6.
Nervös schob Mary den Reitzylinder mit dem schwarzen Netzschleier auf meinem Kopf zurecht. Mein geflochtener Zopf wurde seitlich zu einem Dutt festgesteckt, der dem Zylinder Halt verlieh.
Diesmal vorbildlich in einen an einer Seite eng anliegenden schwarzen Reitrock gekleidet, schloss ich mich verspätet der Jagdgesellschaft an. Zu dem langen Rock trug ich eine weiße hochgeschlossene Bluse und ein schwarzes langes Reitjackett.
Bereit für die Jagd liefen im Hof kleine und große Hunde umher und jaulten. Hercules galt als das prächtigste aller Pferde. Sein tiefschwarzes Fell glänzte wie Seide in der Vormittagssonne. Er war aber nicht die einzige Wohltat für meine Augen.
Ted stand in seiner tadellosen Uniform neben dem Pferd. Zu seiner sandbraunen Hose trug er diesmal ein helles Baumwollhemd mit einer grünen Weste. Seine widerspenstigen blonden Strähnen hatte er sorgfältig zur Seite gekämmt. Er lächelte. Sein Blick fing sofort meinen ein. »Guten Tag, Lady Amelie!«
Ich trat auf die hölzerne Aufstiegshilfe, und er hielt mir seine Hand entgegen. Seine Finger berührten meine nur durch die Lederhandschuhe, doch ich erzitterte unter der Berührung.
Nachdem mein Vater die Teilnehmer herzlich willkommen geheißen hatte, ritten wir hinter der bunten Hundeschar los.
Bis die Damen den Herren den Vortritt ließen und in einem gemütlichen Tempo der Jagdgesellschaft folgten, hielt ich auf Hercules mit den Männern Schritt. Was hätte ich für eine gemütliche Reithose gegeben.
Hercules galoppierte ganz vorn durch die Wiese, als plötzlich ein umgestürzter Baum den Weg versperrte. Zum Anhalten blieb mir keine Zeit mehr. Nach einem flotten Schrittwechsel stemmte Hercules kurz vor dem Hindernis seine Hinterhufe energisch gegen den Boden und sprang mit einem großen Satz über den Baumstamm.
Verzweifelt suchte ich mit meinem Fuß im Steigbügel Halt. Doch der Sattelgurt löste sich während des Sprunges. Instinktiv griff ich nach der Pferdemähne, als ich samt Sattel seitlich vom Pferderücken rutschte. Mit meiner ganzen Kraft zog ich mich wieder hoch, aber der Sattel landete im Unterholz. Rittlings saß ich nun auf dem Pferderücken und hielt die Zügel wieder in der Hand. Erleichtert brachte ich Hercules zum Schritt.
Lord Davington tauchte mit seinem Pferd unerwartet neben mir auf. »Lady Amelie, warum überlassen Sie nicht den Gentlemen das Springen? Eine Lady sollte gemütlich hinter der Jagdgesellschaft reiten und sich nicht mit Männern messen.« Er lächelte selbstzufrieden.
»Warum sollte eine Frau nicht genauso gut reiten können wie ein Mann?«, fragte ich spöttisch.
»Weil Jagen eben ein Vergnügen für Herren ist. Damen sollten nicht aktiv an der Jagd teilnehmen.«
»Lord Davington, vielleicht ist Ihnen entgangen, dass ich es war, die Sie nicht einholen konnten«, erwiderte ich stolz.
»Ja, aber nur, weil Sie nun mal das schnellste Pferd reiten. Was für eine Verschwendung für dieses Prachttier.« Er schüttelte seinen Kopf.
Der Mann war mindestens zwanzig Jahre älter als ich, aber nicht sein Aussehen machte ihn so abstoßend. Sicherlich sorgte seine arrogante Art dafür, dass er noch immer Junggeselle war.
»Welche Verschwendung, Lord Davington?« Ich war aufgewühlt, aber ich hatte meinem Vater versprochen, dass ich das Geschäft mit meinem Verhalten nicht gefährden würde.
»Dieser Hengst gehört auf die Rennbahn. Er ist kein Spielzeug für junge Damen, die kaum einen Sprung bewältigen können.«
Meine Wut gegenüber diesem unangenehmen Mann drohte überzukochen. »Ich denke, den Sprung habe ich wohl bewältigt, und das ganz ohne die Vorteile eines Herrensattels«, teilte ich ihm selbstsicher mit.
Da mich seine Worte keineswegs eingeschüchtert hatten, wechselte er offenbar seine Strategie, um mich loszuwerden. »Sie sollten lieber schnell zurück nach Brightlead reiten. Es ist nicht sehr damenhaft, wie Sie gerade auf dem Pferd sitzen.« Seine Stimme klang missbilligend.
»Sie haben recht, Lord Davington! Es wäre schrecklich, wenn mich die feine Gesellschaft im Spreizsitz reiten sieht. Nie würde ich eine solche Schande über meine Familie bringen.« Ich lächelte aufgesetzt.
»Ich freue mich, Sie später am Abend zu sehen«, rief er beim Davongaloppieren über seine Schulter.
»Gewiss. Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen«, murmelte ich vor mich hin. Im Hintergrund hörte ich die Geräusche der anderen Pferdehufe auf dem Boden. Weil ich Vaters Ansehen in keiner Weise gefährden wollte, bog ich rechts ab und begab mich auf den Weg zurück nach Brightlead.
