Schweitzer Fachinformationen
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Jeden Morgen nach dem Aufstehen setzte sich Hat aufs Geländer seiner hinteren Veranda und rief hinüber: »Was'n Neues da, Bogart?«
Bogart drehte sich dann im Bett um und murmelte leise, so dass es niemand hörte: »Was'n Neues da, Hat?«
Es war nicht recht klar, warum man ihn Bogart nannte, aber ich habe den Verdacht, dass Hat ihm den Namen gab. Ich weiß nicht, ob ihr euch an das Jahr erinnert, in dem der Film »Casablanca« herauskam. Das war das Jahr, in dem Bogarts Ruhm sich wie Feuer über Port-of-Spain verbreitete und Hunderte junger Männer sich deftige Bogartmanieren zulegten.
Bevor sie ihm den Namen Bogart gaben, nannten sie ihn Patience, denn er spielte dieses Spiel vom Morgen bis in die Nacht. Und doch konnte er Spielkarten nicht leiden.
Wenn man hinüberging in Bogarts kleines Zimmer, dann saß er auf seinem Bett und hatte die Karten auf einem kleinen Tisch in sieben Reihen vor sich.
»Was'n Neues da, Mann?«, fragte er ruhig, und dann sagte er für zehn oder fünfzehn Minuten nichts. Und dann hatte man das Gefühl, dass man mit Bogart nicht eigentlich reden könne. Er sah so hochnäsig gelangweilt aus. Seine Augen waren klein und schläfrig. Sein Gesicht war aufgedunsen und sein Haar glänzte schwarz. Seine Arme waren plump. Und doch war er kein komischer Kauz. Alles, was er tat, verrichtete er mit hinreißender Langsamkeit. Selbst wenn er sich die Daumen ableckte, um die Karten auszuteilen, war Anmut in seiner Bewegung.
Er war der gelangweilteste Mensch, der mir je begegnet ist.
Er tat, als lebe er von der Schneiderei, und er hat mir sogar etwas Geld gegeben, damit ich ihm ein Schild male:
SCHNEIDER UND ZUSCHNEIDER
Anzüge auf Bestellung
Volkstümliche Wettbewerbspreise
Er kaufte sich eine Nähmaschine und etwas blaue und weiße und braune Kreide. Aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass er mit jemandem in Wettbewerb stehe, und ich kann mich nicht erinnern, dass er je einen Anzug fertigte. Er war ein wenig wie Popo, der Tischler nebenan, der nie ein Möbelstück zimmerte, der immer plante und meißelte an etwas, was er wohl »Nuten« nannte. Und wenn ich ihn fragte: »Mister Popo, was machen Sie denn da?«, dann antwortete er: »Tja, Junge. Das ist die Frage. Ich mache das Ding ohne Namen.« Bogart aber machte nicht einmal so was.
Ich habe mich, da ich ein Kind war, nie gefragt, wie Bogart überhaupt zu etwas Geld kam. Ich nahm an, Erwachsene hätten eben immer Geld. Popo hatte eine Frau, die alle möglichen Arbeiten tat, und schließlich wurde sie die Freundin vieler Männer. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Bogart eine Mutter oder einen Vater hat, und nie brachte er eine Frau mit in sein kleines Zimmer. Dieses kleine Zimmer von ihm hieß das Dienerzimmer, aber kein Diener der Leute im Haupthaus hatte je darin gewohnt. Es war also nur so ein architektonischer Ausdruck.
Es ist mir immer noch ein Wunder, dass Bogart sich mit Leuten anfreunden konnte. Und wirklich, er hatte viele Freunde. Er war eine Zeitlang sogar der beliebteste Mann in der Straße. Da hockte er dann mit all den großen Assen in unserer Straße auf dem Gehsteig zusammen. Und während Hat oder Edward oder Eddoes sprachen, sah Bogart nur so vor sich hin und malte mit seinen Fingern Kreise in den Sand. Er lachte nie hörbar. Er erzählte nie eine Geschichte. Und doch, wenn es ein Fest gab oder so etwas, dann sagten alle: »Wir müssen Bogart dabeihaben. Der ist ganz gerieben, der Kerl.« Irgendwie, glaube ich, gab er ihnen viel Trost und Stärkung.
Und so rief jeden Morgen, wie ich schon sagte, Hat laut, ganz laut hinüber: »Was'n Neues da, Bogart?« Und dann wartete er auf das unverständliche Gemurmel, das Bogart hervorbrachte, wenn er sagte: »Was'n Neues da, Hat?«
Eines Morgens aber, als Hat rief, gab es keine Antwort. Etwas, das unveränderlich schien, war nicht mehr da.
Bogart war verschwunden, hatte uns wortlos verlassen.
Die Männer in der Straße waren still und verstört, zwei ganze Tage lang. Sie versammelten sich in Bogarts kleinem Zimmer. Hat hob das Kartenspiel auf, das auf Bogarts Tisch lag, und ließ immer zwei, drei Karten nachdenklich fallen.
Hat sagte: »Denkt ihr, er macht nach Venezuela?« Aber niemand wusste etwas. Bogart hatte ihnen zu wenig erzählt.
Und am nächsten Morgen stand Hat auf, zündete sich eine Zigarette an, ging zur hinteren Veranda und war gerade dabei zu rufen, als es ihm einfiel. Er molk die Kühe an diesem Morgen früher als gewöhnlich, und die Kühe mochten das gar nicht.
Ein Monat verging, dann noch ein Monat. Bogart kam nicht zurück.
Hat und seine Freunde benutzten Bogarts Zimmer als ihr Clubhaus. Sie spielten Wappi und tranken Rum und rauchten und brachten manchmal diese verrückte Herumstreicherin mit aufs Zimmer. Hat hatte gerade die Polizei am Hals wegen Glücksspiels und Hahnenkampforganisierens und musste viel Geld springen lassen, um sich mit Schmiergeld aus der Tinte zu ziehen.
