Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Von Lebensträumen, Neuanfängen und dem Sich-Wiederfinden - ein Roman, der Mut macht und träumen lässt
Ingvild und Theodor sind schon lange ein Paar. Sie haben sich kurz nach dem Abitur kennengelernt, in derselben Stadt studiert, geheiratet, Kinder bekommen. Inzwischen sind die Kinder aus dem Haus, und die beiden verbindet ... Ja, was eigentlich? Außer der gemeinsamen Vergangenheit? Tagsüber gehen beide ihrer Arbeit nach, abends eigenen Hobbys, und selbst die Nächte verbringen sie seit einem Jahr getrennt, weil Theodor schnarcht. Als eine ziemlich schräge Ehetherapeutin ihnen rät, sich ein gemeinsames Projekt zu suchen, beschließen sie, sich endlich einen längst begrabenen Traum zu erfüllen: ein eigenes Holzhaus am Meer. Nie hätten sie damit gerechnet, dass der Weg zum Glück so holprig wird ...
Ich bin eine wahre Meisterin darin, mich vor unangenehmen Aufgaben zu drücken. Manches erledigt sich auch tatsächlich von selbst, wenn man nur lange genug wartet. Aber in diesem Fall wird meine Ehe enden, wenn ich nichts tue. Eines Tages wird Theo eine Becky treffen, oder er wird einfach vergessen, dass es mich gibt, und aus Versehen ohne mich in eine neue, altersgerechte Wohnung ziehen. Dann wäre er weg. Dieser Gedanke löst zugegebenermaßen kaum Gefühle in mir aus. Mein emotionaler Zeiger bleibt auf null stehen. Immerhin ist da auch keine Freude.
Wie konnte es so weit kommen? Theo und ich waren doch früher mal ein Traumpaar. Fremde Leute haben uns angelächelt, wenn wir Hand in Hand vorbeiliefen. Der große dunkelhaarige Mann mit den schönen grünen Augen und die schlanke blonde Frau mit den zwei Grübchen im Gesicht.
Wir sind beide in sehr hässlichen Kleinstädten in der Nähe von Köln aufgewachsen. Es war vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis wir uns über den Weg laufen, aber damals erschien es uns wie Schicksal.
Am Himmel explodierten tausend Sterne, als wir uns trafen, und das meine ich nicht metaphorisch. Ich sah Theo das erste Mal bei Rhein in Flammen, einem gigantischen Feuerwerk über dem Fluss.
Es war furchtbar voll, und ich hatte ewig an der Reihe Dixi-Klos anstehen müssen und bei der ganzen Aktion meine Freunde, mit denen ich gekommen war, aus den Augen verloren. Um nach dem ewigen Anstehen endlich etwas vom Feuerwerk zu sehen, lief ich mit dem Blick in den Himmel los und rannte dabei Theo über den Haufen. Der hatte einen ziemlich blöden Abend, weil ihm eine Stunde zuvor sein Geldbeutel geklaut worden war. Er hielt mich wütend fest, weil er glaubte, ich sei eine weitere Taschendiebin.
»Ich bin blank«, sagte er nachdrücklich.
»Sehr erfreut, ich bin Ingvild.« Ich lächelte ihn an und konnte sehen, wie seine Aggression wegschmolz. Wir kamen ins Gespräch, und ich lud ihn auf ein Bier und eine Bratwurst ein.
Einige Jahre lang blieben Bier und Bratwurst unser spezielles Essen. Wann immer es etwas zu besprechen gab, fuhren wir an einen Imbiss und bestellten immer dasselbe: Bier und Bratwurst, wie an jenem 11. Juli, als wir uns verliebten.
Als Anne geboren wurde, hörten wir damit auf. Wir vergaßen unsere Besprechungstradition und mit ihr auch den 11. Juli.
Gerade steht Theo unheimlich günstig. So eine Gelegenheit kommt so schnell nicht wieder. Mein Herz klopft. Wenn ich jetzt zögere, ist der Moment vorbei. Ich pirsche mich zügig und unbemerkt von ihm an.
