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Wenn ich mich zu jenen Tagen meiner Jugend zurückwende, kommt es mir vor, als flögen sie in immer gleichen bleichen Fetzen von mir fort, ähnlich dem morgendlichen Gestöber benutzten Krepppapiers, das ein Eisenbahnreisender im Aussichtswagen hinter sich wegwirbeln sieht. Bei meinen hygienischen Beziehungen zu Frauen ging ich fortan praktisch, ironisch und bündig vor. Als Student in London und Paris genügten mir bezahlte Damen. Mein Studium war peinlich genau und intensiv, wenn auch nicht sonderlich ergiebig. Zuerst hatte ich vor, Psychiatrie zu meinem Prüfungsfach zu machen, wie so viele nicht ganz hinreichend Begabte es tun; aber bei mir reichte es noch weniger; eine merkwürdige Erschöpfung - Herr Doktor, ich bin so bedrückt - stellte sich ein, und ich wechselte zur englischen Literatur über, bei der so viele verhinderte Dichter als pfeiferauchende Lehrer in Tweedjacken enden. Paris sagte mir zu. Ich diskutierte Sowjetfilme mit Emigranten. Ich saß mit Uranisten im Café . Ich veröffentlichte verquälte Essays in obskuren Blättern. Ich verfasste Pastiches:
. Fräulein von Kulp
mag sich wenden, die Hand an der Tür;
ich folge weder Fresca noch ihr
und auch nicht der Möwe.
Einer meiner Artikel, Das Proust-Thema in einem Brief von Keats an Benjamin Bailey, wurde von den sechs oder sieben Literaten, die ihn lasen, mit Schmunzeln aufgenommen. Ich nahm im Auftrag eines Verlags mit großem Namen eine Histoire abrégée de la poésie anglaise in Angriff und begann, das Handbuch der französischen Literatur für englischsprachige Studenten (mit vergleichenden Auszügen aus der englischen Literatur) zusammenzustellen, das mich bis zum Ende der vierziger Jahre beschäftigen sollte - und dessen letzter Band bei meiner Verhaftung beinahe druckfertig war.
Ich fand eine Stelle als Englischlehrer einer Erwachsenengruppe in Auteuil. Danach unterrichtete ich ein paar Winter lang in einer Knabenschule. Ab und zu benutzte ich die Bekanntschaft, die ich mit Sozialarbeitern und Psychotherapeuten angeknüpft hatte, um in ihrer Begleitung allerlei Einrichtungen wie Waisenhäuser oder Besserungsanstalten zu besuchen, wo man dichtbewimperte, blasse, pubertierende Mädchen mit so völliger Straffreiheit anstarren durfte, wie es einem sonst nur in Träumen gestattet ist.
Hier möchte ich folgenden Gedanken vortragen. Zwischen den Altersgrenzen von neun und vierzehn gibt es Mädchen, die gewissen behexten, doppelt oder vielmal so alten Wanderern ihre wahre Natur enthüllen; sie ist nicht menschlich, sondern nymphisch (das heißt dämonisch); und ich schlage vor, diese auserwählten Geschöpfe als «Nymphetten» zu bezeichnen.
Man wird bemerken, dass ich Raumbegriffe durch Zeitbegriffe ersetze. Ich möchte nämlich, dass der Leser «neun» und «vierzehn» als Grenzen - spiegelnder Strand und rötliche Felsen - einer verzauberten Insel sieht, auf der diese meine Nymphetten ihr Wesen treiben, umgeben von einem weiten, dunstigen Meer. Sind innerhalb der angegebenen Altersgrenzen alle Mädchenkinder Nymphetten? Natürlich nicht. Sonst hätten wir, die Eingeweihten, wir einsamen Wanderer, wir Nympholeptiker längst schon den Verstand verloren. Das hübsche Äußere ist ebenfalls kein Kriterium, und Vulgarität, oder was man in gewissen Kreisen darunter versteht, beeinträchtigt bestimmte geheimnisvolle Merkmale auch nicht unbedingt: die Koboldgrazie, den ungreifbaren, verschmitzten, seelenzerrüttenden, heimtückischen Zauber, die die Nymphette von ihren Altersgenossinnen unterscheiden, welche unvergleichlich stärker in der Raumwelt synchroner Erscheinungen zuhause sind als auf der unfassbaren Insel entrückter Zeit, wo Lolita mit ihresgleichen spielt. Innerhalb derselben Altersgrenzen ist die Anzahl echter Nymphetten auffallend gering gegenüber den voraussichtlich unansehnlichen oder nur «ganz netten» oder «herzigen» oder sogar «süßen» und «entzückenden» gewöhnlichen, dicklichen, formlosen, kalthäutigen, durch und durch menschlichen kleinen Mädchen mit Bäuchen und Zöpfen, die sich vielleicht - oder auch nicht - dereinst als große Schönheiten entpuppen werden (man denke an die Pummel in schwarzen Strümpfen und weißen Hüten, die sich in atemraubende Leinwandstars verwandeln). Ein normaler Mann, dem man ein Gruppenbild von Schulmädchen oder Pfadfinderinnen mit der Aufforderung zeigt, er solle die Reizvollste aussuchen, wird nicht unbedingt die Nymphette unter ihnen wählen. Man muss ein Künstler sein, und ein Wahnsinniger obendrein, ein Spielball unendlicher Melancholie, dem ein Bläschen heißen Gifts in den Lenden kocht und eine Flamme schärfster Wollust unablässig in der elastischen Wirbelsäule lodert (ach, wie sehr man sich zu ducken und zu verkriechen hat), um an unbeschreibbaren Anzeichen - der leicht geschwungenen Raubtierkontur eines Backenknochens, dem Flaum an den schlanken Gliedern und anderen Merkmalen, die aufzuzählen mir Verzweiflung, Scham und Tränen der Zärtlichkeit verbieten - sofort den tödlichen kleinen Dämon unter den normalen Kindern zu erkennen . Da steht sie, von ihnen unerkannt und ihrer mythischen Macht selbst nicht bewusst.
