Was der Wald für sein Dasein braucht
Inhaltsverzeichnis Wesentliche Vorbedingung für die Waldbildung ist ein Klima, das dauernd dem Boden durch Niederschläge den nötigen Wasservorrat sichert. Wo diese Bedingung nicht erfüllt ist, hat der Wald sein Recht verloren. Wohl sind die Bäume durch ihre verzweigten und nötigenfalls tiefreichenden Wurzeln weit besser als Sträucher und krautige Pflanzen zur Wasserausnutzung des Erdreichs befähigt, doch sind auch ihre grünen Kronen, die Stätten der wichtigsten Lebensvorgänge, viel weiter vom feuchten Quellgrund entfernt, und die gesamte Oberfläche der wasserabgebenden Organe ist über alle Vorstellung groß.
Eine Birke mit 200 000 Blättern verdunstet nach Kerner Tag für Tag rund 60 bis 70 Liter Wasser, mehr an heißen und trockenen Tagen, weniger an kühlen und feuchten, und 7000 Liter während des Sommers. Eine Buche im Alter von hundertzehn Jahren gibt innerhalb des gleichen Zeitraums 9000 Liter ab an die Luft, und ein nur kleines Stück Buchenwald (400 Stämme auf einem Hektar) verdunstet die riesige Wassermenge von 3 600 000 Liter. Kein Wunder, daß Wälder nur leben können, wo ihnen ein ständig feuchter Grund die Deckung ihrer Verluste verbürgt. Auch für die Nadelhölzer gilt das, obgleich bei diesen die Verdunstung wegen der Kleinheit ihrer Blätter sieben- bis zehnmal geringer ist.
Außer dem Wasser hat der Wald in der Zeitspanne, da seine Bäume wachsen (man nennt sie seine Vegetationszeit, zum Unterschied von der Ruhezeit), mindestens drei Monate lang bestimmte Sommerwärme nötig, für die genügsamsten unserer Bäume eine von 12 bis 14 Grad, für anspruchsvollere wesentlich mehr. Je höher jedoch die Temperatur in der Vegetationszeit des Waldes steigt, desto höher natürlich sein Wasserbedarf zum Ausgleich des Verdunstungsverlustes.
Wir verstehen, warum die deutschen Wälder so unterschiedlich zusammengesetzt sind, denn Temperatur und Niederschlagsmengen weichen je nach den »Klimaprovinzen«, die die Botaniker festgestellt haben, mannigfach voneinander ab. Es ist kein Zufall, daß die Buche in Ostpreußen nahezu vollkommen fehlt, denn die Grenze ihrer Verbreitung hängt nicht von der Sommerwärme ab, sondern von der Winterwärme. Während im oberen Rheintal zum Beispiel die Vegetationszeit der dortigen Wälder 180 Tage dauert, ist sie im südlichen Teile Ostpreußens durch den späten Frühlingseinzug und den früh beginnenden Herbst auf 150 Tage beschränkt. Die Buche, zumal ihr junger Nachwuchs, ist gegen Kälte besonders empfindlich. Dem rauhen kontinentalen Klima weicht sie geradezu ängstlich aus.
Ganz anders unsere Nadelhölzer, die anspruchslos, wetter- und kältefest sind und auch in allen nordischen Ländern, wo außer der Birke das Laubholz fehlt, noch endlos erscheinende Waldungen bilden. Gleichwohl sind in unserem Vaterlande die Nadelwälder nicht auf den Norden, die Laubwälder nicht auf den Süden beschränkt. Es gibt keinen Grenzstrich, der beide trennt, weil diese wie jene die Gabe besitzen, sich den klimatischen Unterschieden auf das feinste anzupassen.
