Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Die aktuelle Situation für die Journalisten und die Medien, für die sie arbeiten, könnte kaum ambivalenter sein: Gerade jetzt, in Zeiten von Fake News, strategischer Verkürzung von Narrativen in populistischen Kreisen sowie von Verschwörungsnarrativen sind journalistische Funktionen und Kompetenzen für eine "redaktionelle Gesellschaft" (Bernhard Pörksen) evident wichtig. Dazu zählen maßgeblich eine fundierte Recherche und neutrale Informierung, unparteiische Vermittlung, sachliche Analyse, aber auch professionelle Prüfung und Bewertung von Quellen, Trennung von Nachricht und Meinung sowie Aufklärung und Kontrolle. Sie sind prägend für das berufliche Selbstverständnis sehr vieler Journalisten. Doch gerade jetzt, in Zeiten des großen Wandels, befinden sich die Medien nach Einschätzung zahlreicher Kommunikations- und Medienwissenschaftlern in einer gravierenden Krise, die Journalisten als berufliche Profis und auch ganz im persönlichen Sinne trifft.
Medien lassen niemanden kalt. Viele regen sich auf, dass mal wieder Falsches in der Zeitung steht. Andere halten Journalisten für viel zu mächtig. Und mancher philosophiert polemikgewandt, Massenmedien würden die Demokratie schädigen, während anderswo "Lügenpresse" skandiert wird.
Dieses Buch verbindet Medienpraxis, -analyse und -kritik mit Medienbildung und journalistischer Transparenz, Reflexion und Ratgeber-Inhalten. Dabei soll es in Inhalt und Tonalität die heutigen Hauptaufgaben von Journalismus spiegeln: fundierte Informierung, anregende und perspektivenreiche Meinungsbildung - und anspruchsvolle Unterhaltung. Da journalistische Arbeit und deren Rezeption als Thema für die gesamte Gesellschaft relevant ist, zumal mit Blick auf den Umstand, dass in digitalen Zeiten potenziell alle publizierende, Kommunikatoren, also Journalisten sind, richtet sich das Buch an ein breites Publikum.
Dieser verdammte Einstieg. Er muss knackig sein, »sexy«, wie manche journalistischen Lehrmeister und Ressortchefs gerne zu sagen pflegten. Die ersten Szenen sollen die Leser hineinziehen in die Geschichte, sie mitnehmen auf eine Reise voller Spannung, Gefühle, menschlicher Schicksale, auch Dramatik und überraschender Wendungen. Aber bloß nicht zu viele Szenen und Protagonisten. Das verwirrt das Publikum, dann steigt es aus, bevor die Story richtig begonnen hat. Und die ganze Recherche, die manchmal Wochen, ja Monate gedauert hat, ist für die Katz. Vielleicht ein schicker Cliffhanger gleich am Anfang, der so viel Spannung aufbaut, dass der Leser gar nicht anders kann als weiterzulesen. Wie bei einer starken Filmserie. Oder gleich wie beim Blockbuster.
Wie oft saß ich in den vergangenen 30 Jahren des Journalisten-Daseins vor dem wortlosen Screen meines Laptops, am Anfang noch vor der Schreibmaschine, und rang um diese ersten Szenen und Sätze. Stundenlang, manchmal auch einen ganzen Tag. Oft dauerte der Einstieg länger als die halbe oder ganze Geschichte. Von wegen Cliffhanger! Nicht selten hängte sich mir eher das Hirn aus. Auf jeden Fall sollten die ersten Passagen doch gut geschrieben sein, das ist das Mindeste. Noch besser wäre es, wenn es stilistisch und sprachlich perlt, die Feder edel ist. Immerhin gilt die Reportage, die journalistische Stilform des Storytellings, als Königsdisziplin medialen Schaffens. Jedenfalls haben dies jahrzehntelang die Großmeister der schreibenden Zunft und so mancher Medienwissenschaftler behauptet. Seit dem Skandal um zahlreiche Fake-Reportagen des dauerpreisgekrönten Spiegel-Redakteurs Claas Relotius im Jahr 2018 sind sie in der Hinsicht zwar etwas schmallippiger, wenn nicht sogar selbstkritischer geworden. Aber das hilft mir im Moment auch nicht groß weiter, es ist ein Schrecken vor dem leeren Blatt, der Horror vacui.
