Schweitzer Fachinformationen
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Die Wirklichkeit, die ich meine, ist nicht ein für alle mal abzuziehen oder abzufüllen und in Tüte, Schachtel oder Wort mitzunehmen. Sie ereignet sich. Sie will verdeutlichend mitgemacht werden und eigentlich mehr als das: Sie muß hergestellt werden, zum Beispiel im Medium der Sprache. Deshalb schreibe ich. Die in der Sprache zustandekommende Wirklichkeit ist die einzige, die ich kenne und anerkenne. Sie gibt mir das Gefühl, vorhanden und einigermaßen in Übereinstimmung zu sein mit dem, was sich insgeheim wirklich tut. Mein Leben, von dem ich annehme, es sei einmal und einmalig, läuft auf diese Weise weniger Gefahr, in blind übernommenen Konventions- oder in irgendwelchen Idealkanälen dahinzufahren oder auf Lebzeit in Untermiete eingelagert zu bleiben. Es setzt sich nicht auf Dienstwegen mit der treibenden Instanz auseinander, sondern empfängt seine Impulse direkt.
Ich schreibe aus einem Lebendigkeits- und Wirklichkeitsanspruch heraus. Große Themen habe ich nicht an den Mann zu bringen oder in die Welt zu setzen. Ich möchte keinerlei Einfluß nehmen mit Geschriebenem, nicht belehren, nicht bekehren, nicht moralisieren, nicht aufrichten, nicht aufbauen, nicht verändern. Herstellen und vielleicht mich bekennen.
Gestern Frisch getroffen: Hatte den Eindruck, daß er zu meinem Begräbnis gekommen war. Er hatte sich einige Tage in Zürich über den »Fall Nizon« informieren lassen, hatte festgestellt, daß ich es fertiggebracht habe, sehr viel Mißgunst, Hohn, Unwillen auf mich zu ziehen. Ich fragte ihn, wie er die jetzige Situation des Canto beurteile. Er meinte, das Buch sei nicht untergegangen, nicht begraben, aber sehr mit Fragezeichen belastet, mit Infragestellung. Mit dieser schweren Belastung sei es vorläufig noch »da«. Warum die Großen unter den Berufskritikern nicht an das Buch herangingen, fragte ich, was seine Meinung sei. Lustlosigkeit, wenig Anreiz, kein Interesse vielleicht, meinte er. Aber das bleibt merkwürdig. Und bisher unerklärt. Keiner der das wirklich Experimentelle darin erkennt, keiner der auf die Sprache, die Sprachexpedition eingeht. Aufs Instrumentarium. Ob sie's nicht sehen? Martin Walser meinte, es sei in dem Buch ein Widerspruch zwischen dem Aufbau, der »spinnend«, unter Verzicht auf Anfang und Ende und jeden Ideal-Zusammenhang und jede Ideal-Rundung, ohne Handlung, ohne solche »Kunst« auskomme und eine äußerste Position der Innovation bezeichne und der Sprache, die gefräßig, schwelgerisch, reich, ungewohnt verspielt sei. Hätte ich ein klar erkennbares Rezept als Aufhänger mitbeigegeben, dann würde es das Buch leichter gehabt haben.
Frisch: An manchen Stellen sei für die meisten Leser einfach kein »Problem« zu erkennen, es bleibe bei einem Privatproblem – überall da, wo kein »Stoff«, keine Anleitung, kein Unterbau mitgeliefert werde. Da, wo das Material für die Problematik, das epische Material dabei sei, aus dem der Canto gewonnen werde, sei's gut. Vielerorts bleibe es in der Privatluft hängen. Vielleicht. Aber ein Sprachbuch. Man nehme mir übel: Arroganz, das durch und durch Unsolidarische, das bis zum Verleumderischen gehe.
Aus Brief an Gerhard Hoehme:
Es sind tatsächlich schwierige Zeiten eben jetzt, ich könnte sie als »Prüfung« bezeichnen. Denn weit über den finanziellen und prestigemäßigen Mißerfolg hinaus hat mir das Buch etwas eingebracht, das man als Animosität empfinden muß. Eine Animosität, die durch den Vorwurf Canto hindurch auf meine Person abzielt. Ich habe vielleicht einiges von der hochgespannten Verlagsstimmung unbewußt assimiliert und also auch manifestiert – wie hätte das anders sein können, wo man mich unter Bedingungen, wie man sie sonst nicht kennt, zum Verlag geholt, beim Verlag behandelt hat und wo man mein Manuskript in einer Weise quittierte, die schöner nicht zu wünschen gewesen wäre: als ein »ganz wichtiges Suhrkamp-Buch«, als »bedeutende Arbeit«, als »echte Dichtung«? Wenn ich mich zurückdenkend befrage, dann scheint's mir schon möglich, daß mir so der »Kamm schwoll«, mehr als er es ohne diese Behandlung getan hätte, und daß ich mich schon selbstverständlich in die Prominenz einreihte (ich wurde ja auch von der Prominenz selbstredend aufgenommen). Ich erwähne das, weil Du mir einen Vorwurf in dieser Richtung machst, wenn Du schreibst, ich habe nur allzu deutlich mein Talent zur Schau getragen. Das war mir allerdings nicht bewußt. Wenn ja, bin ich ganz einfach dem Literaturbetrieb nicht gewachsen gewesen. Aber Du tust ja geradezu so, als sei durch das Buch das Gegenteil von Talent erwiesen. Da würde ich mich doch sehr dagegen verwahren. So niedergeschmettert bin ich auch wieder nicht, daß ich an meinen Realien zweifelte. Ich empfand das Buch bei Abschluß des Manuskripts als Äußerstes, das mir möglich war, als gelungen, wenn ich auch an manchen Stellen vielleicht ein ungutes Gefühl hatte, aber überall da war mir Besseres nicht möglich gewesen. Ich hatte im großen Ganzen den Eindruck, auf Grund und in meinem Revier angekommen zu sein und auch etwas Exemplarisches unternommen zu haben. Ich habe nämlich wirklich mit meiner Ohnmacht der Themenlosigkeit ernst gemacht und konsequent aus Banalität Sprache, das heißt Wirklichkeit gezimmert.
