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Auch in der Sicherheitspolitik hinterließ der liberale Optimismus der neunziger Jahre deutliche Spuren. Als Tony Blair im Frühling 1997 zum britischen Premierminister gewählt wurde, dauerte es keine drei Wochen, bis er eine umfassende Überprüfung der Verteidigungspolitik in Auftrag gegeben hatte. Blair war überzeugt, dass das britische Militär noch immer in der Logik des Ost-West-Konflikts verhaftet war, und wollte dies so schnell wie möglich ändern. Das Dokument, das hieraus entstand - die sogenannte Strategic Defence Review -, war eine mustergültige Reflexion des «neuen Denkens», das während der neunziger Jahre überall im Westen Fuß gefasst hatte.[1]
Statt Gefahren für das eigene Land, die eigene Bevölkerung oder befreundete Staaten abzuwenden, sollte Verteidigungspolitik fortan die Probleme der Welt lösen.[2] Aufgabe des Militärs war es nicht mehr nur zu kämpfen, sondern demokratische Regierungen zu stabilisieren, wirtschaftliche Entwicklung zu fördern und humanitäre Krisen zu bewältigen. Als größte Herausforderungen galten nicht mehr Angriffskriege, sondern Risiken, die aus «Globalisierung und Interdependenz» entstünden - Drogenhandel, Terrorismus und ethnische Konflikte, aber auch «Ungleichheit und menschliches Leid».[3] Für «echte» - das heißt, existenzielle - Kriege gab es keinen Grund mehr, aber «Unsicherheit», «Instabilität» und «Risiken» lauerten hinter jeder Ecke.
Die Weltsicht, die dieses «neue Denken» widerspiegelte, war die von Fukuyama und Friedman. Selbst Fukuyama hatte ja, wie schon erwähnt, niemals behauptet, dass es keine gewaltsamen Konflikte mehr geben würde, sondern lediglich, dass solche Konflikte keine existenzielle Bedrohung mehr seien und dass mit dem Siegeszug der Demokratie eine immer größer werdende Zone des Friedens entstehe. Genau hierauf hofften die sicherheitspolitischen Eliten, für die eine zweihundert Jahre alte Theorie, nach der Demokratien keine Kriege gegeneinander führen, als «empirisches Gesetz»[4] galt. Diese Theorie wurde - in stark vereinfachter Form - zur Grundlage westlicher Politik. Doch statt in «ewigem Frieden» resultierte ihre Umsetzung in einer verlorenen Dekade, in der «humanitäre Interventionen» überbewertet, neue Bedrohungen unterbewertet und sicherheitspolitische Fähigkeiten systematisch abgebaut wurden.
Die Idee, dass Demokratien friedlicher miteinander umgingen als autoritäre Herrschaftsformen, existierte bereits, bevor es moderne Demokratien gab. Ihre erste vollständige Artikulation findet sich in einer Schrift Immanuel Kants mit dem Titel Zum ewigen Frieden. Kant wandte sich darin gegen die Idee, dass die Abwesenheit von Kriegen ausschließlich das Ergebnis von Allianzen und Gleichgewichten der Mächte sei. Er betonte, dass es auf die «innere Verfassung» ankomme und letztlich nur republikanisch verfasste Staaten zu dauerhaftem Frieden in der Lage seien. Seine Begründung war, dass die humanitären und finanziellen «Kosten» eines Konflikts von den Bürgern getragen würden und diese deshalb meist «pazifistischer» seien als ihre Herrscher, was bedeutete: Wenn Bürger an Entscheidungen über Krieg und Frieden beteiligt sind, kommt es seltener zu Krieg.
