Schweitzer Fachinformationen
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PROLOG
Der Junge konnte nicht schlafen.
Er versuchte es nun schon seit Stunden, wenigstens um dem Tosen des Wassers, dem heftigen Schaukeln des Schiffes und dem grollenden Donner von draußen für kurze Zeit zu entfliehen. Doch was er auch tat, ob er nun die Augen zusammenkniff oder sich sein kleines, weiches Kissen, so fest er konnte, aufs Ohr presste, nichts reichte aus, um das Wüten der Naturgewalten auszublenden.
Es war furchtbar.
Bereits an Land hatte er Gewitter gehasst, doch er hätte niemals gedacht, dass es auf dem Meer so schlimm sein würde. Dass es sich an Bord des Schiffes anfühlen würde, als segelten sie geradewegs durch die Hölle.
Das Schiff neigte sich quälend langsam zur Seite, sodass die große Wasserflasche, die neben den beiden Kojen auf dem Boden lag, polternd gegen die gegenüberliegende Wand kullerte.
Fast gleichzeitig rollte ein weiterer tiefer Donner über sie hinweg. Draußen auf dem Gang hörte der Junge hastige Schritte vorbeieilen und den Klang aufgewühlter Stimmen.
Die Erwachsenen waren alle auf den Beinen. Mama und Papa sowie die Eltern seines besten Freundes - sie alle versuchten gemeinsam, das Schiff zu navigieren, es stabil zu halten und wieder heil aus dem Sturm herauszubringen. Nur den beiden Kindern hatte man die Gefahr an Deck offenbar nicht zugetraut. Als sich die ersten dunklen Wolken blitzend am Horizont gezeigt hatten und der Wind langsam an Kraft gewonnen hatte, hatte man ihn und Henry unter beruhigenden Worten ins Bett gebracht. Und so lag er nun hellwach und ängstlich in seiner Koje, über seinem seit einer gefühlten Ewigkeit tief und fest schlafenden besten Freund.
Henry schien der Lärm kein bisschen zu stören. Es war, als wäre das Heulen des Sturms sein Schlaflied und das Schaukeln des Schiffes seine Wiege.
Doch er war auch schon immer der Unbekümmertere, der Mutigere von ihnen beiden gewesen. Henry konnte wie ein Eichhörnchen auf die höchsten Bäume und die dünnsten Äste klettern, während er selbst, der Jüngere, lieber vom sicheren Boden aus zusah. Henry konnte auch bei Wind noch lachend über die Reling des Segelbootes balancieren. Henry kannte das Wort Gefahr gar nicht.
Und genau für diese Eigenschaften beneidete der Junge seinen besten Freund. Wie gerne hätte auch er jetzt geschlafen, statt vor lauter Angst um sich selbst und seine Eltern oben an Deck immer weiter in Panik zu geraten.
Die Flasche rollte wieder zurück auf die andere Seite.
Der Junge zog seine Beine an den Körper und presste sich sein Kissen noch fester aufs Ohr, den Blick starr auf die dunkle Wand vor sich gerichtet. Doch es half nicht.
Obwohl das Kissen das Tosen des Wetters zu einem stetigen Rauschen dämpfte, erschien das nicht enden wollende Schwanken des Schiffes dadurch nur noch stärker.
Würde es bei einem so heftigem Wellengang nicht irgendwann umkippen? Der Junge erinnerte sich an Schiffe im Sturm. Er hatte Filme gesehen und Bücher gelesen, in denen sie kenterten und sich nur die Helden mit letzter Kraft an Land schleppen konnten.
Aber das waren ja nur Geschichten.
Und diese Schiffe waren zumeist riesige, alte Fregatten mit Dutzenden von Soldaten darauf. Ihr Boot hingegen war fast neu und viel, viel kleiner. Das war doch etwas völlig anderes, oder?
Aber was, wenn das Schiff doch umkippte? Würden seine Eltern an Deck den Halt verlieren und in das schwarze, brodelnde Wasser stürzen?
Gegen seinen Willen wurde das Bild des schräg im Wasser liegenden Schiffskörpers im Kopf des Jungen immer klarer. Wie er sich dem Meer zuneigte, bis die Füße der Erwachsenen auf den nassen Holzplanken ausrutschten und ihre Körper haltlos wie Steine hinab in die Wellen stürzten und nie wieder auftauchten.
Nein, nein, nein!
Der Junge machte sich noch kleiner, kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf. Das würde nicht passieren! Schiffe waren zum Schwimmen gemacht, sie konnten nicht so mir nichts, dir nichts umkippen!
Das Boot schwankte wieder, diesmal so stark, dass es sich anhörte, als würde die Flasche senkrecht auf die andere Seite fallen. Vielleicht . vielleicht konnten Schiffe ja doch umkippen. Vielleicht hatte ihm das nur keiner gesagt. Was, wenn sie alle untergehen würden?
Der Junge setzte sich mit pochendem Herzen auf, lehnte sich über den Rand seiner Koje nach unten und versuchte, in der Dunkelheit Henry zu erkennen. Er sah nicht viel von ihm, nur die Silhouette seines Kopfes und die weiße Decke, die Henry sich um den Körper gewickelt hatte, doch sein bester Freund schien noch immer seelenruhig zu schlafen.
»Hey«, flüsterte er. »Bist du wach?«
Keine Antwort. Also schlief er wirklich. Er hätte ihn nicht einfach ignoriert, wenn er wach gewesen wäre, besonders nicht bei so einem Sturm. Der Junge richtete sich wieder auf und überlegte, ob er ihn wecken sollte. Aber wahrscheinlich wusste Henry auch nicht viel mehr als er selbst.
