Schweitzer Fachinformationen
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Fünf Monate später
»Liv, hej. Kannst du kurz sprechen?« Alma klang aufgewühlt. Es war ungewöhnlich, dass sie mich während meiner Arbeitszeit anrief, deshalb war ich gleich drangegangen. Ich ließ meine Reisegruppe stehen, die vor dem prunkvollen Schloss Drottningholm stand und Handyfotos schoss. Kurz warf ich dem jungen Mann einen Blick zu, der noch etwas blass im Gesicht auf einer Bank in der Nähe saß und an einer Wasserflasche nippte. Bei der einstündigen Überfahrt vom Stadtzentrum zur Insel Lovön, auf der sich der private Wohnsitz der schwedischen Königsfamilie befand, war er glatt seekrank geworden. Wie gut, dass es nicht das erste Mal war, dass es während meiner Stadttour durch Stockholm irgendwelche unvorhersehbaren Zwischenfälle gab.
»Was ist los?«
»Edda .« Ihre Stimme klang besorgt, als sie den Namen unserer Tante aussprach - der Frau, die neben meiner Mutter, meinem Stiefvater und meiner Halbschwester Alma meine Familie war. Seit ich sie ausfindig gemacht und sie mich mit offenen Armen empfangen hatte, besuchte ich Edda jeden Herbst, wenn die Saison in Stockholm vorbei war und ich für ein paar Wochen mein geliebtes turbulentes Stadtleben gegen die friedliche Ruhe in der verschlafenen Kleinstadt Nora eintauschte. Edda war ein Ruhepol und mit einer Weisheit gesegnet, die ich faszinierend fand.
»Sie musste ins Krankenhaus.«
»Was ist passiert?« Sofort war ich in Alarmbereitschaft. Edda schleppte seit dem letzten Winter einen hartnäckigen Husten mit sich herum, doch trotz unserer Bitte, die Ursache dafür von einem Arzt abklären zu lassen, hatte sie sich vehement geweigert. Sie war ein Sturkopf.
»Heute Morgen war sie nicht unten in der Küche, und du weißt ja, wie früh sie vor der Arbeit eigentlich immer aufsteht. Ich habe sie husten gehört, so stark wie noch nie. Als ich in ihr Schlafzimmer kam, saß sie auf der Bettkante und hat ganz schwer und angestrengt geatmet. Ich habe sofort den Notarzt gerufen.« Sie seufzte ins Telefon. »Ich weiß noch nicht, was los ist, sie wird die nächsten Tage untersucht und komplett auf den Kopf gestellt. Ich wollte dir direkt Bescheid geben.«
Ich machte mir so schreckliche Sorgen um Edda, dass mir für einen Moment die Worte fehlten.
»Sie kommt wieder auf die Beine«, sagte ich mehr zu mir selbst. Ich hoffte inständig, dass tatsächlich alles wieder schnell in Ordnung kommen würde.
»Ja, das wird sie. Natürlich wird sie das.«
Nachdem Alma mir versprochen hatte, mich auf dem Laufenden zu halten, legten wir auf. Ich musste zurück zu meiner Gruppe, die etwas verloren herumstand und sich nach mir umsah. Doch meine Konzentration ließ seit dem Telefonat zu wünschen übrig, weil meine Gedanken um Edda kreisten. Alma hatte berichtet, dass sie keinen Besuch empfangen konnte, bis die Untersuchungen abgeschlossen waren, und doch kam es mir falsch vor, in Stockholm zu sitzen und abzuwarten, während Alma in Nora von jetzt auf gleich mit der Hebammenpraxis und Eddas großem Haus allein dastand. Ich wusste, dass sie ihren Freund Liam als Stütze hatte, aber der hatte mit seinem Job und seiner alleinerziehenden Schwester selbst alle Hände voll zu tun.
Nach der Stadttour fuhr ich zurück in die WG, packte kurz entschlossen ein paar Sachen zusammen und machte mich auf den Weg nach Nora.
