2. Divertissements hongrois
Inhaltsverzeichnis Stets wird uns das Wirken des künstlerischen Genius ein zur schweigenden Verehrung zwingendes Räthsel, wie das unbegreiflich schaffende Zeugen der Natur selbst bleiben, von dem es schon nach seinem Namen ein Theil und redendes Abbild ist.
Hingerissenheit des ganzen Innern und wieder heimliches Schaudern vor der dunklen Macht, die wie Natur selbst nicht gut noch böse kennt, wonnevolles Schwelgen in einem Meer von Licht, als beleuchte der erste Schöpfungsmorgen die unermeßliche Fülle seiner Gebilde, und wieder Schrecken und Grauen vor dem Ueberwältigenden dieser Unermeßlichkeit und dunklen Tiefe der zeugenden Urmacht, - mit solchen wechselnden Empfindungen erfüllt uns jede wahrhaft geniale Schaffenskraft, zumal in der Musik, wo uns diese mit Sinnen unfaßbare innere Weltpotenz, die endlos zerstörend schafft und schaffend zerstört, fast von Angesicht zu Angesicht gegenüber tritt.
Woher kommt diesem einzelnen Individuum da eine Macht, die Millionen Herzen bändigt und Jahrhunderten Gesetze der Anschauung und Empfindung dictirt, ja die Grenzen der Schöpfung selbst zu erweitern scheint, indem sie Gebilde und Gestalten schafft, die vorher nicht vorhanden waren? Oder ist's nicht so mit diesen Gestalten der tragischen Dichtung? Leben sie nicht gleich der Antike neben und sogar über der Menschheit ein unvergängliches Leben? Geben uns diese Melodien Mozarts und Beethovens nicht ein ganz neues, anderes Gesicht unseres Geschlechts selbst und baut nicht der ungeheure Leipziger Cantor Sebastian Bach in bloßen Tönen Dome auf, die den Plan des geordneten Weltganzen, das wir Kosmos nennen, im frei überschaulichen Bilde den Sinnen selbst faßbar als das Gotteshaus eines Ewigen darstellen?
Woher kommt, wiederholen wir, dieses unbegreifliche Vermögen, ein Können, dem wir schier das Unerhörte und Unmögliche zutrauen? Ist's Zufall der Naturbegabung, ist's geheimnisvoll innere Verbindung mit Mächten, die der gewohnten Sinnesauffassung entgehen und in Zeit und Raum eine Ausdehnung und Wirkung haben, der wir uns eben mit bewußter Absicht erinnern müssen, um die auserwählten Kinder ihrer unermessenen Schaffenskraft zu begreifen?
Dem dichterischen Genius muß eine unabsehbare Weite der Entwicklung alles höheren geistigen Erschauens vorangehen, ehe er die Strahlen zu einem vollen neuen Sonnenleben der Welt zu sammeln vermag: Homer und Sophokles wie Shakespeare und Goethe setzen für ihr überragendes Schaffen eine ganze Weltperiode der Menschheitsbilduug voraus, und Beethoven wußte wohl, was er sagte, wenn er in einem Briefe an Bettina den großen d. h. den wahren Dichter das »kostbarste Kleinod einer Nation« nennt. Die höchste Steigerung der plastischen Anschauung in Verbindung mit äußerster Steigerung jeder technischen Geschicklichkeit durch lange Geschlechter begründete endlich die Möglichkeit der Erscheinung eines Phidias, eines Rafael. Und wer jenen großen Musikbaumeister Sebastian Bach völlig erfaßt hat, der blickt von einer wahren Menschheitshöhe auf ganze Generationen von Geistern hinab, die jene andere Welt lebten und dachten, wo aus bloßen ätherischen Tonschwingungen die ganze Schöpfung sich zu wiederholen scheint, nein eine Schöpfung bildet, die durchaus nichts mit der übrigen Welt zu thun hat und nach der kühnen Hypothese des Philosophen am Ende wohl gar ohne sie und die Welt überhaupt vorhanden sein könnte!
Und Mozart? Wähnt man ein Dasein, in dem es wie Rosen und Veilchen des zartesten innersten Gemüthslebens blüht, es könne vorhanden sein, ohne daß ebenfalls in unendlicher Weite und unsagbarer Tiefe sich eben jene Regionen der Menschenbrust zur vollen Blüte entwickelt haben, aus denen das fließt, was wir »Melodie« nennen und in dem die ewige Schaffenskraft sich ebenso zum innern Daseinsbewußtsein bringt, wie die Vernunft in Begriff und Wort? Dann Beethoven! Eine ganze tief verborgene, von aller weitläufigen Bildung weit abliegende dämonische Macht des Willens und der Begeisterung zugleich mußte vorausgegangen sein, ehe eine solche Erscheinung hervortreten und wie ein neues Sonnensystem an das scheinbar bereits abgeschlossene Firmament treten konnte. Und hätten wir nicht aus fernsten und vor aller Cultur liegenden Weltaltern Spuren dieses höchsten Mannesgeistes - könnten wir nicht Thaten, besäßen wir nicht die sie besingenden Lieder dieser unserer gewaltigen Urahnen, - aus der bisher gekannten und beachteten »Bildung« wäre eine Erscheinung wie dieser Beethoven gar nicht zu begreifen. Aber wie er aus diesem urgermanischen Niederdeutschland abstammt, so ersteht in ihm der ungebändigte Heldengeist früherer Weltalter wieder, der diese Stämme in den Kämpfen mit jeder fremden Volksart selbstständig erhielt und sie befähigte, der Welt selbst eine neue und höhere Cultur bereiten zu helfen.
