurrent?«, mutmaßte Ehlers.
Frauke zuckte mit den Schultern. »Eventuell. Es könnte aber auch jemand sein, den die Andreescu-Sippe ausgebeutet und betrogen hat.«
»Hoffentlich ist das nicht der Auftakt zu einer Auseinandersetzung unter rivalisierenden Gruppen«, stöhnte Ehlers.
»Wir haben die Vermutung, dass Libanesen in dieses Geschäftssegment einsteigen wollen. Während Andreescu die Leute über Subunternehmen rekrutiert, scheinen die Libanesen einen anderen Weg zu gehen. Sie beschäftigen Illegale, hauptsächlich Migranten.«
»Die dürfen nicht arbeiten«, stellte Ehlers fest.
Frauke lachte auf. »Wir haben auch Gesetze, die es verbieten, Menschen zu erschießen.«
Ehlers senkte nachdenklich den Kopf. »Sie sollten sich der Sache annehmen«, sagte er.
Erneut lachte Frauke. »Mit meiner ganzen Ermittlungsgruppe? Alle drei?«
Seit Kriminalhauptmeister Jakob Putensenf im vergangenen Jahr pensioniert worden war, bestand ihre Gruppe nur noch aus drei Ermittlern. Sie eingeschlossen.
Der Kriminaloberrat legte seinen Zeigefinger an die Nasenspitze. »Sie wissen um die knappen Personalressourcen. Die Politik wird nicht müde, zu verkünden, dass für die Polizei und die Justiz neue Stellen geschaffen werden sollen. Allein an der Umsetzung hapert es.«
»Ist es Ihr Versuch, mir zu verkünden, dass wir keine Verstärkung bekommen?«
Ehlers fuhr mit der Hand durch die Luft. »So ist das nicht. Ich habe mich für Sie eingesetzt. Schon heute erhalten Sie Unterstützung.«
»Heute?«, fragte Frauke überrascht. »Das bedeutet, der neue Mitarbeiter steht schon fest.« Sie schüttelte energisch den Kopf. »Meine Gruppe ist mit ganz speziellen Aufgaben betraut. An die Mitarbeiter werden besondere Anforderungen gestellt. Den neuen Kollegen würde ich mir gern selbst aussuchen. Ich gehe davon aus, dass man mir eine repräsentative Auswahl vorlegt.«
Ehlers nagte an der Unterlippe. »Sie haben ein gesundes Selbstbewusstsein. Aber so funktioniert das nicht, Frau Dobermann. Die Beamten werden einem Dienstposten zugewiesen, wenn die Führung von deren Qualifikation überzeugt ist.«
»Und Sie haben jemanden für mich auserkoren?«
Ihr Vorgesetzter wiegte den Kopf.
»Schön«, sagte Frauke. »Es ist also auch über Ihren Kopf hinweg entschieden worden. Mir schwant Böses. Hat man jemanden abgeschoben und will ihn bei mir zwischenparken?«
»Um Gottes willen«, protestierte Ehlers. »Ich bin davon überzeugt, man hat bei der Wahl die besonderen Anforderungen Ihrer Ermittlungsgruppe berücksichtigt. Man weiß in den oberen Etagen um das spezielle Profil. Ich bin überzeugt, dass .«
Frauke schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab. »Sparen Sie sich lange Erklärungsversuche. Wie heißt der Kollege? Kenne ich ihn?«
Der Kriminaloberrat räusperte sich. »Es ist kein Er.«
Sie sah ihren Vorgesetzten fast entsetzt an. »Eine Frau?«
»Ich verstehe nicht .«, stammelte Ehlers. »Sie geben sich doch selbst sehr emanzipiert. Überall wird gefordert, dass Frauen gefördert werden sollen. Allerorten wird nach einer Frauenquote verlangt. Die wäre in Ihrer Gruppe nun erfüllt.«
»Im Prinzip ist das richtig, aber nicht in unserem Fall. Wir beschäftigen uns mit der organisierten Kriminalität. Da kann eine Frau nicht viel ausrichten.«
Ehlers spitzte die Lippen. »Soooo?«
»Das ist . Das ist .« Frauke ärgerte sich über sich selbst, weil ihr keine passende Antwort einfiel.
»Haben Sie die Haltung unseres pensionierten Jakob Putensenf übernommen? Der hat ständig dafür plädiert, dass Frauen bei der Polizei Kaffee kochen sollen.«
»Ihre Argumentation ist unsachlich«, erwiderte sie pikiert und war froh, dass Ehlers nicht darauf einging. »Wer ist es? Kenne ich das zarte Persönchen?«
Ehlers lachte befreit auf. »Ich weiß nicht. Sie kommt von der Sitte.«
Frauke wandte sich halb zur Seite. »Was soll ich mit so einer anfangen? Die hat eine spezielle Ausbildung darin, wie sie gestörte Missbrauchsopfer einfühlsam verhört.«
Ehlers griff zum Telefonhörer und bat die Sekretärin, die neue Kollegin hereinzuschicken. Kurz darauf öffnete sich die Tür, und Frauke verschlug es den Atem. Die Frau füllte fast den ganzen Türrahmen aus. Sie musste zwischen einen Meter achtzig und einen Meter neunzig groß sein und wog bestimmt hundert Kilo. Zum massiven Gesamteindruck trug sicher auch die mächtige Oberweite bei. Das volle runde Gesicht mit der Knollennase wurde durch kurze rote Haare ergänzt. Sie steuerte auf Frauke zu und reichte ihr die Hand. Hand? Es waren Pranken.
»Hey. Boss.«
Frauke war für einen kurzen Moment sprachlos. Sie ignorierte die dargebotene Hand.
»Eine solche Tonart ist bei uns nicht üblich. Ich bin für Sie Frau Dobermann. Ist das klar?«, sagte sie schroff.
Die Neue stockte. »Ähh«, sagte sie irritiert.
Ehlers hüstelte. »Ich glaube, da liegt ein Irrtum vor.« Er zeigte auf die Neue. »Sie heißt Boss. Kommissarin Beate Boss.«
Frauke musterte die neue Kollegin abschätzend....
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