Neulich, als ich nachts noch kurz vor Kneipenschluß in die Bierhalle gegenüber gehe, die ich überhaupt nicht mag, weil das Essen unter qualmiger Gestankentwicklung auf den Tisch kommt, aber ich bin hin, da ich noch nicht heim mochte und einen anderen Ausflug der späten Stunde wegen nicht mehr riskieren konnte … neulich also sitze ich an diesem Biertisch, und schon geht das ganze Theater mit dem Hund los. Zuerst nähert sich dieses magere etwa 50jährige Gestell mit den Schwindsuchtbäckchen, die sich als besondere Freundin meines Hundes aufspielt und ihm immer Leckerbissen bringt.
Aber nun kommen noch all die italienischen Küchentiger hinter dem Büffet hervor und umstehen unseren Tisch, und da sagt doch wirklich so eine schwarzhaarige Hexe in weißem Schürzenkleid: »Der arme Hund, immer wird er so angebrüllt von seinem Herrn«, und meint mich damit. Die schauen ja immer in mein Zimmer und auf mein Blatt in der Maschine, wenn sie Pause machen und sich auf diesen Mansardenbalkönchen ergehen und schnaufen wie die Kühe. Die können mir geradewegs ins Zimmer langen von gegenüber, mich stört's nicht. Aber dieselben Fremdarbeiter-Mägde, die doch mit Hunden nicht umzugehen wissen, sich fürchten und durch ihre Furcht den Hund zum Bellen reizen, dieselben schönen Italiener, für die ein Hund ein Herrensymbol, wenn nicht die Strafpetarde des Padrone ist, weshalb ihr Instinkt der Abwehr durchaus richtig und verständlich wäre … dieselben Wesen wollen mich nun plötzlich zum Hundeschinder stempeln. Haben vielleicht meine liebevollen rauhen Spiele mißgedeutet, wenn wir uns balgen und der Kerl glücklich grollt und tollt. Oder wenn ich weggehe und ihn einmal allein lasse – mag sein, daß er mir nachgebellt hat. Und jetzt bin ich der Tierquäler in ihren Augen. Auch gut.
Aber vielleicht hat es wirklich etwas auf sich. Vielleicht ist diese Kammer, die mir langsam unerträglich wird und mehr und mehr einer Hundehütte gleicht, vielleicht ist so ein Stadtzimmerchen wirklich nichts für einen Hund. Das sagt mir ja immer auch mein ältester Sohn, Valentin, der jetzt immer mehr an mir herummeckert. Er brüllt mich an: »Du willst ja nur mit dem Hund angeben.« Und jetzt entfaltet er den ganzen Katalog der Vorwürfe. Der Zigarettenrauch, die dicke Luft im Zimmer (mein Sohn will mir seit langem das Rauchen abgewöhnen), der Benzingestank in der Stadt (er hat begreiflicherweise etwas gegen mein Alleinleben im Zentrum). Seine ganzen Verteidigungsreden, seine Anwaltschaft für den Hund ist auf mich gemünzt. Es bricht aus ihm hervor. Er meint mich, der Arme. Ich soll wieder zurückkehren und in ruhigen und »gesunden« Verhältnissen mit ihm und der ganzen Familie zusammenleben.
Er wird jetzt gleich erscheinen, es ist der freie Mittwochnachmittag. Ich werde mit ihm zum Maler W. fahren und ihm vorführen, was ein städtisches Hundevergnügen ist. Wenn er ihn erst einmal in diesem herrschaftlichen Park mit Sira, der Jagdhündin, herumtollen sieht … Übrigens gipfeln die an mich adressierten Vorwürfe immer in der höhnischen Bemerkung, ich vermöge dem Hund ja nicht einmal die Hundemarke zu kaufen. Er meint damit meine ganze, in seinen Augen fragwürdige Existenz. Die Diskrepanz zwischen meinen Allüren und meinem realen Status, meinem elenden Habitus und Hausen.
Und diese Diskrepanz ist beispielsweise auch an meinem Verhältnis zum Hund abzulesen. Überhaupt dreht sich alles immer mehr um den Hund. Der Hund – die Drehscheibe aller Dinge, der Hund – der Kreisel der Wahrheit, der Hund – der Verbindungsläufer. Der Hund, meine Fron und mein Halt. Also der Hund scheint mich jetzt aus dieser schönen Kammer Nähe Bahnhofstraße hinausmanövrieren zu können. Weil sich am Hund die Italiener stoßen?
Ein, zwei Mal ist er mir entwischt und durch das enge, hölzerne Treppenhaus hinunter auf den einen Italiener losgegangen. Auf diesen schmierig lächelnden, säuerlich liebenswürdigen Kraus- und Habichtskopf meines Alters, der immer im Käseladen anzutreffen ist, wo er eine Art Gehilfenfunktion (neben anderem) ausübt. Ich versteh's nicht: Mein geradezu trottelhaft verschmuster Hund. Ein fürchterliches Gebell hat er angeschlagen, ich fliege die Treppen hinunter und treffe folgende aufregende Szene an: Der Italiener wacklig steif, mit einem Langholz auf den Hund einhauend, und Flen, ein gesträubtes schwarzes...
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