Zweieinhalb Stunden später stieg ich aus meinem Auto und lief über den Kies auf das schwedenrote Holzhaus zu, vorbei an der Hebammenpraxis Magkänsla, in der Alma seit letztem Jahr arbeitete.
Edda hatte sich mit der Praxis vor Jahren einen Traum erfüllt und ihre Leidenschaft zum eigenen Business gemacht. Ich konnte zwar nicht viel mit Schwangeren und Babys anfangen, aber dennoch imponierte mir ihr Mut, ihre Geschäftsidee umzusetzen, die sich als Volltreffer erwiesen hatte, denn die Hebammenpraxis boomte.
Der Wind rauschte in den gigantischen Kiefern des Waldes, der an Eddas Grundstück angrenzte, und das rote Schwedenhäuschen umschloss. Ich liebte Eddas Haus, weil es auf eine gute Weise kitschig und typisch schwedisch war. Es gab mir das Gefühl, ein Zuhause zu haben, das gemütlich und voller Wärme war. Meine Mama lebte mit meinem Stiefvater in Örebro und auch das war mein Hafen, wenn ich eine Auszeit von Stockholm brauchte. Aber Edda und dieses Haus umgab eine besondere Magie, eine positive Energie, die mich Jahr für Jahr anzog. Hier lud ich meine Batterien auf und meine Vorräte an Eddas selbstgemachter Marmelade.
Als ich klingelte und wartete, nahm ich wahr, wie sich die Natur um mich herum seit meinem letzten Besuch im Herbst verändert hatte. Die zarten Strahlen der Nachmittagssonne waren wärmer, die Luft roch nach Gras und Kiefernadeln, und nur noch vereinzelte kleine Schneehaufen bedeckten den Boden. Ich war zum ersten Mal im Frühling in Nora. Wie gern ich das mit Edda geteilt hätte.
Ich dachte daran, wie strahlend sie mich bei jedem Besuch empfangen hatte, wie sie mir immer das Gefühl gegeben hatte, zu Hause und willkommen zu sein. Sie hatte mich dazu gebracht, das fehlende Puzzleteil in meinem Herzen zu vergessen und es so unvollkommen anzunehmen, wie es war. Edda war ein Geschenk für mich, und ich konnte es kaum erwarten, sie im Krankenhaus zu besuchen und sie fest zu umarmen.
Die Tür öffnete sich.
»Liv.« Alma machte große Augen. Sie trug eine weite Strickjacke und Jogginghose. Ihr blondes Haar hatte sie locker hochgesteckt. »Was machst du denn hier?« Ihr Blick wanderte zu dem Rollkoffer neben meinen Füßen.
»Ich konnte nicht zu Hause rumsitzen«, sagte ich. »Ich möchte für dich und Edda da sein und bleibe ein paar Tage. Wenn du einverstanden bist.«
Alma schürzte die Lippen, dann lächelte sie und zog mich in eine Umarmung. Als wir uns voneinander lösten, trat Liam in den Flur. Er blickte nicht weniger erstaunt als seine Freundin drein. »Das ist ja eine Überraschung.« Sein kinnlanges blondes Haar hatte er zurückgebunden, das Grau seiner Augen strahlte heller, als ich es in Erinnerung hatte. Ich mochte ihn, auch wenn wir uns nur wenige Male begegnet waren. Er war nett und herzlich und vergötterte meine Halbschwester, was man in jedem der Blicke, die er ihr zuwarf, lesen konnte.
»Liv bleibt ein paar Tage«, verkündete Alma. »Ist das nicht schön?«
»Ich hoffe, ich überfalle euch damit nicht.« Liam wohnte zwar nicht in Eddas Haus, dennoch kam mir erst jetzt der Gedanke, dass es ihn stören könnte, wenn ich hier von jetzt auf gleich aufkreuzte.
