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Hier kommt die mitreißende Popkultur-Story über das globale Mitsingen
Karaoke ist mehr als nur ein Partyspaß - es ist ein weltweites Phänomen, das seit über fünf Jahrzehnten Menschen überall verbindet: ob in Kneipen, Wohnzimmern oder auf großen Bühnen.
Aber wie konnte es zu der Mitsing-Manie kommen, die uns verleitet, auf musikalische oder oft sehr unmusikalische Weise unser Innerstes nach außen zu kehren? Andreas Neuenkirchen, Popkulturkenner und Japan-Experte, erzählt, wie ein musikbegeisterter (wenngleich nur durchschnittlich sangesbegabter) Ingenieur in seiner Werkstatt den Grundstein für die internationale Erfolgsgeschichte legte, wie seine Idee sich weltweit ausbreitete und warum wir Karaoke auch in Zukunft nicht loswerden. Mit Witz und Tiefe geht es dabei auch um die gesellschaftlichen Folgen - von handgreiflichen Auseinandersetzungen mit Todesfolge bis zur heilenden Kraft des Singens.
Ein Muss für alle, die Popkultur lieben.
Shigeichi Negishi mochte zwei Dinge: Elektroteile und den Klang seiner Stimme. Mit letzterem gehörte er in seinem sozialen Umfeld einer Minderheit an. Die Angestellten seiner Firma meinten, ihr ständig singender Chef müsste sich selbst nur einmal so hören, wie sie ihn hörten, um zur Besinnung zu kommen. Auf den Gedanken folgten Taten. Und der Rest ist Karaoke.
Mit 44 Jahren führte Shigeichi Negishi einen gut gehenden, selbst gegründeten Betrieb, der Elektronikteile für größere Unternehmen aus der Branche der Unterhaltungselektronik herstellte. Sein Weg dahin war kein geradliniger gewesen. Als junger Mann befand er sich mitten im Wirtschaftsstudium an der Hosei-Universität in Tokio, als er im Zweiten Weltkrieg an die Front berufen wurde. Der Krieg endete für ihn in einer zweijährigen Gefangenschaft in Singapur. Als er nach Japan zurückkehrte, verkaufte er zunächst Kameras für den namhaften Hersteller Olympus und versuchte sich, die Zeichen der Zeit erkennend, an Manga- und Anime-Merchandising. Einmal besuchte er das Mushi-Studio von Osamu Tezuka, dem Erfinder des modernen japanischen Comics, dessen Einfluss auf die japanische Gegenwartskultur mit dem von Walt Disney auf die amerikanische vergleichbar ist. Er wollte der Marketing-Abteilung die Rechte abluchsen, tragbare Radios mit der Tezuka-Figur Astro Boy zu verzieren, einer atombetriebenen Roboter-Version von Pinocchio. Die Verhandlungen verliefen anscheinend nicht zu Negishis Zufriedenheit. Dennoch war er fasziniert von dem, was er im Studio sah. Der mächtige Tezuka arbeitete auf einer Empore über allen anderen und ließ gelegentlich über ein komplexes Seilwindensystem Entwürfe zu seinen Assistenten herab, damit sie diese vervollständigten. Negishi war beeindruckt davon, wie der Künstler, der schon zu Lebzeiten der "Gott des Mangas" genannt wurde, seinen Schaffensprozess organisiert und automatisiert hatte. Womöglich gab ihm das Ideen für seine eigene Firma, die er bald gründen sollte.
Shigeichi Negishi wurde am 29. November 1923 in Itabashi geboren. Sein Vater war als Beamter in der Lokalpolitik involviert, seine Mutter führte einen Tabakladen. Als Kind war er eher den schönen Künsten und dem Kunsthandwerk zugetan. Er war bekannt für die Miniaturstädte, die er aus Papier baute. Mit elf hatte er einen landesweiten Kalligrafie-Wettbewerb gewonnen. Doch trotz dieser künstlerischen Ader schien ihm in seiner zweiten Lebenshälfte das Leben als Elektronikbastler und Aufseher von Elektronikbastlern zu genügen. Er war wieder an seinen Geburtsort zurückgekehrt, einem nördlichen Stadtteil Tokios. Der nahe gelegene Fluss Arakawa war für die fulminanten Feuerwerke bekannt, die im Sommer über ihm abgefeuert wurden, wie es in Japan Sitte ist (über Neujahr bleibt es eher ruhig und dunkel). Ansonsten war Itabashi für nicht viel bekannt. In den 1960ern war es von der pulsierenden Großstadt, zu der es offiziell gehörte, verkehrstechnisch noch abgetrennt. Es hatte womöglich mehr Ähnlichkeit mit der als verschlafen geltenden Präfektur Saitama, die gleich am anderen Ufer des Flusses begann und über die die vermeintlich mondäneren Tokioter so gerne Witze machten. Ein nennenswertes Nachtleben gab es in Itabashi nicht, hier wurde lediglich gewohnt und gearbeitet. Im 19. Jahrhundert war die Gegend noch landwirtschaftlich geprägt gewesen, im 20. siedelte sich die Industrie an. Vor allem die Rüstungsindustrie. Die Zerstörung der dortigen Waffen- und Munitionsfabrik durch amerikanische Bomberangriffe wurde als militärischer Meilenstein im Zweiten Weltkrieg angesehen. Nach der Kapitulation gründeten viele der ehemaligen Waffeningenieure Betriebe zur Fertigung von Radioteilen. So wurde Itabashi so etwas wie die industrielle Version von Akihabara, Tokios Hauptumschlagplatz von Elektronikgeräten seit den 1930ern, damals vor allem wegen seines lebhaften Schwarzmarkts.
