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Geboren wurde Gottfried Alexander Maximilian Walter Kurt Freiherr von Cramm in Nettlingen, dem Familiensitz der Cramms, südöstlich von Hannover, am 7. Juli 1909, in ein uraltes niedersächsisches Adelsgeschlecht mit Schlössern nahe Hildesheim. Er war der dritte von sieben Söhnen.
Als er zwei war, zog die Familie nach Schloss Brüggen um, knapp 30 Kilometer entfernt, dem früheren Sitz derer von Steinberg, der nach dem Tod des letzten Steinberg an Vater und Mutter Cramm, geborene Freiin von Steinberg, gefallen war - wie das Schloss Bodenburg und weitere fünf Güter in der Gegend: Harbarnsen, Wispenstein, Almstedt, Sellenstedt und Salzdetfurth.
Es ist eine herrliche, leicht hügelige Felder-Wälder-Landschaft, eine Kulturlandschaft mitten in Deutschland. Berückend liegen diese Cramm'schen und Steinberg'schen Güter in ihr, oft nur wenige Kilometer auseinander. Den meisten dieser Sitze sieht man die Burg noch an, die sie einmal waren - «noch immer unter dem seidenen Mantel die eiserne Rüstung», wie man einmal über Schlösser dieser Übergangszeit vom Mittelalter zur Renaissance gesagt hat.
28 Jahre lang war Brüggen nun Gottfried von Cramms Hauptwohnsitz. Im Leine-Tal, zu Füßen des Siebengebirges, war es schon Königssitz Ottos des Großen, der dort im Jahr 965 laut Urkunde auch als Kaiser Aufenthalt nahm. Im Juni 1937 feierten die von Cramms mit dem Dorf an mehreren Tagen 1000 Jahre Brüggen. Von den Tagen wurde ein Film gedreht, den man in den kommenden Wochen und Monaten abends immer wieder sah und Gästen zeigte.
Eine Schloss-Atmosphäre in diesem Bau von 1693, die man literarisch eher aus England kennt - mit dem zahlreichen Personal auf Feldern, in Wäldern und Ställen, bei den Pferden, in Küche und Erziehung der sieben Söhne, mit den Hauslehrern von den Gymnasien in Hannover und Braunschweig, mit den Salons und Essenssälen. Noch heute wie je rinnt das Quellwasser in der Gewölbeküche des Souterrains aus der Wand in das Küchenbecken.
Brüggen
Man fährt durch die steinerne Tordurchfahrt, sieht dabei zuerst nur einen Ausschnitt der prachtvollen Barockfassade und rollt dann über den knirschenden Kies das große Rund bis vor die grau-steinerne Freitreppe. Hinter der Tür über die großzügige Treppe dann geradeaus in den riesenhohen Saal, elf Meter hoch, der sich zur Parkseite hin spektakulär öffnet.
In diesem Saal und in den Seitensalons fand der Unterricht der sieben Brüder in den 1910er und 20er Jahren statt. Die sieben waren alle etwa zwei Jahre auseinander, es handelte sich also um siebenfachen Einzelunterricht. Und jeder der sieben Brüder, erinnerte sich Wilhelm Ernst, «Erne», der jüngste Bruder, hatte beim Unterricht unter seinem Tisch seinen Hund liegen. Der Pastor, in der großen Pause in Brüggen die 400 Meter um den großen Rasen des Schlossparks laufend, in schwarzem Anzug, mit Monokel und steifem Kragen, gewann immer.
In diesem Saal wurde Weihnachten gefeiert. «Wir Kinder legten Wert darauf, dass auch der Weihnachtsbaum fast 11 Meter hoch war - und daneben standen, in der Größe gestaffelt, sieben kleinere Weihnachtsbäume, für jeden Sohn einer. In der Mitte die Krippe. [.] Nach dem Aufsagen des Weihnachtsevangeliums kam dann die Bescherung. [.] Die wurden zuerst beschert und dann erst die Kinder.»
Aus diesem Saal beim Abendessen am 5. März 1938 wurde Gottfried von Cramm von der Gestapo abgeholt.
Dieser Saal war um 1910 Gegenstand eines kurzen Schlagabtauschs, der etwas erzählt über das Selbstbewusstsein der Steinbergs und der Cramms. Als der Herrenmeister des Johanniterordens, Prinz Eitel Friedrich von Preußen, das Johanniter-Krankenhaus in Gronau besichtigt hatte, dessen Patron der Steinberg'sche Großvater der sieben Brüder Cramm war, fand anschließend ein Essen in Brüggen statt. Als der Prinz nun am Arm der Baronin Steinberg die Treppen emporstieg und in den Saal kam, sagte er: «Was, und einen Saal haben Sie auch?» Das ärgerte die Baronin, und sie antwortete: «Jawohl, königliche Hoheit, haben Sie auch einen?»
In diesem Saal wurde 1936 die Verlobung von Prinz Bernhard zur Lippe-Biesterfeld, dessen Mutter Armgard eine geborene von Cramm war, mit Kronprinzessin Juliana, der späteren Königin der Niederlande, gefeiert.
Wie die Steinbergs sind auch die Cramms ältester Uradel, seit 1150 greifbar. Seit Ende des 13. Jahrhunderts lebte das Geschlecht auf Schloss Oelber am Weißen Weg im Kreis Wolfenbüttel. Weitere Sitze, wie Nettlingen, der Geburtsort Gottfrieds, kamen in den Jahrhunderten hinzu. Es geht hier um fast tausend Jahre Familiengeschichte und Familienbewusstsein, in diesem Raum um Hildesheim und Hannover. Tausend Jahre, die in Lebensstil und Bildern und Materialien und Dingen für die Cramms tägliche Gegenwart waren.
