Schweitzer Fachinformationen
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Gerade mal zehn Jahre alt,
wollt’ ich mir die Welt anseh’n.
Bei Christen, Moslems und Orthodoxen
fand ich Unterschlupf
mal frierend, mal schwitzend, mehr schlecht als recht.
Drei Pfennig und ein Stück Brot im Sack
war alles, was ich von zu Hause mitnahm.
Laufbursche war ich, Pferdeknecht und Koch,
sogar zum Ruder musst’ ich greifen.
Bis Kreta ging’s, hin und retour,
ich pfiff schon aus dem letzten Loch.
Nach Oswald von Wolkenstein ›Es fügt sich‹
Jenny Sommer betrat den Burghof von Schloss Tirol nahe der Kurstadt Meran. Durch das offene Fenster des Rittersaales klangen Singstimmen und Instrumente. Das Ensemble probte. Ein kräftiger Bariton unterbrach die schwungvolle Darbietung: »Viola, dein Einsatz war zu spät. Bitte von vorn.«
Die hohe Frauenstimme, die zu vernehmen war, gehörte mit Sicherheit der Angesprochenen. »Nein, ich war nicht zu spät. Ihr anderen wart zu früh.« Gemurmel setzte ein, das stetig an Lautstärke zunahm. Jenny vermeinte ein »Natürlich, wir sind schuld« herauszuhören. Die Männerstimme erhob sich wieder. »Ruhe bitte, wir probieren es noch einmal.«
Jenny zog die Augenbrauen hoch. Das fing ja gut an. Hoffentlich einigten sich die Musiker bis zu Beginn des Konzerts. Eine misslungene Aufführung wäre das Letzte, was sie heute Abend gebrauchen konnte. Immerhin traten die ›Freudenklänge‹, so der Name des Ensembles, ja nicht vor irgendwelchen Banausen auf, die ohnehin keinen Unterschied zwischen richtig und falsch bemerkten. Die gesamte Elite der Forschung über Oswald von Wolkenstein versammelte sich heute Abend. An die 200 Experten aus Europa und Übersee waren zu dem Symposium über den berühmten Dichtersänger angereist, der im 15. Jahrhundert in Südtirol gelebt und gewirkt hatte. Diesen Leuten konnte man kein D für ein E vormachen. Viola würde gut daran tun, an ihrem Tempo zu feilen, um mit den anderen Ensemblemitgliedern Schritt halten zu können.
Wozu sonst hatten sie die ›Freudenklänge‹ engagiert? Die Gruppe, die samt und sonders aus Absolventen der Hochschule für Alte Musik in Basel bestand, war in Fachkreisen berühmt für seine gelungenen Interpretationen mittelalterlicher Lieder. Momentan machten sie allerdings keinen besonders professionellen Eindruck. Da konnte man nur hoffen, dass der Chef der Truppe seine störrische Interpretin bis zu Beginn der Vorstellung zur Räson brachte.
Jenny setzte sich auf eine der Bänke im Burghof von Schloss Tirol. Nur einige wenige Fahrzeuge und Taxis mit einer speziellen Genehmigung durften den schmalen Weg, der von Dorf Tirol zum Schloss führte, befahren. Der Großteil der Besucher zog es daher vor, die etwa 20-minütige Strecke bis zur Burg per pedes zu bewältigen.
Der Fußmarsch erforderte gute Kondition. Zwar ging es zunächst recht eben dahin, und der Wanderer konnte das herrliche Panorama mit Blick auf Meran und die umliegenden Berge genießen. Doch je näher Jenny dem mächtigen Gebäude, das die Grafen von Tirol im 11. Jahrhundert erbaut hatten, kam, desto steiler ging es bergauf. Wer auf dem Weg entlang des vor allem im Frühjahr und Sommer meist feuchtschwülen Sonnenhanges nicht ins Schwitzen geriet, dem trieb die letzte steile Serpentine, die zum Burgtor führte, mit Sicherheit den Schweiß auf die Stirn.
Wenn man Pech hatte, auch in die Achselhöhlen. Jenny hob diskret den rechten Arm, um sich zu vergewissern, dass ihr Deo die Strapazen ausgehalten hatte. Schließlich war sie nicht zum Vergnügen hier, sondern in offizieller Funktion. Als PR-Beraterin hatte sie sich um die Öffentlichkeitsarbeit für das Symposium zu kümmern. Ihr ehemaliger Doktorvater Arthur Kammelbach, Germanistikprofessor aus Salzburg und wissenschaftlicher Leiter des Symposiums, hatte ihr diesen Auftrag verschafft. Die Pressekonferenz würde morgen im Kurhaus von Meran stattfinden, wo auch das Symposium tagte. Jenny wollte heute am Eröffnungsabend auf der Burg einen guten Eindruck machen.
Eigens für die Kongressteilnehmer waren Shuttlebusse eingesetzt worden. Jenny hätte den Service nutzen können. Doch sie hatte es vorgezogen, sich alleine auf den Weg zu machen. Mit dem Bus der Linie 221 war sie von Meran nach Dorf Tirol heraufgefahren und von dort zu Fuß auf die Burg gegangen.
In Wien, wo sie ihre PR-Agentur betrieb, hatte sie keine Gelegenheit zu ausgedehnten Wanderungen in der freien Natur. Daher war sie fest entschlossen, bei ihrem Aufenthalt das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden und möglichst viel Südtiroler Bergluft einzuatmen.
