Schweitzer Fachinformationen
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Das einzig Gute an diesem Morgen war, dass sie früh um halb vier noch nicht mit dem Verkehr kämpfen musste. Sandras Laune war miserabel, und das nicht so sehr, weil man sie wegen eines Mordes in aller Herrgottsfrühe aus dem Bett geklingelt hatte, schließlich geschah das nicht zum ersten Mal. Nein, ihr Unmut rührte von ihrem Kaffeedefizit her. Wenn sie etwas hasste, dann einen Morgen ohne Koffein. Seit sie nicht mehr rauchte, hatte sich ihre Sucht von Nikotin auf Koffein verlagert. Aber fünf Tassen Kaffee waren immer noch besser als ein Päckchen Walter Wolf. Früher hätten bestimmt schon drei zerdrückte Kippen in ihrem Aschenbecher gelegen. Manchmal fehlte ihr das Rauchen, besonders wenn sie angespannt war.
Sie hatte nur zwei Stunden geschlafen, weil sie mit ihrer Nachbarin Jelena über deren blöden Freund Sinisa geredet und seine Unzuverlässigkeit analysiert hatte. Dabei war es der Kerl gar nicht wert, dass man so viel über ihn sprach. Komisch, dachte sie, Jelena war eine kluge Frau, die Fehler und Schwächen anderer Menschen mit bewundernswerter Schärfe analysieren konnte, aber was Sinisa anging, war sie eine Meisterin im Verdrängen.
Am Ende des Hafens bog Sandra in die Riva Boduli ein, die neben der Placa verlief. Zelenika hatte gesagt, das Mietshaus läge zwischen einem Delikatessengeschäft und einem Laden für Angelbedarf. Schon von weitem sah sie die Polizeiautos und die Absperrung. Ihr Blick fiel auf das glitzernde Wasser im Hafen und die Schiffe, die vor Anker lagen. Sie hatte keine allzu große Affinität zum Meer, was etwas untypisch für eine Kroatin war, doch im Moment wäre sie tausend Mal lieber auf einem dieser Touristenschiffe gewesen, als einen Mordfall zu untersuchen. Aber ihre Arbeit ließ ihr ohnehin kaum Zeit für Mußestunden am Strand. Im Gegensatz zu den kalten Scheinwerfern der Polizeiautos wirkten die Lichter auf den Schiffen einladend. Sie fror ein wenig. Nachts konnte es manchmal recht kühl sein, bis es gegen sieben langsam anfing, wärmer zu werden, und sich schließlich um neun eine mitunter unerträgliche Hitze über die Stadt legte.
Sie brachte ihren Wagen am Ufer zum Stehen und gähnte noch einmal kräftig, bevor sie ausstieg.
Ilija Perica, der Gerichtsmediziner, nickte ihr schon von Weitem lächelnd zu. Zumindest schien er das zu glauben. Um wirklich zu lächeln, war er zu cool. Er stand neben den anderen im Hauseingang und trug noch seine Handschuhe.
»Guten Morgen, wenn man das so sagen kann«, rief er in Sandras Richtung. Bei ihm hörte sich jedes Wort auf eine merkwürdige Art gewichtig an, so als hätte es einen tieferen Sinn. Sie kannte niemanden, bei dem dieses Phänomen so ausgeprägt war wie bei Perica.
Sie lächelte gequält. »Morgen. Ja, um diese Uhrzeit können wir uns eigentlich nur gegenseitig bemitleiden.« Sie sah zu ihren Kollegen Mihajlo Zelenika und Jakov Milic hinüber, hob kurz die Hand zum Gruß und wandte sich dann wieder an den Gerichtsmediziner, der gerade auf die Leiche deutete.
»Du lieber Gott«, stöhnte Sandra beim Anblick des vielen Bluts.
»Och, nennen Sie mich doch Milic«, hörte sie eine Stimme hinter sich.
Ihr Kollege grinste sie an. Sein trockener Humor hatte schon so manche anstrengende Nacht erträglicher gemacht. Mit seinen lustigen braunen Knopfaugen hinter der randlosen Brille und den dunklen Locken sah er eher aus, als würde er in einem Kindergarten arbeiten als bei der Mordkommission.
Mihajlo Zelenika beendete sein Gespräch mit einem Uniformierten und trat ebenfalls zu ihnen. »Hey, Horvat. Wie geht's«, sagte er, ohne wirklich eine Antwort zu erwarten.
Mihajlo Zelenika war serbischer Abstammung und machte einen guten Job. Sandra fand es bedauerlich, dass er sein Alkoholproblem auch nach mehrmaligen Versuchen noch nicht im Griff hatte. Mittlerweile sah man ihm die Trinkerei an, sein Gesicht wirkte müde und war von feinen roten Äderchen durchzogen. Er wäre ein attraktiver Mann gewesen, groß und kräftig, mit honigfarbenem Haar und den grünsten Augen, die sie je gesehen hatte. Eine greise Zeugin hatte mal zu ihm gesagt: »Sie haben die Augen einer Hexe. Vielleicht haben Sie den bösen Blick!« Zelenika hatte erwidert, seine Frau würde das schon lange vermuten.
»Sie haben Glück, Horvat«, sagte Perica, während er mit seinen behandschuhten Händen herumfuchtelte, »das Opfer hatte einen Ausweis dabei.«
»Ach ja?« Sandra warf einen Blick ins Innere des Hauses. Die Spurensicherung war immer noch bei der Arbeit.
