Schweitzer Fachinformationen
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Nebelschwaden trieben zwischen den Bäumen des Barkenholter Wäldchens. Die Dämmerung ging in die Nacht über, der Herbst zeigte sich von seiner unangenehmsten Seite. Feuchtigkeit tropfte kalt von den wenigen Blättern der Bäume auf den Kopf eines zerlumpt aussehenden Mannes, der durch den Wald schlich. Bei jedem seiner Schritte stieg der Modergeruch des nassen Laubs vom Boden auf. Der alte, zerrissene Armeeparka schlotterte um seine hagere Gestalt, und der Saum der abgetragenen, fleckigen Arbeitshose war ebenso nass wie das lange graue Haar und der zottelige Vollbart. Von Zeit zu Zeit bückte sich der Mann und ließ das Licht einer Taschenlampe aufblitzen.
Er bewegte sich in Richtung des kleinen Angelsees und erschreckte eine Maus, die raschelnd durch das feuchte Laub flüchtete. Das leise Krächzen eines Käuzchens erklang, als es tiefer in den Wald flatterte.
Ein fernes Motorengeräusch durchbrach die nächtliche Stille. Scheinwerferlicht zerriss die Dunkelheit, das Geräusch wurde lauter.
Der Mann erstarrte, dann suchte er eilig Deckung hinter einem großen Busch in Ufernähe und beobachtete das näher kommende Licht.
Ein schwarzer SUV bog zum See ein und rollte langsam auf eine offene Grasfläche zwischen Waldrand und Uferböschung. Das Auto hielt, der Motor wurde abgestellt und die Scheinwerfer abgeblendet. Ein schmächtiger, schwarz gekleideter Mann stieg aus. Er schloss die Tür, lehnte sich an die Motorhaube und schien auf etwas zu warten.
Hinter seinem Gebüsch verborgen beobachtete der andere den Neuankömmling aufmerksam.
Plötzlich trat eine zweite Gestalt zwischen den Bäumen hervor. Ein bulliger Mann mit Glatze, ebenfalls in Schwarz, trug einen Aktenkoffer in der einen und eine Taschenlampe in der anderen Hand und stellte sich vor die Motorhaube.
Die beiden Männer unterhielten sich. Erst ruhig und freundlich, doch dann wurden ihre Gesten hektisch, wütend und aggressiv. Der Mann mit der Figur eines Türstehers griff in seine Tasche und zog ein Handy hervor. Er ging zur Seite, um ungestört zu telefonieren. Anschließend kehrte er zu dem Wartenden zurück.
Erneut entflammte zwischen den beiden eine Diskussion. Gereizt griff der Schmächtige nach dem Aktenkoffer, um ihn dem anderen zu entreißen.
Der versteckte Beobachter verfolgte, wie die beiden Männer um den Koffer stritten und schließlich ein Kampf entbrannte.
Nach einem Faustschlag in den Unterleib ging der Fahrer des SUV zu Boden. Der Glatzköpfige ergriff den Aktenkoffer. Im Licht der Scheinwerfer blitzte es in seiner rechten Hand. Er beugte sich über die am Boden liegende Gestalt und stieß zu. Dann durchwühlte er die Jackentaschen seines Gegners, zog einen Umschlag hervor und steckte ihn ein.
Der Mann im Gebüsch bewegte sich, ein Ast zerbrach unter seinen Füßen.
Der Glatzköpfige hielt inne, hob den Kopf und sah sich um, dann fasste er den Aktenkoffer und verschwand im Unterholz. Lautes Knacken und Rascheln erklang, wurde schwächer, je weiter er sich vom See entfernte.
Nach einer Weile war nichts mehr zu hören, See und Parkplatz lagen da, als ob nichts geschehen wäre. Einzig der von den Scheinwerfern angestrahlte reglos am Boden Liegende zeugte von dem, was sich ereignet hatte.
Zögernd trat der Beobachter hinter dem Gebüsch hervor. Meter für Meter näherte er sich dem Kampfplatz, bis er den regungslosen Mann erreichte. Er streckte seine Hand aus und legte sie dem anderen auf die Schulter. Als er keine Bewegung spürte, fasste er sich ein Herz und drehte ihn um. Leblose Augen und ein grotesk verzerrtes Gesicht blickten ihm entgegen.
Erschrocken zog er seine Hand zurück, schien zu überlegen, ob er flüchten sollte. Er riss sich zusammen und untersuchte den Mann auf Lebenszeichen. Als er an der Halsschlagader keinen Puls spürte, glitt seine Hand hinunter zur Brust. Tastend fuhr sie über den Oberkörper des anderen, auf der Suche nach einer Geldbörse oder Ähnlichem. Doch er fand nichts. Das Einzige, was seine Finger ertasteten, war eine klebrige Nässe. Der Mann zog seine Hand zurück und betrachtete im Licht der Scheinwerfer das Blut, mit dem sie besudelt war.
Entsetzt wischte er sie an seinem Parka ab und rannte wie vom Teufel gejagt davon. Atemlos blieb er erst stehen, als er den halb verfallenen Bauwagen mitten im Wald erreicht hatte, der ihm als Wohnung diente.
Der Landstreicher Jens Martins, ein in Barkenholt altbekannter und von allen liebevoll »Strothmann« genannter Zeitgenosse, der im Wald nur seine Kaninchenschlingen hatte kontrollieren wollen, atmete erleichtert auf.
Nu 'n ornlichen Sluck Koorn op de Schock, denn gaht mi dat bald wedder bannig goot, dachte er und stieg die Stufen zum Bauwagen hinauf.
Er öffnete die Tür und erschrak.
