Schweitzer Fachinformationen
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LOUISE
»Hör mal«, sage ich in die Stille. Ich weiß nicht, wie ich beginnen soll. Meine Morgenroutine ist unterbrochen worden, weil mich ein Welpe, ein Cockerspaniel, mit heraushängender Zunge anstarrt. Der wedelnde Schwanz schlägt auf die Dielen. Wir haben einen Hund bekommen.
Michael hat das entschieden. Auch, dass der Hund Bimmer heißen soll, aber das haben wir anderen in Buller geändert.
»Los, wir gehen Gassi«, sage ich auffordernd und klatsche in die Hände. Der Hund springt begeistert auf. Auf dem Weg in die Diele wirft er den Wassernapf um, reißt eine Jacke vom Haken und pinkelt vor Begeisterung.
»Michael!«, rufe ich noch verärgerter, schließlich wollte er den Hund, nicht ich. »Michael!«
»Ja?«
Er tritt in die Diele, sein Blick fällt auf die Pfütze, und der Hund glotzt mich mit großen, dummen Augen an.
»Ja, was wohl? Der Hund. Er hat schon wieder alles vollgepinkelt. Du wolltest unbedingt einen Hund!«
Michael lacht. Er findet das lustig, aber ich muss es ausbaden. Er geht in die Hocke.
»Ist ja gut. Gassi. Gassi, Bimmer«, sagt er und nimmt die Leine.
»Er macht aber trotzdem ins Haus«, sage ich.
»Jetzt reg dich nicht auf, Louise. Er ist doch noch ein Welpe. Das hat er nicht extra gemacht.«
Der Morgen verläuft wie immer. Türen knallen zu, werden geöffnet und geschlossen. Münder sprechen, rufen, murmeln, seufzen. Und schmatzen.
»Magnus, kau mit geschlossenem Mund«, sage ich und bemerke den trotzigen Seitenblick auf Michael.
»Hör auf Louise. Sie hat das Sagen, wenn Mama nicht hier ist. Kau nicht mit offenem Mund«, sagt er. Und Magnus kneift die Lippen zusammen, kaut kaum noch, und sein ganzes, pausbäckiges Gesicht wirkt plötzlich verängstigt.
Ich bekomme ein schlechtes Gewissen. Gedankenverloren schaue ich aus dem Fenster. Heute ist der Himmel ganz blau. Keine einzige Wolke ist zu sehen. Und es ist windstill. Schlaff hängt die Fahne von der Stange herunter.
»Ich will noch eins«, verkündet Magnus, und Michael streckt die Hand nach dem Brotkorb aus.
Unselbstständig, dieser Junge, denke ich. Sieben Jahre und kann sich nicht mal seine Brote selbst schmieren. Ich denke an Ida, die das in diesem Alter schon selber machte. Die Brote durften nur ganz dünn bestrichen sein, ich nahm immer zu viel Leberwurst, vermutlich mit Absicht. Sie war so dünn, und ich hoffte, dass sie zunehmen würde.
Sie ist immer noch dünn, nur ein Strich in der Landschaft, aber das ist genetisch bedingt. Sie isst die ganze Zeit und redet überhaupt sehr viel vom Essen. Jetzt macht sie eine Diät. Nicht weil sie abnehmen will, sagt sie, sie will gerne gesund leben, und der Kühlschrank ist immer voller Skyr und Hüttenkäse. Freitags ist einer ihrer Fastentage. Die 5:2-Diät ist recht verbreitet, aber das kann einfach nicht gesund sein, zwei Tage pro Woche zu fasten.
»Papa, weißt du was?«, sagt Magnus, immer noch mit vollem Mund. »Tobias hat ein iPad und darf es in die Schule mitnehmen.«
»Na so was«, erwidert Michael und wirft mir einen Blick zu. »Und wie alt ist Tobias?«
»Er ist sieben. So alt wie ich.«
»Mit sieben soll man auf Bäume klettern und Fußball spielen«, meine ich. Ich trinke einen Schluck Kaffee und schaue Michael durchdringend an.
»Aber das tun wir ja auch«, wendet Magnus ein.
»Ja, das tun sie«, pflichtet Michael ihm bei.
Mir fällt auf, dass es schon recht spät ist, wir müssen bald los.
»Ein iPad ist teuer«, sage ich. »Und außerdem überflüssig. Iss jetzt auf. Michael, solltest du nicht .«
»Wie spät ist es?«, unterbricht er mich und springt auf. Buller erhebt sich auch und glaubt, dass er jetzt nach draußen darf.
»Nein. Platz«, sage ich und schaue erneut auf die Uhr. »Jetzt müssen wir aber.«
»Magnus, bist du fertig?«, fragt Michael, während ich die Teller abräume.
»Bekomme ich eins?«
Der Junge sieht fragend von Michael zu mir. Ich kenne diesen Blick. Kinder in diesem Alter. Sie denken nur an sich. Sie denken nur daran, was sie bekommen können. Der Junge ist süß und hat beim Lächeln Grübchen in seinen runden Backen.
Michael sieht ihn nicht an. Er eilt hin und her und fährt sich gestresst mit der Hand durchs Haar.
»Darüber reden wir ein andermal. Schatz, hast du die Autoschlüssel gesehen?«
»Na dort, wo sie immer hängen. An dem Nagel in der Diele«, antworte ich. Dass er das nicht langsam mal begreifen kann.
»Mama?«
Ida ruft.
Ich stelle die Teller in die Spüle und winke Lotte auf der anderen Straßenseite zu. Gestern hat sie auf Facebook gepostet, Glück sei, eine Sternschnuppe zu sehen und nicht zu wissen, was man sich wünschen soll. In letzter Zeit postet sie fast jeden Tag was. Zitate und Fotos.