Außerdem dürfte, da der Zeitbegriff in dieser Sache eine so magische Rolle spielt, der Wissbegierige nicht erstaunt sein zu erfahren, dass eine Kluft von mehreren Jahren, mindestens zehn, möchte ich sagen, gewöhnlich dreißig oder vierzig, in einigen bekannten Fällen sogar neunzig, zwischen Mädchen und Mann liegen muss, um Letzteren in den Bann einer Nymphette geraten zu lassen. Es ist eine Frage der Blickeinstellung, einer bestimmten Distanz, die das innere Auge mit Freuden überbrückt, eines bestimmten Gegensatzes, bei dem der Verstand, wenn er ihn bemerkt, vor perversem Entzücken nach Luft schnappt. Ein Kind noch war ich und war sie, und damals war meine kleine Annabel keine Nymphette für mich; ich war ihresgleichen, selber ein kleiner Faun auf unserer verzauberten, zeitlosen Insel; aber heute, im September 1952, nach neunundzwanzig Jahren, glaube ich, in ihr die verhängnisvolle Ur-Elfe meines Lebens zu erkennen. Wir liebten einander mit einer frühreifen Liebe, der eine Heftigkeit eigen war, wie sie so oft das Leben Erwachsener zerstört. Ich war ein kräftiger Bursche und überlebte, aber das Gift war in der Wunde, und die Wunde blieb immer offen, und ich wuchs heran in einer Zivilisation, die einem Fünfundzwanzigjährigen erlaubt, einer Sechzehnjährigen den Hof zu machen, aber nicht einer Zwölfjährigen.
Kein Wunder also, dass mein Leben in der Zeit, die ich als Erwachsener in Europa verbrachte, in einer ungeheuerlichen Zweiteilung verlief. Nach außen hin hatte ich sogenannte normale Beziehungen zu mehreren irdischen Frauen mit Kürbissen oder Birnen als Brüste; im Innern wurde ich von einem Höllenbrand lokalisierter Lust auf alle vorbeispazierenden Nymphetten verzehrt, denen ich mich als gesitteter Waschlappen nie zu nähern wagte. Die massigen Menschenweibchen, die zu handhaben mir erlaubt war, dienten nur als Palliative. Ich möchte annehmen, dass die Gefühle, die mir die sogenannte natürliche Hurerei verschaffte, so ziemlich die gleichen waren wie die normaler erwachsener Männer, die sich mit normalen erwachsenen Frauen in jenem Routinerhythmus wiegen, der die Welt bewegt. Das Dumme war nur, dass diese Herren nicht wie ich von einer unvergleichlich intensiveren Seligkeit gekostet hatten. Der matteste meiner Pollutionsträume war tausendmal hinreißender als all die Ehebrecherei, die sich das virilste Schriftstellergenie oder der talentierteste Impotente ausmalen könnten. Meine Welt war gespalten. Für mich gab es nicht ein, sondern zwei andere Geschlechter, von denen mir keines gehörte; beide würde ein Anatom mit «weiblich» bezeichnen. Aber im Prisma meiner Sinne waren sie für mich . Alles das sind heutige Rationalisierungen. In meinen Zwanzigern und frühen Dreißigern hatte ich nicht so viel Verständnis für meine Leiden. Während mein Körper wusste, wonach er sich sehnte, lehnte mein Verstand jedes Ansinnen meines Körpers ab. Einen Augenblick lang war ich beschämt und beängstigt, im nächsten tollkühn optimistisch. Tabus schnürten mir die Kehle zu. Psychoanalytiker umwarben mich mit Pseudoliberationen von Pseudolibidiotien. Die Tatsache, dass die einzigen Objekte meiner bebenden Verliebtheit Schwestern von Annabel, ihre Zofen und Mädchenpagen waren, kam mir manchmal wie ein Vorbote des Wahnsinns vor. Zu anderen Zeiten sagte ich mir, alles sei Einstellungssache und wirklich nichts Schlimmes dabei, sich bis zur Raserei zu kleinen Mädchen hingezogen zu fühlen. Ich möchte den Leser daran erinnern, dass im Gesetz zum Schutz von Kindern und Jugendlichen, das 1933 in England verabschiedet wurde, Mädchenkinder als «Mädchen über acht und unter vierzehn Jahren» definiert werden (danach, von vierzehn bis siebzehn, heißen sie offiziell «junge Personen»). In Massachusetts, USA, hingegen ist ein «wayward child» ein liederliches Kind «zwischen sieben und siebzehn Jahren» (das noch dazu gewohnheitsmäßig mit lasterhaften und unmoralischen Personen Umgang hat). Hugh Broughton, ein umstrittener Autor zur Zeit von Jakob dem Ersten, hat nachgewiesen, dass Rahab im Alter von zehn Jahren eine Hure war. Das alles ist hochinteressant, und ich vermute, dass Sie mich bereits mit Schaum vor dem Mund lostoben sehen. Aber nein, das tue ich nicht. Ich schnipse nur glückliche Gedanken ins...
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