Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Bitte beachten Sie
Am Freitag, 03.10.2025 und am Sonntag, 05.10.2025 finden bei unserem externen E-Book Dienstleister jeweils zwischen 9.00 und 15.00 Uhr Wartungsarbeiten statt. Daher bitten wir Sie Ihre E-Book Bestellung außerhalb dieses Zeitraums durchzuführen. Möglicherweise kann die Zustellung des Download-Links auch außerhalb der Wartungsarbeiten an diesen Tagen zeitverzögert sein. Wir bitten um Ihr Verständnis. Bei Problemen und Rückfragen kontaktieren Sie gerne unseren Schweitzer Fachinformationen E-Book Support, der Ihnen am Montag, 06.10.2025 dann auf Ihre Nachricht antworten wird.
Es war noch nicht Sommer, die Dreißig-Grad-Marke aber schon erreicht. Alles deutete auf endlose heiße Monate bis weit in den September hin, wie auch in den vergangenen Jahren. Isabel Keppler lebte im Keller und sah dem gelassen entgegen. Wenigstens ein Vorteil der Souterrainwohnung. Um eine solche Wohnung würden sich bald alle reißen.
Die Zwanzigtausend hatte sie natürlich längst ausgegeben. Zwanzigtausend, das hielt ja nicht ewig. Und das Leben kostete. Selbst in einer schäbigen Souterrainwohnung, ohne Urlaube dreimal im Jahr, ständig neue Klamotten und ohne teure Hobbys kostete das Leben. Isabel hatte sich von dem Geld ein paar Möbel geleistet, weil ihr die Sperrmülleinrichtung, in der sie hauste, zunehmend auf die Nerven gegangen war, erstens, und weil sie fand, zweitens, dass man mit Anfang vierzig langsam erwachsen war und folglich erwachsene Möbel brauchte. Außerdem hatte sie einen ihrer beiden Jobs verloren. So war es nicht nur ihr, sondern vielen ergangen. Die Zwanzigtausend waren nach und nach zusammengeschrumpft, bis nur noch ein kümmerlicher Rest übrig war.
Seit damals hatte Isabel nicht mehr versucht, ihn anzuzapfen, obwohl es sich anbot und sie außerdem eine entschiedene Befürworterin von Umverteilung war. Ein paar tausend mehr oder weniger wären ihm gar nicht aufgefallen. Das Ganze lag nun fast zwei Jahre zurück, und seither war so viel passiert. Oder auch nicht passiert, je nachdem, wie man es betrachtete. Der Verlust des einen Jobs war zu verschmerzen, da Isabel überraschend einen anderen gefunden hatte, zwar nur befristet, aber immerhin. Im Übrigen war sie erleichtert, die früheren Kollegen nicht mehr sehen zu müssen.
Natürlich hatte sie darüber nachgedacht, noch mehr aus ihm herauszupressen. Er hatte genug Geld, er prahlte damit, und nachdem Isabels anfängliche Freude einer gewissen Selbstverständlichkeit gewichen war - Das steht mir zu -, waren ihr zwanzigtausend plötzlich recht bescheiden vorgekommen. Sie hatte mehr verdient. Eindeutig. Aber das Leben ging weiter, sogar jetzt, das Leben ging immer irgendwie weiter, und schließlich vergaß sie die Angelegenheit. Oder besser gesagt, Isabel hätte sie vergessen, wären nicht seine Nachrichten gewesen, die sie in unregelmäßigen Abständen erreichten.
Er hatte das Ganze nämlich offenbar nicht vergessen. Er rief sich ihr ins Gedächtnis, nicht umgekehrt. Dabei achtete er darauf, weder zu telefonieren noch elektronische Mitteilungen zu versenden. Stattdessen verwendete er Papier und einen dicken schwarzen Filzstift. Große Buchstaben. Jeder Buchstabe wie ein schreiendes Ausrufezeichen. Wahrscheinlich trug er sogar Handschuhe, wenn er diese Botschaften verfasste, und kam sich dabei besonders clever vor. Er hielt sich sowieso für oberschlau. Für einen Macher, der alles im Griff und unter Kontrolle hatte. Isabel fragte sich, wieso er die Mühe auf sich nahm, quer durch die Stadt von Pankow zu ihr nach Kreuzberg zu fahren, und ob er nichts Besseres zu tun hatte. Er verschickte seine Nachrichten nicht mit der Post, sondern stellte sie persönlich zu und drapierte sie entweder an einem ihrer Fenster oder der Wohnungstür. Sie hatte seit damals keine weiteren Forderungen mehr gestellt, er hätte sich also keine Sorgen machen müssen. Doch er machte sich welche. Seine Angst musste groß sein. Ob er befürchtete, dass sie bei ihm zu Hause anrief, wenn seine Frau an den Apparat ging? Ob er jeden Tag zitterte? Wenn dem so war, konnte Isabel ihm diesen Gefallen eigentlich auch tun und ihn erlösen. Noch einmal zwanzigtausend wären angemessen, fand sie. Oder sollte sie diesmal höhergehen?