Er wollte zu seinem Vater. Wenn es jemanden gab, den er alles fragen konnte, dann ihn. Papa würde ihm erklären, dass das Boot stabil genug war und nichts passieren würde. Vielleicht konnte er dann auch endlich einschlafen. Und selbst wenn nicht, alles war ihm lieber, als weiter hellwach und untätig in der Koje zu liegen.
Der Junge setzte sich vorsichtig auf, wenigstens so weit es möglich war, ohne mit dem Kopf gegen die Decke zu knallen, schwang die Beine aus dem Bett und kletterte über die schmalen Holzsprossen hinab. Am Boden angekommen, hielt er einen Augenblick inne, die Hände fest um die Leiter gekrallt, bis er glaubte, dass sein Gleichgewicht sich halbwegs an das unregelmäßige Schwanken gewöhnt hatte.
Er würde es schaffen. Nach einem letzten Blick auf den schlafenden Henry ließ er die Leiter los und schlüpfte hinaus auf den Gang.
Dort war es viel heller als in der stockdunklen Kajüte. An den glatten Holzwänden glommen in regelmäßigen Abständen warme gelbe Lampen, die, mehr aus dekorativen Zwecken, in Käfige aus dicken Eisenstangen eingefasst waren. Ihr Licht wurde auf dem matt glänzenden Teakholzboden von mehreren nassen Schuhabdrücken und kleinen Pfützen reflektiert. Weder links noch rechts war jemand zu sehen. Wahrscheinlich waren die Erwachsenen nach wie vor an Deck.
Also gut. Der Gang war nicht allzu lang, und der Junge kannte die Wege durch das Boot in- und auswendig. Es konnte nichts schiefgehen. Er nahm einen letzten tiefen Atemzug, ehe er sich vorsichtig in Richtung Treppe aufmachte.
Der nasse Boden fühlte sich unter seinen nackten Füßen eiskalt an, und immer wieder neigte sich das Schiff so stark zur Seite, dass der Junge sich an der Wand abstützen musste, um nicht zu fallen.
Doch er würde nicht mehr umdrehen. Sein Vater oder Henry, sie wären in so einem Moment doch auch weitergegangen!
Schritt für Schritt kämpfte er sich vorwärts, bis er die Treppe erreichte, die ihn an Deck führen würde. Hastig stieg er die glatten, nassen Stufen hinauf und stieß schließlich die schwere Tür nach draußen auf.
Ein eiskalter Schwall aus Wind und Wasser schlug ihm entgegen, sodass er die Tür nur mit Mühe weit genug aufdrücken konnte, um überhaupt hinauszukommen. Sobald er losließ, knallte sie hinter ihm zu, und er lehnte sich schwer atmend dagegen. Das Bild, das sich ihm auf dem Deck bot, wirkte wie ein Gemälde der Hölle selbst: Riesige Wellen türmten sich wie die Rücken von Ungeheuern unter den tintenschwarzen Wolken auf, aus denen hin und wieder gleißend helle Blitze ihren Weg ins Meer fanden.
Einige Meter vor ihm liefen drei in gelbe Öljacken gehüllte Gestalten hastig umher, während die Wellen gegen die Schiffswände brachen und sich spritzend über das ohnehin schon klitschnasse Deck ergossen. Der vierte Erwachsene war vermutlich am Steuerrad, das sich hinter dem Jungen, oben auf dem Aufbau, befand.
Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen heraufzukommen. Und wo war denn nun sein Vater? Durch den strömenden Regen und die Dunkelheit, die nur gelegentlich vom Licht der Blitze erhellt wurde, sahen alle Erwachsenen auf dem Deck aus wie nasse, laufende Öljacken.
»Papa?«, rief der Junge, doch seine Stimme war viel zu leise, um über das Tosen von Wasser und Wind hinwegzukommen. »Papa!«
Er ließ den Blick seiner weit geöffneten Augen über das Deck schweifen, während er sich von der Tür abstieß und mit langsamen, wackeligen Schritten nach vorne trat. Durch die Regenschauer nahm er nur undeutlich wahr, dass die Erwachsenen weiterhin umhereilten und sich hin und wieder einzelne Sätze zuriefen. Das Kind bemerkten sie nicht.
»Papa?«, rief der Junge erneut und zuckte zusammen, als ein weiterer Blitz die Wolkendecke zerriss. Nur wenige Sekunden später rollte der zugehörige Donner über das Schiff hinweg.
»Was machst du denn da?«
Er hob den Kopf und sah sich um, als ihn endlich der Klang der vertrauten Stimme erreichte.
»Papa!«, rier der Junge freudig, als er sah, wie sein Vater sich von der kleinen Gruppe löste und mit schnellen Schritten auf ihn zukam. Dann ging er vor ihm in die Hocke und legte vorsichtig seine kräftigen Hände auf die dünnen Arme des Jungen.
»Wieso bist du denn nicht unten bei Henry?«, fragte er mit deutlicher Besorgnis in der Stimme. Sein dunkles braunes Haar war wirr und klebte in nassen Strähnen an Stirn und Schläfen.
Er sah müde aus, gestresst. Der Junge suchte nach dem entspannten Lächeln, das das Gesicht seines Vaters normalerweise erhellte, nach der Selbstsicherheit in seinen grünen Augen, doch er fand nichts davon....
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