Mit welchen Szenen soll ich also einsteigen, um das Thema »Narzisst und Vollmund?« auf den Erzählweg und in Schwung zu bringen? Viele Bilder, Erlebnisse und Erfahrungen schwirren mir durch den Kopf. Da wäre etwa jener jung-dynamische Lokalredakteur mit beachtlichem Selbstbewusstsein und ausgeprägtem Karrieresinn. Berichte aus dem örtlichen Gemeinderat, dem lokalen Kulturleben oder gar über Kleintierzuchtvereine, da schien er sich ganz sicher zu sein, konnten nur eine Durchgangsstation sein. Das Sprungbrett dorthin, wo angeblich der wahre und wichtige Journalismus stattfand: zu größeren Zeitungen mit höherer Auflage und größerer öffentlichen Aufmerksamkeit. Er pflegte eine Besonderheit, fast ein Ritual, das mir bis heute im Gedächtnis blieb: Bevor er einen Bericht zu schreiben begann, haute er zuallererst seinen Namen oder sein Kürzel in die Tasten des Computers - auch wenn es sich nur um eine kleine Meldung handelte, die von der regionalen Polizeibehörde kam und die er lediglich um zwei oder drei Wörter veränderte. Schreiben war eigentlich seine Sache, dafür brannte er, wie er in der Redaktion sagte. Als er schließlich zu einer regionalen Zeitung mit höherer Auflage wechselte, übernahm er primär organisatorische Aufgaben. Texte verfasste er nur noch selten. Jetzt habe er es geschafft, ließ er beim Bier mit den alten Kollegen anklingen. Die Treffen wurden immer spärlicher.
Oder könnte die Szene aus einer Reportageschule in Baden-Württemberg der passendere Einstieg sein? Es war eine klassische Übung: Die Journalistenschüler sollten ein spannendes Thema finden, das in der Stadt oder der Region spielte, und dazu eine Telefonrecherche führen. Die Barriere, zum Telefonhörer zu greifen, war manchen der Digital Natives anzumerken. Eher gelangweilt bis missmutig rief einer der Nachwuchsjournalisten die örtliche Stadtverwaltung an und wurde zu einer Mitarbeiterin durchgestellt. Sein Ton in dem Gespräch wirkte hart, die Fragen spulte er herunter, als ob es eine Checkliste abzuhaken gelte. Wurde am anderen Ende gesprochen, verzog er wiederholt das Gesicht. Dann legte er auf. »So eine blöde Schlampe«, tönte er, gut wahrnehmbar. Ich war fassungslos. »Das geht überhaupt nicht. Was bildest du dir eigentlich ein?«, fuhr ich ihn an. Als damaliger Dozent für Recherche hätte ich ihn in diesem Moment am liebsten von der Schule geworfen.
Der »pädagogische Leiter« der Reportageschule, selbst auch Journalist, hatte freilich deutlich mehr Empathie: So sei der halt, meinte er damals, »Hauptsache, er kann was.« Vielleicht rührte sein großes Verständnis auch daher, dass er selbst mitunter den angehenden Journalisten von ganz besonderen »Tricks« erzählte. Etwa von dem, Menschen, die für eine Geschichte wichtig seien und mit der Presse nicht unbedingt reden wollten, an der Sprechanlage ihrer Wohnung zu sagen, man komme von der Polizei - um bei späteren skeptischen Nachfragen zu erklären, man sei gerade bei der Polizei gewesen, komme also quasi von ihr. Ein No-Go-Vorgehen, das aus dem fragwürdigen Bestand des Boulevards stammt. Mitunter plauderte der »pädagogische Leiter« vor den Schülern auch munter davon, dass sein Text gerade von der Dokumentationsstelle eines Magazins geprüft worden sei und er gebeten worden sei zu sagen, welche Details denn überhaupt stimmen würden. Pädagogisch wertvoll? Jener Reportageschüler muss damals jedenfalls einiges gelernt haben. Heute gilt er in der deutschen Medienszene als frecher Meister seines Faches.
