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Wenn ich über mich selbst sage oder schreibe »Ich bin fett«, dann fühlen sich sehr viele Menschen verunsichert, überrumpelt oder sogar angegriffen. Vor allem dünne, normschöne Menschen. Und ich könnte hier natürlich mit einer witzigen, leicht verdaulichen Anekdote in dieses Kapitel einsteigen. Es euch Leser*innen angenehm gestalten. Aber das möchte ich nicht. Denn diese Gesellschaft macht absolut gar nichts dafür, dass mein Leben als fette Person auch nur erträglich ist. Fett zu sein bedeutet, jeden einzelnen Tag in meinem Leben gegen ein System anzukämpfen, das meine Existenz nicht aushalten kann. Ein System, das mich lieber sterben sehen würde als leben. Das klingt hart? Ja, das ist es. Dünne Menschen denken beim Thema Fettfeindlichkeit vielleicht an Diskussionen über Schönheit und an fette Körper als Gegenpol zu ihrer Existenz. Menschen denken an Krankheiten, Diäten, Faulheit, Trägheit, mangelnde Disziplin, Dummheit und individuelles Versagen. Ich denke an den täglichen Kampf. Darum, dass ich gesehen werde. Als Mensch.
Wann immer wir uns über Körper im Patriarchat unterhalten, sprechen wir eigentlich über den Ursprung patriarchaler Strukturen. Im Körper manifestiert sich die Unterdrückung, die nicht allein auf der Geschlechtszugehörigkeit basiert, sondern zu der weitere Diskriminierungsformen hinzukommen. Deshalb betrachte ich den Körper aus intersektionaler Perspektive und spreche über Anti-Schwarzen Rassismus, Fettfeindlichkeit, Ableismus, Transfeindlichkeit und Transmisogynie.
Ich schreibe dieses Kapitel aus der Sicht einer fetten, rassifizierten, nicht binären Person, der bei der Geburt das weibliche Geschlecht zugewiesen wurde. Und aus der Sicht einer Person, die zwei Kinder zur Welt gebracht hat. Das führt uns gleich zum ersten Aspekt in einer Reihe vieler Gewissheiten, die wir sehr gern verlernen dürfen.
Insbesondere das Bild der züchtigen, tugendhaften, christlichen Frau wurde im Kolonialismus bewusst genutzt, um nicht weiße Körper zu entmenschlichen und Gewalt an ihnen zu legitimieren. Ein wirklich schreckliches Beispiel für diese Entmenschlichung ist Sarah »Saartjie« Baartman. Sie wurde um 1789 in Südafrika geboren und war eine Khoikhoi. Kolonialisten nannten Menschen wie Saartjie »Hottentotten« - ein gewaltsamer Begriff für die Völkerfamilie der Khoikhoi, der bis heute als Beschreibung für vermeintlich unzivilisiertes Verhalten verwendet wird. Saartjie war eine fette, Schwarze Frau. Mit nicht einmal 20 Jahren wurde sie nach Europa gebracht und dort als »Kuriosität« ausgestellt. Weiße Menschen betrachteten ihren Körper als Form der absurden Unterhaltung. In Großbritannien bekannt als »Hottentot Venus«, in Frankreich als »Vénus hottentote«, wurde Saartjie begafft, verspottet, fetischisiert - entmenschlicht. Ihr Körper war für weiße Menschen nichts weiter als ein Ding, das ihnen »Spaß« bringen sollte. Und das bis über ihren Tod hinaus. Saartjie starb am 29. Dezember 1815, mit nur 26 Jahren. Ihr Körper wurde seziert und konserviert. Und Saartjie ist nur ein Beispiel von unzähligen. Fette, Schwarze und Braune, indigene Menschen und ihre Körper wurden von weißen Menschen ausgebeutet und konsumiert. Sie waren »Forschungsobjekte«, »Vergnügen«, »Besitz«. Diese Verbrechen weißer Menschen müssen als solche benannt und verurteilt werden.
Und die Gewalt wirkt bis heute fort. Nicht normschöne, nicht weiße, dicke, fette, dick_fette, mehr- und hochgewichtige Körper werden auf unterschiedliche Arten entmenschlicht. Ein Teil dieser Entmenschlichung basiert auf geschlechtlichen Stereotypen. Das binäre Geschlechtssystem kennt zwei Kategorien: »Männlichkeit« und »Weiblichkeit«. Was »weiblich« ist, kann nicht »männlich« sein und umgekehrt. »Weiblichkeit« wird von der patriarchalen Gesellschaft als minderwertig abgewertet. Doch noch weiter unten in der Rangfolge befinden sich Personen, die von dieser rigiden Darstellung der Weiblichkeit abweichen: diejenigen, die nicht »weiblich« genug sind, weil sie die fragile, unterwürfige, weiße Schönheit nicht verkörpern. Diese wird definiert von Anti-Schwarzem Rassismus und von Fett- und Transfeindlichkeit.
