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Eine unbekannte Welt tut sich auf, wenn man den Heiligen begegnet. Neue Dimensionen setzen einen in maßloses Staunen. Der menschlichen Sprache fehlen die Worte, um deren Größe zu umschreiben. Das unmittelbare Verhältnis zum Göttlichen, die religiöse Tiefe ihrer Weisheit und das hintergründige Seelenverständnis der Heiligen findet in der Geistesgeschichte kaum eine Parallele. Mit ihrer außerordentlichen Existenz stehen sie über Königen und Philosophen. Für die Heiligen gelten andere Gesetze und andere Maßstäbe. Wenn sich ihr Leben auch im irdischen Raum abspielt, so steht es doch auf einer Ebene, welche alle anderen überschneidet. Bei den Heiligen widerfahren einem fortwährend die unerwartetsten Überraschungen. Um den Zugang zu ihnen, die noch dem magischen Weltgefühl angehören und noch ein Gespür für das Hintergründige der Erscheinungswelt besitzen, zu finden, bedarf es der inneren Bereitschaft, eine neue Wirklichkeit zu erleben, die mit der eigenen nicht übereinstimmt, und die aus diesem Grunde auch nicht nach der gewöhnlichen beurteilt werden darf.
Die Menschen, denen ein inneres Wissen um das verborgene Dasein der Heiligen geschenkt war, haben stets mit der höchsten Ehrfurcht von ihnen geredet. Als Pascal sich am Ende seines tragischen Lebens selbst der Sphäre der Heiligen näherte, flammte die Einsicht in ihm auf: «Die Heiligen haben ihr eigenes Reich, ihren Glanz, ihre Siege, ihre Herrlichkeit. Sie bedürfen weder der irdischen noch geistigen Größe und haben mit ihr, die ihnen weder etwas geben noch nehmen kann, nichts zu tun. Sie werden von Gott und den Engeln gesehen, nicht von Körpern und neugierigen Geistern; Gott genügt ihnen.»1 Nach Pascal, der selbst im Feuer Gottes gestanden hatte, bilden die Heiligen ihre eigene, wunderbare Seins-Ordnung, die von den übrigen verschieden und die in ihrer religiösen Struktur zu erkennen nicht ohne Erleuchtung möglich ist. Der Verfasser der «Pensées» war nicht der Einzige, der mit intuitivem Spürsinn um das Mysterium der Heiligen wußte. Auch dem jungen Nietzsche, noch durch keine Machtphilosophie geblendet, tat sich in einer begnadeten Stunde der Ausblick auf: «Die Natur bedarf zuletzt des Heiligen, an dem das Ich ganz zusammengeschmolzen ist und dessen leidendes Leben nicht oder fast nicht mehr individuell empfunden wird, sondern als tiefstes Gleich-, Mit- und Eins-Gefühl in allem Lebendigen: des Heiligen, an dem jenes Wunder der Verwandlung eintritt, auf welches das Spiel des Werdens nie verfällt, jene endliche und höchste Menschwerdung, nach welcher alle Natur hindrängt und hintreibt, zu ihrer Erlösung von sich selbst.»2 Mit seinem Instinkt für religiöse Werte besaß Nietzsche ein ahnendes Bewußtsein dessen, daß die Heiligen Entrückte sind, bei denen der glühende Feuerstrom noch nicht zur grauen Lava erstarrt ist. Aus diesem Grunde erwähnt er sie mit dem Künstler und Weisen zusammen.
Während das Mittelalter seine Heiligen noch auf dem Goldgrund der Ewigkeit zu malen vermochte, und auf diese Weise dem Betrachter wenigstens eine Vorstellung von ihrer Andersartigkeit vermittelt hat, ging den letzten Jahrhunderten diese Ahnung verloren. Die moderne Zeit besitzt kein durch Erfahrung gewonnenes Wissen mehr um die Heiligen. Sie entschwanden aus ihrem Gesichtskreis, und nicht ein Schimmer von deren Glanz drang noch in das aufgeklärte Bewußtsein des neuzeitlichen Menschen. Das Versinken der Heiligenwelt ist durch mannigfache Ursachen bedingt. Es hängt mit der mangelhaften Unterscheidung von Heiligenanrufung und Schätzung der Heiligen als menschliche Persönlichkeiten zusammen, indem die Betrachtung des Heiligen als religiöse Gestalt mit der anrufenden Heiligenverehrung gleichgesetzt wurde. Nicht weniger abträglich war der Welt der Heiligen die rationalistische Einstellung, die kein Verständnis mehr für die symbolische Weltauffassung besaß, in der diese Boten Gottes lebten, und die bestrebt war, alles rational verständlich zu machen, auch das, was seinem tiefsten Wesen nach irrational ist. Das Fehlen jeglichen Sensoriums für die Heiligen innerhalb des Rationalismus mußte zur Auflösung von deren Wirklichkeit führen. Zu der immer größer werdenden Unkenntnis des Heiligen in der Neuzeit hat auch die falsche Stilisierung desselben beigetragen, die alle in das gleiche Schema hineinpreßte, ohne zu fragen, ob die Schablone passe oder nicht. Durch diese unwahre Schönfärberei wurden die Heiligen zu unlebendigen Gestalten gemacht, die dem modernen Bewußtsein verdächtig vorkommen. Nur noch ausnahmsweise wurde in der Neuzeit von der überwältigenden Größe der Heiligen wirklich groß geredet.
