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Aus: Zeitschrift für Rezensionen zur germanistischen Sprachwissenschaft - Helen Christen - 04 04 2012 Es ist Eva Neuland ausgezeichnet gelungen, die Vielschichtigkeit und insbesondere die soziokulturelle Verzahnung der schillernden Größe Jugendsprache aufzuzeigen und auch für ein studentisches Publikum analytisch zugänglich zu machen.
Aus: Praxis Deutsch - Petra Balsliemke - 215/2009 [.] Die fundierte Annäherung an den Gegenstand Jugendsprache von Seiten der Sprachwissenschaft macht deutlich, wie groß der Unterschied zwischen der wissenschaftlichen Auseinandersetzung und dem bloßen Kommerz ist, in einer Zeit, in der "Szene-Wörterbücher" zum vermeintlichen Sprechen Jugendlicher zahlreich auf dem Büchermarkt zu finden sind [.]
Jugendsprache als Praxis eines besonderen Sprachgebrauchs Jugendlicher ist sehr viel älter als der linguistische Forschungsgegenstand Jugendsprache. Die Entwicklung einer linguistischen Jugendsprachforschung, die in Deutschland erst auf eine knapp 30-jährige Geschichte zurückblicken kann, verdankt sich nicht allein wissenschaftsinternen Motiven; vielmehr wurde ein solches Forschungs- und Erkenntnisinteresse in besonderer Weise durch den gesellschaftlichen Bedingungsrahmen begünstigt. Jugendliche Verhaltensweisen und damit auch das Sprachverhalten Jugendlicher wurden in einem bestimmten historischen Moment zu einem gesellschaftlichen Problem, das in der öffentlichen Diskussion zwar ausgiebig thematisiert wurde, dessen "Lösung" jedoch wissenschaftliche Analysen erforderlich machten. Jugendsprache wurde so zum Thema öffentlicher Diskussion, noch bevor sie Gegenstand sprachwissenschaftlicher Forschung war.
Dies sei im Folgenden an Beispielen einiger Entwicklungsstationen der letzten 40 Jahre veranschaulicht.
Gegen Ende der 70er Jahre machten Jugendliche in Deutschland, in der Schweiz wie auch in anderen westeuropäischen Ländern ihren Unmut über sie unmittelbar betreffende gesellschaftspolitische Zustände in sog. " Jugendrevolten " laut, mit denen sie sich autonome Handlungsräume erkämpfen wollten. Insbesondere wurden die Schließung "autonomer Jugendzentren" sowie die Räumung besetzter Häuser zum Auslöser von Protesten der Jugendlichen. Mit spektakulären Aktionen brachen Jugendliche aus dem von der politischen Öffentlichkeit unterstellten gesellschaftlichen Konsens aus. Als besonderes Ereignis bleibt ein Hearing des ZDF mit Politikern und jugendlichen Haus besetzern in Erinnerung. Als diese sich nicht mehr an die vorgegebenen Regeln des Mediendiskurses hielten, wurde die Live-Sendung abgebrochen.
Die jugendlichen Hausbesetzer einte nicht unbedingt ein explizites politisches Programm, wie es in der vorhergehenden Schüler- und Studentengeneration der APO der Fall war; sie einte vor allem ihr Anspruch auf Autonomie und Selbstbestimmung. Dieser Anspruch manifestierte sich auch in ihrem Sprachgebrauch. In der politischen und medialen Öffentlichkeit wurde alsbald von einem "Jugendproblem" gesprochen und die damalige Generation der Jugendlichen als "Null Bock-Generation " etikettiert.
Titelblatt Haller 1981
Das Jugendproblem wurde zum Auslösefaktor für eine ganze Welle populärwissenschaftlicher Betrachtungen, aber auch wissenschaftlicher Analysen und groß angelegter empirischer Untersuchungen. So entstanden vor allem die sog. Shell-Studien , die seit Beginn der 80er Jahre auf der Grundlage von repräsentativen Befragungen und Einzelfallstudien Einstellungen, Denk- und Verhaltensweisen von Jugendlichen dokumentieren. Vereinzelt wurden aber bereits kritische Stimmen laut, die sich gegen das Aushorchen der "gläsernen" Jugendlichen wandten und, wie der Jugendforscher Hartmut Griese , politisch geltend machten, dass Jugendprobleme verschleierte bzw. verschobene Gesellschaftsprobleme sind und von daher auch auf der Ebene des sozialen und kulturellen Wandels diskutiert werden müssen. In der Öffentlichkeit herrschte hingegen weithin eine Problemverschiebung auf den Fokus des Generationskonflikts und eine Perspektivenverengung auf die Kritik an den Umgangsformen und sprachlichen Ausdrucksweisen von Jugendlichen vor.
