WAS IST PERSÖNLICHKEIT?
Wenn man im Internet nach dem Begriff "Persönlichkeit" sucht, gibt es eine große Anzahl an Definitionen. Sie wird etwa als "Individualität eines einzelnen Menschen", "Alle prägenden Eigenschaften eines Menschen", "Gesamtstruktur einer Person" oder "Gesamtheit der charakteristischen Eigenschaften eines Menschen" beschrieben. Eine ausführlichere Definition lautet zum Beispiel:
"Die Persönlichkeit eines Menschen ist eine lebenslang andauernde Kombination von Merkmalen des Temperaments, des Gefühlslebens, des Intellekts und der Art zu handeln und zu kommunizieren."
(Roth 2015)
Was fällt dabei auf? Genau - sie beziehen sich ausschließlich und ausdrücklich auf den Menschen. Ähnlich verhält es sich in der Forschung zum Thema. Die ersten Konzepte zur menschlichen Persönlichkeit gab es schon in der Antike. Es folgten unzählige weitere Theorien. Vor allem seit Beginn des 20. Jahrhunderts wird intensiv zu dieser Thematik geforscht.
Während die Persönlichkeit des Menschen also schon seit Tausenden von Jahren untersucht wird, hat die Wissenschaft nichtmenschlichen Tieren bis vor kurzem abgesprochen, dass sie eine Persönlichkeit besitzen. Erst in den letzten Jahren findet diese Thematik auch in Bezug auf Tiere Beachtung. Wenn wir uns jetzt aber zum Beispiel die obige Definition anschauen, bleibt die Frage, ob wir diese so einfach auf andere Tiere anwenden können. Wie definiert man denn das Temperament eines Tieres? Woher weiß man, wie es fühlt? Und wie äußert sich der Intellekt?
Aufgrund dieser Schwierigkeiten haben die Wissenschaftler, die sich mit der Persönlichkeit von Tieren beschäftigen, eine neue Definition entwickelt, die sich problemlos auch auf nichtmenschliche Tiere anwenden lässt.
"Der Begriff 'Persönlichkeit' beschreibt bestimmte Verhaltensmerkmale und Reaktionsmuster, die sich zwischen Individuen unterscheiden, aber bei einem Individuum über Zeit und verschiedene Situationen hinweg konstant sind."
(Bergmüller & Taborsky 2010)
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Eine Frage, die viele Menschen interessiert: Besitzen Hunde eine Persönlichkeit?
Diese Verhaltensmerkmale und Reaktionsmuster schlagen sich sowohl in emotionalen als auch in kognitiven Variablen nieder. Somit äußern sich die Unterschiede in der Persönlichkeit zum Beispiel in der unterschiedlichen Herangehensweise an bestimmte Alltagssituationen sowie im Problemlösungsverhalten.
Wichtig dabei ist, dass man nicht von jedem Verhalten auf die Persönlichkeit eines Individuums schließen kann. Allerdings ist es möglich, von der Persönlichkeit auf bestimmte Verhaltensweisen zu schließen. Man kann also Vorhersagen machen, wie sich ein Individuum vermutlich in einer zukünftigen Situation verhalten wird. Wenn ein Hund zum Beispiel einmal in einer Situation ängstlich reagiert, heißt das noch lange nicht, dass es ein ängstlicher Hund ist. Wenn der Hund allerdings in vielen verschiedenen Situationen sehr unsicher reagiert, könnte man sagen, dass es sich um einen unsicheren Hund handelt. Die Ängstlichkeit wäre dann ein zeit- und situationsstabiles Persönlichkeitsmerkmal (auch Trait genannt). Wenn man das weiß, lässt sich vermuten, dass dieser Hund auch zukünftig in ähnlichen Situationen Angstverhalten zeigen wird. Um die Persönlichkeit einschätzen zu können, muss man das Tier also mehrmals und in verschiedenen Situationen beobachten. Dass tatsächlich auch Tiere ganz individuelle und zeitstabile Verhaltensmerkmale aufweisen, konnte schon bei vielen verschiedenen Spezies wie zum Beispiel Kohlmeisen, Rabenvögeln, Ratten, Fischen und auch Hunden nachgewiesen werden.
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Man kann nicht von jedem Verhalten auf die Persönlichkeit eines Individuums schließen.
Einige Autoren unterscheiden innerhalb der Persönlichkeit zwischen Temperament (Kernpersönlichkeit) und Charakter (erweiterte Persönlichkeit) (Cloninger et al. 1993). Während Ersteres teilweise bereits nach der Geburt relativ stabil ist und demnach einen hohen genetischen Anteil hat, wird der Charakter stark von Umwelteinflüssen mitbestimmt.
Die Persönlichkeit eines Hundes ist, wie auch beim Menschen, erst deutlich nach der Pubertät, also im frühen Erwachsenenalter relativ stabil (beim Menschen mit ca. 25 Jahren, beim Hund - je nach Rasse - mit 2 - 3 Jahren), wenngleich sie sich auch im weiteren Lebensverlauf weiterentwickelt. Zwar zeigen schon wenige Wochen alte Welpen verhältnismäßig beständige Verhaltensmuster, allerdings können sich diese in den folgenden Wochen und Monaten noch stark verändern. Das liegt zum einen an dem Einfluss verschiedener Umweltfaktoren und Erfahrungen, aber auch an bestimmten Reifungsprozessen. Das Konzept der Persönlichkeit bezieht sich daher vor allem auf erwachsene Individuen.
