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Es war nur ein Ballon, der Anfang Februar 2023 über die Vereinigten Staaten trieb. Er näherte sich dem Kontinent von Westen über die Aleuten, überflog Alaska, nahm den Weg südwärts über Kanada, verharrte eine Weile über einem Militärstützpunkt mit Silos für Interkontinentalraketen im US-Bundesstaat Montana, flog dann langsam weiter nach Osten. Als er im Bundesstaat South Carolina die Atlantikküste überquert hatte, schoss die US-Luftwaffe den Ballon ab. Wie ein zerknülltes Papiertaschentuch trudelte er vom Himmel. Die Lauschtechnik an Bord fiel etwas rascher herab. Die Navy barg die Überreste aus dem Meer.
Der Ballon kam aus China, was in Peking niemand bestritt. Wir wollten das Wetter erkunden, behaupteten die Chinesen, leider habe der Wind das Luftschiff vom Kurs weggetrieben. Ihr habt uns ausspioniert, empörte sich die Regierung in Washington und sammelte fleißig Beweise für die Richtigkeit ihres Verdachts. Ein chinesischer Ballon über dem Herzland der USA, so groß, dass er mit bloßem Auge zu sehen war, das verstörte die sicherheitsbesessenen Amerikaner. Zumal es, wie sich nun herausstellte, nicht die erste Spionageaktion dieser Art war. Nur waren die bisherigen Ballonflüge nicht in der Öffentlichkeit bekannt geworden. Die Rede zur Lage der Nation, die Präsident Joe Biden wenige Tage später vor dem Kongress halten musste, bot ihm eine prominente Bühne, um klarzustellen: «Wenn China unsere Souveränität bedroht, werden wir handeln und unser Land schützen. Genau das haben wir getan.»
Die Atmosphäre ist aufgeladen zwischen den Vereinigten Staaten und der Volksrepublik China. Es braucht nicht viel, schon knallt es. China will in der Weltpolitik «näher an die Bühnenmitte» rücken, wie es Staatschef Xi Jinping formuliert hat. Diesen Platz aber wollen die USA nicht räumen. Amerika als Nummer zwei - eine solche Zukunft lässt sich mit der eigenen Vorstellung von der Welthierarchie nicht vereinbaren.
Ein chinesischer Aufklärungsballon driftet vor der Küste von South Carolina in den Ozean, nachdem er von der US-Luftwaffe abgeschossen wurde, 4. Februar 2023.
Der «strategische Wettbewerb» mit China, den Joe Biden ausgerufen hat, ist globaler Natur. Aber das Zentrum des politischen Ringens zwischen der etablierten und der aufsteigenden Supermacht liegt im Indopazifik. Und dort wiederum im westlichen Teil des Pazifischen Ozeans. Von der koreanischen Halbinsel bis zur Straße von Malakka stoßen die Interessen der Konkurrenten hart aufeinander. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs war die amerikanische Hegemonie in der Region unumstritten; nun möchte China die fremde Vormacht am liebsten ganz vertreiben - die dort nach Ansicht der US-Verbündeten zur Wahrung der Machtbalance aber dringend gebraucht wird. Je stärker die Volksrepublik werde, desto mehr.Überhaupt, Amerika eine fremde Macht? Wir waren immer schon eine indopazifische Nation, sagt die Regierung in Washington, wir sind es heute und werden es bleiben. Schließlich reiche amerikanisches Territorium von der kalifornischen Küste über Hawaii bis nach Guam, weit im Westen des Pazifiks. Seit zweihundert Jahren treibe man Handel mit Asien. «Wir sind gekommen, um zu bleiben», versicherte Präsident Barack Obama im November 2011 vor dem australischen Parlament in Canberra. «Hier sehen wir die Zukunft.»