Es war, als sei Bogart nie in die Miguel Street gekommen. Und schließlich hatte er auch nur vier Jahre in unserer Straße gewohnt. Er war eines Tages erschienen, mit einem einzigen Koffer, auf Zimmersuche und hatte mit Hat gesprochen, der vor seinem Tor saß, eine Zigarette rauchte und die Kricketergebnisse in der Abendzeitung durchsah. Selbst damals hatte er nicht viel gesagt. Alles, was er sagte - so erzählte es Hat - war: »Weißt du'n Zimmer?« Und Hat hatte ihn in den Nebenhof geführt, wo dieses möblierte Dienerzimmer für acht Dollar im Monat frei war. Er hatte sich da sofort niedergelassen, ein Spiel Karten herausgezogen und angefangen, Patience zu spielen.
Das hatte auf Hat Eindruck gemacht.
Für die anderen war er immer der geheimnisvolle Mann geblieben. Er war zu »Patience« geworden.
Als Hat und alle anderen ihn fast oder ganz vergessen hatten, kam Bogart wieder. Er tauchte eines schönen Morgens um sieben herum auf und fand Eddoes und eine Frau in seinem Bett. Sie sauste hoch und schrie. Eddoes sauste auch hoch, aber weniger erschreckt als bestürzt.
Bogart sagte: »Rückt'n Stück. Bin müd und will schlafen.«
Er schlief bis fünf Uhr nachmittags, und als er aufwachte, fand er den ganzen alten Haufen in seinem Zimmer. Eddoes machte viel Krach und Lärm, um seine Bestürzung zu übertünchen. Hat hatte eine Flasche Rum mitgebracht.
Hat sagte: »Was'n Neues da, Bogart?«
Und er freute sich, als aufs Stichwort die Antwort kam: »Was'n Neues da, Hat?«
Hat machte die Rumflasche auf und rief Boyee zu, er solle laufen und eine Flasche Sprudel kaufen. Bogart fragte: »Was machen die Kühe, Hat?«
»Sind in Ordnung.«
»Und Boyee?«
»Auch in Ordnung. Hörst doch, dass ich ihn rief.«
»Und Errol?«
»Auch in Ordnung. Aber was'n da Neues, Bogart? Du in Ordnung?«
Bogart nickte und trank einen langen Madrassi-Schluck Rum. Dann noch einen und noch einen, und so hatten sie die Flasche bald leer.
»Macht nichts«, sagte Bogart. »Ich kauf' noch eine.« Sie hatten nie erlebt, dass Bogart so viel trank, sie hatten nie gehört, dass er so viel sprach. Und sie waren entsetzt. Keiner fragte Bogart, keiner wagte Bogart zu fragen, wo er gewesen sei.
Bogart sagte: »Da habt ihr Leute mir also das Zimmer warmgehalten so lange.«
»'s war nicht dasselbe, ohne dich«, antwortete Hat. Sie waren alle verstört. Bogart kriegte kaum die Zähne auseinander, wenn er sprach. Sein Mund war ein wenig verkrampft, und sein Akzent war leicht amerikanisch.
»Sicha, sicha«, sagte Bogart und traf den Tonfall genau. Er war wie ein Schauspieler. Hat war sich nicht im Klaren, ob Bogart betrunken war.
Äußerlich, müsst ihr wissen, sah Hat wie Rex Harrison aus, und er hatte sein Bestes getan, um die Ähnlichkeit noch zu verstärken. Er kämmte sich die Haare nach rückwärts, schraubte die Augen nach oben und sprach fast ganz wie Harrison. »Himmelnochmal, Bogart«, sagte Hat, nun ganz im Ton wie Harrison, »du kannst uns doch einfach alles glatt heraus sagen.«
Bogart zeigte die Zähne und lachte verkrampft und zynisch.
»Sicha wer ich's«, sagte er und stand auf und steckte die Daumen in den Hosenbund. »Sicha sach ich euch alles.«
Er zündete sich eine Zigarette an, lehnte sich so zurück, dass ihm der Rauch in die Augen geriet und dröselte schielend seine Geschichte heraus.
Er hatte auf einem Schiff Arbeit gefunden und war nach Britisch-Guayana geraten. Dort hatte er abgeheuert und war ins Innere gelangt. Er wurde Cowboy auf dem Rupununi, schmuggelte Sachen (er sagte nicht, welche) nach Brasilien, und las in Brasilien ein paar Mädchen auf, die er nach Georgetown brachte. Er besaß das beste Bordell in der Stadt, als die Polizei verräterischerweise seine Schmiergelder annahm und ihn verhaftete.
»'s war 'ne piekfeine Bude«, sagte er. »Kein Bums. Richter und Doktoren und lauter feine Beamtenpinkel.«
»Und dann?«, fragte Eddoes. »Kittchen?«
»Du wohl ganz blöd?«, sagte Hat. »Kittchen, wo der Mensch hier neben mir hockt? Wie könnt ihr nur so blöd sein?! Was lässt du den Mann nicht ausreden?«
Bogart aber war beleidigt und weigerte sich, noch ein einziges Wort zu sagen.
Von da an war die Beziehung zwischen diesen Männern verändert. Bogart wurde zu dem Bogart der Filme. Hat wurde zu Harrison. Und ihre Morgengrüße lauteten dann so:
»Bogart!«
»Halsmaul, Hat!«
Bogart wurde der meistgefürchtete Mann in der Straße. Es hieß sogar, Big Foot habe Angst vor ihm. Bogart trank und fluchte und spielte wie sonst kaum einer. Stets brüllte er den Mädchen, die allein die Straße...
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