Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Sie war wie eine Königin,
stolz und herausgeputzt,
übertraf sie alle anderen.
Ihre Kleider waren kostbar;
die Krone, reich verziert,
stand ihr gut zu Gesicht.
Frei nach >Laurin<
Sylvia Karbon tätschelte den Nacken ihrer Haflingerstute Stella und beugte sich nach vorn. »Bisch a gonz a Brave«, murmelte sie dicht am Ohr des Tieres. »Oamal no, nor homm mir's gschofft.«
Wie zur Bestätigung hob das Pferd den Kopf, senkte ihn wieder und stieß ein zustimmendes Schnauben aus. Sylvia zog die Zügel straffer. Mit festem Schenkeldruck dirigierte sie das Tier den Weg hinauf zum Schloss Prösels.
Auf der Wiese vor der mächtigen Burganlage war die letzte Station des Oswald-von-Wolkenstein-Ritts. Das Turnierspiel, das alljährlich von den Ortschaften Kastelruth, Seis und Völs im Naturpark Schlern-Rosengarten zu Ehren des Minnesängers ausgerichtet wurde, hatte Reiterinnen und Reiter aus ganz Südtirol herbeigelockt. In Mannschaften zu je vier Teilnehmern kämpften sie um den Sieg.
Einem dieser Teams, der Mannschaft >Prösels König Laurin<, gehörte Sylvia an. Es war nicht das erste Mal, dass sie und ihre Reiterkollegen an dem Turnier teilnahmen. Aber so gut wie in diesem Jahr hatten ihre Siegeschancen nach den ersten drei der vier Stationen noch nie gestanden. Um sieben Uhr waren sie unten im Eisacktal in Waidbruck bei der Trostburg aufgebrochen. Schon da hatte Sylvia ein gutes Gefühl gehabt. Heute oder nie, hatte sie beim Anblick ihrer drei Mitreiter gedacht, die mit ihren roten Gilets, den schwarzen Hosen und der blauen Tiroler Schürze darüber diesmal besonders schneidig wirkten.
Sylvia trug die gleiche Tracht. Ein frühmorgendlicher Blick in den Spiegel hatte sie davon überzeugt, dass ihr die den sportlichen Anforderungen entsprechende maskuline Kleidung ebenso gut stand wie das Dirndl mit dem buntgeblümten Rock und dem tannengrünen Mieder, das sie am Vortag beim großen Festumzug angehabt hatte. Die lange blonde Mähne trug sie zu Zöpfen geflochten hochgesteckt. Das sah gut aus und verhinderte, dass ihr die Haare während des Ritts ins Gesicht flogen und sie genierten.
Während sie mit Stella das letzte Wegstück über den steil ansteigenden Hang zum Turnierplatz ritt, ließ sie die bisherigen drei Stationen gedanklich Revue passieren: Beim Ringstechen auf dem Kastelruther Kofel1 waren sie sofort in Führung gegangen. Im schnellen Galopp hatten sie ihre zweieinhalb Meter langen Bannerstangen durch die hoch über ihnen hängenden Ringe geworfen und sie anschließend wieder aufgefangen. In der Bestzeit von 54,48 Sekunden hatten sie die erste Station bewältigt.
Beim zweiten Tournierspiel, dem Labyrinth in Seis, unterliefen ihnen Fehler, die mit empfindlichen Strafsekunden geahndet wurden. Sie hatten die Führung abgeben müssen und waren auf den vierten Platz zurückgefallen. Beim Hindernis-Galopp am Völser Weiher, bei dem im Ritt Kanonenkugeln aufgenommen und anschließend in einen Bottich geworfen werden mussten, ging zunächst alles gut. Alle vier Reiter lenkten die Pferde über die Cavaletti, ohne einen einzigen Balken zu berühren. Beim Abwurf der Kugel unterlief Sylvia ein Missgeschick: Das Geschoss prallte am Rand des Behälters ab und landete knapp daneben. Dafür erhielt das Team fünf Strafsekunden.
