Schweitzer Fachinformationen
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Nach der Bestattung stand ich auf einmal allein da. Dad und Celine hatten mit dem Rest der Familie wegen des Wolkenbruchs fluchtartig Reißaus genommen, was blöd war, denn jetzt hatte ich keine Mitfahrgelegenheit zum Haus.
Zunächst gesellte ich mich zu einer größeren, mir völlig unbekannten Gruppe Trauergäste, die unter einem mächtigen Baum standen und auf eine Weise über meine Mutter redeten, aus der ich schloss, dass sie nicht wussten, wer ich war.
»Regen bis zum Absaufen, genau das richtige Wetter für die alte Säuferin«, bemerkte ein Mann in knittrigem Leinenblazer.
»Ich versteh gar nicht, wozu sie sie überhaupt beerdigen. Der ihre Leiche ist so gut konserviert, dass sie sowieso nicht verwest«, meinte ein anderer.
Die Frauen gackerten, aber dann erkannte mich wohl doch eine von ihnen, denn sie stieß ihren Nachbarn in die Seite und zischte: »Psst! Tochter!«
Sie wanzte sich an mich ran. »Nicole, richtig?« Mir stellten sich die Nackenhaare auf. »Deine Trauerrede war wirklich schön. Wir alle kannten deine Mum noch aus der Schulzeit.«
»Sehr traurig, das alles«, sagte der Mann mit dem Leinenblazer.
»Ja, sehr schön, was du da in der Kirche gesagt hast«, sagte ein anderer. »Herzliches Beileid!«
Steck dir dein Beileid sonst wohin!, dachte ich, nickte aber höflich und machte mich schleunigst vom Acker. Lieber nass werden, als die unaufrichtigen Beileidsbekundungen dieser Leute abzukriegen. Der Sommerregen in Perth war wirklich beeindruckend. Zwischen den fetten, schweren Tropfen war so viel Abstand, dass man sich fast zwischen ihnen hindurchlavieren konnte, ohne nass zu werden.
Aber natürlich wurde ich trotzdem klatschnass.
Während ich über den Friedhof lief, musste ich an eine Szene aus meiner Kindheit zurückdenken. Wir waren zu lange am Strand geblieben, und am späten Nachmittag war der Wind dermaßen aufgefrischt, dass uns der Sand ins Gesicht peitschte. Vom Indischen Ozean her war ein Sturm aufgezogen, hatte mit Blitzen den Horizont erleuchtet. Samantha und ich waren zum Auto gelaufen, um dort Schutz zu suchen, aber Mum war oben auf den Dünen stehen geblieben, hatte aufs Meer geblickt und den Sturm begrüßt.
Ich blieb stehen, warf einen Blick zurück zu dem Loch in der Erde, in dem jetzt meine tote Mutter lag.
Der Sturm ist endlich vorbei, Mum, dachte ich.
Als mein Vater sah, wie nass ich war, sprang er aus seinem Lexus ES 350 und holte ein Handtuch aus dem Kofferraum.
»Danke, Dad«, sagte ich.
Allerdings war das Handtuch nicht für mich gedacht, sondern für den Rücksitz seiner Luxuskarosse.
Celine, auf dem Beifahrersitz, blickte in den Rückspiegel und versuchte konzentriert, ihr verschmiertes Make-up zu retten. »Muss mein Gesicht wieder aufmalen«, bemerkte sie fröhlich, während ich vorsichtig auf den Rücksitz kletterte. »Wo hast du deinen hübschen Märchenprinzen gelassen?«
»Jethro ist schon vorgegangen, um die Caterer zu empfangen.« Ich zupfte das Handtuch unter mir zurecht.
»Den musst du dir warmhalten. Bei eurer Hochzeit kannst du mir danken, dass ich euch verkuppelt hab.«
Ich biss die Zähne zusammen und rang mir ein höfliches Lächeln ab. Jethro und ich waren schon seit zehn Jahren ein glückliches Paar, aber Celine versuchte immer noch, mich unter die Haube zu bringen, als wären wir in den Fünfzigerjahren.
»Mach ich«, stieß ich hervor.
Selbst unter der dicken Schminke sah Celine im Spiegel blass und aufgedunsen aus. Mir fiel Samanthas Mutmaßung ein, dass Celine versuchte, schwanger zu werden. Vielleicht hatte sie recht.
»Fertig!«, rief Celine und drehte den Spiegel wieder zum Fahrer. Dad fummelte sofort daran herum, dann widmete er sich der elektrischen Feineinstellung der Seitenspiegel.
Wenn das so weiterging, würden wir nie hier wegkommen. Ich verspürte den plötzlichen Drang, mich wie ein Hund zu schütteln und seine kostbaren Polster vollzuspritzen.
»War das Meg vorhin?«, fragte Dad, immer noch mit den vielen Knöpfen und Hebeln beschäftigt.
»Ja«, sagte ich.
»Die hab ich seit über dreißig Jahren nicht mehr gesehen.«
»Wer ist Meg?« Celine bürstete sich mit langen, kräftigen Bewegungen das Haar.
»Tinas Schwester«, antwortete Dad.
»War das die, die beim Heulen so eine hässliche Fratze gezogen hat? Sah aus wie Tina, aber . viel jünger?«
»Sie sind nur zwei Jahre auseinander. Unglaublich, aber wahr.«
»Echt? Na, dann hat sie aber eine richtig gute Hautcreme.«
»Und eine funktionstüchtige Leber«, rief ich von hinten und schämte mich umgehend dafür. Es war viel zu früh, um sich über Mums Alkoholproblem lustig zu machen. »Ich fand's lieb von Tante Meg, dass sie gekommen ist.«
Es hatte mich tatsächlich überrascht, dass sie für die Trauerfeier extra aus Melbourne eingeflogen war, obwohl sie Mum in den vergangenen dreißig Jahren kaum gesehen hatte. Doch aus eigener Erfahrung wusste ich, dass Schwestern immer miteinander verbunden blieben, über Zeit und Distanz hinweg. Meg hatte dasselbe Recht, um Tina zu trauern, wie alle anderen.