Sie könnte ihm eine E-Mail schicken. Nein, besser nicht, das wurde ja sonst wo und auf ewig gespeichert und wäre zurückzuverfolgen. Also ein Anruf. Hallo, wir haben ja lange nichts mehr voneinander gehört, wie ist es Ihnen denn mit Corona ergangen, alles in Ordnung mit Ihrer Frau und Ihren beiden entzückenden Töchtern? Alle wohlauf? Herr Baumann, die Sache ist die, einer meiner beiden Jobs läuft diesen Herbst aus, und dann brauche ich Geld. Sie verstehen schon.
Isabels Lust, mit Matthias Baumann zu reden, hielt sich allerdings in Grenzen. Sie hatte seit fast zwei Jahren kein Wort mehr mit ihm gewechselt. Sie war auch nicht zur Polizei gegangen, obwohl sie es sich eine Weile fest vorgenommen hatte. Doch den Weg dorthin hatte sie sich selbst verbaut. Wie hätte sie denen die Zwanzigtausend erklären sollen? Wie dumm, wie ausgesprochen dumm, dass sie sich das Geld aufs Konto hatte überweisen lassen, statt gutes, altmodisches Bargeld zu verlangen. Beim nächsten Mal würde sie es anders machen.
Es war noch nicht Sommer, die Dreißig-Grad-Marke aber schon erreicht. In Berlin und Brandenburg hatte es gefühlt seit Jahren nicht mehr geregnet. Jeder Strauch in der Stadt war verdorrt, jeder Grashalm, und die Bäume, die oft frühzeitig ihre Blätter abwarfen, manche auch ihre Rinde oder sogar einzelne Äste, ächzten. Bald wären Ventilatoren wieder überall ausverkauft, die Leute würden zunehmend gereizt, was sich bereits jetzt andeutete, und Abkühlung gäbe es nicht einmal nachts. Ein Hoch auf die Souterrainwohnung. Bei einer Flutkatastrophe hätte Isabel im Keller allerdings schlechte Karten gehabt.
Es fühlte sich an wie eine Fortsetzung. Isabel mochte eigentlich keine Fortsetzungen. Doch bis auf die gebrochene Nase vor zwei Jahren war alles gut gegangen. Und auch diesmal würde es gut gehen. Sie war auf der sicheren Seite. In den zurückliegenden Wintermonaten hatte Matthias Baumann im Abstand von wenigen Wochen zweimal vor ihrem Fenster gehockt und von dort ins Innere der Wohnung gestarrt. Zwei Male, von denen sie wusste. Vielleicht ja noch viel öfter und sie hatte davon bloß nichts mitbekommen. Er hatte nicht an der Tür geklingelt und seinen Besuch natürlich nicht vorher angekündigt. Er wollte nicht mit ihr reden. Er wollte ihr Angst machen. Sie in Schach halten. Sie kleinkriegen. Am liebsten vermutlich endgültig aus dem Weg räumen. Die vor die Fenster oder an die Tür geklebten Filzstift-Nachrichten in Versalien hielt er wohl nicht mehr für ausreichend. Er war immer erst sehr spät gekommen. Wegen der Einschränkungen waren die Straßen in den späten Abendstunden wie ausgestorben - geschlossene Bars, kein Nachtleben, gähnende Leere, vorbeifahrende Busse ohne Fahrgäste. Die Leute verließen ihre Wohnungen nicht, und niemandem fiel sein eigenartiges Treiben auf. Wie bei vielen Souterrainwohnungen waren auch bei Isabel Gitter vor den beiden zur Straße liegenden Fenstern angebracht. Ein Gefühl von Sicherheit - niemand konnte durchs Fenster in die Wohnung steigen - und zugleich das von Knast. Ging man auf dem Gehweg an ihren Fenstern vorbei, konnte man, selbst bei offenen Vorhängen und innen eingeschaltetem Licht, nur einen schmalen Streifen des unten liegenden Zimmers erkennen. Isabel hatte es ausprobiert. Um weit in die Tiefe zu blicken, musste man sich nach unten beugen und direkt am Fenstergitter kleben. So wie Baumann es getan hatte. Isabel hatte im Bett gelegen - das Schlafzimmer befand sich im rückwärtigen Teil der Wohnung -, festgestellt, dass vorne noch Licht brannte, und war aufgestanden, um es zu löschen. Kurz bevor sie das Licht ausschaltete und ihr Blick dabei in Richtung Fenster fiel, vielleicht, weil sie eine Bewegung wahrgenommen hatte, sah sie das bleiche Gesicht mit den starrenden Augen.