Von einer gleichen überwältigenden Künstlererscheinung haben wir jetzt erst ein weiteres Stückchen Herkunft und Leben zu berichten, das noch näher auf die Spuren seines Wunderwirkens leitet und durch Erkenntnis der inneren Verbindung mit den geheimnisvoll zeugenden Mächten der Natur auch dem Verstande glaubhaft herstellt, was den empfangenden Sinnen durchaus nicht erst erklärt zu werden braucht, wo es ihnen irgend durch des Meisters Spiel und Schaffen selbst lebendig vor Augen gebracht wird.
Da steht wieder in der » Revue et gazzette musicale de Paris« und zwar im Jahre 1838 ein Brief von ihm, der das erste Wiedersehen seiner ungarischen Heimat schildert. Aus ihm erfahren wir, was auch diesem Geiste, der durch seine kosmopolitische Kunst wie durch seine seltene internationale Bildung alles Bedürfnis irgend einer nationalen Sonderexistenz überwunden zu haben schien, dennoch diese seine Heimat gewesen und geblieben ist.
Vor ungefähr fünfzehn Jahren, so heißt es hier, es war jedoch im Jahre 1821, also vielmehr siebzehn Jahrs vorher, habe der Vater sein friedliches Dach verlassen, um mit ihm in die Welt zu ziehen und die »prunklose Freiheit des Landlebens« mit der glänzenden Laufbahn eines Künstlers zu vertauschen, und Frankreich sei demselben bald als die geeignetste Sphäre für die Ausbildung des Genius erschienen, wie er »in seinem einfältigen Stolze« des Sohnes musikalische Anlagen genannt. Nun schildert er auf das anschaulichste die wichtige Epoche vom fünfzehnten bis zum fünfundzwanzigsten Lebensjahre, die er in Paris verlebt und die ihn vorzeitig seine Heimat habe vergessen und Frankreich als Vaterland ansehen lassen. »Menschen, Dinge, Begebenheiten, Orte wirken mächtig auf seine Einbildungskraft,« sagt er geistreich genug von solch einem jungen Manne von zwanzig Jahren, »von seinem Herzen schießen eine Menge Strahlen aus, er ist beherrscht von einer so unbedingten Nothwendigkeit zu lieben, daß er allem, was sich ihm naht, ein Theilchen seines Ichs hingiebt. Vom Tumult seiner eigenen Gefühle beunruhigt, lebt er nicht wirklich, sondern strebt nur zu lauter Leben. Er ist ganz Neugier, Wunsch, unruhiges Verlangen; eine fortwährende Ebbe und Flut der widersprechendsten Empfindungen wogt in ihm, er erschöpft sich in einem Labyrinth ungeordneter Wünsche und Leidenschaften, alles Einfache, Leichte, Natürliche kann er nur mitleidig belächeln. Er überschreitet allüberall die Grenze, sucht übermüthig Hindernisse aus, und das Gute, das er wirken könnte, die Gefühle, die ihn beseligen könnten, werden von ihm kaum für Werth gehalten. Mit einem Wort, er wird unbarmherzig von diesem Stachel der Jugend gequält?«
Diese Zeit des hitzigen Fiebers, der verschwendeten Kraft, der energischen aber verkehrten Lebensfülle habe er auf Frankreichs Boden verlebt, derselbe Boden habe die Überreste seines Vaters aufgenommen, dort sei sein Grab, die geheiligte Stätte seines ersten Schmerzes: »wie sollte ich mich nicht für das Kind eines Landes ansehen, in dem ich so viel gelitten, so viel geliebt hatte!«
Und doch, es giebt noch eine tiefere Heimat als solche der ersten persönlichen Erlebnisse und geistigen Mittheilung, die Stätte unserer Geburt und frühesten Sinnen- und Empfindungseindrücke. »Ein Zufall weckte mit einemmale das Gefühl, das ich für erloschen hielt, während es nur geschlummert hatte,« sagt er von diesem Heimatsgefühl. Er las eines Morgens in Venedig die Beschreibung des Unheils, das durch Ueberschwemmung über die Hauptstadt seines engeren Vaterlandes gekommen war. »Tief rührte mich solcher Jammer und lebhaft stieg in mir das Verlangen auf, den Unglücklichen zu helfen,« sagt er. »Wie aber sollte ich helfen, der ich weder die Mittel besitze, die das Geld, noch den Einfluß, den die Macht giebt? Gut! dachte ich, du findest keine Ruhe des Herzens, keinen Schlaf der Augen, ehe du nicht dein Scherflein zur Linderung so großer Noth beigetragen. Der Himmel wird den Pfennig des Künstlers ebenso segnen wie das Gold des Millionärs.«
In solcher Empfindung sei ihm plötzlich der Sinn des Wortes »Vaterland« lebendig geworden: »Ich ging in der Erinnerung in die Vergangenheit zurück, that einen Blick in mein Inneres und entdeckte mit einem unaussprechlichen Entzücken rein und unbefleckt den ganzen Schatz der Erinnerungen aus der Kindheit.«
Und jetzt folgt die Beschreibung seines Geburtsortes Raiding und vor allem ein herzenswarmes Lob Ungarns und seiner Bewohner. Zu diesen letzteren aber gehören als alter Bestand eben jene Zigeuner, das äußerlich verstreuteste und verkommenste aller Völker der Erde und doch ein zusammengehöriges Volk und gar eines, das neben allen andern Völkern einen wirklichen Eigenbesitz hat und ihn der Welt als seinen Beitrag zu der großen einigen Menschencultur geschenkt hat, die Zigeunermusik.
Dieser junge Liszt Ferencz war auch Musiker, war...