Während ich mich positioniere, schätze ich die Fallhöhe und den angestrebten Winkel ab. Dann setze ich alles auf eine Karte und schubse ihn mit Schmackes. Ich setze an seinem Oberarm an, mit genügend Kraft, um den großen moppeligen Mann zu Fall zu bringen. Er verliert das Gleichgewicht. Alles läuft nach Plan, bis er hektisch nach mir greift und mich mit in die Tiefe reißt.
Er landet rücklings auf unserer Couch, und ich falle weich, wunderbar gepolstert durch seinen Bauch, auf ihn.
Er sieht mich erstaunt an. Es ist seltsam, nach so langer Zeit seinen Körper unter mir zu spüren. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal mit ihm geschlafen habe. Es muss Jahre her sein, denn es lief schon einige Zeit nichts mehr zwischen uns, als unsere Tochter Anne auszog. Sie nahm ihr Bett nicht mit nach München, und so konnte ich Theo endlich aus dem Schlafzimmer verbannen, in dem er mich Nacht für Nacht wachgeschnarcht hatte. Es ist eine gute Lösung für uns beide. Er kann jetzt noch bis in die Nacht am Laptop sitzen, und ich kann früh schlafen gehen, ohne vom Licht oder dem Tippen auf der Tastatur gestört zu werden.
Glücklicherweise bin ich nicht so schlaflos wie unsere Freundin Christa. Aber bei vielen Frauen in meinem Alter hat sich der Schlaf zu einem scheuen Tier entwickelt, das man mit dem leisesten Rascheln verscheuchen kann und dann mühevoll wieder anlocken muss. Und das parallel zu der Entwicklung der Männer, die mit den Jahren immer besser und vor allem lauter schlafen!
»Was war das denn?«, fragt er mich, mehr belustigt als sauer. Jetzt wäre der Moment, um sich hochzurappeln, aber ich bleibe liegen.
»Wir müssen reden.«
Ich erschrecke vor dem Satz und bin einen kurzen Moment lang nicht mal sicher, ob ich ihn ausgesprochen habe. Theo schaut mich freundlich an und wälzt mich dann von sich herunter, als wäre ich eine Decke, die ihm auf einmal zu warm wird.
Er lässt mich liegen, steht auf und geht ein paar Schritte durch das Wohnzimmer, als wolle er testen, ob ich auf dem Satz bestehe.
»Ist dein Kreislauf okay?«, fragt er mit einem Blick auf mich, der nur kurz währt.
Ich rapple mich hoch. Ein großer Teil von mir will einfach so tun, als hätte es diesen Satz von mir gerade nicht gegeben. Theo ist nicht darauf angesprungen, warum also soll ich mich noch einmal aufs dünne Eis wagen?
Das Schubsen hat von der Kraft her gut geklappt. Ich muss nur dringend verhindern, mit in die Tiefe zu stürzen. Vor allem, wenn kein Sofa in erreichbarer Nähe steht. Ich bin erstaunt, wie recht Karla hatte: Ein Mord braucht wirklich präzise Vorbereitung, sonst stirbt man am Ende noch selbst.
Meine Hände schwitzen. Sie wissen vor mir, was ich jetzt sagen werde: »Lass uns heute Abend eine Bratwurst essen gehen.«
Theos Blick wird unergründlich. Er dreht sich von mir weg, zögert ein paar Sekunden und sagt dann ganz beiläufig: »Klar, gerne.«
Es ist ein Tag, um Helden zu zeugen. Der Himmel ist blau, und wir haben uns einen Imbiss an der Elbe ausgesucht. Stehtisch mit Blick auf das Wasser. Es ist noch so schön hell. Jeden Winter, wenn schon um 16 Uhr die Sonne untergeht, tröste ich mich mit dem Gedanken, dass die Nächte im Sommer lang und hell sein werden, aber ich kann es nicht recht glauben. Jetzt kann man endlich erahnen, dass wir wieder dorthin kommen. Ich atme die erste zarte Frühlingsluft tief ein und schaue auf die Containerkräne am anderen Flussufer.
Hamburg hat so etwas Monumentales. Eine Bratwurst vor dieser Kulisse lässt einen glauben, man würde in einem Tatort mitspielen.
Ein leichter Wind weht. Möwen fliegen über uns. Ich weiß nicht, ob es Theo auch so geht, aber ich bekomme immer noch ein kribbelig schönes Gefühl im Bauch, wenn ich eine Möwe sehe. Und das, obwohl wir jetzt schon über zwanzig Jahre in Hamburg leben.
