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SCHWER legt sich dem heutigen Menschen der unübersehbare Flüchtlingsstrom auf die Seele. Nicht enden will die Reihe der Vertriebenen, die durch die politischen und kriegerischen Ereignisse unerbittlich von ihrem häuslichen Herd hinweg in die Heimatlosigkeit hinausgestoßen werden. Oft sind sie genötigt, nur mit einem kleinen Bündel in der Hand, ihr trautes Heim zu verlassen, und irren fortan unstet auf dieser Welt umher, nirgends willkommen geheißen und überall nur ungern geduldet. Die nackte Flüchtlingsnot greift mit ihrer Ausweglosigkeit ans Herz, man kann diese Bilder nicht wie einen quälenden Traum von sich abschütteln, sie verfolgen den Menschen und lassen ihn nicht mehr los. Auch die schreibgewaltigste Feder ist außerstande, das namenlose Elend der Flüchtlinge aus allen Ländern nur annähernd zu schildern, weil eine Wirklichkeit mit Worten nie entsprechend wiedergegeben werden kann.
Das Flüchtlingsproblem stellt die betroffenen Länder vor beinahe nicht zu bewältigende Aufgaben. Inmitten dieser kaum lösbaren Bedrängnis erhebt sich die gewöhnlich übersehene Frage nach der Bedeutung dieses Umherirrens in metaphysischer Beziehung. Werden diese an den unmöglichsten Orten eingepferchten Flüchtlinge nur zu einem materiellen Problem oder verkörpern sie nicht auch eine religiöse Frage, die an das Mark des menschlichen Lebens greift? Muß nicht der Mensch, der den hinter allen sichtbaren Erscheinungen stehenden Wesensvorgang zu erfassen bestrebt ist, schließlich auf einen seltsamen, verborgenen Zusammenhang dieser Flüchtlingsnot mit einer tiefen Wahrheit des Christentums stoßen? Diese Frage im voraus verneinen, hieße als ein Mensch erfunden zu werden, der sich weigert, die ihm und seiner Generation von Gott aufgegebene Lektion zu lernen!
Der Mensch des 19. Jahrhunderts kannte den Pilger, abgesehen von konventionellen Redensarten, als ein Wesen, das Anlaß zu einem Gelächter gab, wie es Wilhelm Busch in seiner «frommen Helene» ironisiert hat:
Ach! da schaun sich traurig an
Pilgerin und Pilgersmann.
Das Wallertum existierte für den aufgeklärten Durchschnittsmenschen höchstens noch in der Karikatur, er sah im Pilgertum lediglich eine dumme Heuchelei, eine unter dem Deckmantel der Frömmigkeit sich vollziehende Reiselust mit allerlei fragwürdigen Abenteuern, die nichts anderes als eine beißende Satire und kalten Spott verdiene.
Dieser gedankenlosen Oberflächlichkeit wurde, gleichsam als Strafe des Himmels, der gehetzte Flüchtlingsstrom vor Augen geführt, der das überhebliche Lächeln über den Peregrinus jäh zum Verstummen brachte. Die von Gott losgelöste Heimatlosigkeit, worunter die modernen Vertriebenen zu verstehen sind, stellt unter anderem ein furchtbares Gericht dar, das über die Menschen wie ein Orkan hereinbrach. In metaphysischer Sicht nimmt sich dieses Geschehen als eine erschreckende Mahnung aus: das unfreiwillige Flüchtlingswesen steht mit dem Vergessen des freiwilligen Pilgertums in einem innern Zusammenhang.
Die zeitlose Wanderschaft konnte dieser Vergessenheit anheimfallen, weil es nicht ihrer Art entspricht, von sich ein großes Aufsehen zu machen. Beinahe unbeachtet von der Welt, geht der echte Pilger seinen stillen Weg. Er gründet keine neue Partei und entwirft kein ideales Programm für die Erneuerung der Welt. Das alles liegt seinem Wesen unendlich fern. Man kann deswegen über ihn lediglich mit bescheidenen Worten reden, und niemals ist es möglich, ihn aufzubauschen und ins Überdimensionale zu steigern, will man seine Gestalt nicht zum voraus verfälschen. Ist das enttäuschend? Hat nicht schon Jeremia zu Baruch gesagt: «Du begehrst Großes für dich? Begehre es nicht! »(Jer. 45, 5.) Es liegt eine tiefe Weisheit in diesem Wort des Propheten. Wenn das Pilgertum auch keine lärmige Angelegenheit ist, keineswegs bedeutet es deswegen eine unwichtige Sache, denn im Unscheinbaren liegt die Wahrheit; in die Dinge, welche die ganze Welt übersieht, muß man sich vertiefen, um den verborgenen Schatz im Ackerzu finden.