Mittlerweile bezweifelte sie allerdings, dass der Fußmarsch eine gute Idee gewesen war. Nach den starken Regenfällen der vergangenen Tage hatte sich die Sonne ihren Weg durch die Wolken gebahnt und verbreitete eine drückende Schwüle.
Jenny wiederholte den Achselhöhlentest, diesmal auf der linken Seite. Schweißgeruch war definitiv das Letzte, was sie heute Abend gebrauchen konnte – abgesehen von einer glänzenden Nase.
Rasch nahm sie die Puderdose aus ihrer Handtasche und betrachtete sich in dem kleinen runden Spiegel. Kein Zweifel, es gab Renovierungsbedarf.
Nachdem sie das Döschen wieder zugeklappt und verstaut hatte, machte sie sich auf den Weg zur Toilette. Dabei fiel ihr Blick auf den Bergfried, der die imposante Anlage überragte. Sie hatte im Vorfeld einiges über die Burg gelesen und wusste, dass dort das einstige Verlies lag. Die Haftbedingungen in dem Kerker waren so hart gewesen, dass kaum einer der Verurteilten je wieder lebend herausgekommen war.
Jenny schauderte. Es war gar nicht so lange her, dass sie unfreiwillige Bekanntschaft mit einem Verlies gemacht hatte.
Die Stimme des Baritons rief sie zurück in die Gegenwart: »Bitte von vorn.« Viola hatte offenbar noch immer nicht das richtige Tempo gefunden.
*
»Krischtl, du kannsch die Becher herstellen. Na, Walther, du tuasch nimmer die Tisch hin- und herrucken, sonscht fallt all’s wieder obi.«
Martha Tappeiner stieß die Kommandos stakkatoartig hervor. Bis zum Eintreffen der Gäste dauerte es nicht mehr lange, und nach wie vor herrschte hier das reinste Chaos. Dabei hatte sich die Betreiberin eines Buschenschanks in St. Michaela ursprünglich sehr über den Auftrag gefreut. Bei der heutigen Soirée sollte sie für das leibliche Wohl der Anwesenden sorgen. An die 200 Doktoren, die alle an einem großen Kongress über Oswald von Wolkenstein teilnahmen, galt es zu verköstigen. Dazu kamen einige wichtige Leute aus der Gegend. Der Bürgermeister hatte sich angesagt, der Direktor des Tourismusvereins und sogar die Vizequästorin vom Kommissariat in Meran.
Fehlte nur, dass der Landeshauptmann höchst persönlich auftauchte. Immerhin war er oberster Chef des Südtiroler Landesmuseums, das auf Schloss Tirol beheimatet war. Er stand, soviel sie wusste, allerdings nicht auf der Gästeliste.
Auch so brachte die heutige Veranstaltung Martha Tappeiner beinahe an die Grenzen ihrer Kapazitäten. Aperitif mit Spezialitäten von Burg und Berg, in der Pause Schmankerln aus Kammer und Kessel – so hatte der Auftrag gelautet.
Normalerweise arbeiteten die Betreiber der Burg fix mit einer Gastwirtschaft der Umgebung zusammen. Doch ihr einflussreicher Arbeitgeber, bei dem Martha ihr saisonal schwankendes Einkommen im Buschenschank aufbesserte, hatte dafür gesorgt, dass diesmal sie zum Zug kam.
Inzwischen bereute sie ihre Zusage allerdings. Zuerst hatten die Auftraggeber von ihr verlangt, dass sie und ihre Helferinnen sich in grobe Leinenkittel kleideten. Die beiden Burschen im Team mussten lederne Kniehosen und lose herabfallende Baumwollhemden tragen. Das alles, um dem Ganzen eine authentische, mittelalterliche Note zu geben.
Doch die sackartige Bekleidung passte hinten und vorne nicht, der derbe Stoff kratzte und die langen Röcke waren bei der Arbeit eher hinderlich. Den Burschen schien es mit ihren um die Schenkel flatternden Hosen auch nicht besser zu gehen. Damit nicht genug, lautete der Auftrag, dass sie neben Bier – von der altehrwürdigen Brauerei Forst – und Wein – von den Hängen hinter Schloss Tirol – auch etwas Typisches ohne Alkohol ausschenkten.
Apfelsaft hatte sie vorgeschlagen, schließlich war die ganze Umgebung voller Apfelbäume. Zu wenig originell, hatte es geheißen. Sie möge sich etwas anderes einfallen lassen. Bis sie auf die Idee mit dem Rosenwasser gekommen war, das sie aus Rosenblüten selbst hergestellt hatte.
Ein polterndes Geräusch ließ Martha aufschrecken. Ah, Walther und Luis rollten das Bierfass herein. War ja auch Zeit geworden. Es musste rechtzeitig aufgebockt werden, damit der Bürgermeister den Anstich vornehmen konnte. Martha fragte sich, ob hier nicht ein wenig zu viel Aufwand für die gelehrten Gäste betrieben wurde. Andererseits war es ihr recht. Einen Zuverdienst konnte sie wirklich gut gebrauchen, gerade jetzt, wo …
»Kann i scho zum Einschenken anfangen, Mama?« Die Stimme ihrer Tochter riss Martha aus ihren Gedanken. Mit geröteten Wangen stand die Kleine da und versuchte gerade, einen mit Wein gefüllten Krug zu stemmen. »Na, wart no a bissl, bis die Gäscht kemmen.« Martha blickte liebevoll auf das Mädchen. Eine Schönheit war sie zwar nicht – die flachsblonden Haare hingen ihr strähnig auf die Schultern und die...
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