So bedeutsam indessen die Klimaeinflüsse für das Leben der Bäume sind, für sich allein genügen sie nicht, um das Wachstum der Bäume sicherzustellen. Der Waldbaum braucht mehr zu seinem Gedeihen. Er braucht, um den unterirdischen Wurzeln die Atmungsmöglichkeit zu erhalten, lockeren, gut durchlüfteten Boden und zu seinem Fortkommen neben dem Wasser, das ihm die Niederschläge liefern, ausreichend mineralische Nährstoffe. Wie für die Wurzeln unter der Erde, so braucht er auch für Stamm und Krone genügend Spielraum zu deren Entwicklung und schließlich, als ganz besonders wichtig, Sonnenlicht für die grünen Organe, mögen sie Blatt oder Nadel heißen.
Was Waldboden ist, glaubt jeder zu wissen, der einmal auf dem weichen Teppich aus braunen Nadeln oder Laubblättern sorglos umhergestiefelt ist. »Alles was tot oder lebensmüde aus den Kronen der Bäume herabsinkt, fällt der Vermoderung anheim und wandelt sich langsam in Humus um, aus dem dann die Bäume mit Hilfe der Wurzeln ihren Nahrungsbedarf beziehen.« Eine höchst einfache Sache, meint man, davon nicht viel zu erzählen ist. Wer aber ein wenig tiefer eindringt in das Geheimnis der Waldbodendecke, dem dämmert sehr bald die Erkenntnis auf, daß sie durchaus keine bloße Anhäufung toter Pflanzenbestandteile darstellt, sondern reich von Leben erfüllt ist, das in geregelter Arbeitsteilung für den Haushalt des Waldes wirkt.
Es ist gewiß keine Übertreibung, wenn man die Anzahl der Bodenbewohner einer nur kleinen Fläche Waldes auf Hunderte von Billionen schätzt, denn der bei weitem höchste Prozentsatz dieser verborgenen Kleinlebewesen gehört der Welt der Spaltpilze an, auch Bakterien genannt. Man ahnt, was das zu bedeuten hat. Lebendiges, das noch winziger wäre als diese einfachsten aller Geschöpfe, ist bis zur Stunde unbekannt und schlechterdings auch unvorstellbar. Manche von ihnen sind so klein, daß selbst die stärksten Mikroskope, die zwei- bis dreitausendfach vergrößern, sie nur im Ausmaß der Punkte und Kommas in diesem Buche erscheinen lassen.
Innerhalb der noch wenig erforschten, ins Riesige gehenden Artengesamtheit gehören unsere Bodenbakterien einer Sondergenossenschaft an, die überall, wo sie in Tätigkeit tritt, zersetzend und fäulniserregend wirkt. Wo immer sich in der freien Natur oder sonstwo der überaus segensreiche, wenn auch für unser Menschenempfinden unerfreuliche Vorgang abspielt, den wir mit dem Worte Verwesung bezeichnen, ist nicht der Tod die bewirkende Ursache, wie wir gewöhnlich zu glauben geneigt sind, sondern die unsichtbare Arbeit der Kleinsten der Kleinen im Lebensbereich. Wo sie nicht sind, gibt es keine Verwesung. Allem Lebendigen, Pflanzen wie Tieren, würde die Form und Mischung des Körpers auch nach ihrem Tode erhalten bleiben, wenn keine Bakterien existierten. Eine Vorstellung, die in uns Grauen erregt.
Im Walde fällt diesen wahren Wohltätern die verwickelte Aufgabe zu, alle in den Boden gelangten tierischen oder pflanzlichen Reste aufzulösen und umzuwandeln, die darin enthaltenen chemischen Stoffe aus ihrer Gebundenheit zu befreien und in Verbindungen zu überführen, die den kommenden Pflanzengeschlechtern (und durch diese wieder den Tieren) als unerläßlicher Rohbedarf zum Aufbau ihres Körpers dienen. Mit einem Satz: die Bodenbakterien bilden die Verwesungsprodukte durch ihr unermüdliches Wirken wieder in Nahrungsrohstoffe um, nach denen die höheren Pflanzen hungern. Die »Seelenwanderung« der Ägypter und in späterer Zeit der Griechen ist eine durch nichts gestützte Mythe, Tatsache ist aber der ewige Kreislauf aller lebenswichtigen Stoffe, an dem die Gemeinschaft der Fäulnisbakterien den bedeutendsten Anteil hat. Mit ihnen im Bunde sind weiterhin stets Bodenalgen und vielerlei Pilze, pflanzliche Wesen, die auf der Leiter des Lebens schon etwas höher stehen als die Bakterien oder Spaltpilze, zu deren Beobachtung aber gleichfalls ein gutes Vergrößerungsglas gehört.
