Schweitzer Fachinformationen
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Mit leisem Moussieren strömte die hellgelbe Konditorcreme aus der runden Tülle auf den zu Rechtecken geschnittenen, hellbraun gebackenen Blätterteig. Doch anstatt sich dort zu tadellosen Tupfen zu formen, wand sie sich zu einem konturlosen Klumpen, verlor nur Momente später jeglichen Halt und zerfloss mit aufreizender Langsamkeit auf ihrem knusprigen Bett. Entsetzt betrachtete Lissi die Vanillepfütze, die sich gemächlich auf dem ganzen Blech ausbreitete und die feinen Teigblätter unter sich begrub. Was um Himmels willen war hier schiefgegangen?
Kopfschüttelnd betrachtete sie die Backspritze in ihren Händen. Gewiss lag es an diesem unhandlichen Ding, dass sich die Masse nicht wie vorgesehen dressieren .
»Mon Dieu!«
Gastons Stimme ließ Lissi zusammenzucken.
»Sie haben ruiniert die Millefeuilles!«, tadelte der französische Küchenmeister scharf. »Das wird Madame nicht goutieren!«
Lissi packte die Backspritze fester. »I-ich habe sie so gemacht, wie Sie es mir gesagt haben, Herr . Gaston.« Es fiel ihr schwer, das Mössjö auszusprechen, mit dem er gerne angeredet werden wollte.
Sein Blick war herabsetzend. »Wie können Sie folgen meine Rezept, wenn la Crème Pâtissière so . so schrecklich ist! Viel zu weich! Das man kann nicht einmal lassen fressen die cochons!«
»Ich werde alles neu backen«, versicherte Lissi, auch wenn ihr bei dem Gedanken graute, noch einmal mühevoll einen Blätterteig zubereiten zu müssen.
»Non!« Energisch nahm Gaston das Blech vom Arbeitstisch. »Ich selbst werde bereiten diese Millefeuilles. Sie machen die Zwueschgen au chocolat, Mademoiselle.« Mit raschen Schritten ging Gaston zum Mülleimer und kippte ihr Missgeschick hinein.
Lissi beobachtete die vorwurfsvolle Geste mit einem zunehmenden Druckgefühl auf der Brust. Auch wenn sie insgeheim erleichtert war, dass er seine komplizierten, unaussprechlichen Miföje nun selbst machte - die Tatsache, wieder einmal versagt zu haben, war ihr arg. Was, wenn Gaston seinen Unmut irgendwann zur gnädigen Frau trug und diese Lissi aus der Küche verbannte? Die Stunden, welche sie ihm hier helfen durfte, waren die Lichtblicke in ihrem Stubenmädchenalltag, der sonst aus allen Arten von Putzarbeit bestand, und das vom Morgengrauen bis weit in die Nacht. Deshalb gab sie sich stets große Mühe, wenn sie gerufen wurde, um Gaston bei der Pattisrie zur Hand zu gehen. Nicht immer lief etwas schief, aber doch oft genug. Was wiederum daran lag, dass sie ihn häufig falsch verstand, weil er so nuschelig sprach und viele Wörter verwendete, die sie nicht kannte. Dass er ihr Rezepte vorlegte, die entsetzlich kompliziert waren. Dass sie mit Zutaten umgehen musste, von denen sie nicht gewusst hatte, dass es sie überhaupt gab. Und letztlich lag es an Gastons viel zu hohen Ansprüchen.
Während der Küchenmeister seiner zweiten Küchengehilfin auftrug, das Blech zu säubern und die Zutaten für einen neuen Blätterteig herzurichten, ging Lissi zum anderen Ende des langen hölzernen Arbeitstisches, der in der Küche der Wagner-Villa stand. Einer beeindruckenden Küche, mit schwarzen und weißen Fliesen auf dem Boden, blinkendem Kupfergeschirr auf den Gesimsen und zwei reich verzierten gusseisernen Herden. Mit Wasser, das aus einem Eisenrohr in ein Becken lief, und so vielen Gerätschaften, dass Lissi immer wieder aufs Neue staunte, was alles erfunden worden war, um in den Küchen der reichen Leute Mahlzeiten zuzubereiten.
»Vite, vite!«, rief Gaston in ihre Richtung. »Wir nicht haben viel Zeit!«
Innerlich seufzend wandte sich Lissi den eingeweichten Zwetschgen zu, die in einer großen Messingschüssel auf ihre Weiterverarbeitung warteten. Eine flache irdene Schale mit geschälten Mandeln stand daneben. Sie begann, die Zwetschgen mit den Mandeln zu bestücken und auf eine gebutterte Backplatte zu legen. Neben ihr knetete Gaston hektisch die Zutaten für den neuen Blätterteig zusammen. Seine Unruhe erhöhte Lissis eigene Nervosität. Die gnädige Frau hatte zu einer Nachmittagsgesellschaft eingeladen und erwartete wie üblich eine Kaffeetafel, mit der sie glänzen konnte. Deshalb war nicht nur eine Unmenge an Backwerk herzustellen. Im Anschluss an ihre Arbeit in der Küche würde Lissi den Tisch eindecken, die vom Gärtner frisch geschnittenen Blumen in den Vasen im Vestibül, im Salon und im Speisezimmer anordnen und die Sauberkeit der Räume überprüfen. Es war viel zu viel zu tun und viel zu wenig Zeit. Wie immer.