Anschließend weigerte sich Orlando, der Araberhengst ihres Verlobten und Mannschaftskollegen, den Zieleinlauf wie gefordert im Rückwärtsgang zu passieren. Bis sein Reiter das eigenwillige Tier zur Räson gebracht hatte, war wertvolle Zeit verstrichen. Ihre schärfsten Konkurrenten hatten jedoch ebenfalls gepatzt, sodass Sylvias Mannschaft den vorläufigen vierten Gesamtrang hatte verteidigen können. Ihre Chancen auf den Sieg waren intakt geblieben.
Die letzte Herausforderung lag vor ihnen: der Tor-Ritt vor der eindrucksvollen Kulisse des Renaissance-Baus, der mit seiner weiß gekalkten Fassade, den Türmchen und Erkern den ursprünglichen mittelalterlichen Kern ummantelte. Auf der Schlosswiese war eine Tribüne errichtet worden, von der aus die Zuschauer das Geschehen auf dem Parcours mitverfolgen konnten. Es galt, mit dem Stecken in der Hand zwischen den mit rot-weißen Südtiroler Fähnchen beflaggten Stangen hindurchzureiten, ohne sie zu berühren. Gelang dies nicht, ertönte ein Glöckchen und der Reiter erhielt pro Fehler drei Strafsekunden.
Obwohl diese Station besonders große Geschicklichkeit erforderte, war Sylvia überzeugt, dass sie sie glänzend meistern würde. Denn keiner der vier Turnierplätze war ihr so vertraut wie der vor dem Schloss. Hier hatte sie schon als Kind mit ihren Kameraden gespielt und auf dem Rücken von Ponys ihre ersten Reitversuche unternommen. Die Burg auf einem Hang nahe der Ortschaft Völs am Schlern war bis heute Sylvias Wegbegleiterin geblieben. Bald würde dort das wichtigste Ereignis in ihrem bisherigen Leben stattfinden: ihre Hochzeit.
Sylvia betrachtete dies als gutes Omen. Hinzu kam, dass Stella sich beim Probetraining vor zwei Tagen in Bestform gezeigt hatte. Sie hatte die Stute zunächst am Zügel zwischen den Slalomstangen durchgeführt, um ihr ein Gefühl für den Parcours zu geben. Das Tier war aufmerksam und willig gewesen, den anschließenden Ritt hatten sie in persönlicher Rekordzeit und fehlerlos bewältigt. Sylvia war voller Zuversicht, dass ihnen dies auch heute gelingen würde.
Zufrieden betrachtete sie die Schlossmauern, deren Inneres für sie wie eine zweite Heimat war. Ihr Blick wanderte zur Menge, die sich hinter den Absperrungen drängte. Der Platzsprecher verkündete das Ergebnis der vorhergehenden Mannschaft und verabschiedete sie. Sylvia machte sich bereit. Sie war die Erste ihrer Staffel. Gefolgt von den drei Teamkollegen ritt sie an den Start, die Zügel in der linken und die Bannerstange in der rechten Hand.
»Wir begrüßen jetzt die Mannschaft >Prösels König Laurin<«, tönte es aus dem Lautsprecher. Sylvia vernahm ihren eigenen Namen sowie den jeweiligen ihrer drei Teamkollegen. Anschließend wurde ihre bisherige Platzierung bekannt gegeben und die Zeit genannt, in der ihre Staffel diese Station bewältigen musste, um die begehrte Trophäe mit dem Konterfei des einäugigen Ritters Oswald von Wolkenstein sowie die Siegesprämie zu ergattern: Eine Minute und sieben Sekunden. Das war zu schaffen, wie Sylvia vom Training her wusste.
Auf das >Start frei< des Sprechers gab sie Stella die Sporen; sie preschten los. Geschmeidig bewegten sie sich zwischen den Slalomstangen, eine nach der anderen umkurvten sie in hohem Tempo, ohne dass das Glöckchen, das einen Kontakt anzeigte, erklang. Jetzt kam die scharfe Kehre und es ging auf dem gleichen Weg zurück, um an dessen Ende den Stab dem nächsten Reiter zu übergeben. Beinah wie im Flug erreichte sie das Ziel fehlerfrei.