Welchen von den erwähnten Gründen man als Hauptursache für das langsame Verblassen der Heiligenwelt namhaft machen will, eines läßt sich jedenfalls nicht bestreiten, daß dasselbe für die Christenheit sich als Verarmung ausgewirkt hat. Sie erlebte durch den Vorgang einen schweren Verlust, der nicht ausgeglichen werden konnte. Als ein tragisches Verhängnis ohnegleichen muß der Prozeß der Verdämmerung der grandiosen Heiligenwelt bezeichnet werden. Das Christentum büßte dadurch die Kenntnis von seinen überragendsten Vertretern ein. Es kam um das Salz, das seine Speise kräftig machte. Das Faszinierende in der Kirchengeschichte sind jene Gestalten, welche über die menschliche Kleinheit und Schwäche hinaus gingen, die das Evangelium auf eine kühne Art vertraten und von heiligem Wahnsinn ergriffen waren. Wenn diese lodernden Menschen unbekannt werden, muß sich dies für die gesamte Christenheit als Verfall auswirken. Sie erleidet damit eine katastrophale Einbuße und gibt etwas verloren, auf das unter keinen Umständen verzichtet werden kann.
Die Preisgabe der Heiligen wirkte sich dermaßen verhängnisvoll aus, weil sie zu den bedeutsamsten christlichen Erscheinungen gehören. Diese Wahrheit kann nicht genug betont werden. Daß der Heilige auch ein Phänomen der allgemeinen Religionsgeschichte ist, soll mit dieser Aussage nicht in Abrede gestellt werden. Im vorliegenden Zusammenhang geht es aber um die Sicht des Heiligen als einer der christlichen Ausprägungen, die man nicht zu einer bloß konfessionellen Angelegenheit absinken lassen darf. Zweifellos hat sich innerhalb des Christentums die katholische Kirche bis dahin als der fruchtbarste Nährboden für Heilige erwiesen. Die Heiligen sind das weitaus schönste Ruhmesblatt des Katholizismus, was vorbehaltlose Anerkennung verdient. Sie stellen die Lichtseite dieser Kirche dar. Aber die Anschauung, welche den Heiligen zu dem Sonderbesitz einer Kirche machen will, besteht trotzdem nicht zu Recht. Heilige gab es bereits in der alten und mittelalterlichen Kirche, als die Christenheit noch nicht gespalten war. Ebenso hat die Ostkirche große Heilige hervorgebracht, wie Sergius von Radonesch und Seraphim von Sarow, welche vom russischen Volk immer innig verehrt worden sind, und die in diesem Zusammenhang nicht dargestellt werden, weil ihre geistige Erfahrung leider keinen schriftlichen Niederschlag gefunden hat.3 Auch die anglikanische Kirche ließ die Heiligen aus dem Volksbewußtsein nicht vollständig entschwinden und hat damit eine bedeutsame Überlieferung bewahrt.4 Sogar im kontinentalen Protestantismus fehlt der Heilige nicht vollständig, wie in dieser Darstellung noch gezeigt werden soll. Gegenüber einer konfessionellen Betrachtungsweise ist die Tatsache festzuhalten, daß der echte Heilige mit seiner Seelengröße über den Raum seiner Kirche hinausragt, genau wie Joh. Seb. Bach mit seiner Musik weit über das Luthertum hinausschreitet und auch die Menschen zu ergreifen imstande ist, die nicht seiner protestantischen Konfession angehören. Der wahre Heilige ist der gesamten Christenheit und nicht nur einer Konfession verständlich. Diese Betonung beabsichtigt in keiner Weise, die Heiligen aus dem kirchlichen Boden herauszunehmen, in welchem sie verwurzelt sind, wohl aber darauf hinzuweisen, daß ihre Zugehörigkeit zu einer sichtbaren Kirche vom Himmelszelt der unsichtbaren Kirche überwölbt wird. Von der Wahrheit des Heiligen als christliche Erscheinung sprach bereits das apostolische Glaubensbekenntnis mit seiner Formulierung von der «Gemeinschaft der Heiligen». Als die großen Bekenner des Evangeliums gehen sie alle Christen an, weil sie das verborgene Christentum repräsentieren, das dem neuen religiösen Bewußtsein nicht verlorengehen darf.
Der schwere Schaden, den die Christenheit durch die Verkennung dieser Wahrheit erlitten hat, kann nur durch eine neue Beschwörung der Heiligenwelt behoben werden. Dem heutigen Christen muß wieder zum Bewußtsein kommen, daß die Beschäftigung mit den Heiligen eine unermeßliche innere Bereicherung nach sich zieht. Der blinden Geringschätzung der Heiligen ist schon im letzten Jahrhundert der liberale Kirchenhistoriker Karl Hase entgegengetreten und hat der protestantischen Kirche empfohlen, sich «die Heiligen des Mittelalters getrost anzueignen».5 Auch Ernst Troeltsch betrachtete «Augustin, die großen Heiligen, die Mystiker und vor allem die Reformatoren als die Erneuerer und Fortbildner der eigentlich christlichen Grundkräfte».6 Freilich ist es mit der Empfehlung allein nicht getan. Man muß den «verborgenen Katholizismus der Heiligen», die nach Hermann Kutter «oft eine Sprache geführt haben, die, wenigstens dem Wortlaut nach, fast ganz mit der unsrigen übereinstimmt»7, unter allerlei Geröll wieder ausgraben und deren unbekannte Welt in ihrer ganzen Gewalt vor die Augen...
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