Charles
Ich bin ein Mann, der eine schreckliche Lüge lebt.
Ich predige über die Sünden der Menschheit, während ich selbst jeder einzelnen davon fröne.
Völlerei? Check.
Trägheit? Ich bin ein verdammter Meister darin.
Wollust? Nun, das ist es, was mich in die Knie gezwungen hat. Im wahrsten und im übertragenen Sinne.
Jedes Mal, wenn ich die winzige Scheibe des ungesäuerten Brotes über meinen Kopf hebe, wiederhole ich dasselbe verdammte Gebet, mit dem ich die symbolische weiße Oblate segne. Jedes Mal, wenn ich leise die gesegneten Worte murmele und der Ministrant seine Glocke läutet, sterbe ich innerlich ein wenig mehr. Es ist schwer, ein leuchtendes Vorbild für eine Gemeinde zu sein, wenn man selbst nicht weiter von der Heiligkeit entfernt sein könnte. Wenn sie wüssten, was ich hinten in meinem Schrank verstecke und tief in meinem Innersten vergraben habe, wären all die bewundernden Blicke Vergangenheit. Die frommen Heuchler vor mir würden mich so weit weg wie möglich verbannen.
Ausgestoßen von genau der Herde, die ich in den letzten zehn Jahren meines Lebens geformt und aufgebaut habe.
Ich breche die Hostie, lege eine trockene, geschmacklose Hälfte auf meine Zunge und spüle sie mit bitterem Wein hinunter. So, wie ich es in jedem Gottesdienst mache. Sie verklumpt sich in meinem Magen wie Gift. Während Hunderte von Augenpaaren auf mich gerichtet sind, möchte ich mich übergeben. Sie sehen mich als etwas ganz Besonderes an. Etwas, das man verehren muss. Aber das bin ich nicht.
Nicht mehr.
Vielleicht war ich das einmal, aber auch ich habe ein Licht gefunden, dem ich folgen kann. Es ist vermutlich dunkler und für die meisten Menschen, die sich vor der Kirche drängen, nicht sehr hilfreich, aber es ist das, was ich brauche, um meinen Weg zu finden.
Ich nehme meinen Platz vor dem Altar ein und verteile das Sakrament der Kommunion wie das kostbarste Geschenk an die Menschen meiner Gemeinde. Es gibt einen Grund, warum man die Mitglieder einer Gemeinde als Herde bezeichnet. Schafe folgen Befehlen, ohne zu fragen. Sie werden von Ort zu Ort getrieben, ohne selbst zu denken.
Ich habe das getan. Ich habe sie auf diesen gerechten und heiligen Weg geführt. Wofür? Für ein falsches Gefühl der Sicherheit, dass sie das Richtige tun? Dass der Weg der Kirche der einzige Weg ist? Ich frage mich, wie viele noch mit mir reden würden, wenn sie wüssten, was ich getan habe.
Die Messe ist zu Ende, ich setze das falsche Lächeln auf, nehme in meiner schicken Robe eine fromme Haltung an und mische mich unter meine Herde. Von Tag zu Tag wird es schwieriger. Jede zusätzliche Sekunde dieser Scharade schlägt mir mehr auf den Magen. Ich hasse diese verdammte Farce, zu der ich geworden bin.
"Tolle Predigt, Pater."
"Pater, ihre Predigt hat mich so berührt."
"Pater, ich bin so glücklich, dass ich heute ihre Botschaft der Wahrheit hören durfte."
Mit hohlem Dank nicke ich und blende sie dabei aus oder wenn ich mich besonders redselig fühle, antworte ich das freut mich zu hören. Diesen Teil der Messe hasse ich, weil sie manchmal reden wollen und ich nicht. Ich hasse es, alles in meinem Leben vorzutäuschen, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang.
Als das letzte Gemeindemitglied endlich gegangen ist, mache ich meinen letzten Rundgang. Während meine aufpolierten Schuhe über Fliesen klacken und über Teppiche gleiten, überprüfe ich Schlösser und schalte das Licht aus. Ich nehme den Seidenschal mit, den Mrs. Watson wieder einmal hiergelassen hat. Törichte Frau. Ich habe aufgehört, eine Notiz in den Fundsachen dazuzulegen. Sie weiß, dass er hier ist. Ich bin mir sicher, dass sie ihn absichtlich liegen lässt, in der Hoffnung, dass ich sie einlade, ihn abzuholen. Wenn sie nur wüsste, dass meine Versuchung niemals eine Frau sein könnte.
Ich brauche verdammt noch mal einen Drink. Das ist das Einzige, was mir hilft, mein Leben zu ertragen. Alkohol und Marihuana betäuben meine Existenz. Dieses seichte Leben, das nicht mehr Tiefe hat als ein Schattenspiel an der Schlafzimmertür, erscheint mir in einem Gin-Nebel weniger trostlos.
