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11. Muss man sich für Politik interessieren? Dass alle sich für Politik interessieren, ist in modernen Demokratien eine Art Normalerwartung. Und darauf zu verzichten, oder seine Rechte bloß lust- und ahnungslos wahrzunehmen, scheint manchmal wie ein Verrat an den Chancen, die Demokratie im Gegensatz zu anderen Herrschaftsformen gewährt. Im Gefolge von Revolutionen, Nationsbildung und wirtschaftlichsozialen Umwälzungen begannen sich breiteste Schichten der Bevölkerung: das Bürgertum, die Handwerker, schließlich auch die Arbeiter und die Unterschichten, lebhaft für Politik zu interessieren - und damit zugleich ihren Anspruch auf Mitwirkung auszudrücken. Diese Fundamentalpolitisierung prägte das 20. Jahrhundert als Zeitalter der Ideologien. Große politische Denksysteme wie Liberalismus, Sozialismus oder Faschismus forderten jeden Einzelnen auf, sich politisch zu bekennen.
Das zeigt die Ambivalenz und Manipulierbarkeit des modernen Interesses für Politik. Auch Diktaturen versuchten von der Politisierung zu profitieren, ja sie zwangen der Bevölkerung einen Primat des Politischen geradezu auf und verletzten dabei die Grenzen des Privatlebens: Tritt in die Partei ein! Häng die Fahne der Bewegung aus deinem Fenster! Weil viele Deutsche von der politischen Zwangsvereinnahmung durch das NS-Regime genug hatten und sich zugleich darin schuldig gemacht hatten, zog man sich in den 1950er Jahren gerne ins Private zurück. Die nächsten beiden Jahrzehnte dagegen, rund um das Symboljahr 1968, markierten nicht nur in der Bundesrepublik einen Höhepunkt des allgemeinen Interesses an Politik. In der Bundestagswahl von 1972 stieg die Wahlbeteiligung auf danach nie wieder erreichte 91,1 Prozent. Einige Jahre später kulminierte die Mitgliederzahl politischer Parteien (West) bei etwa zwei Millionen. Die Tages- und Wochenpresse, mit deren Abonnement man seine Gesinnung ausdrückte und bestärkte, blühte.
Was ist seitdem geschehen? Sind die westlichen Demokratien seit den 1970er Jahren in ein Zeitalter der fundamentalen Entpolitisierung eingetreten, und gefährdet das die Demokratie? Der Siegeszug von Konsumgesellschaft und individueller Selbstverwirklichung hat die Politik oft in den Hintergrund treten lassen. Am Wochenende sind Freizeit, Shopping, Reisen angesagt, nicht politisches Ehrenamt oder Plakate-Kleben. Aber vor der Idealisierung einer «guten alten Zeit» des allgemeinen Interesses an Politik muss man sich hüten. Nicht immer trieb feurige Politisierung die Bürger zur Wahlurne; oft waren es eher Pflichtgefühl und Routine. Interesse und Beteiligung drücken sich heute in anderen Formen aus als noch vor einer Generation. Man kann sich außerhalb von Parteien politisch engagieren, und erst recht: zwischen den Wahltagen. Mit eigenen Websites, mit Blogs und mit sozialen Medien wie Facebook und Twitter erreichen Minderheiten und kritische Strömungen eine Öffentlichkeit, von der sie in Zeiten der Kopiermaschine und des Postversands nur träumen konnten. Das Interesse an Politik ist weiterhin sehr hoch und keineswegs elitär eingekapselt. Wahlkämpfe erscheinen oft langweiliger als früher, aber im nächsten Moment elektrisieren sie rund um den Globus.
Das politische Interesse der Bürgerinnen und Bürger kann einer Demokratie nicht gleichgültig sein. Deshalb setzt sie Politik auf die Lehrpläne der Schulen und betreibt politische Bildung aus Steuergeldern, etwa mit der Bundeszentrale und den Landeszentralen für politische Bildung. Aber es bleibt die Freiheit des Einzelnen, sich für Politik (nicht) zu interessieren. Demokratie ist keine Zwangsveranstaltung. Das Recht, nicht mitzumachen, ist gerade in ihr ein hohes Gut. Das ist eines der Wagnisse, die die Demokratie um der Freiheit willen eingeht.
