Schweitzer Fachinformationen
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Ein Privatsammler bietet Henry Miller hundert Dollar monatlich für erotische Erzählungen. Es erinnert an eine Dantische Strafe, daß Henry dazu verurteilt werden soll, Erotika, die Seite für einen Dollar, zu produzieren. Henry empört sich dagegen, weil seine gegenwärtige Verfassung alles andere als Rabelaisisch ist. Weil Schreiben auf Befehl einer Selbstverstümmelung gleichkommt. Weil das Bewußtsein, daß ein Voyeur durchs Schlüsselloch späht, seinen phantastischen Abenteuern alle Unmittelbarkeit und Vergnüglichkeit raubt.
Henry erzählte mir von dem Büchersammler. Sie treffen sich manchmal zum Mittagessen.
Er hatte Henry ein Manuskript abgekauft, und ihm dann den Vorschlag gemacht, er solle für einen seiner alten und vermögenden Klienten etwas schreiben. Viel wußte er von dem Klienten nicht zu berichten, nur daß er sich für erotische Literatur interessiere.
Henry machte sich vergnügt, unter Späßen, an die Arbeit. Er erfand unsinnige Geschichten, über die wir uns amüsierten.
Henry hatte sich auf ein Experiment eingelassen, und zunächst schien die Aufgabe leicht zu sein. Doch nach einer Weile wurde sie ihm lästig. Er wollte keinen der Stoffe verwenden, über die er in seinem eigentlichen Werk zu schreiben plante, und war deshalb gezwungen, seinen Einfällen und Stimmungen Gewalt anzutun.
Von seinem sonderbaren Auftraggeber erhielt Henry nie ein Wort der Bestätigung. Es war natürlich möglich, daß er seine Identität nicht preisgeben wollte. Doch Henry fing an, den Sammler zu necken. Existierte der Auftraggeber wirklich? Oder waren die Blätter für den Sammler selbst und dazu bestimmt, seinem eigenen trübseligen Leben eine Steigerung zu geben? Waren Auftraggeber und Sammler ein und dieselbe Person?
Henry und ich erörterten diese Fragen des langen und breiten und waren ebenso verwirrt wie amüsiert.
Zu diesem Zeitpunkt teilte der Sammler Henry mit, daß sein Klient auf dem Weg nach New York sei und daß Henry ihn kennenlernen werde. Doch aus irgendeinem Grund fand die Zusammenkunft niemals statt .
Wenn Henry ihn nach der Reaktion des Gönners auf seine Geschichten fragte, sagte der Sammler: »Oh, ihm gefällt alles. Er findet alles wunderschön. Aber am liebsten hat er es, wenn es nur Schilderungen sind, Erzählungen ohne Deutungen und philosophische Betrachtungen.«
Als Henry Geld für seine Reise brauchte, schlug er mir vor, inzwischen selbst einige Erotika zu schreiben. Ich wollte nichts Selbsterlebtes preisgeben und beschloß, eine Mixtur aus Gehörtem und Erfundenem zu fabrizieren, jedoch so zu tun, als stammten die geschilderten Episoden aus dem Tagebuch einer Frau.
Den Sammler bekam ich nie zu Gesicht. Er wollte meine Seiten lesen und mir dann sein Urteil mitteilen.
Heute erhielt ich einen Anruf. »Es ist gut so. Aber lassen Sie die poetischen Stellen und die Beschreibungen weg, außer denen, die sich auf Sexuelles beziehen. Beschränken Sie sich auf Sex.«
Wenn ich sinnliche oder poetisch-erotische Beschreibungen gab, beschwerte sich der Klient; ich fing deshalb an, mit heimlicher Ironie zu schreiben, exotisch, erfindungsreich zu werden und derart zu übertreiben, daß ich glaubte, er müsse bemerken, daß ich Sexualität karikierte. Doch ein Protest erfolgte nicht.
Ich verbrachte mehrere Tage in der Bibliothek mit dem Studium des Kama Sutra, ließ mir von Freunden ihre außergewöhnlichsten Abenteuer erzählen und schrieb .
Jeden Morgen nach dem Frühstück setze ich mich hin und schreibe mein Tagessoll an Erotika.
Heute morgen tippte ich: »Es war einmal ein ungarischer Abenteurer .« Ich verlieh ihm zahlreiche vorteilhafte Eigenschaften: Schönheit, Eleganz, Anmut, Charme, schauspielerische Fähigkeiten, Kenntnis vieler Sprachen, eine hervorragende Begabung für Intrige, das Genie, sich aus schwierigen Situationen herauszuwinden, die Gabe, Verhältnissen von Dauer und Verantwortung aus dem Weg zu gehen.
Ein Telefonanruf: »Der alte Herr ist sehr zufrieden. Konzentrieren Sie sich auf Sex. Lassen Sie den poetischen Firlefanz weg.«
Seither sind die erotischen »Tagebücher« zur Epidemie geworden. Alle schreiben ihre sexuellen Erfahrungen auf. Erfundenes, Erlauschtes, bei Krafft-Ebing und in anderen medizinischen Büchern Gelesenes. Wir führen komische Gespräche. Einer erzählt eine Geschichte, und die übrigen müssen herausfinden, ob sie wahr oder unwahr ist. Oder ob sie glaubhaft klingt. Ist es zu glauben? Robert Duncan machte uns das Anerbieten, unsere Erfindungen durch das Experiment zu prüfen, unsere Phantastereien zu bestätigen oder zu negieren.
