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«Die Besserung hält an» war noch in der Morgenausgabe des Vorwärts vom 28. Februar 1925 zu lesen.[1] Die Abendausgabe erschien dann bereits mit schwarzem Trauerrand und einer Porträtzeichnung: «Reichspräsident Friedrich Ebert ist seinem schweren Leiden erlegen.» Die Bauchfellentzündung, die durch einen Blinddarmdurchbruch in die Bauchhöhle entstanden war, sei bereits im Abklingen gewesen, habe aber dann zu einer schweren Darmlähmung geführt, gegen die kein Mittel zu finden war, hieß es im Bericht der behandelnden Ärzte: «In der letzten Nacht trat gegen 5 Uhr eine plötzliche Verschlimmerung ein, die zu einem schnellen Verfall der Kräfte und um 10.15 Uhr vormittags zum Tode führte.» Ebert sei, hieß es im Vorwärts, «ohne das Bewusstsein wieder erlangt zu haben, sanft entschlafen».[2] Er wurde nur vierundfünfzig Jahre alt.
Dem angeblich sanften Tod des bewusstlosen Reichspräsidenten ging allerdings eine wahre Tortur voraus. Schon seit Weihnachten habe er sich krank gefühlt, berichtete der langjährige Hausarzt der Familie, Rainer Arnold Freudenthal, aber erst zwei Tage nach dem traditionellen Essen für das diplomatische Korps habe Ebert am 7. Februar nach ihm rufen lassen. Im Bett liegend habe der Präsident über Mattheit, Appetitlosigkeit, Husten, Luftbeklemmung und Schmerzen geklagt. Ebert litt seit Jahren an Gallensteinen, und Freudenthal vermutete offenbar zunächst, es handele sich um Gallenkoliken. Er ordnete strenge Bettruhe sowie Diät an.[3]
Eberts Zustand schien sich dann rasch zu bessern. Vier Tage nach dem Besuch seines Hausarztes verließ er für einige Stunden das Bett und erledigte eine Reihe von Dienstgeschäften. Weitere drei Tage später empfing der Reichspräsident den französischen Botschafter, und am 17. Februar gab er sogar ein Frühstück zum Abschied des amerikanischen Gesandten. Am folgenden Tag traf Ebert bei einer Sitzung des Zentralkomitees für Krebsforschung auf Professor Friedrich Kraus, den Leiter der II. Medizinischen Klinik der Charité, und der drängte ihn, wie sein Hausarzt Freudenthal, umgehend zur Erholung in ein Sanatorium zu gehen.[4] Ebert mochte sich darauf nicht einlassen, weil er fürchtete, seine politischen Gegner könnten einen solchen Kuraufenthalt gegen ihn verwenden und eine neue Schlammschlacht inszenieren. Er steckte mitten in einem politischen Rechtsstreit, der ihn tief verletzte und nachhaltig bedrückte.
Dieser Streit hatte bereits im Juni 1922 begonnen. Bei einem Besuch Eberts in München hatte ihn auf dem Bahnhofsvorplatz Emil Gansser, einer der frühen Nationalsozialisten, schreiend als «Landesverräter» bezeichnet. Hitlers Völkischer Beobachter hatte über den Vorfall berichtet, und Ebert hatte daraufhin Gansser wegen Beleidigung verklagt. Beim Prozess vor dem Münchner Amtsgericht hatte Gansser seinen Vorwurf vor allem mit Eberts Beteiligung am Streik der Berliner Munitionsarbeiter im Januar 1918 begründet. Hundertausende von Arbeitern waren damals nach fast dreieinhalb Jahren Krieg in Streik getreten und hatten Friedensverhandlungen, bessere Ernährung und ein Ende des Belagerungszustandes gefordert. Ebert hielt die Forderungen für berechtigt, sah aber unter den gegebenen Umständen keine Chance, zu einem Erfolg zu kommen. Er war als SPD-Vorsitzender in die Streikleitung eingetreten, um zu vermitteln und den Streik zu einem erträglichen Ende zu bringen.
Daraus konstruierte die nationalistische Rechte schon früh den Vorwurf des Landesverrats, der Ebert hart traf. Als national denkender und fühlender Sozialdemokrat war er seit 1914 stets dafür eingetreten, dass seine Partei im Reichstag für die Bewilligung der Kriegskredite stimmte, hatte dafür sogar die Abspaltung der parteiinternen Gegner in Kauf genommen, die 1917 die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) gründeten. Noch schwerwiegender aber war wohl für ihn, dass im Krieg zwei seiner Söhne gefallen waren. Auch den dritten hatte er nach einer Verwundung wieder an die Front ziehen lassen. Ausgerechnet diesem Mann wurde nun von der völkischen Rechten vorgeworfen, Landesverrat begangen zu haben.