12. Beruht Demokratie auf Volkssouveränität? Was für eine Frage! Natürlich, die Volkssouveränität ist das Herzstück, der Ausgangspunkt moderner Demokratie: Das Volk ist der Ursprung der staatlichen Gewalt, nicht ein König, der sich auf dynastische Erbfolge oder göttlichen Willen beruft; nicht irgendein Machthaber oder eine Clique, die sich den Staat unter den Nagel reißt. «Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus», heißt es deshalb im Artikel 20 des Grundgesetzes, das sie durch Wahlen und Abstimmungen und durch die besonderen Organe der Gewaltenteilung, also Parlament, Regierung und Justiz, ausübt. Die Erfindung der Volkssouveränität war ein revolutionärer Akt des späten 18. Jahrhunderts. Unter dem «Volk» verstand man bis dahin eher die Unterschichten, den Pöbel, von dem sich die gebildeten und mächtigen Eliten distanzierten. Nun sollten alle gemeinsam, auch die Adligen, auch die gepuderten Perückenträger, das Volk bilden, aus dem sich demokratische Selbstregierung konstituiert? Eine unerhörte Idee, auch wenn bei näherem Hinsehen vorläufig nur weiße Männer in den Genuss politischer Rechte kamen. Die Volkssouveränität zertrümmerte das politische Denken der Ständegesellschaft: Der «Dritte Stand» erklärte sich am 17. Juni 1789 in Versailles zur Vertretung der ganzen «Nation»; aus den Generalständen wurde die Nationalversammlung. Schon zwei Jahre zuvor ließ der amerikanische Verfassungskonvent in Philadelphia seine Präambel mit den Worten «We, the People of the United States» beginnen: Das Volk war der Souverän, gab sich selbst eine politische Verfassung und Regeln für das Zusammenleben in Freiheit.
Aber ganz so eindeutig ist es dann doch wieder nicht. Demokratien können auch ohne Volkssouveränität auskommen wie in England, wo die nordamerikanische oder kontinentaleuropäische Vorstellung eines «Volkes» sich nie etabliert hat. Stattdessen ist hier das Parlament der Souverän. Mehr noch, besonders die französische und die deutsche Idee eines souveränen Volkes konnten einen Beigeschmack entwickeln, der Demokratie und Freiheit sogar gefährdet. Im großen Singular, im Kollektiv des Volkes drohen die Individuen und ihre Rechte unterzugehen. Die Nazis spitzten das in dem Satz zu: «Du bist nichts, dein Volk ist alles». Der von Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) idealisierte «allgemeine Wille» des Volkes, die volonté générale, sollte etwas Höheres sein als die Interessen der Einzelnen. Eine so verstandene Volkssouveränität kann die Rechte von Minderheiten gefährden. Bei Carl Schmitt (1888-1985), einem deutschen Vordenker des NS-Staates, war es nur ein kleiner Schritt von der emphatischen Beschwörung des Volkes zur Begründung einer Diktatur: Der Führerwillen drückte den Willen des Volkes eben am besten aus, und souverän war für Schmitt, «wer über den Ausnahmezustand entscheidet».
Das Grundgesetz der Bundesrepublik hat dennoch an der Volkssouveränität festgehalten, nicht nur im Artikel 20, sondern auch in seinem Verständnis der Abgeordneten des Bundestags, die - jede(r) Einzelne von ihnen - «Vertreter des ganzen Volkes» sind (Art. 38, Abs. 1, Satz 2), keineswegs nur der Bevölkerung ihres Wahlkreises oder der Wähler ihrer Partei. Gleichwohl stößt diese Begründung der Demokratie gerade in Deutschland, teils aus historischen Gründen, immer wieder auf Skepsis. Grundrechte, Rechtsstaatlichkeit, Minderheitenschutz: Dieser liberale Anteil darf nicht an den Rand gedrängt werden. Das gilt zum Beispiel gegenüber Populisten, die sich für Fremdenhass oder Vorurteile auf den Willen des Volkes berufen. Demokratie bleibt fundamental immer die Herrschaft (oder: Selbstregierung) des Volkes. Aber man kann das auch anders verankern als in der Volkssouveränität, zum Beispiel in den Rechten von Staatsbürgern oder in demokratischen Verfahrensregeln und Institutionen.
13. Warum unterscheidet man in der Politik rechts und links? Politische Positionen fügen sich zu Weltbildern zusammen. Wer zur Zeit der Französischen Revolution gegen die Monarchie war, hielt meist auch wenig von adligen und kirchlichen Vorrechten, votierte für Pressefreiheit und für staatliche Unterstützung notleidender Arbeiter. Hier stammt die Unterscheidung von rechts und links auch her: In der Nationalversammlung von 1791 saßen die Königstreuen, die Anhänger des alten Regimes oder moderaten Reformer, vom Präsidium bzw. «Kopf» des Sitzungssaales aus gesehen, rechts. Die Gegner der Ständegesellschaft, die Anhänger bürgerlicher Freiheit und Gleichheit nahmen auf der linken Seite ihre Plätze ein, wenig später dann erst recht die Republikaner, die Jakobiner, die Kämpfer für radikale soziale Gleichheit. Auch deutsche Parlamente haben diese parlamentarische Sitzordnung übernommen; sie gilt bis heute - im Prinzip - auch für den Deutschen Bundestag. Aus der Sicht des Präsidiums sitzt die CDU/CSU-Fraktion rechts, die SPD-Fraktion links, noch links von ihr die Fraktion der «Linken» - hier ist das metaphorische Kurzwort sogar unmittelbar zum Parteinamen geworden. In der Mitte Bündnis 90/Die Grünen: Da bildet die Sitzordnung das politische Selbstverständnis nicht mehr ohne weiteres ab.
Man kann das...
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