Schweitzer Fachinformationen
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23.02.2019
Meine Lieben Bald zwei Monate in meiner neuen Heimat! Und es ist schön, dass ich immer wieder von euch höre und spüre, dass es euch gut geht und ihr so viel Anteil nehmt an meinen Erlebnissen. Mit Skype und Telefon sind wir schon toll vernetzt, und Entfernungen spielen gar nicht mehr so eine grosse Rolle. Die Zeit vergeht wie im Flug.
Inzwischen ist der Frühsommer eingekehrt mit 31° / 32°, gefühlten 35°... Mein Leben ist nach wie vor spannend und vielfältig.
Die Tage über das Frühlingsfest sind sehr interessant. Zuerst habe ich die Kracher wahrgenommen, die lustvoll zu jeder Tages- und Nachtzeit losgelassen werden, dann sind plötzlich die acht grossen dicken Goldfische aus dem Teich verschwunden und wohl in einen Kochtopf gesprungen. Dass etwas Besonderes bevorsteht, ist offensichtlich, denn die Wohngegend wimmelt plötzlich von unzähligen Besuchern mit grossen Paketen und Töpfen und Tellern unter Alufolie. Die beiden Tage von Sylvester / Neujahr bleibe ich allein zu Hause und fühle mich ein bisschen wie an Weihnachten ohne Familie. Aber die Atmosphäre in meiner Umgebung ist mit dem fröhlichen Kichern der Kinder und dem Lachen der Grossen so entspannt und zufrieden, dass es einfach wohltut. Um Mitternacht herum kracht und bollert es dann ununterbrochen. Ich renne schnell aus dem Haus, um auch etwas vom Spektakel zu sehen, doch ausser Geknatter und Wetterleuchten hinter den Bäumen ist da nichts. Dieses Jahr sei es sowieso verboten, Feuerwerkskörper abzubrennen. Das scheint hier niemanden zu interessieren. Der Spass daran ist einfach zu gross!
Etwas später gehe ich auf meine erste kleine Reise zum Haus von Miao's Eltern. Sie wohnen in Wanning, einer «Kleinstadt» mit 55'000 Einwohnern. Um dorthin zu gelangen, muss ich mit dem Taxi zum Ostbahnhof in Haikou, 30 Minuten Fahrt für etwa 5 Franken. Die Fahrkarte wird schon vorher online bestellt. Man braucht dafür alle Angaben aus dem Pass. Auf dem Bahnhof gibt's ein grosses Gedränge. Heerscharen müssen sich und ihr Gepäck durchsuchen lassen. Dann wird in der Halle gewartet, bis es Zeit ist zum Gleis zu gehen. Alles ist auf einer grossen Anzeigetafel publiziert und wird ausgerufen, so dass gar nichts falsch laufen kann. Danach gibt's Passkontrolle und ein simples, aber effektives System für den Eintritt in den Zug: Mit dem Ticket wird nämlich jedermann ein Platz zugewiesen, samt Wagennummer. Auf dem Bahnsteig sind Pfeile aufgemalt, wo sich die Türe zum entsprechenden Wagen befinden wird. Zentimetergenau. Alle stehen schön brav in der Reihe, nur dass im letzten Augenblick die Invasion von der Seite beginnt und ein Riesengedränge vor der Türe entsteht, so dass sich alle Aussteigenden einen Weg bahnen müssen. Gefahren wird mit schweizerischer Pünktlichkeit!!! Wenn ich dann vor meinem Platz stehe, ist er garantiert schon besetzt, wird aber widerstandslos frei gemacht. Wir sitzen hier wie im Flugzeug, alle schauen in dieselbe Richtung. Es gibt viel Platz für die Beine, und überhaupt sind die Züge modernster Ausführung.
Mein Fensterplatz ermöglicht mir einen ersten Eindruck von der Insel: Reisfelder, Palmen, viele kleine Pünten, Schrebergärten mit üppig wachsendem Gemüse. Kleine Dörfer mit grauen Häusern wie in den alten Hutongvierteln in Peking. Flüsse, Teiche mit vielen, vielen Enten (Kochtopfnachschub ). Breite Autobahnen im Bau, die man beinahe wachsen sieht. Nach einer Stunde Fahrt und einem Schwebegefühl bei 250 km/h komme ich dann in Wanning an. Miao holte mich ab. Mit dem Bus geht's quer durch die Stadt. Es ist kaum zu spüren, dass da so viele Menschen wohnen, denn es wirkt ländlich. Es ist heiss, heisser als in meinem Park in Haikou, wo der Wind vom Meer her für etwas Abkühlung sorgt. Und es hat Moskitos! Sie lieben mich einfach...
Miao's Eltern wohnen in einem nigelnagelneuen Haus, sehr schön und liebevoll gepflegt. Obwohl sie arme Bauern sind, war ihnen dieser Aufschwung möglich und sie konnten sogar alle drei Kinder an die Universität schicken. Die Mutter steht morgens um vier auf, richtet das Frühstück für die Familie und fährt um halb sieben mit dem Elektroroller los zur Arbeit auf dem Feld. Dort schuftet sie den ganzen Tag in der prallen Sonne als Tagelöhnerin für ein bescheidenes Entgelt. Jeder Batzen wird fürs Haus auf die Seite gelegt. Abends um sechs kommt sie nach Hause und kocht dann auch noch das Essen auf dem Holzherd, wenn ihre Kinder nicht zu Hause sind und mithelfen. Sie putzt und wäscht und erledigt den ganzen Haushalt, bis sie wohl todmüde ins Bett fällt.