»Karbon, Sylvia, super Ritt!«, lobte der Sprecher. Nun kam es auf ihre Teamkollegen an. Gebannt verfolgte Sylvia, wie jeder der drei Männer die Strecke meisterte, ohne die Torstangen zu berühren. Pferde und Reiter wirkten so elegant und harmonisch wie Profitanzpaare auf dem Parkett.
Geschafft! Sie waren ohne eine Strafsekunde durchgekommen. Die Zeit, die sie benötigt hatten, war allein für das Ergebnis ausschlaggebend. Sylvia übergab den Staffelstab an eine der Ordonanzen und erhielt dafür die Stange mit dem Banner ihres Teams. Es zeigte Schloss Prösels und die Silhouette des Sagenkönigs Laurin mit seinem langen Bart und seiner Krone. Stolz schwang Sylvia es an der Spitze ihrer Mannschaft, die begleitet von kräftigem Applaus die Ehrenrunde drehte.
»1 : 05, 30«, verkündete der Sprecher. Sylvia und die drei Reiter brachen in Jubel aus. Sie wussten, dass sie dieses Spiel gewonnen und den ersten Platz in der Gesamtwertung zurückerobert hatten, noch ehe das Endergebnis durchgesagt wurde. Es war ihnen gelungen, ihre schärfsten Konkurrenten zu überholen. Die Mannschaften, die nach ihnen folgten, lagen zu weit abgeschlagen, um ihnen den Sieg noch streitig machen zu können. Das Team >Prösels König Laurin< stand als Gewinner des diesjährigen Turniers fest.
Sylvia hatte ihre Stute abgesattelt und schickte sich an, sie an dem dafür vorgesehenen Holzgeländer festzubinden. Einige Pferde standen schon dort und frasen friedlich das Heu, das ihre Reiter von einem nahe gelegenen Versorgungswagen für die Tiere geholt hatten. Auch Stella machte sich über ihr Futter her, kaum dass Sylvia es gebracht hatte. Liebevoll betrachtete sie die kauende Stute. Sie war ein freundliches, gutmütiges Pferd. Sylvia würde sie bis nach der Siegerehrung hier lassen und anschließend für den Transport verladen.
Sie sah zu den Anhängern, die am Parkplatz bereitstanden. Der Araberhengst Orlando befand sich bereits in seiner Box. Er war äußerst temperamentvoll und wurde leicht nervös. Ihr Verlobter hatte es daher zu riskant gefunden, ihn im Freien zu lassen, wo Kinder spielten und den Pferden nahe kamen.
Von ihrem Standort aus hatte Sylvia das Pferd genau im Blickfeld. Der Anhänger, in dem sich Orlando befand, war auf der Rückseite geöffnet. Ihm näherte sich ein als mittelalterlicher Gaukler verkleideter Händler, der während des Reiterfestes verschiedene Waren feilbot, und gab dem Tier einen Klaps auf das Hinterteil. Selbst auf die Entfernung bemerkte Sylvia, dass Orlando diese Geste nicht goutierte. Er begann, seine Kehrseite unruhig hin und her zu schwenken. Mit der Hinterhand trat er nach der Gestalt, die rasch zur Seite sprang und hinter dem daneben stehenden Wagen Zuflucht suchte, bevor sie...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.
Dateiformat: PDFKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Das Dateiformat PDF zeigt auf jeder Hardware eine Buchseite stets identisch an. Daher ist eine PDF auch für ein komplexes Layout geeignet, wie es bei Lehr- und Fachbüchern verwendet wird (Bilder, Tabellen, Spalten, Fußnoten). Bei kleinen Displays von E-Readern oder Smartphones sind PDF leider eher nervig, weil zu viel Scrollen notwendig ist. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.