Monatelang zog sich die Auseinandersetzung mit Gansser hin, der zum Beweis seiner Anschuldigung nicht nur die Vernehmung des Reichspräsidenten, sondern auch anderer namhafter Politiker verlangte - und vom Gericht zugestanden bekam. Zunächst fanden diese Vernehmungen in den Amtsräumen des Reichspräsidenten in Berlin statt, dann aber beantragte Gansser eine weitere persönliche Vernehmung Eberts durch ihn, die aber diesmal in München durchgeführt werden sollte. Das Gericht gab auch diesem Antrag statt, und der Vorsitzende Richter drohte dem Reichspräsidenten an, ihn gegebenenfalls polizeilich vorführen zu lassen oder Ordnungsgeld bzw. Ordnungshaft wegen unentschuldigten Fernbleibens gegen ihn zu verhängen. Die Vernehmung in München erledigte sich dann allerdings vorerst, weil es am 8./9. November 1923 zum sogenannten Hitler-Putsch kam. In dessen Verlauf wurde Ebert von den Putschisten als «Novemberverbrecher» für vogelfrei erklärt. Angesichts der aufgeheizten Stimmung in München waren Unruhen und Anschläge zu befürchten, wenn der Reichspräsident in die Stadt kommen sollte. Ebert zog deshalb schließlich am 17. Januar 1924 seinen Strafantrag gegen Gansser zurück.
Falls der Reichspräsident gehofft hatte, nach mehr als eineinhalb Jahren in dieser Angelegenheit Ruhe zu finden, hatte er sich getäuscht. Gansser spielte ein politisches Spiel, das darauf abzielte, Ebert mit Unterstützung einer rechtslastigen Justiz systematisch zu drangsalieren und durchaus auch gesundheitlich zu schädigen. Er veröffentlichte nun in der München-Augsburger Abendzeitung einen Artikel - als «Offener Brief» deklariert -, in dem er den Vorwurf des Landesverrats wiederholte und den Rücktritt des Reichspräsidenten forderte. Kurz darauf wurde der Artikel unter der Überschrift «Eine bittere Pille für Fritze Ebert» in der Mitteldeutschen Presse abgedruckt, die der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) nahestand. Im Wahlkampf zur Reichstagswahl am 4. Mai 1924 griffen die DNVP und ihre Presseorgane den Fall immer wieder auf. Dass Ebert seinen Strafantrag gegen Gansser zurückgezogen hatte, schlachteten sie als angebliches Schuldeingeständnis aus.
Wenn der Reichspräsident sein Amt schützen wollte, blieb ihm kaum eine andere Wahl, als nun Strafantrag gegen Erwin Rothardt zu stellen, den presserechtlich Verantwortlichen bei der Mitteldeutschen Presse. Am 23. Dezember 1924 verurteilte das erweiterte Schöffengericht des Amtsgerichts Magdeburg den Angeklagten Rothardt wegen Beleidigung des Reichspräsidenten zu drei Monaten Gefängnis. Es stellte aber in der Urteilsbegründung zugleich fest, dass Rothardts Behauptung, Ebert habe durch die Teilnahme am Munitionsarbeiterstreik vom Januar 1918 Landesverrat begangen, im strafrechtlichen Sinne zutreffend sei. Rothardt könne deshalb nicht wegen übler Nachrede verurteilt werden.
Ebert hatte sich die Wiederherstellung seines guten Namens versprochen und war nun mit einem veritablen Rufmord konfrontiert. Auch in Magdeburg stand die Justiz der Republik und ihren Repräsentanten feindlich gegenüber. Der Vertreter der Anklage ging in die Berufung, die Reichsregierung gab eine Ehrenerklärung für den Reichspräsidenten ab, herausragende Gelehrte unterschiedlicher Disziplinen stellten sich mit einer gemeinsamen Kundgebung demonstrativ auf Eberts Seite. «Doch solche Stimmen waren die Ausnahme und ihrerseits Anlass gehässiger Kommentare von rechts. Das Magdeburger Urteil tat seine Wirkung, und die richtete sich gegen Ebert und die von ihm vertretene Republik.»[5] Die Berufungsverhandlung in diesem Verfahren war zunächst auf den 17. Februar 1925 terminiert, wurde dann aber verschoben und fand wegen Eberts Tod nicht mehr statt.
Der gehässige Feldzug der nationalen und völkischen Rechten gegen den Reichspräsidenten Friedrich Ebert und die Unterstützung dieses Feldzugs durch eine republikfeindliche und rechtsorientierte Justiz zeigen eindrucksvoll, dass die Weimarer Republik mit starken und mächtigen Feinden konfrontiert war. Friedrich Ebert starb nur scheinbar eines...
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