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Wenn Sie einmal zufällig mitten über die Piazza della Indipendenza gehen und den Blick nach Norden wenden, sehen Sie ein stattliches Haus, das mit den Schultern der Statue Bettino Ricasolis eine Linie bildet. Das war mein Elternhaus. Dort im ersten Stock bin ich geboren, im letzten Zimmer auf der für den Betrachter rechten Seite. Vielleicht wird eines Tages an dieser Fensterbrüstung, unter dem grauen Gitterladen, eine Ehrentafel für mich angebracht. Ich habe sie schon vorbereitet, um die Nachwelt für alle Fälle auf die rechte Fährte zu setzen. Die Inschrift lautet: »Hier wurde ein hochberühmter Unbekannter geboren, der die Menschheit so einzuschätzen wußte, wie sie es verdiente.«
Am 7. Dezember 1850 erschien ich auf der Welt, und seit jenem Tag ist viel Wasser unter den Brücken des Arno hindurchgeflossen, und viele Dinge haben sich seither verändert. Meine Angehörigen der älteren Generation, die mit mir in diesem Haus lebten, sind alle tot. Den schönen, weiten Platz hat man kleinbürgerlich verengt, indem man schattige Linden anpflanzte. Dann hat man dort zwei Statuen aufgestellt, die eine für Ricasoli, die andere für Peruzzi, um der Nachwelt zu beweisen, wie wenig sich auch große Männer der Lächerlichkeit entziehen können, sogar nach ihrem Tod.
Dieser Bettino, der arme Mensch, mußte also in Gehrock und weißer Krawatte, den Klappzylinder in der ausgestreckten Hand, auf diesen Sockel klettern, als Synthese all der grausamen Scherze, die man mit dem Andenken eines Ehrenmannes treiben kann. Wenn einmal niemand mehr wissen wird, was ein Chapeau claque ist, was werden dann in fernen Zeiten die Archäologen für phantastische Theorien aufstellen, um zu erklären, was jener runde Gegenstand gewesen sein mag, den die Statue in der Hand hält.
Nein, kein Hut, werden sie sagen, denn platt wie er ist, kann man ihn nicht aufsetzen. Wer wird auch den verborgenen Klappmechanismus vermuten können?...
Der eine wird behaupten, es handle sich um die symbolische Krone der Toskana, die Bettino Ricasoli, Baron von Trappola, der Markgräfin Mathilde darreicht. Die alte Geschichte wurde immer so gelehrt. Aber, wird ein anderer entgegnen, es fehlen die Edelsteine, die Halbkugeln, also ist es nicht Bettino Ricasoli. Es muß bestimmt ein keltischer Priester sein, der in dieser Schale dem Jupiter das Eingeweideopfer darbringt. Aber hier schweifen wir schon deutlich ab, wird mancher Leser bemerken.
Mein System mag falsch sein, aber wenn ich erzähle, möchte ich erzählen dürfen, wie es mir gefällt. Wenn meine Erzählweise den Leser nicht zufriedenstellt, wenn sie der perfekten Erzähltechnik nicht recht zu entsprechen scheint, dann möge er ruhig aufhören zu lesen, ich nehme es ihm nicht übel. Aber ich will abschweifen, ich will umständlich sein, ja auch langatmig. Ich möchte schreiben, wie es mir gefällt.
Wenn wir uns in diesem Punkt einig sind, können wir fortfahren. Ich stelle Ihnen jetzt alle meine Lieben vor, die das unerbittliche Schicksal mir früher oder später hinwegnahm. Es mag aussehen, als listete ich die Mitglieder einer Schauspieltruppe auf. Das ist wohl nicht die eleganteste Art, aber doch die kürzeste.
Mein Großvater Lino, achtzig Jahre alt, frisch und aufrecht trotz seines Alters, von ruhiger und guter Wesensart, lenkt das Haus nach den soliden Grundsätzen eines alten Edelmanns. Luigia, eine vierundachtzigjährige Schwester seiner Frau, geht täglich im Morgengrauen in die Kirche San Marco und bleibt dort bis elf. Ferdinando, mein Vater, sicher gutmütig, aber nach außen hin streng, hat die fixe Idee, an mir die rigorosen Regeln einer auf die Vernunft gegründeten körperlichen und moralischen Erziehung der Nachkommenschaft zu erproben. Elena, meine Mutter, eine sehr schöne Frau, gesund, kräftig, mit hoher Intelligenz und großem Herzen, nur sechzehn Jahre älter als ich.
Dann Onkel Guglielmo und seine Frau Maddalena; Onkel Cesare und Onkel Niccolò, der jüngste unter den Brüdern; mein Bruder Aldo, fünf Jahre jünger als ich; mein Cousin Carlo, ein Jahr jünger als Aldo, und sein Bruder, noch im Säuglingsalter.
Diener, Mägde, Ammen, ein Koch und ein Kutscher, die eine Welt für sich bilden im Untergeschoß des Hauses und in den Gebäuden hinten im Garten, wo die Remisen sind, mit Zugang von der Via delle Officine.
Zeit der Handlung, wie es auf den Theaterzetteln zu heißen pflegt, ist Anfang des Jahres 1859.
Das Leben in unserem Haus lief, trotz des Herumschwirrens des Dienstpersonals, zumindest in meinen Augen ab wie ein Uhrwerk. Am Morgen gab es für alle ein gemeinsames Frühstück; die Kutsche brachte mich, meinen Bruder und einen Cousin zur Schule; und abends trafen sich alle wieder zur Hauptmahlzeit.