»Herzliches Beileid«, sagte Celine, die sich jetzt zu mir umgedreht hatte, um mir ihre volle Aufmerksamkeit zu schenken. »Ich habe Tina natürlich nur ein paarmal getroffen, aber eines weiß ich genau: Sie hat dich und Samantha sehr geliebt.«
Es war ein schwacher Trost, von der dritten Frau meines Vaters zu hören, dass meine tote Mutter mich geliebt habe, besonders, da ihre Worte vom Sirren der elektrischen Seitenspiegel untermalt wurden. Aber Celine meinte es gut, das wusste ich.
»Es war nicht immer leicht mit ihr«, gab ich zu. Mein Vater nickte, möglicherweise aus Zustimmung. Vielleicht galt die Kopfbewegung aber auch nur seinen blöden Spiegeln.
Dafür, dass so viele Berufssäufer zu Tinas Beerdigung gekommen waren, war erstaunlich wenig Alkohol im Umlauf. In unserem geräumigen Wohnzimmer standen die Leute mit leeren Gläsern herum, einige warfen immer wieder erwartungsvolle Blicke Richtung Küche.
»Was ist mit den Getränken?«, flüsterte Jethro.
»Ich glaube, wir wissen beide, was bei den Getränken los ist. Oder besser, wer.«
Jethro verdrehte die Augen. »Hätte ich mir auch denken können. Soll ich mich drum kümmern?«
»Nein, ich mach das schon.«
Streit war mir zuwider, aber es war nicht fair, die Beilegung einer weiteren von meiner Schwester angezettelten Krise auf Jethro abzuwälzen. Gerade, als ich mit meinem leeren Glas auf die Küche zusteuerte, kam mir Tante Meg in die Quere.
»Nicky«, sagte sie, meinen Arm fest im Griff, die Augen gerötet. »Können wir uns kurz unterhalten? Es gibt ein paar Dinge, die ich dir und Sammy sagen muss, bevor ich morgen wieder nach Melbourne zurückfliege.«
Mir war klar, dass ich mit ihr reden sollte, aber momentan hatte ich andere Sorgen. »Klar, Tante Meg«, sagte ich, während ich mich aus ihrem Griff befreite, »aber später, okay? Ich muss mich hier erst um was kümmern.«
In der Küche fragte ich die eigens engagierte Kellnerin, was mit den Getränken war.
Die Frau sah mich schuldbewusst an. »Ihre Schwester hat uns angewiesen, den Ausschank etwas hinauszuzögern. Sie wirkte ziemlich . bedrohlich.«
Ich blickte durch die offene Küchentür. Samantha stand in der Menge und funkelte mich böse an. Ich musste schlucken.
»Ja, kommt hin«, murmelte ich, während ich mein leeres Glas in Samanthas Richtung erhob. Mir war klar, dass ich diese Schlacht nicht gewinnen würde. »Und jetzt bringen Sie mir eine Tasse Wodka. Und zwar sofort«, sagte ich zur Kellnerin.
Der große Vorteil einer Trauerfeier ohne Alkohol bestand darin, dass gegen halb acht alle Gäste gegangen waren, sogar Tante Meg, die allerdings noch auf der Türschwelle darauf beharrte, dass sie vor ihrem Rückflug unbedingt mit mir und Samantha sprechen müsse.
»Ich ruf dich morgen früh an«, sagte ich und tätschelte ihr den Arm. Nachdem die Gute seit Jahrzehnten kaum ein Wort mit uns gewechselt hatte, konnte ihr Anliegen sicher noch einen Tag warten.
Als der letzte Gast aus der Tür war, streifte ich die Schuhe ab und sank neben Samantha auf die Couch. Sie saß stocksteif da, die Hände im Schoß. Mit Schuhen.
Eine Weile herrschte Schweigen. Es war das erste Mal seit Mums Tod, dass wir miteinander allein waren. Dafür hatte ich gesorgt, obwohl sie mich immer wieder am Telefon angefleht und mir Nachrichten geschickt hatte, aber alles zu spät, Mum war schon tot. Sogar jetzt konnte ich ihre Nähe nur aushalten, weil ich genug Wodka intus hatte, um meine Trauer erträglich zu machen.
Irgendwann wurde es mir zu blöd, und ich zog ein Puzzle unterm Tisch hervor.
»Das hab ich mir für nach der Trauerfeier aufbewahrt«, sagte ich, als ich es auf den Tisch stellte. »Hat Mum gehört. Ist eine gute Möglichkeit, ihr Andenken zu ehren, finde ich.«
Ich verschwieg ihr, dass ich das Puzzle eigentlich mit Jethro machen wollte, der sich sofort verdrückt hatte, weil er Samantha nicht ausstehen konnte.
»Ach, du meine Güte!« Samantha betrachtete die Schachtel mit unverhohlenem Abscheu. »Wenn es Tina gehört hat, fehlen bestimmt ein paar Teile.«
»Na und?«
»Ich halte es für Zeitverschwendung, wenn ein Puzzle nicht vollständig ist.«
»Das Leben ist ein Puzzle, bei dem Teile fehlen«, sagte ich, während ich den Deckel hob. »Und wir spielen trotzdem mit.«
»Ja, und manche kommen besser weg als andere.«
Ich ignorierte ihre Bemerkung, suchte stattdessen die Teile für den Rand zusammen. Samantha sah sich im Zimmer um.
»Das Foto hab...
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