Schweitzer Fachinformationen
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Rosner flucht.
Er tut es leise, kaut an seinen Unflätigkeiten und frisst sie in sich hinein. Dabei signalisiert der Schmerz in seinem Magen schon seit Stunden ein »Unverdaulich«.
Das ist dieser Kreislauf, der bald zu Geschwüren führt, denkt er, aber wenn ich nicht fluche, dann platze ich auf der Stelle.
Er versucht sich wieder auf die Akte, die vor ihm liegt, zu konzentrieren, aber schon nach der Lektüre weniger Seiten beginnen die Zeilen vor seinen Augen zu verschwimmen.
Seit Wochen plagt er sich nun mit dieser Sache herum, kommt keinen Schritt weiter.
Der »fröhliche Weinberg«, so hat Rosner, in Anlehnung an ein Lustspiel von Zuckmayer, den Verbrecher zynisch genannt, der seit Längerem Klagenfurt unsicher macht. In mehreren Fällen ist der Maskierte nach Mitternacht in Wohnungen eingebrochen und hat, bei Konfrontation mit den Mietern, auch vor Gewalt nicht zurückgeschreckt. Überhaupt scheint es ihn nicht zu stören, bei seinen Raubzügen beobachtet zu werden. Überaus kräftig, schlägt er auf seine Opfer ein, fesselt sie mit Paketklebeband an Stühle und sucht unverfroren nach Wertgegenständen. Dabei bedient er sich, falls vorhanden, an den Weinvorräten der Wohnungsinhaber, um manchmal den Tatort erst nach Stunden wieder zu verlassen. Mit einem fröhlichen »Habe die Ehre, pfiat Gott« soll sich der Verrückte unter der Sturmmaske jedes Mal verabschiedet haben.
»Jetzt müssen wir uns schon mit auf Umgangsformen Wert legenden Säufern herumschlagen«, knurrt Rosner in Richtung Admira Spahic, die es sich wieder einmal nicht nehmen lässt, unangemeldet die spärlichen Pflanzen, die das Fensterbrett in Rosners Büro verschönen, zu gießen.
Seit dem großen Grillfest duzen sie sich, aber Rosner findet, wohl seiner momentanen Stimmung geschuldet, dass sich der Abstand zwischen ihnen dadurch eher vergrößert hat.
Ein Grillfest im Wintergarten, und das im Dezember.
Es war Alices Idee gewesen.
Zuvor aber hatte Rosner gelitten.
Alice, seine Alice, hatte sich zu einem zänkischen Weib gewandelt.
Eine Nervenschwäche, hatte Rosner, der sich selbst hin und wieder als ausgeglichenen Mann von Welt sieht, vermutet, denn Alice schien nervös, ja geradezu fahrig zu sein. Und fiel nur ein einziges falsches Wort - immer, so lautete der Vorwurf, kam es von ihm -, dann konnte sie aus der Haut fahren, konnte zischen und fluchen.
Und einmal, als er auf seinem Standpunkt beharrte, na gut, er hatte zu laut und vielleicht auch ein bisschen zu nachdrücklich darauf bestanden, war sogar ein Teller geflogen.
Dabei schien ihr körperlich nichts zu fehlen. Die magere Alice mit den spitzen Knochen hatte sogar zugelegt, ein wenig runder war sie geworden, und Rosner gefiel das gut, aber dafür brach sie öfters in Tränen aus, und wenn er sie trösten wollte, wegen was auch immer, verließ sie nicht selten den Raum und ließ die Tür hinter sich ins Schloss krachen.
Nein, so wäre das nicht weitergegangen. Das wollte er nicht. Er, der die Dinge gern an sich herankommen lässt, denn viel erledigt sich dadurch von selbst, hatte beschlossen, die Initiative zu ergreifen.
Schritt für Schritt wollte er vorgehen, und zwar sofort.
Er hatte an dem Tag seine Arbeit Arbeit sein lassen und war zu Alice gefahren.
Kein schlechter Anfang, und auch der frühe Abgang aus dem Büro fühlte sich gut an. Kurz fragte er sich, ob er Blumen besorgen sollte, aber nein, ihm war nicht nach Schenken, ihm war nach Reden zumute.
Dennoch umarmte er Alice, als sie in der Tür stand. Er konnte nicht anders, und nein, er wollte sich auch nicht wehren gegen ihre Schönheit, die ihm entgegenschlug wie eine Welle, die den Herzschlag beschleunigte. Ein wenig erstaunt war sie, weil er ungewohnt früh dran war, aber ihre grünen Augen strahlten trotzdem.
Vielleicht deshalb hatte er sie sanft gefragt, was denn los sei, und sie dabei festgehalten. Er sagte, dass er wüsste, dass es die Nerven wären, und dass es dagegen sicher ein Mittel gebe oder eine Therapie, und sie müsse sich keine Sorgen machen. Und wenn es was anderes wäre, ergänzte er schnell, auch dagegen gäbe es sicher Hilfe.
Lange sah sie ihn an.
Dann lächelte sie.
»Ja, Rosner, mein Liebster, mein Alles, es ist etwas anderes. Du Idiot, ich bin schwanger.«
So war die Idee zum Grillfest entstanden.
Er hatte dann, aus einer Laune heraus, im großen Schmuckgeschäft in der Bahnhofstraße einen Ring erstanden, einen schmalen aus Weißgold mit einem winzigen Brillanten, und die Verkäuferin hatte, um die Passform zu prüfen, hilfreich den entsprechenden Finger zur Verfügung gestellt. Die Größe wäre jederzeit zu ändern, glaubte sie betonen zu müssen, und lächelte, als wäre sie es, die demnächst von Rosner zum Standesamt geführt werden würde.