Die Uhr an der Wand zeigte zehn Uhr. Lissi zwang sich, nicht in Gastons Hastigkeit zu verfallen. Konzentriert reihte sie Zwetschge an Zwetschge, bis sich die blauvioletten Früchte so dicht auf der Platte drängten, dass deren graues Metall nur noch an wenigen Stellen dazwischen hervorlugte. Anschließend trennte sie sechs Eier. Mit einem Schneebesen begann sie, das Eiweiß aufzuschlagen. Bald bildeten sich Schweißperlen auf ihrer Stirn, aber Lissi zog die eiserne Spirale unvermindert kraftvoll durch den glasigen Schaum, bis er sich nach und nach in weißen Schnee verwandelte.
Sie war gerade dabei, Zucker und geriebene Schokolade unterzuziehen, als die Küchentür aufschwang.
»Lissi! Du sollst zur gnädigen Frau kommen!« Die Stimme von Frau Burger, der Hauswirtschafterin, schnarrte durch den Raum.
»Non!« Gastons Widerspruch geriet eine Spur zu laut. »Lissi hat keine Zeit«, setzte er etwas verhaltener hinzu. »Sonst wir werden nicht fertig.«
»Darauf kann ich keine Rücksicht nehmen«, entgegnete Frau Burger.
»Ich . ich bin gleich wieder da.« Lissi legte den Schneebesen beiseite, band die Schürze ab und nickte Gaston entschuldigend zu. Dann folgte sie Frau Burger in den Flur, der zu den Räumen der Herrschaft führte. Hinter ihr verklang ein französischer Fluch.
Innere Erregung erfasste Lissi, als Frau Burger die Tür zum Salon der gnädigen Frau öffnete. Schon beim Eintreten umfing sie der Duft eines teuren französischen Parfums, vermischt mit dem Geruch von Papier und Büchern. Wilhelmine Wagner las viel und hatte ihren persönlichen Raum zu einer kleinen Bibliothek ausgestaltet.
Zunächst nahm die Industriellengattin keine Notiz vom Personal. Aufrecht saß sie an einem zierlichen Sekretär aus glänzendem Nussbaumholz und schrieb. Nahezu jeden Vormittag erledigte sie dort ihre Korrespondenz, und es war streng verboten, sie in dieser Zeit zu stören. Dass sie Lissi um diese Stunde zu sich befahl, deutete auf ein dringendes Anliegen hin.
Lissi verlagerte ihr Gewicht von einem Bein auf das andere. War das ein gutes Zeichen? Hatte Isidor sich erklärt? Würde die gnädige Frau sie vielleicht sogar in der Familie willkommen heißen? Unauffällig musterte sie Wilhelmine Wagner, eine groß gewachsene, schlanke Erscheinung, in deren dunklen Haarknoten sich die ersten grauen Strähnen mischten. Auf diese Weise in ihren Brief versunken, wirkte sie weich und entrückt, nicht so selbstgefällig und überlegen wie sonst.
Als die gnädige Frau den Füllfederhalter schließlich zur Seite legte, beschleunigte sich Lissis Herzschlag.
»Das Fräulein Volk ist da«, teilte Frau Burger in gedämpftem Ton mit.
»Danke, Frau Burger.« Dunkelblaue Seide raschelte, als Wilhelmine Wagner sich aufrichtete und der Hauswirtschafterin zunickte, die sich daraufhin zurückzog.
Lissi knetete ihre Finger.
»Tritt näher.«
Es fiel Lissi schwer, den Ausdruck in den Augen der gnädigen Frau zu deuten. Angespannt machte sie zwei kleine Schritte nach vorn.
Wilhelmine Wagner runzelte missbilligend die Stirn. »Es gibt vier Gründe, weshalb ein Dienstbote sofort entlassen werden kann.«
Lissi erstarrte.
»Einer davon ist Unsittlichkeit.«
Schneidend standen die Worte im Raum.
»Ich habe nicht . Ich verstehe nicht ganz .« Lissi tat ein paar weitere Schritte auf Wilhelmine Wagner zu, doch eine barsche Geste mit der Hand hieß sie innehalten.
»Du verstehst sehr wohl.« Die Augen der gnädigen Frau wanderten über Lissis Körper hinweg. »Deine Bemühungen, es zu verbergen, waren recht lange erfolgreich. Inzwischen ist es jedoch nicht mehr zu übersehen.«
Unwillkürlich legte Lissi die Hände auf ihren schwach gewölbten Bauch. »Es ist Isidors Kind.«
Die gnädige Frau lachte verächtlich. »Diese Behauptung allein würde eine Kündigung rechtfertigen.« Sie griff wieder nach ihrem Stift, öffnete eine der Schubladen ihres Sekretärs und entnahm ihr ein Büchlein mit blau-schwarz gemustertem Einband.
Lissi erkannte ihr Dienstbuch. »Bitte, gnädige Frau!« Sie rang um einen devoten Ton. »Sie müssen mir glauben. Ich bin guter Hoffnung mit . mit Ihrem Enkelkind.«
Wilhelmine Wagner fuhr herum. »Mein Sohn würde sich niemals am Gesinde vergehen.«
»Aber . ich sage die Wahrheit, gnädige Frau!« Verzweifelt suchte Lissi nach den richtigen Worten. »Es war bestimmt falsch, dass ich ihn nicht zurückgewiesen hab. Der liebe Gott hat es verboten, das weiß ich schon. Aber ich lüg nicht. Und Isidor hat . Er hat mich gern. Wenn Sie bitte Ihren Sohn fragen wollen, er wird es sicherlich .«
»Du bist ein Stubenmädchen, das seine Triebe nicht im Zaum halten kann«, fuhr ihre Dienstherrin auf. »Wer weiß, bei wem du alles gelegen hast. Versuche nicht, uns die Frucht deiner Liederlichkeit unterzuschieben.« Mit einer energischen Bewegung schlug sie Lissis Dienstbuch auf.
Das Kratzen der...
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