Isabel Keppler war nicht der ängstliche Typ. Im Gegenteil. An diesem Abend jedoch hatte sie sofort alle Lichter gelöscht und war dann fluchtartig zurück ins Schlafzimmer geeilt. Sie hatte die halbe Nacht wach gelegen. Teils, weil sie befürchtete, dass er auf irgendeine Weise versuchen würde, bei ihr einzubrechen, oder dass er am nächsten Morgen, wenn sie zur Arbeit musste, immer noch dort stand - vor allem aber aus Wut über sich selbst, weil sie sich einschüchtern ließ.
Beim zweiten Mal, einige Wochen später, hatte Isabel auf ihrem neu gekauften Sessel ferngesehen, bis sie irgendwann aus dem Augenwinkel einen Schatten bemerkte. An Schatten vor dem Fenster war sie gewöhnt. Sie verzichtete meistens darauf, die Vorhänge zu schließen. Sollten die Leute doch in ihr Zimmer glotzen, wenn sie wollten, das war ihr egal. Mit diesem Schatten verhielt es sich aber anders. Er blieb an Ort und Stelle. Schwankte nicht grölend und biertrunken weiter. Fluchte und brüllte nicht herum, beschimpfte keine realen oder eingebildeten Personen, ließ sich nicht über sein kleines Scheißleben aus und wie böse man ihm mitspielte. Statt sich zu entfernen, wurde der Schatten größer. Zuerst noch diffus, verdichtete er sich zu einer Gestalt und schließlich zu einem Gesicht. Ein Gesicht, das sie kannte. Matthias Baumann. Wie eine riesige Kröte hockte er vor Isabels Fenster, umfasste mit einer Hand das Gitter und hielt in der anderen etwas, das auf sie gerichtet war.
Baumann war nicht zimperlich, wie sie wusste. Zwei Jahre zuvor hatte er Isabel nachts im Viktoriapark die Nase gebrochen. Ihre Nase war wieder verheilt, seitdem aber leicht schief. Ein Andenken an jene Nacht bei jedem Blick in den Spiegel. Isabel war nicht der ängstliche Typ, aber jetzt hatte sie ein bisschen Angst, wie sie zugeben musste. Wer hätte keine Angst vor dieser riesigen Kröte gehabt, die spätabends vor dem Fenster kauerte, dicht ans Gitter gepresst?
Bald konnte sie auch identifizieren, was Baumann in der Hand hielt und auf sie richtete. Eine Pistole. Fast musste sie lachen. Matthias Baumann war Unternehmensberater und braver Familienvater. Seine Familie vermisste ihn so spät am Abend bestimmt schon. Woher sollte er eine Waffe haben? Bestimmt nur eine Attrappe. Schreckschusspistole oder so was. Das hässliche Geräusch, das vor zwei Jahren das Brechen ihres Nasenbeins...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Adobe-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet – also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Adobe-DRM wird hier ein „harter” Kopierschutz verwendet. Wenn die notwendigen Voraussetzungen nicht vorliegen, können Sie das E-Book leider nicht öffnen. Daher müssen Sie bereits vor dem Download Ihre Lese-Hardware vorbereiten.Bitte beachten Sie: Wir empfehlen Ihnen unbedingt nach Installation der Lese-Software diese mit Ihrer persönlichen Adobe-ID zu autorisieren!
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.
Dateiformat: ePUBKopierschutz: ohne DRM (Digital Rights Management)
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet – also für „glatten” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Ein Kopierschutz bzw. Digital Rights Management wird bei diesem E-Book nicht eingesetzt.