Diese Abendessen bleiben mir unvergeßlich. Meine Onkel waren jung und lustig, und in ihrer Gesellschaft vergaß auch mein Vater die aufgesetzte finstere Miene, die er sich auferlegt hatte, um mich im Zaum zu halten, und alle zusammen führten eine so angenehme Unterhaltung, daß man meinen konnte, es habe auf der Welt nie eine heiterere Tafelrunde gegeben.
Wenn Gäste zum Essen kamen, verschwanden wir Knaben in ein anderes Zimmer, wo mein Bruder Aldo, mein Cousin Carlo und ich allein und gleichsam ohne Zaumzeug waren, so daß ein Essen mit Gästen bedeutete, daß wir am nächsten Morgen ein Abführmittel nehmen mußten, was wiederum einen Tag schulfrei zur Folge hatte.
Aber zu Anfang des Jahres 1859 schlich etwas im Haus umher, das auch mir trotz meiner Unerfahrenheit verdächtig vorkam. Es schien da etwas zu geben, von dem mein Großvater nichts wissen sollte. Mit der größten Vorsicht kamen viele Personen ins Haus, meist durch den Eingang an der Via delle Officine. Wenn wir gerade bei Tisch saßen, flüsterte der Diener Leopoldo dem Onkel Niccolò etwas ins Ohr, woraufhin dieser seine Mahlzeit unterbrach, sich erhob und in einen kleinen Salon am anderen Ende des Hauses eilte.
Wenn der Großvater dann fragte, wer der Störenfried sei, nannten ihm die Onkel irgendeinen Namen, und sobald sie konnten, stahlen auch sie sich einer nach dem anderen davon.
Ich wollte neugierig herausfinden, was vor sich ging, aber vergebens. Denn wenn ich in einer solchen Situation versuchte, das Eßzimmer zu verlassen, nagelte ein finster drohender Blick meines Vaters mich auf meinem Stuhl fest und ließ mich nicht los, ehe die Onkel zurückkamen. Einer von ihnen unterrichtete dann so, daß der Großvater es nicht merken sollte, mit wenigen Worten und fast ohne den Mund zu bewegen meinen Vater über eine Sache, die ich nicht verstand.
Eines Abends, als ich doch einmal der Überwachung hatte entfliehen können, sah ich, wie zwei dieser geheimnisvollen Besucher das Haus verließen. Einer ging in Richtung der Pferdeställe; er war beleibt, sah aus wie ein Verwalter vom Lande und trug einen großen Schlapphut. Der andere ging durch den Haupteingang, wo seine Kutsche auf ihn wartete. Er war schwarz gekleidet, Zylinder, vornehme Haltung, aber mit einem harten, verächtlichen Zug um den Mund, der eingerahmt war von einem zweigeteilten, langen und dünnen und mit Pomade eingeriebenen Schnurrbart und einem spitzen Kinnbart.
Was in aller Welt wollten diese Leute, die mir verdächtig waren? Was hatten diese seltsamen Gestalten in unserem Haus herumzuschnüffeln? Denn schließlich, dachte ich, sind wir doch eine anständige Familie. Aber dieses Sich-Davonstehlen, diese Ausflüchte, diese Zusammenkünfte flößten mir so wenig Vertrauen ein, daß ich, mit einem Schwall hilfloser und konfuser Sätze, meine Mutter unter vier Augen fragte, wer diese vielen verschiedenen Leute seien, die ich bei all dem behutsamen Kommen und Gehen bemerkt hatte.
»Sie entwickeln«, antwortete meine Mutter mit einem leisen Seufzen, »einen Apparat zum Fliegen. Sie wollen sehen, ob sie sich selbst den Hals dabei brechen, und am Ende werden wir auch dran sein.«
Ich war ein gutgläubiger Junge, und die Antwort überzeugte mich. Sie schienen da an einer schönen Erfindung zu arbeiten, und ich war sicher, sie würde ihnen gelingen, so groß war mein Vertrauen in das Wissen und den Verstand der Meinen. Andererseits leuchtete mir der Gedanke, so weit durch die Luft zu fliegen, nicht recht ein. Er machte mir eher Angst, besonders nach einem Experiment, das ich aufgrund reiflicher Überlegung dazu angestellt hatte. Wenn man fliegen will, hatte ich mir gesagt, braucht man unter sich einen Abgrund. Schaut man in eine Pfütze, in der sich der Himmel spiegelt, wird man gleichsam in einen Abgrund hinabgezogen. Überspringt man sie, muß man sich genauso fühlen, als säße man in einem Flugapparat, oder gar noch schlimmer, denn schließlich sieht man da unten in der Pfütze die Unendlichkeit. Bei der nächsten Gelegenheit versuchte ich also, über eine Pfütze zu springen. Aber während ich früher keinen Gedanken darüber verloren hätte, fühlte ich mich nun, nach dem gründlichen Studium des Abgrunds, nicht mehr dazu in der Lage, und das bereitete mir Kummer. Denn wenn ich mich weigern würde zu fliegen, wäre ich dem Tadel und den Neckereien der Onkel ausgesetzt, die tapfere Leute waren. So tapfer, daß Onkel Niccolò am Krieg von 1848 teilgenommen hatte, und Onkel Cesare wäre auch dabeigewesen, wenn er sich nicht beim Aufbruch der toskanischen Freiwilligen in Aulla das Bein gebrochen hätte.
In der kleinen Welt der häuslichen Dienerschaft glühten heiße Leidenschaften; ihre Liebschaften, ihr Haß und ihre Eifersüchteleien blieben auch oben in den herrschaftlichen Räumen nicht ohne Folgen. Der Kutscher war eifersüchtig auf den Koch, wegen eines der Kammermädchen. Um ihn bei seiner Herrschaft in Verruf zu bringen, schnippelte er eines Tages heimlich ein...
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