Bisher haben wir relativ schweigend unsere Wurst gegessen. Ich warte, dass Theo mich fragt, worüber ich reden wollte, und er wartet, dass ich anfange zu reden.
Wir schauen beide die meiste Zeit auf das Wasser, das unbeeindruckt von allem an uns vorbeifließt.
»Wir müssen an unserer Ehe arbeiten.« Ich habe keinen Mut für eine Einleitung, also komme ich gleich zum Punkt.
Theo schaut mich aufmerksam an. In seinen Augen liegt keine Verwunderung. Wir halten kurz Blickkontakt, dann sieht er auf den Rest seiner Wurst.
Immerhin. Ich werte das als Zustimmung und traue mich, etwas mehr zu sagen. »Wir sind zu einer WG geworden.«
»Das muss ja nichts Schlechtes sein«, sagt er und versucht, unbeschwert zu klingen, was ihm nicht ganz gelingt.
»Es könnte aber auch besser sein. Um einiges besser, findest du nicht?« Ich pikse mit dem Holzstäbchen winzige Löcher in meine Wurst.
Theo seufzt. »Wir sind halt nicht mehr zwanzig. Das Leben ist nicht mehr so rosarot wie am Anfang.«
Mit Anfang meint er den Beginn unserer Beziehung. Die Zeit, in der wir uns kaum mit Freunden treffen konnten, weil wir mit uns selbst so viel zu tun hatten.
»Aber es wäre doch wünschenswert, wenn da überhaupt eine Farbe wäre. Wenn du unsere Ehe malen müsstest: Welche Farbe würdest du nehmen?«
Ich weiß, dass ihn solche Fragen überfordern. Ich nutze sein Zögern und mache es zu meinem Argument: »Ganz genau. Unsere Ehe hat überhaupt keine Farbe mehr.« Ich steche zu heftig in meine arme Wurst. Sie platzt auf, und ich esse sie schnell, damit ich sie nicht länger so sehen muss.
Das Paar links neben uns verlässt seinen Stehtisch. Theo trinkt aus seiner Bierflasche. Mir ist das alles zu wenig, darum frage ich ihn: »Ist es für dich denn schön, so wie es zwischen uns ist?«
Ich gebe mir Mühe, keinen Vorwurf in diese Frage zu legen, aber ich bin mir nicht sicher, ob mir das glückt. Theo schaut auf die Elbe, dann auf seinen Ellbogen. Schließlich gibt er sich einen Ruck und sagt: »Nein, Vivi. Es ist nicht schön für mich. Ich habe das Gefühl, dass dich meine Anwesenheit die meiste Zeit einfach nur nervt. Und es ist egal, was ich mache, es ist sowieso falsch. Wenn ich dich frage, wie dein Tag war, kriege ich diesen Wie-soll-er-schon-gewesen-sein-Blick, und wenn ich nicht frage, starrst du sauer auf den Balkon.«
Starre ich wirklich sauer auf unseren Balkon? Es war mir nicht bewusst, aber wenn ich drüber nachdenke, fürchte ich, Theo hat recht. Ich verbringe wirklich viel Zeit damit, sauer auf den Balkon zu gucken. Er liegt dafür einfach relativ günstig. Durch die großen Fenster kann man praktisch von überall im Wohn- und Esszimmer sauer auf ihn glotzen.
Ich nicke verständnisvoll. Daraus schließt er die Genehmigung, weiter über mich zu reden. »Alles ist falsch. Sitzen ist falsch und Liegen sowieso. Du bist immer sauer, sobald ich irgendwo liege.«
»Das stimmt doch gar nicht«, widerspreche ich. »Ich bin nur sauer, wenn du rumliegst, während ich etwas mache. Den Tisch abräumen, zum Beispiel.«
»Ingvild«, er klingt jetzt aufgebracht und benutzt meinen vollen Namen, »ich räume den Tisch nicht...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.
Dateiformat: ePUBKopierschutz: ohne DRM (Digital Rights Management)
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet – also für „glatten” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Ein Kopierschutz bzw. Digital Rights Management wird bei diesem E-Book nicht eingesetzt.