Ich bin sicher, daß der alte Mann von den Seligkeiten, Verzückungen, blendenden Rückstrahlungen geschlechtlicher Begegnungen nichts weiß. Lassen Sie die dichterische Verbrämung weg, das ist seine Botschaft. Klinischer Sex, aller Liebesglut, Orchestrierung der Sinne des Gefühls, Gehörs Gesichts, Geschmacks, aller euphorischen Begleiterscheinungen, musikalischen Hintergründe, Stimmungen, atmosphärischen Veränderungen beraubt, hat ihn gezwungen, seine Zuflucht zu literarischen Aphrodisiaka zu nehmen.
Wir hätten bessere Geheimnisse in Flaschen abfüllen können, um sie ihm mitzuteilen, doch ihnen gegenüber wäre er taub. Aber wenn er eines Tages die Sättigung erreicht hat, werde ich ihm sagen, daß er uns durch seine Besessenheit auf die von Emotionen entleerten Gesten fast um das Interesse an der Leidenschaft gebracht hat. Und wie sehr wir ihn geschmäht haben, weil er uns fast dazu trieb, Keuschheitsgelübde abzulegen, indem er verlangte, daß wir auf all das verzichteten, was unser Aphrodisiakum ist - Dichtung.
Ich erhielt hundert Dollar für meine »Erotika«. Gonzalo brauchte Geld für den Zahnarzt, Helba einen Spiegel, vor dem sie tanzt, und Henry einen Reisezuschuß.
Die Telefonrechnung nicht bezahlt. Das Netz der ökonomischen Schwierigkeiten schließt sich über mir. Alle in meiner Umgebung verantwortungslos, bemerken den Schiffbruch nicht. Ich habe dreißig Seiten Erotika geschrieben.
Mit der Tatsache bewußt geworden, daß ich ohne einen Cent bin. Den Sammler angerufen. Ob er von seinem reichen Klienten Nachricht erhalten habe bezüglich des letzten Manuskripts, das ich geschickt hatte? Nein, aber er wolle das nehmen, was ich gerade beendet hätte, und mich dafür bezahlen. Henry muß zum Arzt gehen. Gonzalo braucht eine Brille. Robert kam mit B. an und bat mich um Geld für die Kinovorstellung. Der Ruß vom blinden Fenster fällt auf mein Maschinenpapier und meine Arbeit. Robert kam und nahm mir meine Schachtel mit Maschinenpapier fort.
Ist der alte Herr der Pornographie nicht endlich müde? Wird denn kein Wunder geschehen? Ich fange an, davon zu träumen, daß er sagt: »Geben Sie mir alles, was sie schreibt. Ich will alles haben, alles gefällt mir. Ich will ihr ein großes Geschenk machen, einen dicken Scheck will ich ihr schicken zum Dank dafür, daß sie geschrieben hat.«
Meine Schreibmaschine ist kaputt.
Mit hundert Dollar in der Tasche fand ich meinen Optimismus wieder. Ich sagte zu Henry: »Der Sammler widerspricht sich. Er behauptet, einfache, unintellektuelle Frauen zu schätzen - aber er hat mich zum Abendessen eingeladen.« Ich habe ein Gefühl, als ob Pandoras Büchse die Geheimnisse der weiblichen Sinnlichkeit enthalte, die von der des Mannes so verschieden ist und durch seine Sprache nicht erfaßt wird. Die Sprache des Geschlechtlichen muß noch erfunden werden. Die Sprache der Sinne muß noch erkundet werden. D. H. Lawrence begann damit, dem Instinkt sprachlichen Ausdruck zu verleihen, er versuchte, das klinische, das wissenschaftliche Vokabular zu vermeiden, da es die Empfindungen des Körpers nicht einfängt.
Bei seinem Besuch stellte er (Henry Miller) einige widersprüchliche Behauptungen auf. Daß er von Nichts leben könne, daß er sich wohl genug fühle, um sogar eine Stellung anzunehmen, daß seine Integrität ihn daran hindere, in Hollywood Szenarios zu schreiben. Zu dieser letzten Feststellung bemerkte ich: »Und was wird aus meiner Integrität, wenn ich für Geld Erotika schreibe?«
Henry lachte, gab Paradoxe und Widersprüche zu, lachte und wechselte das Thema.
Die Ironie des Schicksals will, daß in Frankreich eine Tradition der anspruchsvollen erotischen Literatur besteht, die sich durch vorzüglichen, eleganten Stil auszeichnet und die durch die besten Schriftsteller gepflegt wird. Als ich für den Sammler zu schreiben begann, glaubte ich, hierzulande gäbe es ähnliche Tradition, fand jedoch überhaupt keine. Alles, was ich entdeckte, ist schlecht geschrieben, wirkt unecht und stammt von zweitklassigen Autoren. Kein guter Schriftsteller scheint sich je an Erotika versucht zu haben.
Ich erzählte ihm die Geschichte von unserer gemeinsamen Erotika-Produktion. Welche Beiträge Caresse, Robert, Virginia und andere leisteten. Seinem Sinn für Humor gefiel die Vorstellung, daß ich die »Madame« dieses literarischen snobistischen Schriftsteller-Bordells bin, in dem alles Vulgäre tabu ist.
Unter Lachen erklärte ich ihm: »Ich stelle das Maschinen- und das Kohlepapier, ich befördere die anonymen Manuskripte und sorge dafür, daß die Anonymität aller Mitarbeiter gewahrt bleibt.«
George Baker meinte, dies sei wesentlich amüsanter und anregender, als sich bei seinen Freunden das Geld für Mahlzeiten leihen, erbetteln oder erschmeicheln zu müssen.
Harvey Breit, Robert Duncan, George Barker,...
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