Mit den Jugendrevolten sind aber auch die sprachlichen Äußerungsformen Jugendlicher zum Gegenstand öffentlicher Auseinandersetzung geworden. In ganz unterschiedlich motivierten Zusammenhängen wurde in der damaligen Zeit "die Jugendsprache" von Vertretern aus Politik und Wirtschaft, aber auch von Eltern- und Lehrerschaft als " Fäkalsprache " oder auch " Comicsprache " abgewertet und als Exempel für Normverweigerung, für Sprachverfall bis hin zur Sprachlosigkeit kritisiert. Während der Vorwurf der Verwendung "unanständiger" Ausdrücke von Jugendlichen sich bis in die Sprachgeschichte zurückverfolgen lässt, ist die Kritisierung als eine "Comicsprache" terminologisch neu und lenkt den missbilligenden Blick auf die Verwendung von Laut- und Kurzwörtern. Doch ist das dahinter stehende Argument, dass Jugendliche keine Grammatik mehr beherrschen und kein Sprachgefühl mehr haben würden, zumindest aus der Tradition der Sprachpflege und Sprachkritik der Nachkriegszeit bekannt.
Der Topos der Sprachlosigkeit und speziell der Gesprächsunfähigkeit ist im politischen Kontext der Zeit besonders aufschlussreich. Die Dokumentation des Schriftstellers Peter Roos "Kaputte Gespräche" hat solche Äußerungen von Vertretern der politischen Öffentlichkeit und fast aller Parteien festgehalten.
Titelblatt Roos 1982
So klagte die Literaturwissenschaftlerin und damalige CDU -Abgeordnete Gertrud Höhler in einer Wochenzeitung über ein Gespräch mit Gymnasiasten:
Diese Jugend, wenn sie uns ihre Formeln fürs Weltgeschehen auftischt, redet gar nicht mehr mit uns. Sie schirmt sich durch Sprachsignale ab, die ihre Gruppensolidarität stabilisieren.
Und ein ähnlicher Tenor spricht aus dem folgenden Zitat des damaligen SPD -Abgeordneten Peter Glotz:
Es gibt ja eine breiter werdende Diskussion über den Narzissmus der jungen Generation, also einen ganz bestimmten psychologischen Zug, das In-sich- selbst-Zurückziehen und die Nachteile, die daraus für das Persönlichkeitsbild entstehen, eben die Kommunikationslosigkeit, dieses stumme In-sich-Zurückziehen-und-dort-die-Gefühle-Selbermachen, sozusagen ohne Außenwelt.
Verallgemeinernd kann festgehalten werden: Wann immer vom drohenden " Sprachverfall " oder gar vom "Verlust der Schriftkultur" die Rede ist, wurde und wird die Sprache der Jugendlichen als abschreckendes Beispiel genannt:
Vertreter aus Industrie und Wirtschaft beklagen nachlassende Grammatik- und vor allem Rechtschreibkenntnisse bei jugendlichen Berufsanfängern.
Lehrer wie Hochschullehrer kritisieren Ausdrucksschwächen und mangelndes Sprachgefühl bei Schülern und Studierenden.
Politiker und Journalisten haben bei einer ganzen Generation " Dialogverweigerung ", ja, " Dialogunfähigkeit " diagnostiziert.
In Leserbriefen machen Zeitungsleser ihrer Empörung über den "Vulgärjargon" und das "Comicdeutsch" Jugendlicher Luft.
Solche Negativurteile über die Sprache Jugendlicher sind in der deutschen Sprachgeschichte nicht neu. Neu jedoch ist ihre massenmediale Verbreitung in der Öffentlichkeit. Presseberichterstattung und publizistische Sprachkritik tragen oft maßgeblich zu solcher Meinungsbildung bei.
Dies demonstriert exemplarisch jener bereits oft zitierte Titel der Wochenschrift DER SPIEGEL "Deutsch: Ächz, Würg. Eine Industrienation verlernt ihre Sprache" vom Juli 1984:
Titelblatt DER SPIEGEL 1984
Zum Beleg der These vom Sprachverfall werden in bunter Mischung Zitate und Beispiele präsentiert: kommunikationstechnologische Entwicklungen, zunehmender Gebrauch der neuen elektronischen aber auch extensive Nutzung der audiovisuellen Medien, das Vorherrschen von Piktogrammen und Formularvordrucken im...
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