Der Ehemann beginnt seinen Tag geruhsamer, etwa um acht Uhr (auch gern unterbrochen von einer Siesta). Dann werden zuerst die Schweine geduscht und gefüttert, die Ställe gereinigt, die Hühner und Enten versorgt. Manchmal, bei Taifun-Wetter, sagt Miao, müssen die Schweine schwimmen in ihren Koben. Das sind winzig kleine Häuschen aus Stein mit richtigem Ziegeldach. Sie sehen aus wie Spielhäuschen für Kinder. Zwischen Tür und Angel isst der Vater einen warmen Maiskolben. Danach wandert er in die Pünt und erntet das Gemüse für den Tag, Auberginen, Zwiebeln, salatähnliches Grünzeug, Sellerie, Kefen, Bohnen, grüne Papaya, Süsskartoffeln. Ein ausgeklügeltes System von Kanälen sorgt für die nötige Bewässerung. Aber allein schon hierher zu spazieren ist eine Herausforderung in dieser Hitze, geschweige denn arbeiten... Später kümmert er sich ums tägliche Eiweiss, meist Hühner oder Enten, und je nach Jahreszeit, um die Früchte von hohen Palmen. Sie sehen beinahe aus wie Datteln, sind aber grösser und orange. Wir kennen sie als Betelnüsse. Miao's Eltern bieten mir augenzwinkernd an, sie zu versuchen. Ich glaube man wird recht beschwipst davon. Vielleicht nächstes Mal!
Nach dem Mittagessen mit vielen verschiedenen Gemüsen, Hühnerfleisch, Fisch oder Schwein, mit Reis und interessanten Gerichten, wie geschnittene Ananas zusammen mit Gurken (eine Art Fruchtsalat, süss-bitter im Geschmack), sitzt der Vater fröhlich in der Stube und plaudert ohne Punkt und Komma. Er ist glücklich, dass ihm jemand zuhört, denn wenn seine Frau ausser Haus auf Arbeit ist und die drei Kinder in Haikou sind, fühlt er sich wohl manchmal sehr allein. Überhaupt ist es eindrücklich, was diese Familie an Kultur erschaffen hat. Kein Handy während des Essens, sondern miteinander reden, sich erzählen, Teil haben lassen am Alltag in einer warmen, freundschaftlichen Atmosphäre. Jeder ist willkommen, auch die vielen Verwandten. Allein der Vater hat vier Brüder, die nummeriert angesprochen werden (Wu Shushu, fünfter Onkel), dazu kommen die Ehefrauen und die vielen Cousins und Cousinen von Miao. Kaum jemand spricht mandarin, sondern meist nur die Sprache der Einheimischen, den Hainan Dialekt. Alle sind freundlich und interessiert, alle wollen mich kennenlernen, und kaum bin ich da, findet ein Strom von Besuchern seinen Weg zu uns ins Haus. Man sitzt ein bisschen, schaut ein bisschen aus den Augenwinkeln. Selbstverständlich wird auch alles geteilt: Wenn jemand Fische gefangen hat, landen zwei bei uns im Haus. Ein anderer taucht mit einer Flasche Wein auf, eine Frau schenkt mir einen Kuchen aus Reis und grünen Bohnen.
Am vierten Abend nach Neujahr kocht die Mutter «für den Buddha». Das ist der Küchengott, der einige Tage nach Neujahr wieder ins Haus einzieht und den man mit festlichem Essen willkommen heisst. Dazu richten sie einen schönen, schlichten Altar mit Kerzen und Blumen und Räucherstäbchen. Überall hängen herausfordernd farbige Abbilder, und um jede Türe rote Bänder mit Glückwünschen für das neue Jahr. Der Vater ist begabt und hat sie selber gemalt.
An diesem Abend verbrennt er in einer grossen Metallschale Falschgeld, damit das Echte nicht zu knapp wird, dann knattern auch vor unserem Haus drei Minuten lang die Chinaböller, damit die bösen Geister abgeschreckt und verbannt werden.
An einem Nachmittag wandern wir durchs Dorf und ich werde ausgiebig gemustert, bin für viele Menschen vielleicht die erste Weisse. Am andern Tag erzählt mir die Familie, was sie über mich gehört haben: Ich hätte eine wunderschöne Nase und eine wunderbar weisse Haut (die jetzt schon brauner ist als ihre eigene). Und ich sei wie eine von ihnen. Ob ich vielleicht Miao's Schwiegermutter sei? Sie lacht und versichert mir, dass sie nicht heiraten will, aber mich nähme sie schon.
Am Ende meines Besuchs möchte mir der Vater unbedingt ein lebendes Huhn mitgeben. Mit Schrecken sehe ich mich im überfüllten Zug sitzen, ein gackerndes, flatterndes Huhn unter dem Arm, hihi. Mit aller Mühe kann ich ihn davon überzeugen, dass mein kleiner Balkon nicht die richtige Übergangslösung ist zwischen Bauernhof und Kochtopf. Ich versichere ihm, dass ich gern wieder komme und das Huhn dann mit ihnen esse. Das tröstet ihn.
Als ich nach Haikou zurückreise, kann ich mich nicht einmal verabschieden. Die Mama ist auf dem Feld, der Papa macht Siesta, der scheue, freundliche Bruder ist wohl bei Freunden und die kleine...
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