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Kapitel 1:
Die Lizenz zum Töten? Faszination Geheimdienstmord
Detektive und Ermittler, Krimis und Thriller haben - vor allem in Deutschland - immer Hochkonjunktur. Warum aber zieht uns das Thema Mord so in seinen Bann, was macht die Faszination von Morden, die im Verborgenen geschehen, aus? Mindestens drei Faktoren spielen dabei eine Rolle.
Faktor 1: James Bond und die Macht der Spionagefiktion
James Bond, 007 - der beste Geheimagent Ihrer Majestät, im Auftrag des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6 unterwegs mit der »Lizenz zum Töten«. Davon macht er, wie jeder Roman und Film der Bond-Reihe demonstriert, ausgiebig Gebrauch. Genau genommen ist dies sogar das einzige Mittel, mit dem Bond und durch ihn der britische Geheimdienst aktiv auf seine Gegner einwirkt. Was Spionage in den Bond-Filmen ausmacht, lässt sich auf einen einfachen Nenner bringen: Geheimagenten mit falschen Identitäten und fantastischen technischen Hilfsmitteln, unterwegs, um zu töten.
Wie wirkmächtig diese Fiktion ist, lässt sich auch an einem anderen Beispiel ablesen: Spionagemuseum Berlin, 8. März 2018, wenige Tage nach dem Mordanschlag auf Sergej Skripal. Eine Berliner Tageszeitung will dringend ein Statement, und als Erstes kommt die Frage aller Fragen zur Welt der Spione: »Ist das eigentlich wirklich so wie bei James Bond, mit der >Lizenz zum Töten<?« Der fiktionale Kinoheld wird zum Vergleichsrahmen für die reale Welt. Aber warum?
In James Bond hat sein Schöpfer, der britische Geheimdienstler, Journalist und Autor Ian Fleming der Welt den Prototyp dessen geliefert, was wir uns unter einem Geheimagenten vorstellen wollen. James Bond ist eine Projektionsfläche für alles, was wir von der Welt der Geheimdienste erwarten, was wir fürchten, hoffen oder träumen. Das gilt auch für die Morde, die er begeht. Denn Bond bekommt von seinen Bossen und von seinen Fans die berühmte »Lizenz zum Töten«: Er darf, was alle anderen nicht dürfen, natürlich nur zum guten Zweck (worüber er sich immer wieder aus niederen, persönlichen Motiven hinwegsetzt). Der tödliche Schuss zwischen die Augen des Gegners gehört nicht nur zum Bond-Intro, sondern zum Kern der Marke James Bond. Es ist das Töten des Bösewichts, worauf das Publikum wartet, der unbestrittene Höhepunkt jedes Bond-Films.
Damit ist James Bond bei Weitem nicht allein. Die Verfilmungen der Jason-Bourne-Reihe machen dies noch deutlicher: Hier geht es um ein spezielles CIA-Programm, mit dem »perfekte Killer« geschaffen wurden. Dass einer von ihnen, mit dem Decknamen Jason Bourne, aufgrund von Gewissensbissen erst seine eigene Lebensgeschichte vergisst und sich dann in den mittlerweile fünf Filmen gegen die Agency selbst wendet, geht dabei fast unter. Der morbiden Faszination, die Geheimdienstmorde ausüben, tut das in der Filmreihe angedeutete Szenario keinen Abbruch. Sie stehen für das Geheimnis im Geheimnis, den dunkelsten, dreckigsten und am stärksten unter Verschluss gehaltenen Bereich der Geheimdienstarbeit. Diese Faszination teilen sich Spionagefilme und Spionagerealität.
Kaum eine reale Person oder ein reales Ereignis beeinflusst unsere Vorstellung von Geheimdiensten so sehr wie die fiktionale Welt der Superspione und -agenten. Wer kennt schon den letzten Jahresbericht des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Nachrichtendienste? Richtig: so ziemlich niemand. Den letzten Bond-Film aber sahen Millionen Menschen weltweit.
Wie realistisch die Filme und Bücher dabei sind, spielt kaum eine Rolle. Denn wie es Alexis Albion vom Spy Museum in Washington zusammenfasste: »Spionage ist nicht wie Bond, aber für Millionen von Menschen überall auf der Welt ist Bond gleich Spionage.«23 Diese Macht der Spionagefiktion, die unser Denken und unsere Vorstellungen schon lange infiltriert und geprägt hat, wird von Politikern und Geheimdienstlern immer wieder abgetan und unterschätzt. Sie ist jedoch sehr real.
Denken wir an die eingangs erwähnte Frage nach dem Anschlag auf Sergej Skripal zurück: »Ist das eigentlich wirklich so wie bei James Bond, mit der >Lizenz zum Töten<?« Egal wie unsinnig diese Frage Politikern, Polizisten und Geheimdienstmitarbeitern erscheint (und das tut sie!) - sie hat eine Antwort verdient. Der Tötungswahn des James Bond, auf dessen Konto bereits über 400 fiktive Menschenleben gehen, ist ein Spiegelbild unserer Vorstellung von Geheimdiensten und ihren Machenschaften. Immer wieder stellen wir alle - ob Kinobesucher, Journalisten oder Kommentatoren - uns vor, die Welt von James Bond sei die Realität - oder die Realität sei wie die Welt von James Bond. Gezielte Tötungen sind in dieser Welt die extremste und zugleich ultimative Form von Geheimdienstarbeit. Ob dem tatsächlich so ist und dass die reale Welt der Geheimdienstmorde sogar um einiges spannender ist als im Film, zeigt dieses Buch.
