Schweitzer Fachinformationen
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Hannover
Draußen war es stockdunkel, als ich unsanft aus dem Schlaf gerissen wurde. Vor dem Haus ertönte das durchdringende Schrillen der Alarmanlage eines geparkten Autos. Ich brauchte einen Moment, bis ich meine Gedanken sortiert hatte. Mein verschlafener Blick wanderte zu meinem Wecker auf dem Nachttisch neben mir. Es war 6.30 Uhr. Heute war Donnerstag, aber ich musste nicht aufstehen, um zur Arbeit zu fahren, denn es war mein erster Urlaubstag. Ich würde bis zum Jahreswechsel ausspannen können - über fünf Wochen. Mit diesem herrlichen Gedanken ließ ich mich zurück in mein Kissen sinken. Nachdem ich einige Zeit vor mich hingedöst hatte, ohne erneut einschlafen zu können, stand ich auf und ging in die Küche, um mir mein Frühstück zuzubereiten. Mit einem dampfenden Becher Tee und einer Schale Müsli setzte ich mich - noch immer im Nachthemd - an den Küchentisch und begann, die Tageszeitung zu studieren, die mir meine Nachbarin täglich vor die Wohnungstür legte, wenn sie frühmorgens mit ihrem Hund spazieren ging. Die Zeitung ausgiebig beim Frühstück zu lesen war zu einem liebgewonnenen Ritual geworden, das ich mir jedoch lediglich an den Wochenenden gönnte. Unter der Woche bestimmten ständiger Zeitdruck und Hektik mein Leben. Die erste Tasse Tee trank ich meistens erst im Büro und auch dort blieb manchmal kaum Zeit dafür.
Das gesamte Jahr über hatte ich ausgesprochen viel gearbeitet und meinen letzten großen Auftrag vor knapp einer Woche erfolgreich fertiggestellt. In der Winterzeit gab es für Landschaftsarchitekten kaum etwas zu tun, von Neuaufträgen ganz zu schweigen. Diesbezüglich konnte ich meinen Chef verstehen, als er uns gebeten hatte, verbleibenden Urlaub zu nehmen und die angehäuften Überstunden abzubauen. Zuletzt hatte ich mich durch einen gewaltigen Berg Ablage, der meinen Schreibtisch nahezu vollständig bedeckte, gekämpft. Je länger ich darüber nachdachte, desto verlockender erschien mir die Aussicht auf eine Auszeit. Endlich würde sich die Gelegenheit ergeben, Dinge zu erledigen, die ich bereits das gesamte Jahr vor mir herschob. Meine Wohnung bedurfte dringend einer grundlegenden Umgestaltung. Ich hatte sie vor eineinhalb Jahren gekauft und bislang nicht viel investiert, bis auf einige wenige Möbel, die ich für unbedingt notwendig erachtete. Mehr Energie hatte ich noch nicht aufbringen können, um es wohnlich und gemütlich zu gestalten. Entweder mangelte es an Zeit oder ich hatte einfach nicht das Richtige gefunden, was meinen Vorstellungen entsprach. Mein Sofa brauchte dringend ein paar Kissen, damit es heimeliger wirkte. Für die nackte Wand über dem Esstisch war ich seit geraumer Zeit auf der Suche nach einem passenden Bild. Eine konkrete Vorstellung hatte ich allerdings nicht, was dort hängen sollte. Außerdem wollte ich nach einer Lampe Ausschau halten, die ich auf die Fensterbank im Wohnzimmer stellen wollte. Ich liebte es, eine Lichtquelle im Fenster stehen zu haben. Das gefiel mir gut und ich fand, dass es dem gesamten Raum eine angenehme Atmosphäre verlieh. Und so gab es darüber hinaus weitere Stellen in meiner Wohnung, die es zu verbessern galt. Zu Beginn war es mir schwergefallen, mich mit dem Alleinsein anzufreunden. Damals hatte ich mich nach langer Zeit von meinem Freund Marcus getrennt. Eigentlich hatte er sich von mir getrennt und war letztlich mit einer blutjungen Blondine durchgebrannt. Aber das war ein Kapitel meiner Geschichte, das ich mir nur ungern in Erinnerung rief. Wir hatten vorgehabt, zu heiraten und eine Familie zu gründen. Auf einen solch abrupten Richtungswechsel in meinem Leben war ich nicht vorbereitet gewesen - und somit traf mich die Erkenntnis ohne Vorwarnung. Zunächst hatte ich mich völlig in mein Schneckenhaus zurückgezogen, um mich anschließend so in meine Arbeit zu stürzen, dass es schon exzessive Züge annahm. Der einzig positive Nebeneffekt an der Sache war, dass ich letztendlich gelernt hatte, auf eigenen Füßen zu stehen. Marcus hatte mir immer unterschwellig suggeriert, ich wäre ohne ihn nichts, und irgendwann hatte ich beinahe selbst daran geglaubt. Nüchtern betrachtet war ich auf dem besten Wege, meine eigene Persönlichkeit in Frage zu stellen.
In der Zwischenzeit war es draußen hell geworden. Allerdings versprach dieser letzte Tag im November erneut einer der trüben Sorte zu werden. Nachdem ich in Ruhe zu Ende gefrühstückt und die Zeitung gelesen hatte, begab ich mich ins Bad, um mich fertig zu machen. Als ich gerade aus der Dusche kam, klingelte es an der Tür. Wer konnte das um diese Zeit sein? Ich wickelte mir schnell ein Handtuch um, hastete barfuß mit nassen Füßen in den Flur und spähte durch den Spion in der Tür. Ein Postbote stand davor und sah durchgefroren aus.
»Guten Morgen, sind Sie Frau Anna Bergmann?«, begrüßte er mich durch den engen Türspalt.