Im Repertoire einschlägiger Erfahrungen gäbe es noch den Redakteur einer Landeszeitung, der sich ganz und gar dem investigativen Journalismus zuschrieb. Und arg darunter litt, dass seine aus eigener Sicht opulente Enthüllungsexpertise von der Chefredaktion nicht richtig erkannt, geschweige denn gewürdigt wurde. Wie gut tat es da, dass er mit Kollegen eine Veranstaltung in der oberschwäbischen Provinz hatte und die Mitglieder der Gruppe auf Plakaten als »investigative Topjournalisten« angekündigt worden waren. Als die Veranstaltung zu Ende war und die Gruppe die nächste Kneipe anpeilte, fehlte der von der ignoranten Chefredaktion verkannte top-investigative Topjournalist plötzlich. Er war ins Büro des Veranstalters gegangen, um sich mit einigen Plakaten einzudecken. Und fortan wusste zumindest die Wand seines Büros ausführlich davon zu berichten, dass er der Elite der Enthüllungskünstler angehört.
Und da wäre noch jener Journalist, der im Kontext einer der zahllosen Journalistenpreise (es soll mehr geben als das Jahr Tage hat) seine Stimme jenem Claas Relotius gab - um wenig später, nach Bekanntwerden des Skandals, im vollen Brustton der Selbstüberzeugung zu kommentieren, dass die Spiegel-Redaktion dem Schönschreiber viel früher auf die Schliche hätte kommen müssen. Oder der Magazinjournalist, den ich in dessen Wohnung besuchte, um eine Recherche zu besprechen. Die ganze Zeit schaute er an mir vorbei, in den übergroßen Spiegel, der sein Arbeitszimmer schmückte.
Gerade fällt mir auf, dass es lauter Männer sind, die mir in den Sinn kommen, wenn ich an Narzissmus und Vollmundigkeit im Journalismus denke. Noch mehr erschreckt mich jedoch ein anderer Gedanke: Wenn ich ehrlich bin, könnte ich auch mit mir selbst einsteigen. Nicht nur in den selbstreferentiellen Journalistenrunden abends beim Bier oder Rotwein, sondern auch in der Familie, wenn Besuch da war, liebte ich es stets, über meine jüngste veröffentlichte Geschichte zu erzählen. Episch breit, ausgeschmückt mit jedem Detail der natürlich höchst aufwändigen, manchmal auch nicht ganz risikolosen Recherche. Ich bildete mir ein, dass diese narrative Selbstoffenbarung nötig sei, um journalistische Erfahrungen loszuwerden. Weil sie mich wahrscheinlich irgendwie belasteten. Tatsächlich aber genoss ich es, wenn manche Zuhörer staunend nachfragten oder beim Wort »Mafia-Recherche« zusammenzuckten und große Augen bekamen. Es war keine Therapie in eigener Sache. Sondern Selbstbespiegelung.
Heute kann ich nicht so tun, als ob mich das alles nichts mehr angeht, nur weil ich raus bin aus dem Medienbetrieb und jetzt an einer Hochschule arbeite. Einmal Journalist, immer Journalist. Was jetzt schon wieder irgendwie nach Mafia klingt.
Mitunter machen journalistische Selbstdarsteller sogar Betriebsausflüge. Im Fachjargon heißen sie Journalistenpreisfeiern. Und vielleicht taugt eine besonders eindrucksvolle Ausgabe dieser Medienfeste, deren Gast und Zeuge ich war, besonders gut für diesen Einstieg. Es war im Frühjahr 2009. Zu dieser Zeit galten Journalisten noch etwas in diesem Land. Die Auflagen und Werbeerlöse von Zeitungen...
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