Meine Kopfbedeckung, die ohnehin nur mit einer Haarnadel in meinen offenen Haaren befestigt gewesen war, hatte ich schon auf dem Weg verloren. Wahrscheinlich war das der Grund, dass Ted, statt mich zu begrüßen, in lautes Gelächter ausbrach.
»Ihre Jagd scheint erfolglos verlaufen zu sein, Lady Livsey«, verspottete er mich.
»Mister Gillies, Sie amüsieren sich ja prächtig auf meine Kosten.«
Er kam einen Schritt näher und bemerkte offenbar, dass der Sattel vom Pferd fehlte. Auf einmal wirkte er besorgt.
»Was ist passiert, Amelie? Bist du verletzt? Wo ist dein Sattel?«
»Es ist sehr nett, dass du dir meinetwegen Sorgen machst. Wie du sehen kannst, geht es mir aber blendend. Aber den Sattel werden wir wohl bei der Kreuzung nach Dailyville abholen müssen.« Entschuldigend zuckte ich mit den Schultern.
Ted lächelte mich an und griff nach dem Zügel. Er stand so dicht bei Hercules, dass mir der Platz zum Absteigen fehlte. Ted blickte flüchtig herum, legte seine Hände an meine Taille und hob mich mit Leichtigkeit runter. Er zog meinen Körper eng an seinen und ließ mich langsam auf den Boden sinken. Ich versank in seinen strahlend blauen Augen.
Diesmal wandte ich meinen Blick nicht ab. Seinen Körper an meinem zu spüren, rief erneut diese unbekannte, doch sehr angenehme Wärme hervor. Er konnte bestimmt fühlen, wie heftig mein Herz gegen meinen Brustkorb hämmerte. Ted atmete schnell und laut, dann aber löste er plötzlich seine Hände von mir und eilte mit Hercules in den Stall.
Erstarrt blieb ich einige Sekunden lang im Hof stehen, aber schließlich folgte ich ihnen. Das Klappern meiner Stiefelabsätze verriet mich sicherlich sofort. Aufgewühlt stürmte ich zwischen den roten Backsteinmauern der Stallgasse zu Ted. Die Pferdeköpfe, die sich über die grün bemalten Boxentüren reckten, nahm ich kaum wahr.
Er band Hercules bereits am Eisenring an, um ihn leichter putzen und striegeln zu können.
Ich eilte in die Box. »Ted Gillies! Es war das zweite Mal, dass du mich einfach stehen gelassen hast. Warum benimmst du dich so merkwürdig?« Meine Stimme überschlug sich.
Er würdigte mich keines Blickes und tat beschäftigt.
Ich schritt zu ihm und riss ihm die Pferdebürste aus der Hand. »Und jetzt antworte mir! Warum?«
»Weil ich nicht leiden will!«, sagte Ted kaum hörbar.
»Du willst nicht leiden? So schlimm ist es also in meiner Nähe?« Tränen sammelten sich in meinen Augen.
»Sei nicht albern, Amelie! Mir ist es nicht erlaubt, mich in deiner Gesellschaft wohlzufühlen.« Diesmal wurde Ted laut.
Ich überlegte erst, wie ich kontern konnte, doch schließlich wechselte ich die Taktik. Mit einem großen Schritt gelangte ich so nah an ihn heran, dass unsere Körper sich beinahe berührten. Langsam hob ich meinen Kopf und blickte in Teds hell funkelnde Augen.
Er regte sich kaum, obwohl ich seine Erregung spürte. Instinktiv schmiegte ich meinen Körper an seinen und flüsterte ihm ins Ohr: »Aber ich erlaube es dir!« Meine Lippen streiften sanft seine Wange, während ich sprach.
Ted atmete einige Male tief ein und aus, griff nach meiner Taille und zog mich enger an sich, ehe ein raubtierhaftes Knurren seine Lippen verließ. Dann drückte er sich mir entgegen und zwang mich mit seinem Körper einen Schritt zurück.
Mein Atem raste, als ich zwischen den harten, kalten Steinen der Mauer und Teds warmem, muskulösem Körper gefangen war. Seine Lippen berührten sanft meine. Mein Herz schlug so heftig, dass es sich förmlich anfühlte, als würde es meinen Brustkorb verlassen. Ted drückte seinen Mund fester auf meinen, und ich schloss die Augen. Als ich seine Zunge zwischen meinen Lippen spürte, schlug ich erschrocken die Augen wieder auf.
Ted wich zurück. »Wurdest du noch nie geküsst?«
»Natürlich nicht! Was denkst du von mir?«
Er löste seine Hände von mir und trat einen Schritt zurück.
»Amelie, es ist besser, wenn du jetzt gehst!« Seine Stimme klang kühl.
»Ich will aber nicht!« Bevor er etwas erwidern konnte, presste ich meine Lippen auf seine und zog ihn zu mir zurück.
Seine Zunge bat erneut um Einlass, was ich ihr sofort gewährte. Er rieb seinen Unterleib grob an meinem. Selbst durch die vielen Schichten meines Kleides konnte ich seine Erregung spüren. Hitze durchflutete mich, während sich mein Unterleib zusammenzog. Die Spannung in meinem Körper ließ mich leise aufstöhnen. Sein Kuss wurde fordernder, genauso wie seine Bewegungen.
»Oh, Amelie!«, hauchte er.
Mir war fast schwindelig vor Lust. Schritte hallten in den Stallungen. Schwer atmend löste sich Ted von mir und...