Zelenika meldete sich zu Wort: »Sein Name ist Anton Paulic.« Er deutete lässig auf das Mordopfer, als würde er ihr das neueste Automodell vorführen. Nach den vielen Jahren bei der Mordkommission war Zelenika sichtlich abgebrüht. »Der Kerl ist einunddreißig.«
»Darf ich?« Sandra griff nach der großen Taschenlampe, die Sikirica von der Spurensicherung in der Hand hielt.
»Natürlich«, nickte der Kollege schüchtern. Sikirica war nicht größer als einssechzig und wog vielleicht fünfzig Kilo. Im Präsidium hatte Zelenika mal laut gerufen: »Ist Sikirica noch da? Oder hat er sich in einer Schublade versteckt?« Sikirica war gekränkt gewesen, und Sandra hatte Zelenika gebeten, künftig auf solche Späßchen zu verzichten. Alles in allem hatte Sandra noch nie mehr als drei Worte am Stück von Sikirica gehört.
Sandra besah sich den Toten. Man hatte ihm die Kehle durchgeschnitten. Der Schnitt verlief mitten durch eine Tätowierung, die sich bis zum Kinn zog. Durch das viele Blut konnte man das Motiv nicht mehr erkennen. Der Mann hatte mittellanges schwarzes Haar. Sein Gesicht war auf eine primitive Art attraktiv. Sie sah auf den ersten Blick, dass es sich nicht gerade um einen Sohn aus gutem Hause handelte. Wenn sie etwas konnte, dann in Gesichtern lesen. In diesem hier lag Schmerz und Wut. Sie merkte immer, wenn jemand vom Leben gebeutelt war, egal, wie viel Armani und Gucci die Fassade hergab. Wahrscheinlich brachte das der Job mit sich, auch wenn Milic der Ansicht war, dass sie ein besonderes Talent dafür hatte.
»Bestimmt ein Junkie«, bemerkte Milic.
Sandra sah ihn an und schüttelte dann den Kopf. »Ich weiß nicht recht. Er sieht mir gut genährt aus. Auch sein Gesicht lässt nicht auf harten Drogenkonsum schließen.« Sie gab Sikirica die Taschenlampe zurück.
»Danke«, murmelte er und lächelte wieder schüchtern.
»Was?«, meinte Sandra, in Gedanken noch immer bei dem Opfer. »Wofür?«
»Wegen der Taschenlampe. Weil Sie sie mir zurückge. ach, egal.«
»Ach so, ja. Bitte sehr, Sikirica.«
Zelenika blickte von einem zum anderen. »Seid ihr beide auf Valium, oder was?«
»He, es ist ziemlich früh am Morgen«, grummelte Sandra und fügte dann hinzu: »Jedenfalls sieht mir unsere Leiche nicht nach einem Junkie aus. Dafür ist der Typ viel zu kräftig und gepflegt.«
»Ja«, murmelte Milic. »Außerdem hatte er zweitausend Kuna2 und hundertfünfzig Euro bei sich. Hat den Täter nicht interessiert.«
»Hm . verstehe.«
»Seltsam, so was«, brummte Zelenika vor sich hin. »Ich meine, wenn ich schon jemanden absteche, dann nehm ich doch auch das Geld, oder?«
»Du schon«, warf Milic ein, »du würdest deine eigene Großmutter für ein paar neue Reifen verkaufen.«
Genervt rollte Zelenika mit den Augen. »Denk doch einfach mal logisch, ja?«
»Tolle Idee«, sagte Milic ironisch. »Das versuche ich normalerweise zu vermeiden.«
Zelenika ging nicht darauf ein. »Der Mörder denkt sich: Was soll's, der Kerl braucht's doch eh nicht mehr. Und schlimmer als Mord ist Diebstahl ja nun nicht. Die paar Scheine machen das Kraut auch nicht mehr fett.«
Sikirica lachte leise auf und senkte dann den Blick. Für Perica war das Gespräch sowieso unter seiner Würde.
»Ach, übrigens«, meinte Milic plötzlich an Sandra gewandt. »Ich hoffe, Sie haben sich Freitag, an Velika Gospa3, nicht freigenommen.«
»Nein, habe ich nicht.« Sandra war nicht gerade eine Vorzeigekatholikin, sehr zum Missfallen ihres Vaters - und noch mehr ihrer Mutter. Immerhin feierte sie Weihnachten und Ostern und hatte ein Kruzifix in der Küche hängen, das sie von ihrer Mutter zu ihrem dreißigsten Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Sandra war nur einmal auf Trsat gewesen, obwohl es der älteste Marienwallfahrtsort Kroatiens war und die Menschen am 15. August von überall herbei pilgerten. 2003 war das gewesen, als der Papst zu Besuch war. Wie oft hatte sie sich schon vorgenommen, ihre Mutter mal wieder zu begleiten, aber ihre Arbeit ließ es meistens nicht zu.
»Wieso?«, hakte Sandra nach. »Haben Sie sich denn freigenommen?«
»Na ja«, wand sich Milic, »ich habe meiner Mutter versprochen, wenn es irgendwie geht ., nehme ich mir einen Tag Urlaub.«
»Nur zu. Ich habe Anfang September zwei Wochen Urlaub.« Bei diesem Gedanken löste sich Sandras Anspannung für einen Moment. »Jelena und ich fliegen für eine Woche nach Sizilien.«
Alle kannten ihre Freundin, weil Sandra sie auf jede Weihnachtsfeier mitnahm. Jelena war seit drei Jahren wieder zurück in ihrer Geburtsstadt. Im Alter von zwei Jahren war sie mit ihren Eltern nach München ausgewandert und dort aufgewachsen. Während eines Sommerurlaubs hier in Rijeka hatte sie sich Hals über Kopf in Ivica verliebt, sich Knall auf Fall in München abgemeldet und geheiratet. Nach nur zehn...
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