Sehr einleuchtend haben Historiker seit längerem gezeigt, dass sich zwischen frühem Mittelalter und den Jahrzehnten um 1800 das auf bestimmten, zäh beharrenden Wirtschaftsformen beruhende Leben auf dem Land in Europa kaum verändert hat - allen Epochenscheiden von Renaissance, Reformation und Amerikaentdeckung zum Trotz.
Für Familien wie die Cramms und die Steinbergs kann man das, in der Form der gutsherrlichen Lebens- und Wirtschaftsweise, bis ins 19. und 20. Jahrhundert hinein noch verlängern. In manchem bis ins 21.: Bis heute leben die Cramms, die die drei Schlösser Oelber, Bodenburg und Brüggen noch bewohnen, in einer Land-, Forst- und Energiewirtschaft, ohne die sich die Güter wirtschaftlich nicht in Familienhand halten ließen. Und zwar wirklich selbstbetrieben, wenn man bis heute als Baron auf dem Trecker sitzt.
Erst recht noch in der ersten Hälfte der 1940er Jahre, im Krieg, als Jörg von Morgen mit seiner Mutter Ruth in Schloss Bodenburg lebte, ist davon viel spürbar. Im Sommer 1945 mussten alle, «die noch irgendwie krauchen konnten», mit auf den Acker: «Selbst die alte Baronin setzte sich einen riesigen Strohhut auf, zog sich Gartenhandschuhe an und bestieg den Leiterwagen.»
Der Eindruck von «Adel im Niedergang» - so doch die eingeübte Erwartung - will sich beim Studium dieser Welt in den 20er und 30er Jahren nicht einstellen. Zwar deuten sich finanzielle Schwierigkeiten immer wieder an in den Tagebüchern Burghards und Juttas von Cramm, die leider erst seit 1930 vorhanden sind: lange Verhandlungen mit Banken über Umschuldungen und Kredite - aber man hat es immer irgendwie dann doch geschafft, auch, wo unumgänglich, durch Verkäufe von Land und Wald. Und die ökonomische Grundlage von alldem blieb breit: Zu den Gütern gehörten Baumschule, Brennerei, Mühle, Ziegelei und Zuckerfabrik.
Auch die politisch-soziale Verwobenheit der Familie mit der Landschaft und der Region blieb - all die landwirtschaftliche Verbandsarbeit und die örtlichen Vereinssitzungen, in Hannover für Burghard von Cramm dazu die leitende Arbeit in Rennverein oder Golfclub. Es blieben die Kirchenpatronate - erst am Ende ihres Lebens denkt Jutta von Cramm daran, manches aufzugeben - und die adligen Netzwerke, die engen Verbindungen über Jahrzehnte mit den Familien in der Gegend, den Görtz', Hardenbergs, Schulenburgs oder Knigges, und mit Königlichen Hoheiten.
Hinzu kommt schließlich, dass die Familie von Cramm überhaupt einem ganz anderen Ideal zu folgen schien als dem der Konservierung von Hergebrachtem. Hubert von Meyerinck, Schauspielstar, Freund Gottfrieds und Freund der Familie, schrieb in seinen Erinnerungen über die Cramms, über die Mutter und die Brüder: «Eine Familie, die nicht stehengeblieben ist wie so viele andere ihrer Standesgenossen. Sie ist immer mit der Zeit gegangen und hat stets die jeweilige Epoche, in der sie lebte, klar erkannt und ihre Menschen verstanden.»
Die Cramms und die Steinbergs waren jahrhundertelang - wie ähnliche Familien auch - in Ämtern und Positionen den Welfen, dem Haus Hannover, eng verbunden. Sie waren Offiziere, kurhannoversche Minister, Domherren von Halberstadt, Oberhofmarschall, kurhannoversche Gesandte in Wien, später königlich preußischer Kammerherr, Mitglied des Herrenhauses zu Berlin und dergleichen mehr.
Der Protestantismus der Familien spielte eine wichtige Rolle. Ein vielerinnerter Vorfahr der Familie von Cramm war ein Freund und Mitstreiter Martin Luthers: Assa von Kram war Taufpate eines Sohnes Luthers; Luther widmete ihm seine Schrift «Ob Kriegsleute auch in seligem Stande sein können».
Gottfrieds Vater Baron Burghard, geboren 1874, wurde in Erlangen zum Doktor der Rechte promoviert, beendete seine Militärzeit bei den Garde-Ulanen in Potsdam als königlich preußischer Oberleutnant der Reserve, bevor er zum herzoglich braunschweigischen Kammerjunker ernannt und Mitglied des Braunschweigischen Landtags wurde. 1905 heiratete er Jutta von Steinberg, die man, Alleinerbin in Ermangelung eines männlichen Erben, in der Gegend anerkennend den «Großen Preis von Hannover» nannte. Mit dieser Heirat kamen weitere fünf Patronate evangelischer Kirchen und die oben genannten sieben Güter in den Besitz der Familie.
Burghard von Cramm war ein Liberaler. Er verfasste 1928 ein Manifest in Form eines Vertragsentwurfs zur Abrüstung, Begrenzung von Streitkräften, Einhegung von militärischen Konflikten, Schutz der Zivilbevölkerung und Gründung eines «Weltfriedensbundes» - und sandte die Schrift an eine Reihe in- und ausländischer Behörden, weil sie,...
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