Vom «Indopazifik» war damals, 2011, allerdings noch wenig die Rede. Langsam erst machte dieser Begriff seinen Weg durch die Denkfabriken und Staatskanzleien, tauchte dann immer häufiger in den Memoranden und Reden der strategischen Planer, der Politiker und schließlich der Militärs auf. In die Debatte geworfen hatte ihn der japanische Premierminister Shinzo Abe 2007 bei einem Auftritt vor dem indischen Parlament. Abe war der Überzeugung, Indien sei unverzichtbar als Gegengewicht zu einem übermächtigen China, das seine Macht nicht nur am Pazifischen, sondern auch am Indischen Ozean ausdehnte. Vor den Abgeordneten in Delhi schwärmte er von dem «Zusammenfließen der beiden Meere», eine Formulierung, die er sich bei einem frühen Prinzen des indischen Mogul-Reiches ausgeliehen hatte. Die Parlamentarier, so schildert es ein japanischer Diplomat, waren hingerissen von der Rede: Sie «applaudierten, hämmerten auf die Tische, trampelten auf den Fußboden».[1]
Der nationalkonservative Abe, ein für japanische Verhältnisse ganz untypisch offen machtbewusster und zugleich weit vorausdenkender Außenpolitiker, sollte ein zweites Mal einen wichtigen Begriff prägen, als er bei einem Gipfeltreffen 2016 in Nairobi für einen «freien und offenen Indopazifik» warb. Wenig später übernahmen die Amerikaner die Formel. A free and open Indo-Pacific, in kaum einem westlichen Regierungsdokument, in kaum einer sicherheitspolitischen Grundsatzrede zum Thema fehlt seither diese Formulierung. Sie richtete sich von Anfang an gegen China. Der Begriff Indopazifik sei mehr als ein Wortspiel, schreibt Rory Medcalf, Professor an der Australischen Nationaluniversität. Er sei ein «Code» für eine Schwächung Chinas. Viele Nationen sähen sich im 21. Jahrhundert vor ein Dilemma gestellt: Gibt es gegenüber einem starken und oft gewaltbereiten China etwas anderes als nur die Wahl zwischen Kapitulation und Konflikt?[2]
In der Praxis, da hat die chinesische Führung schon recht, verbirgt sich hinter dem Wort vom «freien und offenen Indopazifik» eine Politik der Eindämmung. Der Westen will China die Grenzen seiner Macht aufzeigen. Zu diesem Zweck baut er an einer neuen Sicherheitsarchitektur. Jake Sullivan, der Nationale Sicherheitsberater von Joe Biden, beschreibt sie als globales «Gitterwerk» von Bündnissen und Partnerschaften. Es gehe nicht darum, die bilateralen Allianzen in Asien oder die Nato einfach «aufzumöbeln»; vielmehr müssten die bestehenden Sicherheitsstrukturen vernetzt und durch «neue Komponenten ergänzt» werden. Vor allem im indopazifischen Raum.[3] Denn daran lässt die Regierung in Washington keinen Zweifel: Das Zentrum der Weltpolitik hat sich verlagert, weg vom Atlantik, hin zum Indopazifik. Hier bündelt die Supermacht Amerika nun ihre Kräfte. Schon 2018 wurde das Pazifik-Kommando der US-Streitkräfte auf Hawaii umbenannt in Indopazifik-Kommando; es ist heute für die Operationen in beiden Weltmeeren zuständig, dem Pazifischen und dem Indischen Ozean.
Rund ein Dutzend westliche Regierungen sowie die Europäische Union haben inzwischen «Indopazifik-Strategien» veröffentlicht, in denen sie die Grundzüge ihrer Politik gegenüber der Weltregion formulieren. Manche dieser Strategien sind von Vorsicht geprägt, wie die deutsche. Andere, etwa die kanadische, kündigen einen kämpferischen Kurs an und gehen hart mit der Volksrepublik ins Gericht. «China ist eine zunehmend disruptive globale Macht», heißt es in dem Dokument aus Ottawa. Kanada werde sich immer für die universellen Menschenrechte einsetzen, auch die der «Uiguren, Tibeter und anderer religiöser und ethnischer Minderheiten. Kanada wird weiterhin Schulter an Schulter mit den Menschen Hongkongs stehen.»[4]
Die im September 2021 noch von der damaligen großen Koalition in Berlin verabschiedeten «Leitlinien zum Indo-Pazifik» beschreiben die deutsche Politik viel zurückhaltender. Zwar sei Deutschland «bereit, einen Beitrag zur Durchsetzung von Regeln und Normen in der Region zu leisten». Aber die Bundesregierung halte «Eindämmungs- und Entkopplungsstrategien für nicht zielführend».[5] Das ist immer noch die Haltung Berlins und die der meisten anderen europäischen Regierungen. Doch die Beziehungen zwischen China und Europa sind schwierig geworden. Die Volksrepublik hat in den vergangenen Jahren eine rücksichtslose Machtpolitik betrieben, sie hat die Repression im eigenen Land verschärft und die eigenen Interessen nach außen mit aller Härte durchgesetzt, selbst gegenüber einem so kleinen Land wie Litauen, nur weil ihr dessen freundliche Haltung zu Taiwan nicht gefiel. Sie hat mit dem guten Willen, der China aus Europa entgegengebracht wurde, Schindluder getrieben. Das rächt sich nun. Und eint den Westen. Auch wenn die Europäer den amerikanischen Konfrontationskurs bisher nicht mitgehen.
Von Washington aus gesehen, hat der zweite Kalte Krieg längst begonnen. Demokraten und Republikaner mögen sich über alles streiten, in einem Punkt herrscht Konsens: Die fünfzig Jahre lang gemeinsam betriebene Politik einer Einbindung Chinas in das westlich geprägte internationale System ist gescheitert. Sie habe nur eines bewirkt: Die Volksrepublik sei stärker geworden. Etwa durch die auch von den...
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