Faktor 2: Das politische Geheimnis und die Welt der Deep Secrets
Der zweite Faktor der besonderen Faszination von Geheimdienstmorden ist so banal wie einleuchtend: Es ist das Geheimnis. Geheimnisse beflügeln und reizen die menschliche Neugier und Fantasie. Vor allem, wenn es um die Geheimnisse eines anderen geht, und noch mehr, wenn dieser andere ein ganzer Staat mit Institutionen ist, die im Verborgenen arbeiten.
Im Verborgenen verübte Attentate gehören zu den dunkelsten Geheimnissen des modernen Staates. Planung, Ausführung, Anzahl, Erfolge, Misserfolge und Motive - alles topsecret. Staaten und Regierungen lassen Geheimdienstmorde natürlich nicht ohne Anlass ausführen, sondern um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Während Tötungen bis ins 19. Jahrhundert ein mehr oder weniger legitimes Mittel der Politik waren, sind sie heute in den meisten Teilen der Welt illegal und geächtet - eigentlich. Und weil dem so ist, müssen Tötungen, wenn sie doch angeordnet werden, oft im Verborgenen passieren. Geheimdienstmorde sind immer Staatsgeheimnis Nummer eins.
Gehörte das Staatsgeheimnis von der Antike bis zum Ersten Weltkrieg noch zur legitimen und allgemein anerkannten Regierungskunst, ist es in der modernen, digitalen Demokratie anrüchig und verdächtig geworden. Ein faszinierender Widerspruch wohnt dem Staatsgeheimnis heute inne: Einerseits stabilisiert Geheimhaltung den demokratischen Staat, indem sie zum Beispiel das Entstehen von Gesetzen bis zu einem gewissen Zeitpunkt vor äußeren Einflüssen wie Lobbyismus oder wirtschaftlichen Interessen schützt. Oder indem zum Funktionieren der Versorgung (der sogenannten kritischen Infrastruktur) notwendige Informationen geheim gehalten werden. Jede Macht, jeder Staat und jede Regierung hat legitime »Betriebsgeheimnisse«.24
Andererseits hat das Staatsgeheimnis eine dunkle Seite: Indem Staat, Regierung und Behörden bestimmte Bereiche der öffentlichen Kenntnis entziehen, entsteht ein Raum für unbeobachtete und illegale Handlungen. Hier, so vermutet die kritische Öffentlichkeit, soll versteckt werden, was eigentlich gar nicht sein darf. Die Schmutzwäsche der Macht soll in der dunkelsten Kammer eines verstecken Labyrinths vor der Enthüllung bewahrt werden.
Es gibt also gute und schlechte Geheimnisse. Geheime Morde gehören natürlich in die zweite Kategorie. Sie sind aber nicht »einfach nur schlecht«, sondern auch sogenannte Deep Secrets - man könnte auch sagen: besonders geheime Geheimnisse. Was zunächst etwas seltsam klingt, bedeutet nichts anderes, als dass es bei derartigen Geheimnissen schwierig bis unmöglich ist abzuschätzen, was alles geheim gehalten wird. Wir wissen also nicht, was wir nicht wissen und nicht wissen können. Bildlich gesprochen: Man schaut nicht nur in eine dunkle Kammer in einem schier endlosen Labyrinth; man schaut in ein dunkles Nichts, in dem Licht nicht vorgesehen und deshalb nicht angebracht wurde. Und genau deswegen werden Geheimdienste mit solchen Aktionen beauftragt: Sie haben die notwendigen finanziellen, personellen und technischen Ressourcen und vor allem das Know-how, um solche Aktionen durchzuführen, während gleichzeitig Geheimhaltung ihr ureigenstes Geschäft ist.
Der Ex-Präsident des deutschen Auslandsnachrichtendienstes BND, Gerhard Schindler, meinte auf die Frage nach einer ungefähren Anzahl von Geheimdienstmorden im Januar 2020: »Wie sollen wir die denn bitte zählen? Wenn ein Geheimdienstmord gelingt, ist er ja gar nicht zu erkennen.«25 Wenn also zum Beispiel der russische Geheimdienstüberläufer Sergej Skripal wie geplant zu Hause still an Herzversagen verstorben wäre, statt halbtot auf einer Parkbank gefunden zu werden, stünden die Chancen recht gut, dass der Todesfall niemals mit einer Vergiftung in Verbindung gebracht worden wäre - und die globale Öffentlichkeit niemals auch nur ein Sterbenswörtchen davon gehört hätte. Den Toten als Opfer und den Tod als Mord zu erkennen und dann auch noch einem Täter zuzuschreiben ist eine große und manchmal unüberwindbare Herausforderung. Und genau diese Undurchschaubarkeit ist es, die stark zum morbiden Reiz des geheimen Mordes beiträgt.
Faktor 3: Psychologie und Tötungstrieb
Der letzte Faktor der morbiden Faszination von geheimen Morden sind psychologische, tief im Menschen verankerte Aspekte: Mord beziehungsweise Töten ist eine Grenzerfahrung, ist extrem, endgültig - und eigentlich wider die menschliche Natur. Und doch gibt es anscheinend eine verborgene, dunkle Seite tief in uns, die der »Übervater« der...
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