Eine angemessene Menge an Amüsierbetrieben würde in Itabashi noch ein paar Jahrzehnte auf sich warten lassen, aber die Verschlafenheit des Ortes machte Negishi offenbar nichts aus. Er hatte womöglich im Krieg und in der Gefangenschaft genügend Aufregung gehabt. Zu seinen kleinen Freuden gehörte das Mitsingen populärer Melodien, die in der Radiosendung Popsongs ohne Gesang gespielt wurden. Dieses Rundfunk-Konzept war nicht allein in Japan bekannt, und natürlich hat es seinen ganz eigenen Platz in der (Vor-)Geschichte des Karaoke.
Negishis Firma, Nichiden Kogyo, war eine von vielen vor Ort, die Komponenten herstellte, die dann in den Geräten größerer Unternehmen verbaut wurden. Sie war in erster Linie auf die Herstellung von 8-Spur-Tonbandgeräten für Autoradios spezialisiert. Eine Technologie, die in der Entwicklung des Karaoke eine entscheidende Rolle spielen sollte. In Autoradios lösten die Geräte damals die Plattenspieler ab. Richtig gelesen: Vor dem kompakten 8-Spur-Tonband wurde in besonders nobel ausgestatteten Straßenkreuzern tatsächlich Musik vom Plattenteller gehört. Man durfte nur nicht über Hubbel fahren, scharf bremsen oder mit Schwung in die Kurve gehen. Da sich aber das eine oder andere im Straßenverkehr kaum vermeiden ließ, setzte sich Vinyl im Kraftfahrzeug nie im ganz großen Stil durch.
Negishi hatte mit den Tonbandgeräten auf das richtige Pferd gesetzt. Seine Geschäfte liefen gut. Er beschäftigte rund achtzig Techniker und Ingenieure. Bei seinen Mitarbeitern war er beliebt. Wenn er nicht gerade sang. Als er seinem Hobby eines Morgens wieder in Hörweite anderer nachging, zog er den Spott des obersten Ingenieurs auf sich. Negishi fragte sich, warum seine eigene Wahrnehmung seines süßen Gesangs sich von der anderer so sehr unterschied. Den Ingenieur fragte er: "Wäre es möglich, ein Mikrofon an ein Tonbandgerät anzuschließen, damit ich mich beim Singen der Nummern von Popsongs ohne Gesang aufnehmen kann?"
Damit rannte er bei ihm offene Türen ein. Drei Tage später stand das Ergebnis auf Negishis Schreibtisch. Der Ingenieur hatte einen Mikrofonverstärker über einen Mischerkreis mit einem 8-Spur-Tonbandgerät verbunden. Der Kasten war offen, offenbarte ein rechtes Kabelgewirr. Negishi schaltete ihn an und fütterte ihn mit einer Aufnahme des Schlagers "Mujo no Yume" (Der herzlose Traum), einem Evergreens aus den 1930ern. Die Melodie setzte ein . Negishis Gesang setzte ein . es war in seinen Ohren nach wie vor eine perfekte Harmonie! Und es war die erste echte Karaoke-Darbietung in der Geschichte der Menschheit.
"Es funktioniert!", war Negishis erster Gedanke. "Das macht Spaß!", war sein zweiter. Sein dritter könnte gewesen sein: "Damit lässt sich bestimmt Geld machen." Also bat er seinen Ingenieur, den Kabelwust mit einem geschlossenen Gehäuse zu kaschieren und das Ganze mit einem Münzeinwurf zu versehen, der in der Werkstatt gerade ohne Bestimmung herumlag.
Der Ingenieur machte sich erneut an die Arbeit und kam schließlich mit einem würfelförmigen Kasten zurück, der auf jeder Seite knapp einen halben Meter maß, an den Rändern Chromleisten hatte und auf den meisten Flächen mit beigem Laminat verkleidet war. Es gab ein rechteckiges Fach für Tonbänder, einen Mikrofonanschluss und neben dem wichtigen Münzeinwurf Knöpfe, mit denen sich Lautstärke, Balance und Tonhöhe regeln ließen. Die Front verzierte eine durchsichtige, geriffelte Plastikscheibe, hinter der dekorative Glühbirnchen in verschiedenen Farben im Takt der Musik blinkten.
Negishi sah, dass es gut war, und taufte den Kasten auf den Namen Sparko Box, nach dem Englischen to sparkle (funkeln). Diese Idee kam ihm von der Plastikscheiben/Glühbirnen-Applikation an der Front, einer seiner früheren Erfindungen, für die er nun endlich, integriert in eine andere Erfindung, eine Verwendung gefunden hatte.
Begeistert brachte Negishi die Sparko Box am Abend nach Hause, um sie an seiner Frau und seinen drei Kindern auszuprobieren. Seine Tochter, damals im popmusikanfälligen Teenager-Alter, war geradezu schockiert von der Erfahrung, ihre eigene Stimme über Lautsprecher und zu musikalischer Begleitung zu hören. Aber sie konnte nicht genug davon bekommen.
Obgleich Shigeichi Negishi die historische Tragweite seiner Erfindung nicht absehen konnte, war er sich durchaus bewusst, dass da etwas in seiner Küche stand, das zu schade für seinen Küchentisch allein war. Als Leiter einer Firma, die mit Führenden der Unterhaltungselektronik-Branche gemeinsame Sache machte, war er in geschäftlichen Dingen nicht völlig unbeleckt. Dennoch fehlte es ihm an Erfahrung, Artikel selbst an Endkunden zu vertreiben. Sein Unternehmen stellte Produkte her, die von anderen Unternehmen als Teile ihrer Produkte vertrieben wurden.
Er versuchte trotzdem sein Bestes. Er...
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