»Ja, die bin ich.«
»Ich habe hier ein Einschreiben mit Rückschein für Sie. Würden Sie mir das bitte quittieren?«
Ich nahm das Dokument entgegen und setzte meine Unterschrift an die Stelle, die er mit einem Kreuz markiert hatte.
»Danke und schönen Tag noch!« Mit diesen Worten eilte er das Treppenhaus nach unten.
Meinen Blick neugierig auf den Brief gerichtet ließ ich mich, halbnackt wie ich war, im Wohnzimmer auf das Sofa nieder. Wasserperlen aus meinem nassen Haar liefen kitzelnd meinen Nacken hinab, aber ich ignorierte sie, denn ich war damit beschäftigt, den Brief zu öffnen. Der Absender war eine Anwaltskanzlei auf Sylt. Der Name sagte mir nichts. Ich faltete den Brief auseinander und begann zu lesen. Was ich dort las, machte mich traurig und sprachlos zugleich. Kaum war ich im Bad fertig und hatte mich angezogen, griff ich mir das Telefon und rief meine beste Freundin Britta an, die mit ihrer Familie auf der Insel lebte.
»Hallo, Britta! Hier ist Anna.«
»Hallo, Anna! Das ist ja nett, dass du dich meldest.«
Ihre heitere Stimme am anderen Ende der Leitung verströmte sogleich gute Laune.
»Ist etwas passiert?«, erkundigte sie sich.
»Nein, alles in Ordnung«, erwiderte ich, da ich nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen wollte. »Wie geht es dir? Was machen die Kinder? Und Jan? Wie läuft das Hotel?«
»Uns geht es allen prächtig. Langsam beginnt die ruhige Zeit hier auf der Insel«, antwortete sie. »Wie sieht es aus? Hättest du nicht Zeit und Lust, uns zu besuchen? Sylt ist auch im Winter äußerst reizvoll. Im Job dürftest du momentan eher wenig zu tun haben. Vielleicht kannst du ein paar Tage freinehmen. Wir haben uns unendlich lange nicht mehr gesehen. Ich würde gerne mal wieder ausgiebig mit dir quatschen. Außerdem täte dir ein Tapetenwechsel sicherlich gut. Du könntest ganz in Ruhe deine Weihnachtseinkäufe erledigen und gleichzeitig ein bisschen ausspannen. Was hältst du von dem Vorschlag?«, versuchte Britta mit aller Überzeugungskraft, mir die Sache schmackhaft zu machen. In der Disziplin Leute zu überzeugen, war sie wahrlich Weltmeisterin.
»Ob du es glaubst oder nicht, das überlege ich wirklich.«
»Dann ist das Gedankenübertragung«, erwiderte Britta fröhlich. »Oder gibt es einen speziellen Anlass?«
»Den gibt es tatsächlich«, seufzte ich. »Ich habe vorhin einen Brief erhalten. Johannes von Waldenbach ist gestorben.«
»Tut mir leid, aber der Name sagt mir im Moment nichts«, gestand Britta ehrlicherweise.
»Der Musiker. John Woodbrook ist sein Pseudonym«, half ich meiner Freundin auf die Sprünge.
»Ja natürlich! Jetzt erinnere ich mich. Der bekannte Filmmusiker. Du hast damals dieses Stipendium bei ihm gewonnen und mehrere Monate in den USA verbracht«, erinnerte sich Britta. »Einschließlich der Sommerferien, während ich bei meinen Eltern in der Backstube schuften musste.«
»Es war eine tolle und aufregende Zeit. Ich habe wahnsinnig viel gelernt.«
»Hatte er sich nicht vor Kurzem ein Haus auf Sylt gekauft?«
»Das ist bereits zwei Jahre her«, korrigierte ich sie.
»Meine Güte! Wie die Zeit vergeht! Aber was stand nun in dem Brief? Spann mich nicht länger auf die Folter!«
»Er stammt von einem Notar aus Keitum. Dr. Herdenrodt heißt er. Kennst du ihn?«
»Nie gehört. Vielleicht kennt Jan ihn.«
»Außer dem Termin der Beerdigung liegt dem Brief eine Einladung zur Testamentseröffnung beim Nachlassgericht in Niebüll bei.«
»Echt?« fragte Britta erstaunt. »Was bedeutet das? Wann ist die Beerdigung?«
»Was das zu bedeuten hat, weiß ich nicht. Die Beerdigung ist übermorgen.«
»Oh! Gehst du hin?«, wollte Britta wissen.
»Ich denke schon. Ich hatte zwar keinen besonders engen Kontakt zu Johannes, aber irgendwie mochte ich ihn und vor allem seine Musik. Wir haben uns meistens zu den Geburtstagen und zu Weihnachten geschrieben, mehr nicht. Auf Sylt habe ich ihn nie besucht.«
»Du bist seit über zwei Jahren nicht mehr hier gewesen«, bestätigte Britta. »Also, frag deinen Chef, ob du Urlaub bekommst, und dann mach dich auf den Weg. Du kannst selbstverständlich bei uns wohnen.«
»Heute ist mein erster Urlaubstag. Ich muss erst wieder Anfang Januar arbeiten.«
»Das klingt geradezu perfekt!«, rief Britta begeistert aus. »Worauf wartest du? Fang an, deinen Koffer zu packen! Wann wirst du ungefähr da sein?«
»Ich werde gleich meine Eltern anrufen und sie bitten, während meiner Abwesenheit nach meiner Wohnung zu schauen. Den wahren Grund meiner Reise werde ich ihnen vorerst nicht unter die Nase reiben. Du kennst meine Mutter, ich werde sonst keine freie Minute haben bis sie weiß, was es mit der Angelegenheit auf sich hat....
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