Schweitzer Fachinformationen
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Die Stewardess servierte ein Thunfischbrötchen, das er nur zur Hälfte aß, und einen lauwarmen Kaffee, der mehr nach schwarzem Tee schmeckte. Das Flugzeug schlängelte sich durch die dichte Wolkendecke und legte den Blick auf die Sonne frei. Sven Hansen hatte den ersten Flug um 7.30 Uhr genommen. Er würde schon zur Mittagszeit mit den finnischen Kollegen zusammentreffen.
Seit nunmehr zehn Jahren gab es zur Förderung der Zusammenarbeit der europäischen Polizeiapparate ein Austauschprogramm zwischen der finnischen und der deutschen Polizei. Hansen, Ermittler vom LKA Hamburg, würde für drei Wochen die Arbeit der Polizeidirektion Helsinki im Dezernat für Gewaltverbrechen begleiten. Er würde das dortige Polizeisystem kennenlernen und aktiv an der täglichen Ermittlungsarbeit teilnehmen.
Hansen, 42 Jahre alt, war über 20 Jahre im Polizeidienst tätig. Im Gegensatz zu vielen Kollegen ging er mit Gelassenheit und ohne Unmut seinem Beruf als Polizist nach, auch wenn er deren Standpunkte verstehen konnte. Über die Jahre war ein System gewachsen, das nur noch wenig mit dem Polizeiapparat aus seinen Anfängen als junger Beamter gemein hatte. Schlechter Bezahlung und stetigem Personalabbau gepaart mit unqualifizierten Führungskräften standen steigende Kriminalitätsraten, zunehmende Gewalt gegen Beamte und die Beschränkung der Befugnisse gegenüber. Hansen verschloss keinesfalls die Augen vor dieser Realität. Er befand sich aber in der glücklichen Lage, finanziell abgesichert zu sein. Somit hatte er die Gewissheit, jederzeit aussteigen zu können. Daher betrachtete er vor allem ausbleibende Beförderungen und ungerechte Vorgesetzte aus einem anderen Blickwinkel.
Erstmals hatte Hansen eine Bewerbung für den Erfahrungsaustausch abgegeben und prompt die Zusage erhalten. Ein Grund dafür war zweifellos die Wahl der Stadt gewesen. Auch Montreal und Madrid waren Bestandteil des Programms mit dem LKA Hamburg, und die Mehrzahl der Bewerber gab diesen beiden Standorten den Vorzug.
Er fasste sich an die rechte Wange. Der obere Backenzahn schmerzte seit gestern Mittag, und er fürchtete, in Helsinki wohl oder übel einen Zahnarzt aufsuchen zu müssen. Allein der Gedanke an eine bevorstehende Zahnbehandlung trieb ihm Schweißperlen auf die Stirn.
Bei der Ankunft schien die Sonne, die Arbeiter auf dem Flugvorfeld waren sommerlich gekleidet. Zwei kräftige Männer in gelben Signalwesten wuchteten die ersten Koffer auf den Gepäcktransporter. Hansen konnte es kaum erwarten, wieder aus dem Flieger herauszukommen, musste er doch seit geraumer Zeit auf die Toilette. Flugzeugtoiletten widerstrebten ihm, weshalb er sie nur im äußersten Notfall benutzte. Hansen öffnete das Gepäckfach und griff nach der Jacke. Zufrieden registrierte er, wie die Stewardess die hintere Tür zum Ausstieg öffnete. Passenderweise hatte er in der vorletzten Reihe gesessen.
