Schweitzer Fachinformationen
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Ende 2010 kam Nish Acharya in Washington D.C. an, bereit, seinen Job anzutreten. Präsident Barack Obama hatte ihn zum Leiter Innovation und Entrepreneurship ernannt und zum leitenden Berater des Wirtschaftsministeriums gemacht. Zu Acharyas Aufgaben zählte die Koordination von 26 verschiedenen Bundesbehörden und über 500 Universitäten, um Fördergelder in Höhe von insgesamt 100 Millionen Dollar zu verteilen. In anderen Worten entwickelte er sich gerade zu einem der typischen Macher aus der Hauptstadt: ständig das Smartphone in der Hand, Nachrichten fliegen hin und her, 24 Stunden am Tag. Aber dann brach das Netzwerk zusammen.
Eines Dienstagmorgens, erst einige Monate, nachdem er seinen neuen Posten angetreten hatte, bekam Acharya eine E-Mail von seinem IT-Verantwortlichen, der ihm erklärte, dass das Büronetzwerk aufgrund eines Computervirus vorübergehend heruntergefahren werden müsse. »Wir gingen alle davon aus, dass sich das innerhalb weniger Tage beheben ließe«, erzählte mir Acharya in einem Interview, das ich später wegen dieses Ereignisses mit ihm führte. Doch diese Vorhersage erwies sich als außerordentlich optimistisch. In der folgenden Woche berief eine Staatssekretärin des Wirtschaftsministeriums eine Besprechung ein und erklärte, dass man davon ausgehe, dass der Virus seinen Ursprung im Ausland habe. Der Heimatschutz empfehle, dass man das Netzwerk bis auf Weiteres ? also bis zur Rückverfolgung des Angriffs ? abgeschaltet lassen solle. Zur Sicherheit müssten daher die Festplatten aller Computer, Laptops, Drucker - also alle Geräte im Büro mit einem Chip - gelöscht werden.
Eine der wichtigsten Folgen dieses vollständigen Abschaltens war, dass das Büro nun keine E-Mails empfangen oder versenden konnte. Aus Sicherheitsgründen durften generell keine privaten E-Mail-Adressen für die Kommunikation zu Regierungsbelangen verwendet werden. Außerdem verhinderten bürokratische Hürden, übergangsweise die Netzwerke anderer Bundesbehörden zu nutzen. Damit waren Acharya und sein Team praktisch von dem hektischen Pingpong digitaler Nachrichten abgeschnitten, das zur Arbeit übergeordneter Institutionen der US-Bundesregierung einfach dazugehörte. Der Black-out dauerte sechs Wochen. Der Tag, an dem das all dies begann, ging als »Dunkler Dienstag« in die Geschichte von Acharyas Büro ein ? man nahm es mit Galgenhumor.
Wenig überraschend verwandelte der plötzliche und unerwartete Ausfall der E-Mails einige Aspekte von Acharyas Arbeit »zu einer ziemlichen Hölle«. Weil der Rest der Regierung nach wie vor von diesem Kommunikationsinstrument abhängig war, fürchtete er, wichtige Meetings oder Anfragen zu verpassen. »Es gab also eine existierende Leitung«, beschrieb er die Situation, »aber ich war davon abgeschnitten.« Auch die Logistik war schwierig. So gehörte es zu Acharyas Aufgaben, zahlreiche Besprechungen anzusetzen, dies war aber ohne E-Mails eine recht mühsame Angelegenheit.
Allerdings geschah etwas, womit Acharya nicht gerechnet hätte: Entgegen seiner Erwartung kam seine Arbeit in diesen sechs Wochen nicht zum Erliegen, sondern er musste stattdessen feststellen, dass er seine Aufgaben tatsächlich besser erledigt bekam. Da er bei einer Frage nun nicht mehr die Möglichkeit hatte, einfach kurz eine E-Mail zu schicken, erhob er sich von seinem Schreibtisch, um die betreffende Person persönlich zu sprechen. Weil es nun so schwierig war, diese Besprechungen zu organisieren, plante er längere Termine ein, während deren er die Menschen wirklich kennenlernen und die Feinheiten der Themen begreifen konnte, mit denen sie sich beschäftigten. Wie sich herausstellte, erwiesen sich diese längeren Sitzungen Acharya zufolge als »sehr wertvoll«, gerade für ein neu berufenes Mitglied des Stabs, das versuchte, die subtilen Dynamiken innerhalb der US-Regierung zu verstehen.
