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Unter den zehn häufigsten Ursachen für Behinderung von Menschen zwischen 15 und 44 Jahren sind nach einer weltweiten Erhebung der WHO vier psychiatrische Erkrankungen, davon steht die unipolare Depression an erster Stelle, danach folgen Alkoholabhängigkeit, Schizophrenie und bipolare Störung. Allein in Deutschland leiden mindestens 40 % aller Menschen im Laufe ihres Lebens unter einer psychischen Erkrankung, dies ist auch eine der häufigsten Gründe für eine vorzeitige Berentung 29
Zunächst einmal ist es wichtig zu wissen, welche Bedeutung die Berufsunfähigkeitsversicherung in Deutschland überhaupt hat und woran Menschen, die berufsunfähig werden, erkranken.
Nach den Angaben des Parlamentarischen Staatssekretärs im Bundesministerium der Finanzen (BMF), Dr. Michael Meister (CDU), gab es Ende 2015 über 4 Mio. private BU-Versicherungen als Einzelversicherung und 12,715 Mio. BUZ-Versicherungen mit einer durchschnittlichen jährlichen BU-Rente von über 12.000 EUR bei inländischen Lebensversicherungs-Unternehmen unter Aufsicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungs-Aufsicht (Bafin); 2006 waren es erst knapp über 2 Mio. und zur Jahrtausendwende nicht einmal 1 Mio. und 2001 knapp 1 Mio., sodass sich zwischen Ende 2001 und Ende 2015 die Anzahl der BU-Einzelversicherungen nahezu vervierfacht hat.30
Konkret bezogen auf die Berufsunfähigkeitsversicherung lassen sich bei der statistischen Erfassung und Auswertung einzelner Krankheitsgruppen, die zur Berufsunfähigkeit führen, folgende Tendenzen feststellen: Psychische Erkrankungen nehmen seit längerer Zeit zu, während Erkrankungen an Skelett und Muskeln länger stagnierten, aber wieder ansteigen und Krebsleiden seit einigen Jahren ungefähr gleich bleiben, während Fälle mit Herz-/Kreislauferkrankungen weniger werden. Diese Ergebnisse basieren auf folgenden Statistiken:31
Psychische Störungen machen also ungefähr ein Drittel der Berufsunfähigkeitsfälle aus, bei manchen Versicherern liegen hausintern noch deutlich höhere Zahlen vor.
Ein deutliches Indiz für die Prognose, dass in Zukunft - schon völlig unabhängig von der Covid-19-Pandemie - mit einer drastisch steigenden Zahl von Berufsunfähigkeitsfällen wegen psychischer Erkrankungen zu rechnen ist, stellt der allgemeine Krankenstand dar: wer heute wegen psychischer Beschwerden "nur" arbeitsunfähig ist, wird womöglich demnächst berufsunfähig. Im Jahr 2018 entfielen nach einer Untersuchung der BKK die meisten der gemessenen durchschnittlichen 18,5 Arbeitsunfähigkeits-Tage pro Jahr pro Beschäftigter auf die Gruppe der Erkrankungen des Atmungssystems (30,3%), gefolgt von sonstigen Erkrankungen (17,5%), Muskel- und Skeletterkrankungen (15,6%), Infektionen (10,6%) und psychischen Erkrankungen (5,5%),37 deren Anteil sich seit den 1990er-Jahren deutlich erhöht hat. Zwischen 2008 und 2018 stieg die Anzahl der Arbeitsunfähigkeitstage der beschäftigten Mitglieder der BKK für psychische Störungen von 1270 Tagen pro 1000 Mitgliedern in 2008 auf 2914 Tage in 2018 und hat sich damit mehr als verdreifacht.38