Mit der Schmuckschachtel in der Innentasche seines grauen Sakkos und einem Strauß weißer Tulpen in der Hand hatte Rosner sich schließlich Alice genähert und dabei festgestellt, dass sein Herz heftig klopfte.
Rosen, er hätte doch Rosen nehmen sollen. Ein wenig linkisch hatte er versucht, ohne die Blumen dabei zu erdrücken, seine Liebste zu umarmen. Alice hatte gelächelt, gelächelt in ihrer unnachahmlichen Art, und ihre kühlen Finger hatten kurz seine Wangen berührt. Dann war sie zurückgetreten, um ihn zu mustern.
»Was ist los, Rosner?«
Das große Glücksgefühl, das ihn überschwemmte, als er die geliebte Stimme hörte, hatte ihn stocken lassen.
»Ich . ich möchte mich verloben«, hatte er schließlich gestottert und war sich wie ein pubertierender Narr vorgekommen.
Als Alice daraufhin gesagt hatte, dass sie sich freue, und wissen wollte, ob sie die Glückliche kenne und ob sie derjenigen mit Rat und Tat zur Seite stehen könne, da sie ja einiges wisse über einen bestimmten nicht leicht zu behandelnden Kriminalisten, war er fuchsteufelswild geworden.
Dann hatte er jedoch einen verdächtigen Schimmer in ihren Augen bemerkt, in diesen strahlend grünen Augen, in denen er sich verlieren konnte, und dadurch wieder Boden unter den Füßen gewonnen. Stumm reichte er ihr die kleine Schatulle und beobachtete, noch immer um Gelassenheit ringend, ihre Reaktion.
»Rosner, du bist ein Spießer und ein unverbesserlicher Romantiker dazu.«
Er hatte ein ganz leichtes Zittern in ihrer Stimme hören können, und als Rosner genau hinsah, fand er, dass auch der Schimmer in ihren Augen nicht kleiner geworden war. Wollte sich da gar eine Träne bilden?
Mehr aber hatte er beim besten Willen nicht erkennen können, denn Alice warf sich ihm in die Arme. Beide taumelten ein paar Schritte nach hinten, und wie es der Zufall wollte, stand dort das Sofa. Danach hatte es einige Zeit gedauert, bis sie wieder Worte fanden, die nicht nur geflüstert waren und die einen Sinn ergaben.?
»Nein, Rosner, verloben will ich mich nicht. Wozu soll das gut sein?«, hatte Alice schließlich erklärt. »Wir sind verliebt. Wir sind glücklich. Und wir bekommen ein Baby. Wir müssen nichts ändern, weil es nichts zu ändern gibt. Perfekt ist perfekt.«
Rosner hatte ihre Fingerspitzen geküsst, ihr vorsichtig den Ring übergestreift und genickt. »Aber feiern will ich«, hatte er ein wenig störrisch gemurmelt.
Daher das Grillfest, auch wenn es Winter war. Als sie überlegt hatten, wen sie einladen wollten, kam ihnen die Erkenntnis, dass sie gar nicht so viele Leute kannten. Rosner wollte von seinen Kollegen nur Admira Spahic und Luigi Olivotto dabeihaben, beim dicken Brunner, dem Chef, sträubte er sich, und Alice bestand darauf, die Eltern von Ännchen einzuladen. Des Weiteren sagten auch einige Nachbarn, die mit dem Hintergedanken, so einer Lärmbelästigungsklage aus dem Wege zu gehen, kontaktiert wurden, ihr Kommen zu.
»Nur deine Rosine will ich nicht sehen«, hatte Alice gefaucht.
Woraufhin Rosner, der seine Ausbildung zum Kriminalisten in diesem Moment nicht brauchte, um zu wissen, dass nur bedingungslose Zustimmung einen sinnlosen Konflikt verhindern konnte, heftig nickend »Sie heißt Simone. Und es gibt keinen Grund, sie einzuladen« gemurmelt hatte.
Er hatte sich um die Getränke gekümmert, Bier, Glühwein, Mineralwasser und Saft, Alice besorgte Koteletts, Steaks, Pute und Fisch. Frau Greiner, eine ihrer dicken Nachbarinnen, schleppte Schüsseln mit Kartoffel-, Bohnen- und Gurkensalat herbei, als ginge es darum, eine Kompanie hungriger Pfadfinder zu verköstigen. Die Spahic schenkte ihnen ein Bild, eine Landschaft, selbst mit bunten Farben gemalt und so scheußlich wie nichtssagend. Rosner sollte das Aquarell später im kleinen Kellerabteil an die Wand nageln und auf Alices Rückfrage betonen, dem Raum so einen weiteren Hauch von Elend verleihen zu können.
Olivotto überreichte eine Flasche Wein und stotterte, dass die für die Dame des Hauses und keineswegs als Versuchung für den Hausherrn gedacht sei. Beide hatten sie lachen müssen, Rosner, weil es ihm nichts ausmachte, auf seine zurückliegenden Alkoholprobleme angesprochen zu werden, und Alice, weil für sie Alkohol in der Schwangerschaft ebenfalls tabu war. Olivotto hatte sie verständnislos angeschaut, dann aber mitgelacht.
Die Tränen aber waren Alice erst in die Augen gestiegen, als sie das Gastgeschenk des spät kommenden älteren Ehepaares auspackte, bei dem sie ihre Jugendjahre verbracht hatte. Ännchen, kunstvoll gerahmt, lachte ihr auf Hochglanz entgegen. Alice hatte das Foto an ihre Brust gedrückt, dann umarmte sie Vater und Mutter ihrer verstorbenen Freundin.
Es waren die letzten Tränen gewesen bei diesem Fest.
Rosner, der über keinerlei Erfahrung in der Kunst des Grillens verfügte, stellte bald eine natürliche Begabung dafür bei...
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