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Mein Herz spürt die Erleichterung eines Märchens mit wirklichen Feen und beginnt die Sicherheit zu kennen, sich nicht mehr zu fühlen.
Fernando Pessoa
Der Besuch eines Märchenlandes ist für den normalen Menschen mit einigen Hindernissen verbunden. Die aufkommenden Fragen lauten wie folgt: Wo liegt das Land? Wie komme ich dorthin? Und, nicht zuletzt, was erwartet mich dort? Im Fall des modernen Märchenlandes Portugal lassen sich die Fragen eins und zwei leicht beantworten. Im äußersten Südwesten Europas liegend, kann man es von Spanien aus eigentlich kaum verfehlen. Und auch die direkten Flugverbindungen, die Lufthansa und TAP Air Portugal anbieten, lassen uns das Land in weniger als drei Stunden fliegend erreichen. Indes: großwüchsige Teutonen mögen mit den etwas eng wirkenden Sitzreihen der für die schmalen und eleganten Portugiesen gestalteten TAP ihre Probleme haben. Schwieriger wird es erst bei Frage drei. Wer die handelsüblichen Reiseführer erwirbt, kann sich zwar lesend ein erstes Bild von den dort zu erwartenden Menschen, Landschaften und Speisen machen, scheitert aber an einer wesentlichen und unausweichlichen Crux des Märchenlandes: Es ist immer anders, als man denkt.
Daher ist Vorsicht angeraten. Denn was macht ein Märchenland noch? Es gibt Rätsel auf. Und was Portugal anbelangt, hat es im wesentlichen mit dem Wasser zu tun. Sei es der Atlantische Ozean, über den die großen Entdeckungsfahrten der portugiesischen Seefahrer ihren Anfang nahmen. Sei es der Regen, der den iberischen Küstenstreifen so fruchtbar und grün im Gegensatz zu seinem großen trockenen Nachbarstaat Spanien hält. Oder die sagenhaften Heilquellen des Landes, zu denen sparsame Einwohner Hunderte von Kilometern fahren, um das geweihte Naß in unzähligen Plastikkanistern auf den Rücksitzen ihrer Autos nach Hause zu transportieren, um so von den legendenumwobenen Kräften des Getränks profitieren zu können.
Prinzipiell müßte man also nach Art des Märchens das Land auf dem Wasserweg erreichen. Aber der weniger beschwerliche Luftweg, so man die portugiesische Nationalfluglinie TAP wählt, zeigt ebenfalls, wie tief die Wurzeln des Landes noch immer in der Geschichte liegen, und vor allem in der Geschichte seiner Entdeckungen auf den Weltmeeren. Wählte man nämlich bis vor kurzem die teure Buchungsklasse, fand man sich unversehens in der »Navigator Class« wieder und war augenblicklich Teil eines Lebensprogramms, das sich aus der historischen Vergangenheit speist. Leider glaubt man wohl auch in der Marketingabteilung der TAP an die Macht der Globalisierung und es heißt nun, langweilig wie überall, »Business Class«. Alles, was davon übrig blieb, ist ein Vielfliegerblog namens navigatorclass. So zeitigt der große Navigator und Weltsüchtige wenigstens als Schwundstufe noch Folgen: Heinrich der Seefahrer nahm bereits an der ersten aller maritimen Eroberungen teil, in das 1415 anvisierte Ceuta, direkt gegenüber von Gibraltar an der nordafrikanischen Küste. Heinrich, selbst Sohn des Königs Johann I., markiert verbrieftermaßen den Beginn jenes Reise- und Eroberungswahns im Zeichen des Glaubens.
Seine Vorleistungen waren es, die später Vasco da Gama zum Nationalhelden machten, von dessen Ruhm das große Epos »Os Lusadas« von Lus Vaz de Camões erzählt. Was den Griechen Homers Odyssee, den Römern die Aeneis des Vergil, das sind für die Portugiesen die Lusiaden. Camões, der fast exakt im Todesjahr Vasco da Gamas geboren wurde, wäre als Augenzeuge der Seereisen, die er später beschreiben sollte, in Asien fast ums Leben gekommen. Nach seiner nicht ganz so weiten Fahrt zog sich Heinrich nämlich zurück, um den Ruhm von Portugal aus zu mehren: Als Ausbilder von Seeleuten und Navigationsforschern errichtete er das Zentrum seines Wirkens am südwestlichsten Ende Europas, auf den steilen Küstenklippen von Sagres, in der Nähe des Cabo de São Vicente. Die führenden Köpfe seiner Zeit, darunter Mathematiker, Astrologen und Kartographen, versammelte er, um dort, das anbrandende Meer vor Augen, vor der Welt den Beweis anzutreten, daß die Erde keine Scheibe ist, indem er sie umsegeln ließ. Noch heute trägt das Kap im Volksmund einen Namen, den es damals vor den Seefahrten innehatte: o fim do mundo, das Ende der Welt.