Da er in dieser Zeit aber keinen E-Mail-Eingang zwischen den Besprechungen checken musste, entstand eine Phase der kognitiven Ruhe, die Acharya »Leerraum« nannte. Sie ermöglichte es ihm, tiefer in die Forschungsliteratur und Gesetzestexte einzutauchen, die für seine Themenbereiche relevant waren. Aufgrund der ruhigeren und bewussteren Art und Weise, in der er jetzt Denkarbeit verrichtete, kam Acharya auf einige bahnbrechende Ideen, die schließlich die Agenda seiner Behörde für das ganze folgende Jahr bestimmen sollten: »In Washingtons Politikszene nimmt sich niemand diese Zeit. Alle gucken ständig neurotisch auf ihr Handy, um E-Mails zu checken - das aber bremst den Einfallsreichtum.«
In unserem Gespräch über den Dunklen Dienstag und dessen Nachwirkungen fiel mir auf, dass viele Schwierigkeiten, die den Totalausfall zur »Hölle« machten, lösbar schienen. Wie Acharya einräumte, konnte er seine Besorgnis, er wäre vom Kommunikationsstrom abgeschnitten, lindern, indem er täglich das Weiße Haus anrief. Mithilfe dieser Telefonate fand er heraus, welche Sitzungen stattfanden, bei denen er dabei sein musste. Vermutlich hätte auch ein engagierter Assistent oder ein jüngeres Teammitglied diese Anrufe tätigen können. Aber darüber hinaus gab es noch das Ärgernis, Meetings planen zu müssen, aber das hätte ebenso von einem Assistenten oder einer Art automatisiertem System zur Terminplanung übernommen werden können. Kurzum: Scheinbar war es möglich, die grundlegenden Vorteile des E-Mail-Blackouts beizubehalten, während viele der lästigen Begleiterscheinungen vermieden werden konnten. »Was würden Sie von dieser Arbeitsweise halten?«, fragte ich Acharya, nachdem ich ihm meine Vorschläge unterbreitet hatte. Für einen Moment war es still in der Leitung. Ich hatte eine derart absurde Idee vorgeschlagen - nämlich vorübergehend ohne E-Mails zu arbeiten -, dass Acharyas Gedanken einen Moment lang innehielten.
Seine Reaktion überraschte mich nicht. Eine allgemein akzeptierte Prämisse moderner Wissensarbeit lautet, dass die E-Mail unsere Rettung sei. Sie verwandelte schwerfällige, altmodische Büros, in denen Sekretärinnen Telefonnotizen und Aktenvermerke auf Papier schrieben, die dann mittels Rollwagen verteilt wurden, in eine schnittigere und effizientere Sache. Dieser Prämisse entsprechend ist es, wenn Sie sich von Hilfsmitteln wie E-Mail oder Messenger-Diensten überfordert fühlen, ein sicheres Zeichen dafür, dass Sie zu Schludrigkeit neigen. Sie müssen ganz einfach Ihren E-Mail-Eingang in konzentrierten Blöcken überprüfen, Ihre Benachrichtigungen abschalten und Ihre Betreffzeilen präziser formulieren! Wenn Ihnen die Belastung durch den Posteingang wirklich zu viel wird, dann muss vielleicht Ihr ganzes Unternehmen seine »Regeln« optimieren, was beispielsweise den Zeitrahmen betrifft, innerhalb dessen eine E-Mail zu beantworten ist. Nie aber wird der Wert konstanter elektronischer Kommunikation grundsätzlich hinterfragt, die unser modernes Arbeiten definiert. Dies gilt als absolut reaktionär und nostalgisch ? als würde man etwa den guten alten Tagen der Pferdekutschen oder des romantischen Kerzenlichts hinterherjammern.
Aus dieser Perspektive betrachtet war Acharyas Dunkler Dienstag eine Katastrophe. Aber was ist, wenn wir das Ganze umkehren? Was wäre, wenn E-Mails Wissensarbeit nicht retten würden, sondern wir stattdessen kleine Vorteile gegen große Nachteile bezüglich wahrer Produktivität (keine hektische Betriebsamkeit, sondern echte Ergebnisse) eintauschten? Was, wenn dies in den letzten 20 Jahren zu einem langsameren Wirtschaftswachstum geführt hätte? Was, wenn unsere Probleme mit diesen Instrumenten nicht auf schlechten Gewohnheiten basierten (die sich leicht ändern ließen), sondern darauf, dass sie unsere Arbeitsweisen unerwartet und drastisch verändert haben? Was, wenn ? in anderen Worten ? der Dunkle Dienstag keine Katastrophe war, sondern ein Vorgeschmack darauf, wie die innovativsten Führungskräfte und Unternehmer ihre Arbeit in naher Zukunft organisieren werden?
Schon seit mindestens fünf Jahren bin ich von der Frage besessen, wie E-Mail unsere Arbeit grundlegend verändert hat. In diesem Prozess war das Jahr 2016 ein wichtiger Wendepunkt, das Jahr, in dem ich ein Buch mit dem Titel Konzentriert Arbeiten (Deep Work) herausgebracht habe, das sich dann zu einem Überraschungshit entwickelte.
In diesem Buch vertrete ich die Hypothese, dass die Wissensbranche die Konzentrationsfähigkeit unterschätzt. Während die Fähigkeit, mittels digitaler Nachrichten blitzschnell zu kommunizieren, nützlich ist, erschweren die ständigen Unterbrechungen durch diese Tools das Fokussieren. Das wiederum hat mehr Einfluss auf unsere Fähigkeit, wertvollen Output zu produzieren, als wir annehmen. Bei dem Schreiben von Konzentriert Arbeiten habe ich nicht viel Zeit auf die Reflexion verwandt, wie es dazu kam, dass wir in der Flut unserer E-Mails ertrinken, ohne...
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