Auf seiner Schlafstätte saß der bullige Kerl vom See und versorgte seine Wunden, die er im Handgemenge davongetragen hatte. Der Aktenkoffer sowie der Umschlag, den er dem Toten abgenommen hatte, lagen neben ihm.
Strothmann stolperte rückwärts die Treppe hinunter.
Der fremde Mann sprang auf, riss dabei Aktenkoffer und Umschlag vom Bett. Er zückte das Klappmesser, mit dem er den anderen Mann attackiert hatte, und stürzte dem Landstreicher hinterher.
Strothmann rappelte sich auf, drehte sich um und flüchtete. Verfolgt von dem anderen brach er durch Büsche, stolperte über Wurzeln und blieb an Ästen hängen.
Alter und Alkohol forderten ihren Tribut und Strothmann taumelte nur noch durch den Wald. Eine Hand fasste ihn am Kragen und der Landstreicher spürte einen stechenden Schmerz in der Schulter.
Aufschreiend warf er sich herum und traf mit seinen wild umherwirbelnden Armen den Kopf des Verfolgers, sodass der benommen zu Boden ging.
Strothmann stürzte los, rannte und rannte, bis er aus dem Wald kam und das diffuse Licht der Straßenbeleuchtung von Barkenholt sah. Mit letzter Kraft schleppte er sich ins Dorf. Seine Schulter schmerzte und Blut lief an seinem Arm herunter.
Er wankte die Straße entlang und sah endlich das wohlbekannte Schild des »Klippkroogs«. Strothmann stieß die Tür auf und brach auf der Schwelle zusammen.
Barkenholt war ein kleines Runddorf in der Nähe von Oldenburg, umgeben von Wiesen, Mooren, Feldern und Wäldern. Ein Dorf, in dem jeder jeden kannte. Der Dorfplatz, umringt von alten Reetdachhäusern, bildete den Mittelpunkt des kleinen Ortes. Hier trafen sich die Straßen, die nach Oldenburg, in die Wälder und zu dem beliebten Angelsee führten, und schmale Wege schlängelten sich zu den Häusern am Dorfrand. Die Barkenholter waren stolz auf ihr Dorf - und ihre Gemeinschaft. Im Gegensatz zu anderen Gemeinden ihrer Größe nannten sie eine kleine gotische Backsteinkirche, einen Tante-Emma-Laden und sogar eine Polizeiwache ihr Eigen. Was störte es sie, dass sie sich Kirche und Polizei mit den Nachbarortschaften teilten? Tatsache war, dass Barkenholt damit eine gewisse Bedeutung hatte, die vor allem Polizeihauptmeister Geert Feddersen gern zur Schau trug. Seine Wache lag, anders als die anderen wichtigen Gebäude, nicht am Dorfplatz, sondern an der Ausfallstraße nach Oldenburg, direkt neben der Bushaltestelle.
Seit Kurzem war die verwaiste Arztpraxis neben dem Tante-Emma-Laden in Betrieb, ein Grund mehr für die Barkenholter, ihr Dörfchen zu lieben. Denn so bestand noch weniger Notwendigkeit als vorher, in die hektische und überfüllte Stadt zu fahren.
Kirche und Dorfkrug lagen, strategisch günstig nur durch die Straße zum See getrennt, einander gegenüber. So konnten Kirchgänger, Chormitglieder oder Friedhofsbesucher mit wenigen Schritten auf einen Absacker oder Frühschoppen dort einkehren.
Der »Klippkroog« war eine typische Dorfkneipe mit weißverputzten Wänden und Decken, unterbrochen von dunklen Eichenbalken. Wirt Hannes hatte sie liebevoll mit landwirtschaftlichem Gerät und vielen kleinen und großen Steingutgefäßen dekoriert. Die kupferne Bierzapfsäule war immer blitzblank gewienert.
Der große Saal, zu dem man durch einen schmalen Gang hinter dem Tresen gelangte und der von den Landfrauen oder dem Schützenverein genutzt wurde, war meist geschlossen. Die Barkenholter, die zum Großteil Mitglieder im Verein waren, saßen, außer bei Versammlungen, im Gastraum an kleinen Tischen mit kupfernen Lampenschirmen.
Als Strothmann in die Kneipe stolperte, verstummten die ausgelassenen Gespräche der Chormitglieder, die sich nach ihrer Probe zum üblichen Köm hier getroffen hatten.
Pfarrer Dierksen, der mit Käthe Hansen, Knut Sörensen und dem neuen Gemeindemitglied Dr. Daniel Winkler am Stammtisch saß, sprang auf. Der ansonsten so fröhliche Pfarrer, der mit seinem dichten weißen Vollbart an einen gutmütigen Seebären erinnerte, schob seine beachtliche Gestalt besorgt an Knut vorbei von der Sitzbank. Er ging zu dem Bewusstlosen und winkte sofort den Landarzt herbei. Der war schon auf halbem Weg. Er untersuchte den Landstreicher eilig, seine braunen Augen blickten besorgt.
»Das sieht nicht gut aus. Er hat eine stark blutende Stichverletzung am Rücken. Wir müssen ihn in die Praxis bringen.« Winkler richtete seine knapp 1,90 Meter auf und sah sich um. »Geert, Hannes«, rief er Polizeihauptmeister Feddersen und den Wirt herbei. »Fasst bitte mit an, damit wir ihn rüberbringen können. Käthe, kannst du mitkommen? Ich brauche wahrscheinlich Hilfe.«
Käthe, eine entschlossene Mittsechzigerin, hatte ihren Platz schon längst verlassen und stand an der Tür. Ihr freundliches Gesicht mit den tiefen Lachfalten um die hellblauen Augen drückte die Sorge aus, die die anderen ebenfalls empfanden....
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