»Ja, was ist, Ida?«, rufe ich. Kann sie nicht einfach in die Küche kommen, statt quer durchs Haus zu brüllen?
Da steht sie auch schon auf der Schwelle, ein schlaftrunkener Teenager in zu kurzem Micky-Maus-Nachthemd. Sie weigert sich, es auszurangieren.
»Die erste Stunde fällt aus. Bleibt also nur noch eine weitere. Ich fahre nicht mit.«
»Aber du musst doch zur zweiten Stunde in die Schule. Wie willst du das mit dem Fahrrad schaffen?«
Sie seufzt. »Wir gehen sowieso nur einen Text durch. Und das habe ich schon gemacht. Ist also nicht so wichtig. Ich weiß, was drinsteht.«
»Du willst überhaupt nicht in die Schule?«, hake ich nach und weiß bereits, wie die Antwort lautet.
»Mama . Das ist nicht nötig, das ist Zeitverschwendung«, sagt sie und zieht die Brauen zusammen. Sie hat sie wieder gezupft, zwei schmale Striche sind übrig, und mich streift der Gedanke, dass sie aussieht wie ein Clown.
»Das mit den Augenbrauen sieht wirklich lustig aus«, sage ich lächelnd. »Und dazu dieses Nachthemd . das ist doch viel zu klein.« Ich muss lachen, weil sie nicht antwortet, vielleicht liegt es an meiner Übermüdung, aber plötzlich sieht sie in diesem Nachthemd und mit diesen Clownaugenbrauen sehr lustig aus. Ihr zerzaustes Haar steht in alle Richtungen ab, was gut zu ihrer derzeitigen Verfassung passt. Sie weiß überhaupt nicht, was sie will, auch nicht in dieser Situation. Sie kann sich nicht entscheiden, ob sie wütend werden oder mich einfach ignorieren soll.
»Das musst du selbst wissen . ob du in die Schule gehst«, sage ich, weil ich für diese Diskussion keine Nerven habe. Wenn es nicht wichtig ist, ist es vermutlich egal.
»Dann kannst du ja rasch Magnus helfen, seine Schultasche zu packen«, sage ich. »Dann hast du es ja nicht so eilig.«
»Schatz?«, ruft Michael, und eine Deowolke, ein billiges Deo, ein sehr billiges Deo, dringt in die Küche. Es riecht nach totem Tier. »Ich fahre jetzt. In zehn Minuten ist eine Besprechung. Die erste mit der neuen Gruppe, ich muss also .« Er hantiert mit seinem To-go-Kaffeebecher und versucht, den Deckel ordentlich festzuschrauben, aber der sitzt schief.
»Verdammt.«
»Michael«, sage ich, aber er hört mich nicht. Ungekämmt und in zerknittertem Hemd steht er da und schraubt an dem Deckel herum. »Ida bleibt zu Hause. Sie geht mit Buller raus, du brauchst dich also mit dem Heimkommen nicht zu beeilen.«
»Schön«, sagt er und ist schon fast in der Diele. »Bis später, Schatz. Hab einen schönen Tag. Magnus! Wir müssen.«
Ich schaue aus dem Fenster. Vielleicht wird der Himmel ja doch nicht blau. Über den Dächern der Einfamilienhäuser ist er am Horizont mit Schäfchenwolken überzogen. Sie haben eine merkwürdige Farbe, einen Grünstich.
Ich räume die letzte Tasse in die Spülmaschine, halte einen Augenblick inne und hole tief Luft, die Hände auf den Bauch gelegt.
Noch ist es nur ein Embryo.
KAREN
Als ich aufwache, ist Kristian weg. Die letzten Wochen haben wir in getrennten Zimmern geschlafen. Kristian in dem nach Süden. Nachts ist er so unruhig. Rastlos tigert er umher, und heute Nacht war es besonders schlimm. Ich hörte die Tür wohl vier Mal. Dann schlurfende Schritte und unterdrückter Atem in der Dunkelheit. Ich war sowieso schon verärgert. Die Nachbarn hatten bis spät lauten Besuch gehabt.
Als Kristian zum Kühlschrank ging, stand ich ächzend auf.
»Was machst du, Kristian?«, fragte ich und betrachtete seine zwischen Leberwurst und Milchtüte erstarrte Hand.
»Ich esse eine Kleinigkeit«, sagte er und sah mich mit befremdetem Blick an, als ginge mich das nichts an.
»Jetzt?«
»Ja. Ich hab Hunger.«
Dann öffnete er eine Flasche Bier, strich sich Butter und Leberwurst fingerdick aufs Brot und ließ sich auf einen Stuhl fallen.
»Geh einfach wieder ins Bett, Karen«, sagte er. Ich sah ihm an, dass etwas nicht stimmte, ging aber trotzdem ins Bett. Ich ging zu Bett und schlief.
»Kristian!«, rufe ich. Es ist früher Morgen, und der Rasen ist taunass. Der Frühnebel liegt wie ein weißer Schleier über den Heckenrosen am Zaun.
Dass Kristian nicht da ist, wenn ich aufwache, habe ich noch nie erlebt. Er steht immer früh auf, weil er den Morgen besonders mag. Er macht Kaffee, toastet Brot, zerkrümelt ein Stück Brot für die Vögel und trottet in seinen abgewetzten Pantoffeln durch den Garten.
»Kristian!«
Ich kann ihn nicht finden. In der Garage ist er nicht und auch nicht im Garten oder im Wohnzimmer. Er ist einfach nicht da.
Ich koche Kaffee und toaste Brot, das auf einer Seite ganz schwarz...
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