Besorgt diese Dreiheit die chemische Arbeit, so leisten andere Lebewesen im Waldboden die mechanische. Indem sie dauernd das Erdreich durchpflügen, Blattreste, Zweigstücke, Knospenschuppen, kurz alles was von den Bäumen herabfällt, tiefer ins Erdreich hineinbefördern, zerfallene Gewebe verzehren und beim Durchgang durch ihren Körper in krümelige Masse verwandeln, lockern sie den Boden auf und sorgen damit für seine Durchlüftung. Zu diesen bodenverändernden Tieren zählt das Heer der Insektenlarven, der Tausendfüßer, Spinnen, Milben, Asseln und wie sie sonst noch heißen, besonders aber der Regenwürmer, von deren gesegneter Wirksamkeit schon Darwin ein Loblied gesungen hat. Sie vermengen die mineralische Erde mit den modernden Pflanzen- und Tierresten und bereiten so den Boden für das Wachstum der Pflanzen vor. Die Blätter, die der Regenwurm als Nahrung in seine Röhren zieht, werden, nachdem sie in Fäden zerrissen, zum Teil verdaut und mit Absonderungen des Darmes reichlich gesättigt sind, mit sehr viel Erde untermischt. Und diese krümelige Masse bildet die dunkelgefärbte Schicht, den reichen und gesunden Humus, auf dem die Bodenkraft beruht. Die Wirkung der Laubblätter auf den Boden ist günstiger als die der Nadeln. Wechselt trockenes Wetter mit feuchtem, so kommen die Laubblätter in Bewegung, rollen sich auf oder legen sich flach und schließen den Boden viel weniger dicht als die unbewegliche Nadeldecke.
Wo allzu häufige Niederschläge und vorwiegend kühle Temperaturen die nötige Zersetzung hindern, häufen die Abfallstoffe sich an, ballen sich langsam zu einer schwarzen, zähen, filzigen Decke zusammen und bilden schließlich eine Art Torf. »Trockentorf« zum Unterschiede vom eigentlichen nassen Torf, der nur in offenen Mooren entsteht. Der Boden, den Fadenpilze durchsetzen, wird an Humussäuren reich, wird »sauer«, wie die Chemiker sagen, und nur noch wenige Gewächse können aus solchem »Rohhumusboden« genügend brauchbare Nahrung ziehen. Und alles das, weil die Kleinlebewesen, die Bodenwühler und Bodenmischer und mit ihnen die Bakterien, infolge der Kühle und Feuchtigkeit ihre nützliche Arbeit einstellen mußten. Die ausdruckslosen Landschaftsbilder der Hochlagen unserer Mittelgebirge sind Zeugnisse solcher Rohhumusböden.
Eine gesunde Waldbodendecke, etwa die eines Buchenwaldes, müssen wir uns in drei Schichten denken. Zu oberst die lockere, trockene Laubschicht, bis vierzig Zentimeter mächtig, als Folge des herbstlichen Blätterfalls. Darunter zehn Zentimeter hoch mit Pilzen durchsetztes moderndes Laub, und wiederum ein Stockwerk tiefer, am Grunde in hellen Sand sich verlaufend, die eigentliche Humusschicht. Bis dreißig Zentimeter mächtig, ist sie von einer...