Wie stark diese Traditionen auch im zeitgenössischen Portugal verankert sind, zeigt ein ehrgeiziges Projekt des Instituto Hidrográfico in Lissabon. Untergebracht im alten Nonnenstift Das Trinas, von wo aus bereits neben anderen Vasco da Gama aufgebrochen war, wird in den alten Räumlichkeiten an einer neuen Eroberung der Welt geforscht. Freilich virtuell, wie es sich heute gehört. Die Meereskarte der Erde für die globale Nutzung, an der die Ozeanographen basteln, soll künftig unter anderem dazu dienen, Schiffe mit Hilfe des Satellitensystems GPS (Global Positioning System) rechtzeitig vor Untiefen und Hindernissen zu warnen. Die neuen Vermesser der Weltmeere sehen sich denn auch als Nachfahren des ersten großen Kartographen, Heinrich des Seefahrers. Euphorische Stimmen sprechen schon jetzt von der Wiedergeburt des Entdeckergeistes der Portugiesen in den Untiefen des WorldWideWeb. Vorgestern Seefahrer, übermorgen Internet Explorer. Aber dies ist Zukunftsmusik, und lange waren die Portugiesen vor allem vernarrt in die Vergangenheit. Ein weiteres Merkmal, das sie mit dem Märchen verbindet, das bekanntlich mit den immer gleichen drei magischen Worten beginnt: Es war einmal.
Dieser Satz war lange Zeit wie kein anderer geeignet, die Grundstimmung der Portugiesen zu charakterisieren. Denn die große Zeit des Landes, sie dauerte nicht lange, und seither schaut man im wesentlichen zurück. Die Helden der Märchen sind Abenteurer, sie suchen die Weite, um Prüfungen zu bestehen, die ihnen auferlegt werden. Auch die Eroberung Amerikas durch Christoph Kolumbus verbuchen manche Portugiesen als Leistung ihres Landes, da man dem Seefahrer hochmütig die Unterstützung seiner Reise nach Indien verwehrte und dieser sich, so behaupten sie, daher verirrte. Nach vollendeter Atlantik-Überquerung wähnte er sich bereits am Ziel seiner Wünsche. Indes, es war der falsche Kontinent.
Auch Portugal selbst war dem Reisenden lange Zeit ein solcher unentdeckter Kontinent. Durch das faschistische Salazar-Regime im Europa des 20. Jahrhunderts zusehends isoliert, war es nur den wenigsten mehr als vom Hörensagen bekannt. Für Mittelmeer-Urlaube lag es zu weit ab, klassische Bildungsreisende vermißten dort mangels besseren Wissens einen Hintergrund wie in Griechenland oder Italien. Und der Polittourist fand das Land erst spannend, seit die sozialistische Nelkenrevolution den Militärs eine Nachprüfung in Flower Power auferlegte. Wer seinerzeit dorthin aufbrach, wurde Zeuge, wie ein Land aus dem vielzitierten Dornröschenschlaf erwachte. Das autoritäre Regime hatte eine Art Glasglocke über die Kultur gestülpt, die nach dem Lüften sichtlich aufblühte. Was aber dabei zum Vorschein kam, war ein Land, das nicht nur eine der ältesten Universitäten auf europäischem Boden beherbergte, nämlich die elegante erste Königsresidenz Coimbra. Es wurde vielmehr offenbar, welche Schätze das einstmals reichste Land Europas aus den Zeiten der Herrschaft auf den Weltmeeren noch immer barg. Freilich im Zustand des fortgeschrittenen Verfalls, der von da an zum Inbegriff des Portugiesischen wurde: Melancholie, verstaubte Pracht, vergangene Größe und die tränenreiche Volksmusik des Fado.
Hier kam man her, um zu träumen und einem Europa hinterherzutrauern, wie es sonst nur noch im Kakanien Robert Musils überliefert war. Ein Land als musealer Zustand, zum Auftanken gegen die verhaßte Moderne im übrigen Europa. Nur hier, so war der Gedanke, schien er noch möglich, der Müßiggang als Tagewerk, das in Wien oder Salzburg erlernte Festhalten an der Tasse Kaffee über mehrere Stunden hinweg. Doch auch dieses sagenhafte Portugal, wie man es noch in Wim Wenders' Filmeloge »Lisbon-Story« porträtiert findet, ist nicht mehr überall vorherrschend. Vielmehr fügen sich neue Facetten hinzu und lassen im Portugal des 21. Jahrhunderts noch immer den Ursprung durchschimmern. Schließlich ist die Vergangenheit nicht zuletzt das touristische Kapital eines Landes. Dafür, daß das Portugal der Gegenwart trotz all seiner melancholischen Behäbigkeit nicht den Anschluß an die Zukunft und ihr griffiges Synonym (Europa) verliert, sorgt seit Neuestem, man glaubt es kaum, die Politik. Mit dem konservativen José Manuel Durão Barroso als Kommissionspräsident, der für den Wechsel nach Brüssel im Jahre 2004 sogar seinen Turnus als Premierminister des Landes Portugal nach der Hälfte der offiziellen Amtszeit abbrach, bekam die Europäische Union zum ersten Mal eine Art symbolisch-diplomatisches Oberhaupt. Barrosos mediterrane Eleganz und sein Repräsentationsgeschick ließen auf dem internationalen Parkett so ziemlich jede Figur jenseits von Barack Obama reichlich alt aussehen. Der promovierte Politik- und Rechtswissenschaftler hat die Charmanz eines luziden Bühnenkünstlers und könnte problemlos die Hauptrolle in einer Verfilmung der portugiesischen Buddenbrooks, dem Roman »Os Maias« von José Maria de Eça de Queiroz spielen. Er war in seiner Studentenzeit (Lissabon, Genf, Florenz, New York) revoluzzernder Maoist und ist heute mit einer Literaturprofessorin verheiratet. Mitten im Ausbruch der Euro-Krise wurde er für weitere fünf Jahre im Amt bestätigt und garantiert seitdem dank seiner Herkunft ein tieferes Verständnis an oberster EU-Stelle für besonders hart von Schulden geschüttelte Staaten. Merke:...
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