Kant entwarf außerdem eine Staatenordnung, in der sich republikanische Staaten miteinander verbünden und gegenseitig beschützen sollten. Fast zwei Jahrhunderte vor Fukuyama formulierte er damit die Idee einer Art demokratischer Friedenszone, die sich ausweiten und irgendwann zum «ewigen Frieden» führen würde. Er erklärte:
Denn wenn das Glück es so fügt: dass ein mächtiges und aufgeklärtes Volk sich zu einer Republik [.] bilden kann, so gibt diese einen Mittelpunkt der föderativen Vereinigung für andere Staaten ab, um sich an sie anzuschließen, und so den Freiheitszustand der Staaten [.] zu sichern, und sich durch mehrere Verbindungen dieser Art nach und nach immer weiter auszubreiten.[5]
Ein zusätzliches Argument lieferte Montesquieu. Sein Buch Vom Geist der Gesetze - einer der wichtigsten Texte der Aufklärung - versuchte zu erklären, warum die republikanische Regierungsform anderen Herrschaftsmodellen wie Monarchie und «Despotie» überlegen sei. Einer der Hauptgründe sollte sein, dass republikanische Staaten kommerziell erfolgreicher seien und der Handel zwischen ihnen zu Verflechtungen, gemeinsamen Interessen und gegenseitigen Abhängigkeiten führe, die Kriege schwieriger - wenn nicht sogar unmöglich - machten. «Zwei Staaten, die miteinander Handel treiben», so Montesquieu, «werden voneinander abhängig: Einer hat ein Interesse am Verkaufen, der andere am Kaufen. Und deshalb basiert ihre Verbindung fortan auf beiderseitigen Notwendigkeiten.»[6]
Auch in vergangenen Jahrzehnten - und vor allem nach Ende des Kalten Krieges[7] - haben sich Historiker und Politikwissenschaftler immer wieder mit der Idee des «demokratischen Friedens» beschäftigt.[8] Die Erklärungen, die dabei vorgebracht wurden, waren im Prinzip dieselben, die bereits Kant und Montesquieu formuliert hatten. Neu war, dass die Forscher sie nun auch empirisch unterfütterten. Die Politikwissenschaftler Zeev Maoz und Bruce Russett etwa kamen zu dem Ergebnis, dass es zwischen 1946 und 1986 keinen Krieg zwischen zwei Demokratien gegeben habe.[9] Laut ihrem Kollegen Michael Doyle begann dieser Zustand sogar bereits im Jahr 1815.[10]
Die wissenschaftliche Debatte, die solche Beiträge auslösten, offenbarte jedoch wichtige Nuancen. Wie «perfekt» der demokratische Frieden war, hing beispielsweise davon ab, wie «Krieg» und «Demokratie» definiert wurden. Zu klären war etwa, ob Staaten im 19. Jahrhundert, in denen außer weißen, wohlhabenden Männern niemand das Wahlrecht hatte, aus heutiger Sicht als demokratisch gelten sollten. Auch stellte sich heraus, dass die Erklärungen, die Kant und Montesquieu artikuliert hatten, in vieler Hinsicht fragwürdig waren. Der Historiker Christopher Layne zeigte am Beispiel mehrerer Krisen, die beinahe zum Krieg geführt hatten, dass «normative Erwägungen» im Verhalten von Politikern praktisch keine Rolle gespielt hatten, sehr wohl aber strategische Überlegungen und Machtpolitik.[11]
Der vielleicht wichtigste Einwand war, dass «junge Demokratien», die sich im Prozess der demokratischen Konsolidierung befanden, oftmals nicht friedlicher, sondern aggressiver im Umgang mit anderen Staaten waren. Die Politikwissenschaftler Edward Mansfield und Jack Snyder kamen zu dem Schluss, dass Demokratien in den ersten zehn Jahren nach ihrer Demokratisierung doppelt so häufig in den Krieg zögen wie autoritäre Staaten. Grund dafür sei die Schwäche staatlicher Institutionen und die Tatsache, dass Demokratisierung häufig mit einem Wiedererstarken des Nationalismus einhergehe.[12] Die weit verbreitete Annahme, dass autoritäre Staaten nach ihrer Transformation zur Demokratie friedfertiger würden, war also falsch und darüber hinaus irreführend. Entscheidend, so fand auch der Politikwissenschaftler John Owen, sei nicht, ob Staaten eine demokratische Verfassung hätten, sondern vielmehr, ob sie liberale Normen internalisiert hätten.[13]
In der öffentlichen Debatte und bei Politikern kam von solchen Einwänden und Nuancen nur wenig an. Thomas Friedman popularisierte die These vom demokratischen Frieden in seinen Büchern als «Goldene-Bögen»-Theorie, nach der keine zwei Staaten mit einem McDonald's-Restaurant (angeblich ein Indikator wirtschaftlicher Öffnung) jemals Krieg gegeneinander geführt hatten.[14] Diese Theorie stimmte bereits zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung nicht, doch bei Politikern und in westlichen Außenministerien galt sie - und, mit ihr, die Idee vom «demokratischen Frieden» - als eisernes Gesetz, mit dem Regierungshandeln und sogar Kriege begründet wurden.
Dass der «demokratische Friede» nur für Demokratien im Umgang mit anderen Demokratien galt, dass es bedeutende Ausnahmen gab und dass - wie von Mansfield und Snyder gezeigt - junge Demokratien oftmals kriegslustiger waren als Autokratien, wurde von westlichen Politikeliten weder wahrgenommen noch verstanden. In Clintons Regierungserklärung aus dem Jahr 1994 hieß es schlicht: «Die beste Strategie, um unsere Sicherheit zu bewahren und nachhaltigen Frieden zu schaffen, ist die Verbreitung der Demokratie.»[15]
Andere Theorien passten weniger gut zum liberal-optimistischen Zeitgeist. Die prominenteste war zweifellos Samuel Huntingtons These vom «Kampf der Kulturen», die im Sommer 1993 als Artikel in der Zeitschrift Foreign Affairs erschien und als Antwort auf die These seines vormaligen Harvard-Studenten Fukuyama gedacht war. Huntington argumentierte, dass künftige Kriege nicht ideologisch oder ökonomisch motiviert sein würden, sondern kulturell. Den von Fukuyama vorausgesagten Siegeszug universeller Werte begriff er als «gefährliche Illusion», da westliche Vorstellungen von Demokratie und Menschenrechten nicht universell, sondern eben westlich seien und ihre Ausbreitung nicht als Befreiung, sondern als «Kulturimperialismus» wahrgenommen würde.[16] Huntington...
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