»Überfallen?« Alma keuchte. »Du bist meine Rettung. Ich bin ein Nervenbündel, seit Edda heute Morgen abgeholt wurde. Liam hat mir schon hundertmal gesagt, dass alles gut wird, aber na ja . ich habe einfach Angst.«
»Edda ist zäh, sie schafft das.« Liam nahm Almas Hand und warf mir einen Blick zu, in dem ich las, dass er sich selbst sorgte, auch wenn er es Alma zuliebe nicht zugab.
Während Liam meinen notdürftig gepackten Koffer in eines der oberen Zimmer des Hauses brachte, zogen Alma und ich uns ins Wohnzimmer zurück. Vor dem Kamin lagen Ben und Jerry, Almas Kater, die sie bei ihrer Auswanderung aus Deutschland mit nach Schweden gebracht hatte. Ich fand es süß, dass sie ihnen den Namen ihrer Lieblingseismarke gegeben hatte.
Neugierig hoben sie die Köpfe und musterten mich aus ihren goldbraunen Augen. Bens Nase zuckte, und im nächsten Moment kam er auch schon auf mich zugelaufen. Dieser Kater war mir bei meinem letzten Besuch ans Herz gewachsen. Laut Alma war Ben eigentlich eher zurückhaltend, wenn er auf neue Menschen traf, aber wir beide hatten uns auf Anhieb gemocht.
»Willst du was trinken?« Alma deutete auf die Wasserkaraffe, die auf dem Tisch stand. »Oder lieber Tee?«
»Wasser ist okay. Danke.«
Ich setzte mich auf das geblümte Sofa und ließ meinen Blick durch das offene Wohn-Esszimmer gleiten. Auf dem Tisch lagen Eddas Gartenhandschuhe. Abgesehen von Kochen war Gartenarbeit ihr liebstes Hobby. Obwohl ich wusste, dass sie im Krankenhaus war, hoffte ich, dass sich jeden Moment die Terrassentür öffnen und sie mit ihren Gummistiefeln ins Haus stapfen würde.
Seufzend sah ich hinunter zu Ben, der sich in diesem Moment zu mir gesellte und sich neben meinem Schoß einrollte. Langsam ließ ich meine Finger über das seidige Fell gleiten, was irgendwie tröstlich war.
»Das muss ein Schock für dich gewesen sein. Edda so vorzufinden«, sagte ich, als Alma mit einem Glas Wasser zurückkehrte und es auf dem Couchtisch abstellte.
»Ich hatte schreckliche Angst.« Sie setzte sich auf den Sessel mir gegenüber.
Dahinter brannte ein kleines Feuer im Kamin, welches in Schweden auch noch im Frühling notwendig war. Auf dem Kaminsims standen die Bilderrahmen mit den Fotos, die ich mir bei jedem Besuch angesehen hatte. Ich erinnerte mich noch genau daran, wie ich das Kinderfoto von Alma angestarrt hatte und wie sehr ich mir gewünscht hatte, sie eines Tages kennenzulernen. Noch immer war ich dankbar, dass es letztes Jahr endlich dazu gekommen war, auch wenn unser Start ein wenig holprig verlaufen war. Mein Auftauchen hatte Alma überfordert, was ich jedoch gut nachvollziehen konnte. Immerhin war es für sie eine heftige Enttäuschung gewesen, zu erfahren, dass unser Erzeuger ein Kind mit einer heimlichen Affäre gezeugt hatte. Dennoch hatten wir schnell einen Draht zueinander gefunden, trotz unserer unterschiedlichen Charaktere. Seitdem hielten wir engen Kontakt, telefonierten und schrieben uns Nachrichten. Die besondere Verbindung zwischen uns hatte ich schon in der ersten Sekunde unseres Kennenlernens gespürt. Auch wenn ich das väterliche Bindeglied, welches uns genetisch miteinander verknüpfte, am liebsten komplett...
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