Die drei Zollbeamten, die sich vor den zwei Durchgängen für zollfreie und anmeldepflichtige Waren aufgestellt hatten, entwickelten kein gesteigertes Interesse daran, ihrer Arbeit nachzugehen. Gelangweilt nickten sie Hansen und den anderen Fluggästen zu und ließen sie die Zollstelle ohne Kontrolle passieren. Behutsam schob Hansen seinen ramponierten Rollkoffer durch das Terminal. Er hatte mit gebrochener Kunststoffverkleidung auf dem Gepäckband gelegen. Am Gepäckschalter »Lost & Found« war niemand zu sehen gewesen, weshalb er auf eine Beschwerde verzichtet hatte. Im Buchladen hielt er vergeblich nach einer deutschen Zeitung Ausschau. Vor dem Terminal schlug ihm kurz darauf die angenehme Spätsommerluft entgegen.
»Sven Hansen?«
Er drehte sich um. Ein dicker uniformierter Mann mit Halbglatze steuerte direkt auf ihn zu. Hansen schätzte ihn auf Mitte 30. In der Hand hielt der finnische Kollege ein Foto. Hansen vermutete, dass er selbst darauf abgebildet war.
»Ja.«
»Jussi Aaltonen. Willkommen in Finnland. Um ein Haar hätte ich mich verspätet. Auf der Zufahrtsstraße hat es einen Auffahrunfall gegeben. Ich hoffe, Ihre Anreise war angenehm?«
»Es lief alles reibungslos, bis ich meinen Koffer auf dem Gepäckband gesehen habe. Ich werde mir einen neuen kaufen müssen, dabei ist dieser hier keine zwei Jahre alt und war nur selten in Gebrauch.«
»Mein Schwager arbeitet in der Entwicklungsabteilung eines Handykonzerns. Wenn es zutrifft, was er sagt, dann haben viele Produkte heutzutage eine vom Hersteller festgelegte Lebensdauer. Vielleicht wurde der Koffer mit Absicht instabil konstruiert?«
Hansen interessierte, was Aaltonen über die festgelegte Lebensdauer von Produkten sagte. Wobei er die Schäden an seinem Koffer eher dem kompromisslosen Umgang der Flughafenmitarbeiter zuordnete. Auf dem Weg zum Wagen bemerkte er den unnatürlichen Gang von Jussi Aaltonen. Er zog das rechte Bein nach und litt offenkundig unter Schmerzen.
»Ich wurde vor einem Monat an einem Zebrastreifen angefahren«, erklärte Aaltonen, als ihn Hansen fragend ansah. »Es war ein Paketdienstfahrer, der am Handy hing. Ich hatte einen Schutzengel. Er hat mich seitlich getroffen und ist noch in die Eisen gestiegen. Ich habe eine starke Prellung und Dutzende Blutergüsse davongetragen.«
»Warum arbeiten Sie? Ihre Schmerzen sind nicht zu übersehen.«
»Die Schmerzen sind immer da. Bei der Arbeit bin ich abgelenkt. Meiner Frau wäre es auch lieber, wenn ich zur Erholung in unser Mökki gefahren wäre.«
Die Fahrt vom Flughafen in die Innenstadt von Helsinki war kurzweilig, die Unfallstelle an der Zufahrtsstraße bereits geräumt. Das Polizeipräsidium lag in der Neitsytpolku und war ein imposanter Bau aus den 40er-Jahren. Raumhohe Fenster zierten die breite Front des massiven Ziegelsteingebäudes. Aufwendig verzierte Marmorsäulen trugen das große Vordach. Der Haupteingang lag am Ende einer gewaltigen Treppe, die sich nahezu über die gesamte Breite der zur Straße gelegenen Seite des Gebäudes erstreckte. Durch eine große Eisentür traten sie in das Innere des Präsidiums. Jussi Aaltonen begrüßte den älteren Mann an der Anmeldung freundlich, wechselte ein paar Worte mit ihm und deutete auf Sven Hansen. Der Alte nickte verstehend und betätigte einen Knopf. Dann schwang die Eingangstür lautlos auf.