Endlich in der Sicherheit des Pfarrhauses angekommen, schließe ich die Tür hinter mir ab, bevor ich mich ausziehe und meinen Kragen gleichgültig auf den Couchtisch werfe, als ich daran vorbeigehe. Während meine Kleidung auf einem Haufen im Flur liegen bleibt, gehe ich duschen. Das heiße Wasser färbt meine Haut rosa und ich lehne mich mit meinem Kopf gegen die Fliesen, während ich den Tränen freien Lauf lasse, die ich kaum zurückhalten konnte. Als das Wasser kalt wird, steige ich endlich aus der Dusche und wickle ein flauschiges Handtuch um mich, bevor ich in die Küche gehe, um mir einen doppelten Gin Tonic einzuschenken. Den ersten trinke ich auf ex und mixe einen weiteren. Diesmal mit einem Spritzer Limette. Alkohol löst das Problem nicht, lässt es aber für eine Weile verschwinden. Nicht lange genug, aber für den Augenblick ergreife ich die zeitweilige Flucht, während ich über das Desaster meines Lebens nachdenke.
In dieser von der Kirche bezahlten Wohnung, in der ich leben muss, sind mir Anstandsregeln völlig egal. Ich lasse das Handtuch auf den Boden fallen und mein nackter Hintern landet auf der Polsterung des scheußlich lindgrünen Kunstledersofas. Wer hätte gedacht, dass die 70er ein Comeback erleben würden und die Gemeinde ohne mein Zutun einen Arsch voll Geld für die Einrichtung des Hauses ausgeben würde, in dem ich wohne?
Ha! Dumme Frage. Natürlich interessieren sie sich nicht für mich oder was ich denke. Das ist deutlich daran zu erkennen, wie sie sich auf die Seite des Bischofs stellen. Ich bin nur ein Gemeindepfarrer. Ich bin ersetzbar.
Der zweite Drink ist genauso schnell weg, und ich brauche einen dritten. Die fröhliche Euphorie, die der Alkohol verursacht, wabert bereits durch mein Gehirn. Nackt und kichernd trotte ich zurück in die Küche und anstatt noch einen Drink zu mixen, klemme ich mir die Flasche Gin unter den Arm, hole ein paar Dosen Tonic aus dem Kühlschrank und nehme alles mit ins Wohnzimmer. Es ergibt keinen Sinn, jedes Mal aufzustehen. Ich werde schneller besoffen, wenn ich Ablenkungen und Bewegungen minimiere.
Gibt es denn eine bessere Möglichkeit, sich dem drohenden Jobverlust zu stellen, als betrunken? Nicht, dass ich traurig wäre, diese Grube voller Kunstleder und Lächeln zu verlassen, aber ich möchte zu meinen eigenen Bedingungen gehen, und es läuft nicht wie geplant.
Nichts in meinem Leben läuft wie geplant.
Ich soll zu diesen Menschen predigen, dass sie einander lieben und freundlich sein sollen, dass wir alle aus dem gleichen Holz geschnitzt sind, aber hinter verschlossenen Türen sieht es anders aus.
Ganz anders.
Der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, war, als ich dem jungen schwulen Mann nicht half, der mit der abweisenden Entscheidung seiner Familie zu kämpfen hatte und mit den gleichen Süchten konfrontiert war wie ich. Seine wohlhabende Familie ist ein Großspender der Kirche, und wir sollten sie nicht verärgern. Wir wollen doch nicht, dass sie ihre Spenden einstellen.
Immer wieder werde ich gebeten, die Hilferufe anderer zu ignorieren.
Von einem Mann, der mir so ähnlich ist, dass er mein Spiegelbild sein könnte.
Der Gin ist zu einem Viertel leer und meine Wut brodelt, als ich endlich über den Stapel Papier lese, der in meinem Briefkasten war. Die sterile Schriftart kann meinen Zorn nicht beruhigen, während ich die Worte lese, die mir von jemandem geschickt wurden, der versprochen hat, meine Geheimnisse niemals preiszugeben oder mich zu verlassen.
Der einzige Mann, den ich je geliebt habe. Bischof Matthew. Mein Chef.
Charles,
ich hoffe, es geht Dir gut.
Wie Du siehst, haben unsere Anwälte folgendes Vorgehen vorgeschlagen, und ich stimme der Diözese zu, Deinen Aufenthalt hier zu beenden.
Wir werden Dir eine großzügige Abfindung zahlen, natürlich vorausgesetzt, Du schweigst und hältst Dich an die von uns geforderte Schweigepflicht.
Bitte antworte fristgerecht, damit wir die Angelegenheit schnellstmöglich klären können.
Mit freundlichen Grüßen
Bischof Matthew
"Mit freundlichen Grüßen, Bischof Matthew", lalle ich mit der schnöseligsten Stimme, die ich zusammenbringe. "Du kannst mich mal. Tatsächlich hast du das sogar getan. Ich verstecke mich nicht mehr. Nimm deine Abfindung und verpiss dich, du armseliges Stück Mensch." Ich werfe das Papier mit zitternden Händen auf den Couchtisch und verstehe nicht, wie Worte so wehtun können. So sollte es nicht sein. Jetzt muss ich mit dem Schlamassel fertig werden.
Allein.
Mein Kopf schwirrt vor Wut und Alkohol, aber vor allem wegen der Aufforderung, mich auf unbestimmte Zeit zu verstecken. Ich habe genug von all den verdammten Geheimnissen und Lügen.
Ich habe es satt, mich in meinem Job und meinem Leben zu verstellen.
Ich werde es nicht tun.
Ich schenke mir noch einen Drink ein, wahrscheinlich keine gute Idee, und stöbere auf meinem Laptop herum, bis ich meine Lieblingspornoseite finde. Heute will ich mir alle Körper ansehen. Alle Schwänze. Je versauter desto besser. In der richtigen Stimmung bin ich auf jeden Fall.
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