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Das Persönlichkeitskonzept bezieht sich auf erwachsene Tiere.
PERSÖNLICHKEITSFORSCHUNG BEIM MENSCHEN
DIE "TEMPERAMENTENLEHRE" DER HIPPOKRATIKER
Wie schon erwähnt, gab es die ersten Untersuchungen zur menschlichen Persönlichkeit und daraus entstandene Modelle bereits in der Antike. Vor allem die "Temperamentenlehre" der Hippokratiker fand dabei eine große Verbreitung und reicht auch noch bis in die heutige Zeit. In dieser Theorie gibt es vier Persönlichkeitstypen: Choleriker, Sanguiniker, Melancholiker und Phlegmatiker.
Choleriker sind leicht erregbare und zornige Menschen,
Phlegmatiker sind langsam und antriebsarm,
Sanguiniker hingegen heitere, lebenslustige Menschen und
Melancholische Personen gelten als schwermütig.
Diese Bezeichnungen haben auch auf die heutige Persönlichkeitspsychologie einen starken Einfluss genommen und werden teilweise noch in der Alltagssprache verwendet.
Allerdings verzichtet man in der modernen Persönlichkeitsforschung auf diese Art der Typisierung. Stattdessen betrachtet man die einzelnen Persönlichkeitsmerkmale als kontinuierliche Variablen.
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Abb. 1.1: Die vier Persönlichkeitstypen der Temperamentenlehre
DAS BIG5-MODELL
Das bekannteste Modell in der Persönlichkeitsforschung beim Menschen ist das sogenannte Fünf-Faktoren-Modell, welches auch Big5-Modell genannt wird. Es basiert auf einem lexikalischen Ansatz, das bedeutet, es ist durch die Analyse des menschlichen Wortschatzes entstanden. Die Forscher haben dazu unseren Wortschatz nach Worten durchsucht, die charakterbeschreibend sind. Dazu zählen Wörter wie kooperativ, sachlich, freundlich, träge, sensibel. Mittels Faktorenanalyse, einem statistischen Verfahren, mit dem man zahlreiche zusammenhängende Merkmale auf die zugrunde liegenden Faktoren reduzieren kann, konnten fünf stabile Persönlichkeitsfaktoren ermittelt werden. Diese Faktoren werden auch Persönlichkeitsdimensionen oder -merkmale genannt.
Offenheit für Erfahrungen (engl. Openness) Dieser Faktor drückt das Interesse an neuen Erfahrungen, Erlebnissen und Eindrücken aus. Personen mit hohen Werten in diesem Faktor sind wissbegierig, fantasievoll und künstlerisch interessiert. Sie hinterfragen bestehende Wertevorstellungen und handeln eher unkonventionell. Menschen mit niedrigen Offenheitswerten neigen dagegen eher zu konservativen Ansichten und konventionellem Verhalten.
Zu den Unterkategorien, sogenannten Facetten, die der Offenheit zugeordnet werden können, zählen Fantasie, Ästhetik, Gefühle, Handlungen, Ideen und Werte.
Gewissenhaftigkeit (engl. Conscientiousness) Die Dimension (also der Bereich) der Gewissenhaftigkeit beschreibt vor allem den Grad an Zielstrebigkeit, Genauigkeit und Selbstkontrolle. Hohe Werte in diesem Bereich deuten auf zuverlässige, organisierte und überlegte Personen hin. Personen mit niedrigen Werten in dieser Dimension handeln eher spontan, unbekümmert und nachlässig.
Die Facetten in diesem Bereich umfassen Kompetenz, Ordnungsliebe, Pflichtbewusstsein, Leistungsstreben, Selbstdisziplin und Besonnenheit.
Extraversion (engl. Extraversion) Dieser Faktor beschreibt die Aktivität und das zwischenmenschliche Verhalten. Extrovertierte Personen sind aktiv, gesellig, heiter und optimistisch. Introvertierte Personen verhalten sich bei sozialen Interaktionen eher zurückhaltend, sie sind gern allein und unabhängig.
Zur Persönlichkeitsdimension der Extraversion gehören Herzlichkeit, Geselligkeit, Durchsetzungsfähigkeit, Aktivität, Erlebnishunger und Frohsinn.
Verträglichkeit (engl. Agreeableness) Ähnlich wie die Extraversion beschreibt dieser Faktor vor allem das interpersonelle, also zwischenmenschliche Verhalten. Personen mit hohen Verträglichkeitswerten sind bemüht, anderen zu helfen und begegnen anderen mit Wohlwollen und Mitgefühl. Niedrige Verträglichkeitswerte hingegen deuten auf streitbare und misstrauische Personen hin. Sie verhalten sich eher wettbewerbsorientiert als kooperativ.
Vertrauen, Freimütigkeit, Altruismus, Entgegenkommen, Bescheidenheit, Gutherzigkeit sind die Facetten der Verträglichkeit.
Neurotizismus (engl. Neuroticism) Neurotizismus beschreibt die emotionale Stabilität eines Menschen. Menschen mit hohen Neurotizismus-Werten sind eher labil, sie erleben häufiger Anspannung, Angst, Trauer und Unsicherheit. Niedrige Neurotizismuswerte weisen auf eine hohe emotionale Stabilität hin. Diese Menschen erleben seltener...