Um 13.30 Uhr quälte sich Kommissar Mika Hämäläinen durch einen ärztlichen Befund, der die Verletzungen beschrieb, die einem jungen Chinesen zugefügt worden waren. Dass er sich so schwertat, lag nicht etwa an ihm oder dem Bericht, der gestochen scharf formuliert war. Es waren die Kopfschmerzen, die ihn plagten. Als er sich kaum noch konzentrieren konnte, begann er gedankenverloren, kreuz und quer in den Ermittlungsunterlagen zu blättern, bis die verschiedenen Berichte und die Abzüge, die den verdroschenen Chinesen zeigten, wild über seinem Schreibtisch verteilt lagen.
Dann tauchte Jussi Aaltonen unerwartet mit dem deutschen Kollegen im Zimmer auf. Zum Ärger von Hämäläinen war es im Sekretariat des Präsidiums offensichtlich zu Schlampereien gekommen, was die genaue Weitergabe von Terminen und Uhrzeiten anbelangte, weswegen er noch nicht auf den Besucher aus Deutschland vorbereitet war.
Jussi Aaltonen blickte entsprechend erstaunt auf den Schreibtisch, der einem Wühltisch im Sommerschlussverkauf ähnelte, ehe er den groß gewachsenen Deutschen vorstellte. »Kommissar Sven Hansen vom LKA in Hamburg.«
Hämäläinen schaute erst sichtlich irritiert auf, so zumindest berichtete es ihm Aaltonen später am Tag, und schnellte dann aus dem Stuhl hoch. Er hasste es, überrumpelt zu werden.
»Herzlich willkommen im Polizeipräsidium Helsinki. Mika Hämäläinen«, begrüßte er ihn auf Englisch. Er ließ eine entschuldigende Handbewegung in Richtung des Schreibtisches folgen, verzichtete aber auf rechtfertigende Worte.
»Ich vertrete Dezernatsleiterin Jaana Tiivola, die sich auf einer Fortbildung zur Fallanalytikerin in den USA befindet, was Ihnen im Vorfeld sicherlich mitgeteilt wurde. Ich soll Sie auch in ihrem Namen herzlich willkommen heißen. Sie sollen in den kommenden drei Wochen neben den beruflichen Inspirationen auch die Gelegenheit finden, die Schönheiten unserer Stadt und die finnische Kultur kennenzulernen.«
»Vielen Dank. Ich wünsche mir sehr, Ihre Kultur und Ihre Stadt kennenzulernen. Ich habe es bisher nie weiter in den Norden geschafft als nach Dänemark«, antwortete Sven Hansen, dessen grüne Augen einen wachsamen Eindruck vermittelten und im Einklang mit den kurz geschnittenen schwarzen Haaren standen, die der markanten und faltenlosen Stirn eine besondere Betonung gaben. Er trug eine beigefarbene Leinenhose und ein schlecht gebügeltes Karohemd.
»Ein Fall schwerer Körperverletzung, wahrscheinlich die chinesische Wettmafia«, bemerkte Hämäläinen, nachdem er sah, wie Sven Hansen auf die herumliegenden Fotografien blickte. »Der Mann wird keine bleibenden Schäden davontragen. Vermutlich hat er Gelder abgezweigt. Er hatte Glück, denn für gewöhnlich belassen es die Chinesen nicht bei Prellungen.«
»Gibt es in Finnland auch eine Wettmafia?«
Er sieht nicht aus wie ein Polizist, kam es ihm in den Sinn. »Wir sind eine Eishockeynation. Mit Eishockey werden ebenfalls hohe Summen generiert.« Er bedeutete dem deutschen Kommissar, Platz zu nehmen. Sein Kopf schmerzte, und das Gespräch strengte ihn an.
»Wie ich sehe, haben Sie erfolgreich an einem Wettkampf teilgenommen«, meinte Hansen und deutete auf das eingerahmte Bild, das trotz des ganzen Chaos auf dem Schreibtisch hervorstach.
»Es wurde bei den letzten nationalen Polizeimeisterschaften aufgenommen. Ich habe...
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