In aller Lautlosigkeit nimmt das Pilgertum ein wesentliches Anliegen auf, das dem Christentum in die Wiege gelegt ist. Wer Christentum sagt, der sagt auch homo viator, wie der Lateiner im Mittelalter den nach der Ewigkeit wandernden Christen nannte. Die Pilgerschaft ist unablöslich mit der christlichen Botschaft verbunden. Bereits ihre Vorläufer kennen sie. Im Alten Bund betet der Psalmist aus dem ergreifendsten Kreaturgefühl heraus: «Ich bin ein Pilgrim bei dir und ein Beisasse wie alle meine Väter», damit das Bekenntnis des religiösen Menschen aussprechend (Ps. 39,13). In diesem alttestamentlichen Selbstverständnis ist der Grundakkord angetönt, der durch alle Jahrhunderte hindurch nicht mehr verklingt. Zwar ist es eine verborgene und infolgedessen übersehene Geschichte, die bis jetzt noch nie geschrieben wurde. Auch in diesem Zusammenhang kann sie nur in einigen Stichworten skizziert werden, aber schon diese gedrängte Übersicht eröffnet den Blick in eine wenig bekannte Welt und zeigt das Christentum von einer bedeutsamen Seite.
Der Menschensohn verkörpert auch in dieser Haltung das für den Christen normative Vorbild. Jesus, als Pilger gesehen, erschließt neue Perspektiven. Keineswegs ist damit von einem abschließenden Grundbegriff die Rede, doch macht er auf den tieferen Untergrund aufmerksam. Aus Christi Munde stammt das bestürzende Wort: «Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester, aber des Menschen Sohn hat nicht, da er sein Haupt hinlege» (Mt. 8, 20). Diese befremdliche Äußerung ist nicht als Klage zu verstehen, sprach sie doch Jesus als Warnung zu einem Schriftgelehrten, der ihm unüberlegt nachfolgen wollte. Sie ist vielmehr Klarstellung der Seinslage des wahren Jüngers. Mächtiger kann man der zeitlosen Wanderschaft nicht mehr Ausdruck geben, als es Jesus in diesen unbürgerlichen Worten getan hat. Mit einer schneidenden Schärfe stellen sie sein heimatloses Sein aller biederen Seßhaftigkeit gegenüber. Das Jesuswort reißt die abgrundtiefe Kluft zwischen seiner als Fremdling über diese Erde schreitenden Menschensohnsschaft und aller späteren, in dieser Welt allzu heimisch gewordenen Christlichkeit auf. Jesus ist in seiner endgeschichtlichen Gebärdensprache das Urbild des Pilgers, er spricht auch hierin zu den Menschen: Du aber folge mir nach.
Entsprechend dieser grundsätzlichen Haltung ist das ganze Neue Testament vom Bewußtsein der Pilgerschaft durchdrungen. Es ist jenes Buch, in welchem unwiderlegbare Worte stehen, Worte, die gleich Fanfarenklängen den Menschen nicht zur Ruhe kommen lassen. Paulus macht den Korinthern klar, daß sie jetzt noch «ferne vom Herrn auf der Wanderung» sich befinden (2. Kor. 5,6), und schreibt den Philippern, «das Reich, in dem wir Bürger sind, ist in den Himmeln» (Phil. 3,20). Der gleiche Hauch weht aus der Adresse des ersten Petrusbriefes, der sich «an die erwählten Fremdlinge» richtet und die Leser ermahnt, sich auch «als die Fremdlinge und Pilgrime» zu fühlen (1.Pet. 1,1 und 2,11). Ebenso eindrucksvoll erzählt der unbekannte Verfasser des Hebräerbriefes von den Patriarchen, die «Gäste und Fremdlinge auf Erden waren. Und die solches sagen, geben zu verstehen, daß sie ein Vaterland suchen» (Heb. 11,8-14). Die Eindrücklichkeit aller Aussagen, wonach die Christen «hier keine bleibende Statt haben, sondern die zukünftige suchen», wirkt stets erschütternd und bringt die unvergängliche Peregrinatio in immerwährende Erinnerung (Hebr. 13, 14). Doch genug der Bibelworte, die alle mit gleicher Unerbittlichkeit das Pilgergefühl der urchristlichen Gemeinden dartun, womit sie sich von dem im Schlamm der Welt versunkenen Heidentum unterschieden. Die unüberhörbare Betonung der Pilgerschaft verleiht dem Neuen Testament die überweltliche Atmosphäre, die den durch keine Erbaulichkeit verdorbenen Bibelleser aus der Fassung bringt. Die Begründung für die zeitlose Pilgerschaft lag in der gespannten endgeschichtlichen Erwartung, aus welcher der urchristliche Mensch die Kraft seines Lebens schöpfte.
Die auf Erden keinen festen Wohnsitz kennende Wanderschaft war auch in der Epoche der alten Kirche keineswegs vergessen. Die stets wieder einsetzenden Christenverfolgungen hielten das Bewußtsein der Weltfremdheit wach. Ephräm der Syrer, eine hymnologische Natur unter den Kirchenvätern, schildert in seiner religiösen Lyrik zunächst die Mühsale des Pilgertums. Mit der lebhaften Hervorhebung der beschwerlichen Plagen bekundete dieser altkirchliche Mönch, daß die Peregrinatio für ihn eine Wirklichkeit und nicht bloß ein rhetorischer Kanzeleffekt war. Trotz aller Beschwernisse muß der Christus suchende Mensch auf die Pilgerfahrt gehen, denn nach Ephräms elementarem Evangeliumsverständnis ist Gott nur im Pilgerleben zu finden. Es allein schließt den Weg zur Vollkommenheit in sich. Unzählige Christen haben damals praktisch ausgeführt, was in dieser geistlichen Ode aus dem 4. Jahrhundert besungen wurde. Die alte Kirche kannte die...
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