Eine Ursache dafür soll sein - was absolut nachvollziehbar erscheint -, dass sich für viele Arbeitnehmer das Arbeitsumfeld gravierend geändert hat, weil inzwischen jeder zweite Beschäftigte mit seinem Arbeitgeber eine Absprache getroffen habe, außerhalb der Arbeitszeit erreichbar zu sein und diejenigen, die häufig außerhalb der normalen Arbeitszeit arbeiten oder Probleme haben, Beruf und Freizeit unter einen Hut zu bekommen, häufiger über psychische Probleme als "Normalbeschäftigte" berichten.39 Fast jeder Dritte leiste Überstunden (32,3%), und Arbeit mit nach Hause zu nehmen, ist für 12% kein Thema; an Sonn- und Feiertagen arbeitet schon jeder Zehnte, so der AOK-Fehlzeiten-Report. Diese Belastungen würden dazu führen, dass diese Beschäftigten in der Folge häufiger an psychischen Erkrankungen leiden als andere Beschäftigte, die solchen zusätzlichen Belastungen nicht ausgesetzt seien.40
Es ist leider zu erwarten, dass diese Zahlen sich nicht verbessern, sondern verschlechtern - jedenfalls dann, wenn der Druck in der Arbeitswelt nicht abnimmt. Hier darf man allerdings nicht nur schwarzmalen, sondern muss auch positive Entwicklungen in der Arbeitswelt erwähnen, etwa dass zahlreiche Unternehmen mittlerweile darauf achten, den Mitarbeitern eine "Work-Life-Balance" zu ermöglichen, indem beispielsweise Teilzeitmodelle, Arbeitszeitkonten, Home Office, "Sabbaticals" und ähnliche Vergünstigungen außerhalb der traditionellen Arbeitszeit angeboten werden. Hinzu kommen bei manchen Unternehmen Offerten wie Fitnessstudios oder physiotherapeutische Praxen im Betrieb, psychologische Beratung und ähnliche gesundheitsfördernde Aspekte. Immer mehr Unternehmen verzichten auch freiwillig darauf, Mitarbeiter in der Freizeit mit Mails zu kontaktieren.
Die Beurteilung, ob ein psychisch erkrankter Versicherter seine letzte Tätigkeit noch ausüben kann, ist häufig problematisch, da sie von den konkreten Anforderungen des Arbeitsplatzes abhängt; andererseits sagt die bloße psychiatrische Diagnose nichts über die tatsächlich resultierenden Funktionseinschränkungen aus.41
Die Pandemie wird in Deutschland mit hoher Wahrscheinlichkeit mittel- und langfristig einen Anstieg psychischer Störungen bedingen und damit beträchtliche Auswirkungen auf die Fallzahl psychischer Erkrankungen in der Berufsunfähigkeitsversicherung haben. Es steht außer Frage, dass das Virus und die Maßnahmen zu seiner Eindämmung kollaterale Schäden im psychischen Bereich verursacht haben.42 Untersuchungen in Zeiten vorhergehender Epidemien weisen auf langfristige Auswirkungen hin.43 Anpassungsstörungen als eher mildere Variante psychischer Störungen könnten bspw. in Depressionen übergehen und somatische Beschwerden auslösen. Infektionserkrankungen dieses globalen Ausmaßes, einhergehend mit den weitreichenden Maßnahmen und Einschränkungen, die uns allen gegenwärtig sind, sind für die Psyche eine sehr bedeutsame Belastung, denn diese außergewöhnliche Situation trifft unsere Psyche unvorbereitet, die Maßnahmen sind unvergleichlich, und es gibt keine gelernten Verhaltensmuster, auf die wir zurückgreifen können; zudem ist die Situation mit den künftigen Folgen unvorhersehbar.44 Aus vorhergehenden Epidemien (Ebola 2014, SARS 2003) ist bekannt, dass diese Umstände für die Psyche, die auf das Streben nach Sicherheit und Kontrolle eingestellt ist, in erster Linie sehr ausgeprägten Stress und die Notwendigkeit einer umfassenden Anpassungsleistung erfordert, was zu psychischen Belastungen mit somatischen und psychologischen Folgen führen kann.45 Zeitversetzt ist dann mit Leistungsfällen zu rechnen, da psychische Erkrankungen die Hauptursache für Berufsunfähigkeit darstellen. Dafür sprechen folgende Indizien:
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