Auch die Kategorie der gesellschaftlichen »Männlichkeiten«, die innerhalb patriarchaler Strukturen nicht männlich genug oder der »Weiblichkeit« zu ähnlich sind, ist konstruiert. Und spätestens jetzt wird deutlich, wie absurd diese Konstrukte sind: Unsere Körper sind im Patriarchat entweder »weiblich« und somit schwach, sie sind nicht »weiblich genug« und somit wertlos oder sie sind dem »weiblichen zu ähnlich« und somit ebenso Abwertung und Gewalt ausgesetzt. Alle diese Kategorien legitimieren unterschiedliche Arten von Gewalt an nicht normschönen Körpern.
Wir glauben, wir könnten Geschlechter an bestimmten körperlichen Merkmalen festmachen und aufgrund eines Penis oder einer Vulva das Erleben und Handeln eines Menschen oder einer ganzen Personengruppe erklären und festlegen. Doch das ist ein Trugschluss. Ich bin eine Person mit Vulva und Vagina. Ich habe Kinder zur Welt gebracht. Aber ich bin keine Frau. Ich bin nicht binär. Meine Pronomen sind they/them. Das Paradoxe ist, dass mir Menschen vor meinem Outing als nicht binäre Person »Weiblichkeit« immer abgesprochen haben. Als fette, Braune Person war ich nicht »weiblich« genug. Als nicht binäre Person wird mir diese Weiblichkeit dann plötzlich zugesprochen und aufgezwungen.
Die Entmenschlichung und daraus folgende Unterdrückung und Nutzung dieser Körper ist wesentlich für den Erhalt patriarchaler Privilegien. Um es mit einem plakativen Beispiel zu verdeutlichen: Fette Schwarze und Braune Frauen und nicht binäre Menschen dürfen der Gesellschaft gerne dienen und dafür dann auch noch dankbar sein. Wir dürfen putzen, kochen, Nanny sein, in Fabriken arbeiten, überall dort arbeiten, wo man uns nicht sieht. Wir dürfen keine Rechte einfordern, sind nicht sichtbar, werden nicht repräsentiert. Denn es soll uns nicht geben. Aber es gibt uns. Und wir wollen uns nicht verstecken. Wir wollen nicht versteckt werden. Jedoch sind wir vor allem für cis Männer oft nicht mehr als ihr geheimster Fetisch.
Sabrina Strings arbeitet in Fearing the Black Body - The Racial Origins of Fat Phobia heraus, wie die gegensätzlichen Kategorien Weiblichkeit und Männlichkeit entstanden sind, wie sehr sie auf Misogynie und Transmisogynie basieren und mit der Dämonisierung von dicken und fetten Schwarzen und Braunen Körpern verknüpft sind. Auch heutzutage ist das Idealbild einer Frau: zierlich, dünn, untergeben, diszipliniert - und eben auch: weiß. Die Verwirklichung patriarchaler Machtstrukturen. Im Gegensatz dazu steht der üppige, runde, kurvige, dicke, fette Schwarze und Braune Körper. Ein Körper, der in diesem System die allerschönste Rebellion und Revolution darstellt. Schwarzen und Braunen Frauen wurde und wird ihre Weiblichkeit abgesprochen. Denn Weiblichkeit war gleichbedeutend mit Schwäche, und »schwache, weibliche Körper« hätten keine körperlich so extrem harte Arbeit auf Plantagen leisten können. Indem man Schwarze und Braune Frauen nicht als Frauen anerkannte, konnte man ihnen dieselbe Arbeit wie Männern zumuten. Das Absprechen ihrer Weiblichkeit legitimierte Entmenschlichung und Ausbeutung.
In der patriarchalen Gesellschaft ist ein »schöner Körper« ein weißer, dünner Körper. Und ein »guter« Körper ist ein weißer, dünner, gesund erscheinender. Da'Shaun L. Harrison schreibt in Belly of the Beast - The Politics of Anti-Fatness as Anti-Blackness: »Die Schreibweise von Hübsch mit großem H meint viel mehr als nur das äußere Erscheinungsbild und erfordert, über die daraus folgenden strukturellen Vorteile gegenüber Hässlichen Personen nachzudenken. Wenn ich das H in Hübsch, das S in Schön und das H in Hässlich großschreibe, dann möchte ich damit benennen, wer Zugang zu Attraktivitätskapital hat und wer nicht, das heißt, wer Identitäten verkörpert oder besitzt, die zu mehr Chancen, Macht und Ressourcen führen. Genauer gesagt sind >hübsch<, >schön< und >hässlich< - wenn sie kleingeschrieben werden - subjektiv. Sie sind keine Identitäten, sondern werden vom Individuum bestimmt. Sie sind dann immer noch im Anti-Schwarzen Rassismus verwurzelt, aber keine strukturellen Identitäten. Wenn Hübsch, Schön und Hässlich großgeschrieben werden, gründen sie im Gegensatz dazu auf den Strukturen, die zur Marginalisierung von Menschen aufgrund ihres Schwarzseins, ihrer Gender(freien)- Präsentation und ihres Körpers führen. Insbesondere in den USA basieren Schönheitsstandards auf Anti-Schwarzem Rassismus, Fettfeindlichkeit,...
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